Nach- und Ausklänge in Thessalien

Mavrouvouni, am Ende des Sommers 2016, die letzte Septemberhälfte.

Nach der Makedonien-Thrakienreise gibt es keine großen Erzählungen mehr. Ausklänge finden jetzt wieder in Thessalien stat, Larissa, Mavrovouni, irgendwo hier. Ein paar Bilder zum Ausklang…

Auf der Rückfahrt von Thessaloniki in Mavrovouni: ein kleiner Abstecher vor dem Tempi-Tal: hier bildet der Pinios ein sandiges Delta, bevor er im Meer landet.

Besuch bei unseren Freundinnen, den Schwestern des Klosters Joannis Prodromos, auf 1200 Meter Höhe, oberhalb des Dorfes Anatoli, oberhalb von Aghia, im Ossa-Gebirge. Schwestern zeigen uns den Erfolg des letzten Jahres: aufwändig und mit vielen Eigenmitteln wurde die historische Klosterkirche des 16.Jhdt mitsamt ihren Fresken gerade noch vor dem Einsturz gerettet. Meisterhafte Restaurierungsarbeiten.

Hochwassserschutz als Bewässerungsmaßnahme

Auch die thessalische Hochebene weiß, Flutmittel abzugreifen: ein cirka 25 Kilometer langer links- und rechts eingedeichter Kanal soll Hochwasser von den im Winter zu Tal stürzenden Bächen sammeln, vor allem aber vom durch und an Larissa vorbei fließendem Fluß Pinios. Der fließt aber etwa 25 Kilometer weiter weg. . Das Wassser soll in den See „Limni Karla“ sowie andere künstlich angelegter Seen in der Ebene bringen. Die Limni Karla ist einst natürlicher See gewesen, den man in der Antike Βοιβηίς (Voiviis) nannte. Noch Anfangs des 20. Jahrhunderts pflegte man hier Fischfang, die Fischer lebten während der Fangsaison in provisorischen Schilfhütten, die sie am Ufer errichteten.  Um landwirtschaftliche Produktionsflächen zu gewinnen, legte man den See 1962 trocken. Allerdings war der zurückbleibende Boden derart versalzen, dass der erhoffte Gewinn ausblieb. Seit 1988 enstand auf dem Gelände des ausgetrockneten Sees ein neuer, künstlich angelegter Stausee, von geradwinklig verlaufenden Dämmen umgrenzt. Der neue See hat schon wegen seiner geringen Größe nicht viel mit seinem natürlichen Vorgänger zu tun. Das Wasser wird vorwiegend zur Bewässerung der Baumwollfelder gespeichert, und soll auch helfen, den Grundwasserspiegel wieder zu erhöhen (das dann andernorts wieder abgepumpt wird). Von einer wirklichen Renaturierung der historischen Landschaft kann also keine Rede sein, und mehrfach gingen im Sommer Bilder von einem Fisch-Massensterben durch die Zeitungen, weil der See, mangels Wasserzufluss, zu wenig Lebensraum und Sauerstoff bot.  Die EU und die Mitfinanzierer lassen sich den Abschnitt des neuen, eingedeichten Dammkanals, der das Problem dadurch lindern soll, indem weiteres, gelegentliches Hochwasser vom Pinios zugeführt wird, etwa so viel kosten, wie für den Gimritzer Damm veranschlagt wird: 3,6 Millionen Euro. Das sagt jedenfalls das Bauschild.

 

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Schwiegermama hat gekocht: Moschari me Bamnies.

17. September, Larissa

Noch einmal gibt es was zu Feiern, ähnlich wie zu Beginn unserer Reise, zu ähnlichem Anlaß. Wir begeben uns daher in Larissa, in der Innenstadt, wo wir für 9 Personen vorbestellt haben, und zwar in der Psitopoleio ( Grillrestaurant) Adamos. Es ist der erste und traditionellste Laden seiner Art am Platze. Da einem Leser diesesr Berichte die fotografische Darstellung des Kokoretsi von Samothrake nicht sagte, möchte ich oier bessere Darstellungen abgeben. Die Kokortetsia bei Adamos sind aus Lamminnereien, etwas eine Idee und noch besser gewürzt als die in Samothraki. In ihrer Anatomie (innen Leber, andere Innereien, umwickelt mit Darmschnüren)  aber vergleichbar. Der Tisch in der Fußgängerzone vor dem Lokal ist weiß gedeckt, in den eloxierten Kannen darauf gibt es Weißwein, und an sonsten Gegrilltes, jede Menge Unterhaltung, über die Krise, Herrn Schäuble, Frau Merkel, die EU und überhaupt.

 

18. September, überall in Mavrovouni 

Und endlich sind die Kastanien reif, öffnen bereitwillig ihre stacheligen Kapseln . Wir pflücken sie, einige nehmen wir mit nach Hause. Es sind typische Herbstboten, sie lassen uns wissen: lang ist unser Bleiben hier leider nicht mehr. „Kalo Chimona“, einen schönen Winter, scheinen sie uns zuzuflüstern. .

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Die „Kastana“ (Maronen) werden reif.

Bei Philippi sehen wir uns wieder. Abschluss der makedonisch-thrakischen Reise.

 

Philippi, den 09. September 2016

Nördlich von Kavala, nach etwa 18 km Wegstrecke, befindet sich die antike Stadt Phillipi (Φίλιπποι) , heute ist sie nicht mehr bewohnt, aber eine bedeutende Grabunsgsstätte und archäologischer Park. Nicht nur wegen ihrer abstrakten geschichtlichen Bedeutung für das früheste Christentum in Europa, sondern auch wegen der bedeutenden erhaltenen Reste antiker und vor allem frühchristlicher und byzantinischer Bausubstanz, steht sie heute in der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes. Der Makedonenherrscher Philip II, Vater von Alexander dem Großen, benannte den schon damals existierenden thrakischen Ort nach seinem Namen um. Ihren Reichtum bezog die Stadt zum einen auf den in der Nähe liegenden thrakischen Goldminen, vor allem aber aus der intensiven Landwirtschaft in der fruchtbaren Ebene zwischen den Flüssen Nestos und Strymon. 42 n. Ch trafen hier die Heere der Cäsarmörder Brutus und Longinus auf die Truppen des Octavian (der Spätere Kaiser Augustus) und Marus Antonius. Die Putschisten unterlagen und begingen Selbstmord. Damit war der Weg für Octavian Augustus als Nachfolger und Haupterbe Caesars entschieden.  „Bei  Philippi sehen wir uns wieder“: diese bekannte Redensart geht auf den Geschichtschreiber Plutarch zurück, der berichtet, Brutus sei in der Nacht der Geist Caesars erschienen, der ihm mit dem baldigen fatalen Wiedersehen drohte. Man sieht sich eben immer zweimal, nicht nur im Leben.

Die Apostelgeschichte (15,36–18,17) berichtet, Paulus sei in seiner zweiten Missionsreise gemeinsam mit dem Apostel Silas von Antiochia kommend, durch Kleinasien gereist. Auch er hatte eine nächtliche Erscheinung, die ihn nach Europa schickte, und zwar nach Makedonien. Pulus und Silas landen im Hafen von Kavala, von dort begeben sie sich nach Philippi. Unterkunft finden sie bei der zum Christentum bekehrten, wohlhabenden Purpur- und Stoffhändlerin Lydia. Leider gibt es aber auch schnell  Ärger: Paulus hatte einer Sklavin, die ihrem Herrn-bislang schöne Einkommen als Wahrsagerin beschert hatte, die Fähigkeit zu dieser Zauberkunst ausgetrieben. Heute würde das auf eine Klage wegen Geschäftsschädigung hinaus laufen, damals gab es eine Anklage wegen Aufwiegelung der Bevölkerung. Paulus und Silas wurden ins Gefängnis geworfen, der angebliche Kerker zieht heute noch Pilger an. Bei einem Erdbeben kommen die beiden aus dem Gefängnis frei, und da Paulus sich nun endlich als römischer Bürger ausweisen kann, darf er nicht weiter festgehalten werden.  Die Missionare ziehen jetzt lieber weiter nach Thessaloniki, wo sich auch christliche Gemeinden gründen, dann irgendwann nach Rom usw. 

Die junge Gemeinde in Philipp wird aber trotzdem nicht in Stich gelassen, es gibt nun Fernbetreuung, wie sei anderen Gemeinden in Form der Paulusbriefe auch schon zuteil wird. Der Brief an die Philipper ist enthalten und Bestandteil des Neuen Testaments. Der Tenor des Briefe ist kaum anders,  als der der übrigen Paulusbriefe. „Viele Grüße, kann leider nicht kommen, aber ich schicke Euch bald meinen Mitarbeiter Timotheus vorbei. Haltet durch, die Wiederkehr Christi wird schon noch, Haltet Euch von Irrlehrern fern,  bleibt anständig und sittsam, dass Ihr das Ansehen der Gemeinde nicht beschmutzt. Und danke Danke für Eure Geldspenden, die nicht für mich sind, ich brauche sie nicht, sie sind für die Verbreitung des Evangeliums bestimmt. Mit freundlichen Grüßen….“

 

Beim Betreten des archäologischen Parks von Philippi lassen wir das hellenistische Theater auf der rechten Seite liegen, es gibt ihrer so viele, wie sie  in ihrer Art eingeschmiegt in den Hang gesetzt wurden. Links sind spätantike Architikturplastiken aufgestapelt, unbeschriftet, wer ihre Zeichen liest, würde sie überwiegend in die Spätantike des dritten und vierten Jahrhunderts nach Christus platzieren. Vielleicht.

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Pfeiler und Säulen der Basilika A

Geradeaus begegnen uns aufrecht stehende Säulen. Sie tragen abstrakt vereinfachte korinthische Kapitelle. Im Prinzip folgen sie aber noch dem klassischen Aufbau, aber statt eines Gebälks sind sie von einer trapezförmigen Deckplatte bekrönt, dem so genannten Kämpfer. Auf Schaft und Kämpfer finden wir christliche Kreuze. Die Säulen gehören einer frühen christlichen Basilika an, man datiert sie – auch wegen der Art ihrer Kapitelle – in das späte 5. Jahrhundert. Wem sie geweiht ist, weiß man nicht. Architekturhistoriker nennen sie einfach die Basilika A.

Sie markiert einen der  frühen Schritte der  Entwicklung byzantinischen Kirchenarchitektur und ihrer Formensprache. Man rekonstuiert aus den erhaltenen Resten eine dreischiffige Basilika mit Emporen, die Säulen trugen Arkaden, die das Mittelschiff von den Seitenschiffen trennten. Im Osten trägt die Basilika ein mächtiges, breites Querhaus.  Im Westen schlossen sich eine Vorhalle (Narthex) und zwei säulenumstandene Innenhöfe an.  Der Sakralbau diente schon mit  seiner Errichtung der Verehrung des Apostel Paulus, für dessen „Gefängnis“ man die Reste einer römischen Zisterne in der Nähe hielt.

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Rekonstruierter Grundriss von Basilika A

Nur ein halbes Jahrhundert später vollzog sich, in die Ära des Kaisers Justinian fallend, ein revolutionärer Wandel in der Architektur. Unterhalb der Basilika A, weit sichtbar, jenseits der antiken Agora, die ebenfalls ausgegraben ist, errichtete man um 530-540 eine gewaltige Kuppelbasilika (Basilika B).

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Basilika B, Philippi (Schautafel im archäologischen Park)

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Basilika B, justinianisch, ca. 530-540 n.Ch.

Im Grundriss mutet sie noch basilikal an, aber die zweistöckigen Säulenarkaden, die die Schiffe abtrennen, werden von vier mächtigen Vierkantpfeilern eingefaßt, über ihnen ruhte eine mächtige, zentrale Kuppel. An diesen Kuppelraum schloss sich westlich ein  ebenfalls breites Querhaus an, das auch im Zentrum überkuppelt wurde. Diese Mischung und Durchdringung von Zentral- und Längsbau ist ein Beispiel für die sog. „justinianische Synthese“, in welcher – wohl auch mit politischer Propagandaabsicht, unterschiedliche Bau- und Kunstströmungen unter einem Dach versammelt wurden. Auch die Kapitelle sprechen eine neue Sprache: jetzt nur noch schwer als klassische korinthische Formen zu erkennen, umhüllen die Akanthusblätter, eher an Tangblätter erinnernd, die korbartige Grundform. Sie erinnern in ihrer durchbrochen Art mit ihrem starken hell-dunkel-Kontrast an filigrane Klöppelmuster. In der Tat gehen diese Dekorformen auf sassanidische (persische) Einflüsse zurück.

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Säulenarkaden der Basilika B mit den justinianischen Korbkapitellen („Kämpferkapitelle)“ und  ihrem durchbrochenen Blattwerk.

Auch mit dieser Formensprache wollte man das Reich nach seiner „Osterweiterung“ integrieren und ihm eine neue Identität verleihen. Sehr vergleichbare Formen und Bauprinzipien kennt man von noch gewaltigeren und berühmteren Bauten der Justinianischen Zeit: etwa der Hagia Sophia in Konstantinopel oder der ebenfalls dort stehenden Hagia Irene. Es ist imperiale Staatsarchitektur eines Vilevölkerstaats, der im Inneren unterschiedlichen Kulturen ein gemeinsames Dach gibt, und sich nach Außen deutlich von Westrom abgrenzt. 

 

Schlussbemerkung zur Thrakisch-Makedonischen Reise.
Mavrovouni, den 15. September 2016: 

Liebe Spektrumgemeinde, es grüßt Euch Hei-Wu aus dem fernen Mavrovouni in Thessalien, leider kann ich nicht bei Euch sein, denn ich habe noch den Auftrag, mich hier um unsere Brüder und Schwestern zu kümmern. Ob ich Euch auch von hier noch einmal schreiben kann, steht nicht in meiner bescheidenen Macht. Bis zu meiner Rückkehr bitte ich Euch, haltet Euch an die Forenregeln, damit Euer Ruf nicht beschmutzt werde. Und um alles in der Welt, lasst Euch nicht von Irrlehren, derer so viele in Umlauf sind, vom gerechten Weg abbringen. Es sind ihrer so viele, seid also standhaft und glaubt den kläffenden Hunden nicht. Ihnen geht es nicht unser Heil, sondern sie verfolgen die ihren eigene Interessen.  Habt schon einmal vielen Dank, für die vielen Kommentare, die ich nicht für mich selber brauche, wohl aber freut es mich, dass sie unserem Messias in Halle zur Ehre gereichen, deshalb lasst uns sein Evangelium weiter verkünden. Lehnt Euch nicht gegen die Obrigkeit auf, haltet Eure Moderatoren in Ehren und widersprecht ihnen nicht, dann ist Euer Segen gewiss. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rückfahrt auf der Via Egnatia: Zwischenstop am Imaret in Kavala

Kavala, 08.September 2016

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Das Imarett des Mehmet Ali Pascha in Kavala

In der Oberstadt, auf der ehemaligen Stadtbefestigung, liegt, hoch über dem Hafen gelegen, ein Gebäude, das mit seinen vielen kleinen Kuppeln und Schornsteinen zunächst ein Hamam vermuten ließe. Ist es aber nicht, sondern ein so genanntes „Imarett“.
Mehmet Ali Pascha. geboren 1770 in Kavala (+1849 in Alexandria), hatte schon eine steile Karriere hinter sich, als er den 1813-1821 errichteten Bau des Imarett stiftete.  in jungen Jahren hatte er sich mit dem Tabakhandel beschäftigt (womit sonst), dann trat er der Armee bei, und leitete im Auftrag des Sultans ein kleines Heereskontingents von 300 Mann, das in Ägypten gegen Frankreich kämpfte. zusammen mit britsichen und anderen osmanischen truppen gelang es, die Franzosen aus Kairo zu vertreiben. Nach einer Vielzahl weiter erfolge ernannte der Sultan ihn zum Vizekönig von Ägypten. Mehmet Ali Pascha begründete mit seinen Nachfahren die letzte Dynastie des ägyptischen Könighauses, das bis 1953 regierte. Seine Erfolge machten ihn zu einem reichen Mann, so gab ihm der Sultan die gesamte Insel Thassos zur Belohnung als Lehen. In der islamischen Welt wurde erwartet, dass sich reiche Leute als Wohltäter betätigten. So stiftete er aus einem Teil seines Vermögens das Imarett von Kavala, was zunächst die Funktion einer Armenküche hatte, dann aber auch die Funktion einer Schule (Medrese) erhielt. Angegliedert war auch ein Bibliotheks-,  Unterrichts- und Gebetsraum. Unterrichtet wurden nur männliche Schüler vom 11. bs zm 18. Lebensjahr, zeitweise versorgte die Armenküche neben den Schülern 300 bis 600 Menschen.

Ein Teil des Imarets ist heute eine Art Wellneshotel, weite Bereiche können trotzdem mit geführten Gruppen besichtigt werden. Unser Führer ist ein junger Wissenschaftler, der in Istanbul Islamwissenschaft und islamische Kunstgeschichte studiert hat.  Folglich sind seine umfangreichen Erläuterungen sehr fundiert.

Im Gebetsraum, der, dem Stil seiner Zeit noch mit Stuckaturen im Stil des osmanischen Barock versehen sind, finden gelegentlich auch Kunstaustellugen statt. Neben dem Gebetsraum gibt es eine Zisterne, die den Komplex mit Wasser versorgte. Gespeist wurde sie mit dem heute noch erhaltenen, römischen Aquädukt, der das Wasser quer durch über die Stadt leitete, und zu osmanischer zeit noch voll funktionsfähig war.  Auch er steht heute noch.

Kavala wurde im 7. Jahrhundert von den Einwohnern der vorgelagerten Insel Thassos gegründet, damals hieß es Neapolis (Neustadt). In byzantinischer Zeit wurde Neapolis in „Christopolis“ (Christusstadt) umgewandelt: denn hier im Hafen war um 49 n. Ch. der Apostel Paulus angelandet, und gründete im wenig Landeinwärts liegenden Stadt Philippi die erste christliche Gemeinde auf europäischem Boden gründete. Aber das wird noch eine andere Geschichte…  Woher der heutige Name „Kavala“ stammt, weiß man nicht. Es gibt unter anderem eine volksethymologische Erklärung, es habe etwas mit seiner Funktion als Pferdeumspannstation zu venetianischer Zeit zu tun gehabt (cavallo, ital. Pferd).

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Wohnhäuser des 19. Jahrhunderts in der Altstadt von Kavalla

Xanthi, Stadt der Tabakhändler und Geburtsstadt von Manos Chatzidakis.

07. September 2016

Xanthi erreichen wir am späten Nachmittag. Die etwa 56000 Einwohner zählende Hafenstadt Stadt ist das Oberzentrum der Region. Seit der Mitte des 18.Jahrhunderts entwickelte sich die damals unter osmanischer Herrschaft befindliche Stadt zu einem prosperierenden Zentrum des Tabakhandels, hier wurde das Produkt der harten Arbeit aus den armen Dörfer Nordwestthrakiens in dickes Geld verwandelt. Davon zeugen auch heute noch die gewaltigen Villen und Handelshäuser, die mehrheitlich kurz nach dem großen Stadtbrand von 1870 entstanden sind. Überwiegend qualitätsvoll restauriert, bestimmen sie das Bild der Altstadt von Xanthi.

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Das Geburtshaus des Komponisten Manos Chatzdakis (Im Hintergrund)

Das Imposanteste ist sicher das im Stil des französischem Neoklassizismus um 1898 enstandene Haus des jüdischen Tabakhändlers Isaac Daniel. Das hohe, dreistöckige Gebäude mit einer Ziegelgliederung und Bauplastik aus Terrakotta verfügt über 1492 Quadratmeter Wohn- und Lagerfläche. 1925 überließ Isaac Daniel das Anwesen dem griechischen Staat – die Hintergründe habe ich bisher nicht in Erfahrung bringen können. Es wurde verpachtet und vermietet, unter anderem an die Eltern des heute berühmten Komponisten Manos Chatzdakis, der am 23. lktober 1925 in der Wohnung in zweiten Etage das Licht der Welt erblickte. Einige Melodien von Chatzidakis kennt man auch in Deutschland, allerdings mehr in den deutschen „Coverversionen“. Beispiele : “ Ein Schiff wird kommen“, gesungen von Lale Anderson (Original: Ta pedia tou Pirea, „Die Kinder von Piräus“), oder „Weiße Rosen aus Athen“ von Nana Mouskouri, Original: San Sfyrixis Tris Fores, „wie wenn du dreimal pfeifst“.

Bekannt wurde Chatzidakis mit seinen Soundtracks zu dem Film „Sonntags Nie“ (pote tin kyriaki) mit Jules Dassin und Melina Merkouri in den Hauptrollen (der späteren Kulturministerin). In dem Soundtrack singt sie auch einige der berühmt gewordenen Klassiker von Chatzidakis.

Kostprobe? den kompletten Soundtrack findet man erstaunlicherweise bei Youtube:

Zur Ehren des großen Komponisten und Sohns der Stadt hat man das stark verfallene Gebäude seit dem Jahr 2000 aufwändig restaurieren lassen. Es dient als öffentliches Kulturzentrum und Museum, das sich vor allem der musikalischen Tradition widmet.

Der Eintritt ist frei, und so kann man die wieder entstandene Pracht der hochherrschaftlichen Innenräume bewundern,mit ihren eindrucksvollen farbig- ornamentalen Wandmalereien der vorletzten Jahrhundertwende. Auch die Aussicht aus den Fenstern des die gesamte Stadt beherrschende Herrenhauses lohnt sich. In der Altstadt von Xanthi pulst abends das Leben: Cafes, Diskos,Tavernen, Coctailbars – alles da.

Orienttabak und heiße Bäder: in den Dörfern der Pomaken. Teil 2, Thermes und Kottani

Von Echinus aus fahren wir durch die abwechselnd felsige, dann wieder dicht baumbestande Landschaft weiter in das Gebirge hinein.

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Eine mindestens so so spannende Thermalquellensiedlung gibt es oberhalb von Paranesti, ebenfalls nicht weit von Stavroupoli, aber andere Richtung, da waren wir schon vor zehn Jahren. Dort gibt es keine staatlich organisierten Thermalbecken, hier hat sich ein Verein über die Quellen und Becken kleine Lauben eingerichtet, es sieht dort etwas aus, wie in einer Favela, allerdings sauber, und die Becken sind nur mit Zement und Kalk ausgekleidete Pools – aber wild romantisch im Wald gelegen. Wird ein anderes Mal hier beschrieben, vieleicht nächstes Jahr?

Man gerät nacheinander in drei Ortschaften, untere Thermes, mittlere Thermes und Oberthermes. (Kato Thermes, Mesa Thermes, ano Thermes) Die drei Orte haben ihren Namen nach den hier auftretenden, heißen Quellen erhalten, eine davon, die „Iamatikes Piges Thermon“, sind öffentlich nutzbar. Neben dem neu errichteten Badehaus, das mit dem aus dem Berg austretenden heißen Wasser gespeist ist, gibt es an dem Ort noch ein paar Kurhäuser, eine Kirche und eine Moschee, sonst nichts, alles relativ modern, nicht besonders sehenswert.

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Von Stavroupoli über Thermes und Medousa nach Kottani

Das Wasser soll eine heilkräftige Wirkung, es enthalte Salze, heißt es (viel sicher nicht, das würde man schmecken), angeblich auch Schwefel, den man aber nicht riecht. Die Nutzung des Badehauses kostet  3 € pro Person, die man an den Bademeister, der zugleich Pförtner ist, zu entrichten hat, dafür gibt es ein Handtuch, eine Kabine und eine Einweisung. Die Wichtigste: nicht zu lange im Becken bleiben, das Wasser ist 45 Grad heiß, mehr als zehn Minuten soll man nicht drin bleiben. Noch gefährlicher seien nur noch die Badewannen, in denen man sich das Wasser von sage und schreibe 56 Grad einlassen kann. Die Warnung vor der Überschreitung der Badezeit ist unnötig, langer hält man es kaum in dem dampfenden Becken in der überkuppelten Badestube aus. Ein Abkühlbecken gibt es nicht, wir sollen das nicht mit einer Sauna verwechseln, sagt der Bademeister. Nach dem Bad soll man sich mindestens eine halbe Stunde ausruhen. Das Wasser, das aus den Wasserhähnen der Badewannenkämmerchen kommt, ist derart heiß, dass man sich Verbrennungen ersten Grades an den Füßen holt: lieber nicht. Vielleicht taugt es zum Kaffee aufbrühen.

Der Bademeister unterhält sich mit einem Mann aus Bulgarien, der hat seinen Vater eben über die Grenze zum Baden gefahren hat. Das sie sind das kurze Nachmittagsausflüge hier her. Weiter fahren wir nach Medousa, einem Dorf mit einer hässlichen Kachelmoschee, das dafür aber mit gut erhaltenen osmanischen Häusern beidseitig in einem kleinen Flusstal liegt. „Hoşgeldin yâ şehr-i Ramazân“, „Herzlich willkommen, oh gesegneter Monat Ramadan“ wirbt die Moschee auf Türkisch mit einer Leuchttafel.

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Die Moschee von Medousa

Eine eiserne und eine alte, osmanische Bogenbrücke verbinden die beiden Ortshälften mit einander, im Bach stakst  ein Schwarzstorch, pickt sich eine der zahlreichen Forellen heraus und schwebt davon. Ebenso wie bei „Echinos“ (bedeutet zu deutsch „Seeigel“) fragt man sich, warum dieser Ort nach der Regräcisierung „Medousa“ (= Qualle) genannt wurde. Der alte pomakische Name war Memkovo. Maritim geprägt sind diese Orte nun wirklich nicht, auch wenn man von mancher Höhenlage hier oben bei guter Sicht das Meer erahnen kann. In Medousa hört die asphaltierte Strasse auf, ein handgemaltes Holzschild weist nach dem Ort Kottani, wohin ein schwieriger Erd- und Schotterweg führt.

Der Weg dauert von hier mindestens eine halbe Stunde, da man teils nur im Schritttempo vorankommt. Dafür lohnt sich die Landschaft entlang des kleinen Baches auf jeden Fall.

Am Ortseingang von Kottani informiert ein überdimensionales blaues EU-Schild darüber, dass in diesem Ort im Rahmen des InterregIII-A – Programmes die traditionellen Häuser des Ortes restauriert werden sollen. 75% der Gelder stammen aus den EFRE-Fördertöpfen der EU, 25% stammen aus den nationalen Quellen, und zwar Bulgariens und Griechenlands. Das InterregIII-A- Programm zielt, das steht nicht auf dem Schild, aber in der schlauen Wikipedia, auf “ die grenzübergreifende Zusammenarbeit benachbarter Gebietskörperschaften. Auf der Basis gemeinsamer Strategien sollen die räumliche Entwicklung gefördert und grenzübergreifende wirtschaftliche und soziale Pole geschaffen werden. Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist unbedingt zu beachten. Förderfähig sind alle Gebiete entlang von Binnen- und Außengrenzen sowie bestimmte Küstenregionen“.

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Die EU informiert über die Verwendung der Fördermittel in Kottani aus dem InterregIII A – Programm.

Der Ort mit seinen teils schon restaurierten, teils noch zu rettenden Wohnhäusern wirkt durchaus gepflegt, allerdings scheint er um diese Zeit verlassen zu sein. Leider auch die oberhalb des Ortseingangs gelegene Taverne, die ein echter Geheimtip sein soll – sie öffnet nur am Wochenende. Deshalb fahren wir nun zurück nach Griechenland, das wir unten in Xanthi zu finden erhoffen: S. nächstes Kapitel.

 

 

Orienttabak und heiße Bäder: in den Dörfern der Pomaken. Teil 1, Echinos.

Viele der Eingangs bei Komotini schon einmal erwähnten Pomaken leben in wenigen Dörfern und Kleinstädtchen nordöstlich von Stavroupoli. Es ist eine wirtschaftlich abgehängte Region, das schon seit langer Zeit. erst seit webigen Jahren hat sich in Griechenland überhaupt die Ansicht durchgesetzt, dass man sich um die muslimische Minderheit in Nordthrakien kümmern muss – und sie nicht ignorieren darf. Vor über zehn Jahren waren wir schon einmal hier oben in der Gegend – und hatten Gelegenheit, vor Ort mit einigen Bewohnern zu sprechen. In in orange gehaltener junger Imam, aus der Türkei stammend, in Saudi-Arabien ausgebildet, wollte uns erläutern, dass alle Pomaken Türken seien. Der türkische Staat betreibt über die griechische Grenze hinweg so etwas wie Minderheitenindoktrination, worüber sich damals einige ältere Menschen leise beschwerten, insbesondere auch über die arrogante, hochnäsige Art der jungen, orangen Schnösel, die sich erdreisteten, Ihnen den Islam neu zu vermitteln. Extrem verunsichernd war, dass man merken konnte, wie die Turkisierung kräftig fort schritt: Die größte Zahl der Pomaken sprach damals wie heute Pomacko, einen bulgarischen Dialekt, was auch die älteren unumwunden so beschrieben: mit den Bulgaren jenseits der Grenze verstünden sie sich, und ein alter, sehr freundlicher Mann  brachte uns ein paar Wörter bei: Kostel für das Haus, Dobre Doshli „Herzlich Willkommen“, „Kak si“ – wie geht es Dir, Voda = Wasser, und oft hört man heute „Da“ für „Ja“. Aber es gibt auch viele türkische Lehnwörter in der Sprache, auf der Straße grüßen sich die Älteren auch mit mit „Maraba“ (Merhaba, türkisch für „Guten Tag“).

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Tabakzelte vor der Ortschaft Sminthi

Fragt man die Pomaken selbst, insbesondere die Jüngeren, nach ihrer Identität, oder gar nach der Herkunft ihrer Sprache, sagen viele mittlerweile, sie seien Türken, und sie sprächen auch nichts anderes als Türkisch, auch wenn sie pomakisch reden.

Einen interessanten Artikel veröffentlichte dazu vor zehn Jahren die Neue Züricher Zeitung. In der Tat sprechen fast alle hier mindestens drei Sprachen: Griechisch, Pomakisch, Türkisch, dazu kommt noch sehr oft Deutsch, das sie während ihrer Zeit als Gastarbeiter in Deutschland gelernt haben.

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Echinos, Nordwestthrakien.

Ein sehr alter Mann, der sich mit uns bei unserem ersten besuch vor zehn Jahren unterhielt, lobte die Deutschen sehr. „Damals“ (im zweiten Weltkrieg), „da kamen sie über die Berge, um uns von den Griechen zu befreien. „Sie hatten so wunderschöne Pferde mit glänzendem Fell“.  Hintergrund: Nazi-Deutschland war mit Bulgarien verbündet, und dass die Deutschen damals nicht nur schöne Pferde brachten, sondern in Griechenland Massaker ungeheuren Ausmasses anrichteten, dürfte hinlänglich bekannt sein.

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Strassenszene in Echinos, Nordwestthrakien

Unsere Fahrt soll dieses Jahr in die Berge nach Echinos, (Pomakisch Schahin, ähnlich Türkisch Şahin) führen, einem Kleinstädtchen mit etwa  zweieinhalbtausend Einwohnern. Wie in den umliegenden Dörfern leben sie vom Tabakanbau – das schon seit Jahrhunderten, ihre Erzeugnisse hat die Tabakhändler von Xanthi, bis hin nach Kavala und  Thessaloniki, reich gemacht. Der erwirtschaftete Wohlstand kam aber nie in den armseligen Dörfern hier oben an, bis heute nicht. Der karge Boden bietet außer Tabakanbau und etwas Ziegen- und Schafzucht kaum Möglichkeiten. Dafür wird aber jedes Fleckchen der steinigen Erde, selbst auf Verkehrsinseln, in Handarbeit mit Tabakpflanzen besetzt, die mehrfach im Jahr von Hand gehackt und bewässert werden. Jetzt, um diese Zeit Anfang September, ist die Tabakernte in den letzten Zügen.  Die kleinen Blättchen, die sukzessive an der Pflanze von unten nach oben reifen, werden täglich neu von Hand gepflückt, auf Drähte gespießt, die dann in langen Girlanden unter Zelten aus Plastikfolie zum Trocken aufgehängt werden. Zum Schluss bleiben von den Pflanzen dann nur noch blattlose Gerippe mit Blüten- und Samenständen.

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Der Orienttabak „Basmas“

Die Folienzelte zur Trocknung stehen überall in der Landschaft herum, überall liegt der Plasikmüll herum, und statt mit Zäunen oder Hecken werden  auch die Felder und Gärten eingezäunt. mit Plastikfolien. Schön ist das nicht, aber vielleicht praktisch.

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Dass hier überhaupt Tabak angebaut wird, liegt an der besonderen Sorte: „Basmas“, ein Orienttabak. Es sind sehr kleine Pflanzen, meistens nur einen halben Meter hoch, es sind die ganz kleinen Brüder des übermannshohen Virginiatabaks, die hier nirgends zu sehen ist. Basmas wird als Würztabak  verwendet, er darf – anders als Virginiatabak, nur wenig gedüngt werden, sonst verliert er das Aroma. In herkömmlichen Tabakmischungen wie der „American Blend“ ist Orenttabak  zu 5-10 Prozent enthalten, und darin angeblich unverzichtbar. Auch heute noch kommen die wohlhabenden Tabakhändler in die Dörfer, um den Bauern den mühsam erzeugten Tabak abzukaufen, und immer noch sind sie es, die brutal die Preise drücken.  Lange Zeit hat die Europäische Union den Tabakanbau hier oben subventioniert – im seltsamen Widerspruch zur Antiraucherkampagne. 2010 war mit der Förderung Schluss. Seit 2014 gibt es jedoch wieder geringe Fördermittel. Alternativen zum Takakanbau existieren in dieser Gegend  scheinbar nicht, die geringwertigen Böden lassen bei gleichzeitig großem Angebot an Arbeitskräften und hoher Wertschöpfung pro Fläche wirtschaftlich kaum andere Feldfrüchte als Ausweiche zu. Am Ortseingang von Echinos finden wir eine Kuh, die zwischen einem Arrangement aus Plastikfolien dürres Gras sucht. Wir fotografieren die Szene, ein Mann fragt uns, was wir denn an diesem grausigen Ort schönes fänden – er wartet glücklicherweise keine Antwort ab, sondern beginnt eine Schimpflitanei über den griechischen Staat, der sie immer schon habe hängen lassen, und jetzt, mit der Krise, „haben sie uns einfach vergessen „. Bei aller Armutsromantik, die sich in den Gassen des steil am Berg klebenden Ortes auf den ersten Blick ergeben mag: hier möchte man nicht wirklich leben.  Lange suchen wir nach einer Platia, einem Platz, wo man vielleicht einen Kaffee trinken kann, wir werden immer wieder hin und hergeschickt, und finden nichts  („Frage nie einen Pomaken nach dem Weg“).

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Etwa 2500 Einwohner teilen sich drei Moscheen. Blick vom „Panorama-Cafe“ oberhalb der Stadt.

Es stellt sich heraus: es gibt keine Platia. Das was sie Platia nennen, ist eine enge Straße, wo ein paar Opas vor den Läden Kaffee und Tee trinken – will ein Traktor durch, müssen sie Stuhl und Tischchen beiseite räumen, so eng ist die „Platia“. Irgend jemand verrät uns ein Panoramarestaurant über der Spitze des Ortes. Ein zerzauster, alter Hund begleitet uns auf dem steilen Weg durch die Gassen, wo tatsächlich manchmal noch historische, leider verfallene Häuser zu finden sind, der Rest der armseligen Bebauung stammt aus den 1970ern und 80er Jahren.

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Ein treuer Begleiter. Der Orienthund.

Selbst die Moscheen, dreie ihrer Zahl, wirken trotz auswärtiger Unterstützung armselig: Vor einiger Zeit muss hier mal ein Vertreter für industrielle glasierte Mosaiksteinchen vorbei gekommen sein, also für solche, wie man sie bei uns aus Schwimmbädern der 1970er Jahre kennt, die auf Drahtgaze fertig angeliefert, dann nur aufgespachtelt werden müssen. Alle Moscheen sind bis zum Minarett herauf mit dem schäbigen Zeug vollgekleistert. Von dem Panoramarestaurant hat man tatsächlich ein Aussicht über das Tal, eine Kopftuchfrau serviert uns einen Frappe, mehr gibts hier oben nicht, ein Junge spielt an ein paar Computern herum,die wohl mal Reste eines Internetcafes gewesen sind. Viele Frauen, auch junge Mädchen tragen hier Kopftücher, damals oft sehr bunt, bei unserem diesjährigen Besuch schienen eher dunkle Töne vorzuherrschen. Die Frau freut sich, dass wir aus Deutschland sind, da hat sie auch mal fünf Jahre gearbeitet. Viel Deutsch kann sie dafür aber nicht. Vor dem Laden wartet der Hund geduldig auf uns, und auf dem Rückwegs durch den Ort weicht er nicht von unserer Seite, dafür werden wir ständig von anderen Hunden angekläfft, was an unserem zotteligen Begleiter liegt, der hier durch fremde Reviere dringt.  „Der macht das mit allen Fremden“, sagen uns die Opas auf der Platia sichtlich amüsiert, als wir nach einer Stunde wieder mit dem Tier erscheinen.  Der Hund ist also eindeutig xenophil.

 

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Die Route von Stavroupoli über Echinos nach Thermes, Medousa und Kottani.

Mit dem Kanu auf dem Nestos von Stavroupoli nach Galani und zurück über die Berge

Stavroupoli, 06. September 2016

Unser Wirt Pantelis bestand darauf, dass wir uns entscheiden sollen: Den Nestos, der sich tief unterhalb von Stavroupoli durch tiefe Schluchten zwängt, entweder mit der Bahn zu erkunden (was wohl ein Erlebnis sein soll), oder aber mit dem Kanu. Letzteres klingt spannender. Er ruft seinen Kumpel Georgios an, der erscheint nach einer halben Stunde mit seinem Wagen und holt uns ab. Unten am Kiesufer des Nestos treffen noch  eine Deutsch-Griechische Familie aus Aschaffenburg als weitere Tourteilnehmer ein.

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Die Kanus sind stabile „Kanadier“, der Führer verteilt uns zu je zweit auf die Boote, und dann wird in „See“ gestochen. Der Fluss hat zur Zeit nicht viel Wasser, aber noch genug, um an einigen Stellen eine passable Strömung zu erzeugen, die uns bequem voran treibt. Immer steiler ragen die Felswände neben uns auf, einige Graureiher fliegen entsetzt davon, wenn wir mit unseren Botten vorbei ziehen.

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Panorama am Rastplatz

Auch zwei Schwarzstörche geben sich die Ehre. Die Strecke, die wir zwischen Stavroupoli und Galani zurück legen, beträgt etwa fünfundzwanzig Kilometer, zwei Picknickpausen werden auf den Schotterbänken eingelegt, insgesamt sind wir dann etwa drei Stunden auf dem Wasser unterwegs. Zum baden ist der Fluss übrigens – obwohl es pausenlos hier oben sehr heiß war, mit 14 Grad einfach zu kalt.

Nach der Anlandung in Galani folgt der Zweite Teil der Exkursion: Die Boote werden auf den Anhänger geladen, dann werden wir knapp 1000 Meter in die Berge gefahren: von einem Aussichtspunkt oberhalb des „Ästhetiko Dassos“ hat man Flugzeugperspektive.

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Blick über den Nestos in Richtung Meer. Der Schatten ganz im Hintergrund ist die Insel Thassos.

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Da unten sind wir durchgepaddelt, jetzt sehen wir uns das aus einer Höhe von knappm 1000 Metern von oben an.

Wir sehen über die mäandrierende Schlucht, die wir gerade durchpaddelt hatten, hinweg in die Ferne, wo sich der Fluss weiter Richtung Mündung ins Meer bewegt. dahinter sieht man schwach die Umrisse der Insel Thassos liegen. Wir erfahren, dass hier im Rodopi-Gebirge seit den 1960er Jahren viele Dörfer aufgegeben wurden, ihre Bewohner haben ihre Orte meistens Richtung Deutschland verlassen. Ihre Pferde, die wohl niemand mehr haben wollte, haben sie dabei einfach frei gelassen: seitdem sind sie verwildert, und bilden recht beständige Herden.

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Da rennen sie davon, die verwilderten Pferde.

Eine solche Herde von „Wildpferden“ sehen wir davon stieben, als wir den verlassenen Ort Ano Liveria besuchen. In dem einst etwa 400 Seelen zählende Dorf lebt heute noch ein einzelner Mann: er ist zurück gekehrt, hat sein Haus restauriert und harrt hier oben in der Einsmkeit aus. Ano Livadia ist dabei eine Art modernen Pompei: nur wenige Häuser stehen noch, die meisten sind nur noch Trümmerhaufen: bei der hiesigen Bauart bleibt von einem Haus nicht viel übrig, wenn es verlassen wird.

Es sind Konstruktionen aus Bruchstein, mit eingelegten Holzrahmen, das Bindemittel ist Lehm. Wenn das Holz, das die Steine am seitlichen Auseinanderdriften hindert, vermodert, rutscht bei den häufigen Regengüssen im Winter die durchfeuchtete Lehm-Steinmasse auseinander, zurück bleiben nur noch ein Haufen Stein und Erde, die schnell von der Vegetation angenommen werden. Nach der Rückkehr erhalten wir noch eine CD mit Bildern, die Georgos während der Tour von uns gemacht hat. Kosten für den insgesamt 4 1/2 stündigen Ausflug: 40,- € pro Person. Facit: Empfehlenswert.

Gegessen haben wir während des dreieinhalbtägigen Aufenthalts abends immer im „Steki“, einem Lokal in der Nähe der Platia von Stavroupoli. Die Gerichte sind allesamt schlicht und gut zubereitet, neben den Klassikern wie Suvlakia gibt es vorzüglich dünn panierte, gebratene Zucchinischeiben, und eine Spezialität im insgesamt fleischlastigen Thrakien sind die Bratwürste, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

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Werschtschen !

 

Im Rodopi-Gebirge: Wenn der Förster seine Gäste in den Wald schickt

In den Wäldern von Stavroupolis, 5.September 2016

Der Morgen unter der Tanne: zunächst muss ich hier eine Tourismusinformation vorweg schicken:  die Übernachtung in der sehr gepflegten Suite mit häuslicher Atmosphäre kostet 45 €, Einzelzimmer 35. ( Kontakt: http://toarchontiko.gr/en/home-page-en/) Damit ist die Belle Etage,  inklusive Küche des Archontiko, inbegriffen. Das Frühstück: Du machst es entweder selbst, oder Pantelis, der an unserem Tage Urlaub hat, serviert es uns, für weitere 5 Euro pro Person, oder seine Frau, oder seine Angestellten.

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Frühstücksgedeck unter der Tanne

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Leider habe ich von dem opulenten Frühstückstisch bei Pantelis unter der großen Tanne kein Foto gemacht, dafür aber etwa hundert Katzenbilder. Rechts eine Schmusekatze, die alles mit sich machen lässt, wenn sie ein kleines Stück Pasturmas vor die Nase bekommt (den Rest esse ich, soweit kommt das noch). Ihr Bruder links ist intelligent, besucht auf Stavroupolis schon die Oberschule: Er kann bis drei zählen. Er fordert Dich genau drei mal auf, ihm am Kopf zu kraulen, beim vierten mal haut er zu. Beide lieben Butterstückchen, die sie gerne in Tannenadeln vor dem Verzehr zu Kugeln formen.

In jedem Fall läuft das Frühstück unter der Tanne den Interessen des Gastgebers Pantelis eigentlich diametral zuwider: es ist einfach zu viel, zu umfangreich, und zu wohlschmeckend, dazu derart abwechslungsreich, dass noch irgend jemand auf die Idee käme, allzu rechtzeitig den Reiseempfehlungen des „Oberförsters Pantelis“, so wie wir ihn nennen, zu folgen. Es gibt unter anderem: dünne Scheiben  Pasturmas (eine besondere Art gewürzten Schinkens, türkisch: „Pastirma“), es gibt mehrere Sorten Frischkäse und Butter unterschiedlicher Zubereitungsart, Tiganies (so was wie Krapfen), Retselia (Marmelade), Eier, und Zeugs aus der Kategorie „hastenich gesehen“. Unten im Tal des Flusses Nestos tutet gelegentlich die Eisenbahn, die sich mit leichter Diesellok und zwei Wagen durch das Gebirgstal schlängelt, sie gibt dieses melancholische Tacktack von sich, das in uns Erinnerung an Kindertage aufsteigen lässt, während aus dem Dorf  gedämpftes Hundegebell aufsteigt.

Während des Frühstücks vollführt Pantelis bühnenreife Wegbeschreibungen, die einer Pina Bausch ebenbürtig wären. Er möchte uns in seien Wald lotsen. „Du stehst also vor dem Ort „Dasiko Choroio“, dann gibt es drei Wege, einen links, ein Erdweg, dann noch einen, dann der Asphaltierte“. Er macht Bewegungen, die den ganzen Ort der Abzweigung eindrucksvoll beschreiben: mal stellt er einen Laubbaum dar, dann einen Busch, dann mimt er eine Tanne, und mit den Händen weist er uns den Weg durch die imaginäre Szenerie.  Seine Wegbeschreibungen enthalten Würdigungen der Landschaftsschönheiten, wilde Tiere, dann wieder genaue Ortsangaben. Das halbe Rodope-Gebirge als Theaterstück.

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Unten liegt Stavroupoli und das Tal des Nestos, weiter oben werden wir uns verlieren.

Pantelis liebt seinen Wald, neulich hatte er Urlaub, und nutzte die Zeit, um an sein Revier angrenzende Wälder zu besuchen. Er kam begeistert zurück, während wir uns in seinem Wald etwas verirrten.

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„Pros Kataraktes“, zu den Wasserfällen, sagt das Schild. Das ist noch unterhalb der Wälder, in denen wir uns verirren werden.

Dennoch ist es ist  kein Wunder, dass nach Homers litararischen, plastischen Ortsbeschreibungen Troja trotzdem erst so spät wiedergefunden wurde. Die Fahrt in etwa 1600 Höhenmeter hatte unser Waldpoet  zwar noch nachvollziehbar beschrieben,  dann, im Wald, verließ uns etwas die Erinnerung an das Schauspiel des Pantelis, die Kataraktes im Wald (Wasserfälle), fanden wir nicht, weil ein Mitarbeiter unseres Försters gemeinsam mit 5 Maultieren auf dem Fahrweg Holz abgeladen hatte. Und zwar Unmengen.

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Holz wird im Naturschutzgebiet in den Rodopen nicht mit dem Harvester geerntet. Das ist verboten, aber es gibt Maultiere, die den Transport bewerkstelligen

Der entschuldigte sich höflich, ein netter Kerl von vielleicht 16 Jahren. Den Haufen Holz zu verrücken, wäre unmöglich gewesen, und das Ganze für Wasserfälle, die bei der anhaltenden Trockenheit auch hier im Rodopigebirge wahrscheinlich nur tröpfeln, wäre der Mühe nicht wert.

Während der folgenden „Irrfahrt“ (Handy-GPS kann man vergessen, es gibt keine Internet-Kartendaten im Wald)  gelangen wir durch Platanenwälder, dann gab es haushohe Buchen, Eichenwälder (es gibt mindestens 19 Eichenarten, sagt Pantelis), und allzu selten lockte eine Quelle mit Wasser. Man kann gut einen Tag in diesem Urwald verbringen, mutig muss man sein, wenn die Sonne langsam den Wald in orangefarbenens Licht taucht, deine GPS-Daten Dir sagen, dass du dich im Kreise bewegst, aber sie nicht sagen, wo. Und kurz bevor die dein GPS-Dings Dir mühsam funkt, dass du bald am Ausgangsort bist, da taucht vor Dir abermals ein riesiger Haufen fetter Baumstämme auf, frisch geschlagen, mitten auf dem Weg. Zurück: Niemals, vorwärts? wie?.

Irgendwo im dichten Wald knattert eine Motorsäge, es wird langsam dämmrig. Wir rufen um Hilfe, Waldarbeiter kommen die Böschung herunter, zwei Stunden werde es dauern, den Weg frei zu machen, sagen sie, das erscheint bei diesem Haufen fetter Buchenstämme realistisch. Zurück zu kehren sei unmöglich, sagen wir, die Wegbeschreibung des Pantelis hätten wir nicht mehr parat, und so geht ein Rucken und Zucken durch die Gemeinde der Holzarbeiter, das seinesgleichen sucht. Wir versuchen, mit anzupacken, aber es ist beschämend, wenn ein Mensch Mitte Siebzig Dich vom Holzstamm wegruft, weil der nun wirklich zu schwer sei, und dabei  auch noch Recht hat. Sie setzen sich auf den Boden, schieben die Stämme mit Füßen beiseite, größere Exemplare werden auf Kante gesetzt, und wie Fässer gerollt. Untereinander sprechen sie Pomacko, türkisch ist auch dabei, „tamam“ sagen sie,  „alles OK“, aber auch ihr Griechisch ist besser als das Meinige. Pantelis hatte uns gesagt, es seien seine Freunde, und da kann man ihn verstehen.

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VielHolz.

Im Delta des Evros an der türkischen Grenze

4. September 2016: Alexandroupoli, Evrosdelta, Feres, Stavroupoli:

Die Fähre bringt uns von Samothrake ohne Zwischenfälle zurück nach Alexandroupoli. Es ist die reine Neugier, die uns noch die letzten Kilometer bis an die türkische Grenze lockt. Und das ist  kein Fehler:

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Das Evros-Delta. eine nNcht-Landschaft auf den ersten Blick.

Der Fluß Evros bildet die Grenze zur Türkei, und bevor er sich östlich von Alexandroupoli ins Meer ergießt, macht er sich noch mal so richtig breit. Schon kurz hinter Alexandroupolis sehen wir vor uns im Osten die Berge, die schon zur Türkei gehören, davor breitet sich eine Ebene aus, durchsetzt mit wenigen Wasserflecken. Hinter Alexandroupolis gibt es ein bescheidenes Tourismusinformationszentrum, der diensthabende Zivildienstleistende erläutert uns, dass wir zur falschen Zeit gekommen seien: viele Vögel seien schon ausgeflogen, andere noch nicht da. Er beschreibt uns den Weg, den  wir fahren sollen: „Stellen Sie sich dieses Naturschutzgebiet nicht so romantisch vor, wie sonst in Europa“, sagt er, man könne getrost mit dem Auto hindurch fahren. Und Müll läge auch überall herum, warnt er uns. Auf dem Weg in das Delta passieren wir noch das Hinweisschild „Thermes“, also wieder heiße Heilquellen, außerdem gibt es, an einem Ausläufer des Evros gelegen, ein mächtiges Gebäude mit einem Tonnengewölbe, angeblich aus byzantinischer Zeit, das aber als  „Chana“ (Χανα, Han, türkisch für Haus, Gästehaus,) bezeichnet ist, es soll noch aus vorosmanischer Zeit, also dem 14. Jhdt, stammen. Die Architektur ist merkwürdig, „Han“ waren meistens nicht mit derart massiven Gewölben erbaut.

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Das „Chana“,“ Han“, Gästehaus?

Die Mauertechnik könnte zur behaupteten Zeitstellung passen, aber es sieht mehr nach den Relikten eine öffentlichen Therme aus. In der Umgebung gibt es mehrere Badehäuser aus den 1970er und 1980er Jahren, einige Senioren sitzen dort auf den schlichten Terrassen und scheinen sich in der spätnachmittäglichen Sonne von den Strapazen der heißen Anwendung zu erholen. „Frage nie einen Pomaken nach dem Weg, er wird Dir immer eine Antwort geben, auch wenn er keine Antwort kennt“: diesen Rat gaben uns griechische Freunde aus Thessalien mit auf den Weg. Der Rat scheint auch auf Zivis zu zutreffen. Dessen Beschreibung passte jedenfalls nicht zu unserem eingeschlagenen Weg, wir quälen uns lange durch Staubwüsten, vertrocknetes Schilf, quadratkilometerweise.

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Man schießt gerne in Griechenland, und wenn der Jäger keine anderen Zielobjekte hat, dann ballert er gerne auf Verkehrsschilder oder Infotafeln.

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Queller, Salicornia ssp.

sdim2084-delta-evros sdim2081-delta-evros sdim2066-delta-evros Beim Versuch, umzukehren, finden wir dann doch die Sümpfe des Evros-Deltas. Hier ein brackiger Tümpel, dort Wasser, am Horizont Meer, darüber, irreal schwebend, unser Samothraki, das selbst von hier zum Greifen nah erscheint. Schildkröten kreuzen den Weg. Ihr Panzer ist mit feuchtem Algenglitsch überzogen, wieder eine Bildungslücke geschlossen: Die Schildkröten sehen so aus, wie diese Griechischen Landschildkröten, die wir als Kinder im Garten hatten, als der Artenschutz noch nicht so streng war. Wahrscheinlich sind diese offenbar schwimmfreudigen Tiere orientalische Bachschildkröten, wir haben keine Ahnung.  Komische Wasservögel geifern sich an, Graureiher in Massen, und zwei komplett schwarze Störche stelzen umher. Es ist vieles  merkwürdig hier, das Land geht langsam ins Meer über, natürlich entstandene Kanäle mäandrieren durch komische Pflanzen, Queller (Salicornia) zum Beipiel, dessen Geschmack salzig und etwas zitronig ist. So kann man sich Venedig vor seiner Gründung vorstellen. Es ist ein wunderbares Gemüse, aber aber einst verbrannte man die Pflanze, um aus ihrer Asche Soda für die Glasindustrie zu gewinnen. Etwas verwahrloste Hütten stehen herum, ebensolche Boote, kleine Ecclissiakia, Minizementkirchen auf Pfeilern zu Irgendwessen Andacht. Und jede Menge Abfall, der vom Fang einer der beliebtesten Leckereien in Griechεnland zeugt: Kavouria, Flußkrebse.

Noch ein Stück weiter, einen Steinwurf ( nicht böse gemeint, Herr Erdogan) zur Türkei liegt der kleine Ort Feres. Er hat eine byzantinische KKK (Kreuzkuppelkirche) zu bieten. Auf ihrem erhöhten Platz wehen griechische national- und byzantinische Kirchenflaggen mit Doppeladler, der Regel folgend, dass die Flaggendichte mit Näherung der Staatsgrenzen zunimmt, bis sie diejenige deutscher Kleingartenkolonien erreicht hat. Die Kirche Panagia Kosmosotira (Allerheiligste Mutttergottes, die Erretterin der Welt) wurde 1152 geweiht, sie gilt als nicht unbedeutendes Beipiel der komnenischen Architektur, deren Ausstrahlung mit ihrer vertikalen Betonung und Mehrschaligkeit der Innenarchitektur bis in die westeuropäische Spätromanik wirkte. Im 14. Jahrhundert wurde die Kirche zur Moschee umgenutzt: dadurch bleib ihr das Schicksal der Zerstörung erspart.

Es war nicht geplant, so weit in den Osten Griechenlands vorzurücken: nun haben wir gute zwei Stunden Fahrt vor uns, durch die Nacht, denn jetzt im Herbst wird es ab halb acht schlagartig dunkel. Wir müssen die reservierte Unterkunft in Stavroupolis bei Xanthi erreichen.
Dort empfängt uns Pandelis, „a Friend of one of my best Friends“: Er hat sein Elternhaus zu einem „Xenonas“ einer Art betreutem Hotel, umgebaut. Seine Familie, das erzählt er uns noch an jenem kühlen, sternenklaren Abend in dem über dem Nestostal gelegenen Ort, sei einst nach der kleinasiatischen Katastrophe (Zwangsumsiedlung nach dem Vertrag Lausanne 1923) hier gelandet. Das aus Bruchsteinen gefertigte Haus haben sie ausgebaut, und sowohl Eltern und Sohn haben, so wie sehr viele in dieser eins wirtschaftlich benachteiligten Region, den Weg nach Deutschland gesucht, der Arbeit wegen. Pantelis, unser Wirt, spricht Deutsch mit leicht schwäbischem Akzent, und Griechisch, alles geht durcheinander, wie es nun mal so geht, wenn sich Gemischtsprachler treffen, Pantelis, der die Stelle eines Försters hier im Bezirk hat, hat ein großes Sendebewusstsein. Er beschreibt die Wälder, welchen Waldbezirk wir unbedingt sehen sollen. Er macht uns ein Programm, uns schwirrt der Kopf vor Ausflugsvorschlägen, die er unterbreitet. Es würde wahrscheinlich mindestens ein halbes Jahr dauern, um die Ausflüge in seine Wälder, deren Ausdehnung weit über seinen eigenen Forstberitt hinausgehen, halbwegs abzuarbeiten. Pantelis ist ein wunderbarer Mensch, selten erlebt man solche, die von ihrer Sache derart begeistert sind. „Entscheidet Euch heute Nacht, wir sehen uns morgen früh unter der Tanne zum Frühstück“, sagt Pantelis, der Oberförster, als er uns spät in der Nacht verabschiedet. 

 

 

 

 

 

Ziegen und Kokoretsi essen bei Prof. Elias

Samothraki, den 3.-4. September

Wenige Kilometer entlang der Uferstraße in Richtung Osten stößt man auf die Anseidlung „Therma“, die ihren Namen von warmen Quellen hat, die unterhalb des Ortes entspringen sollen. Oberhalb des Ortes, der einst eine „Hippiemetropole“ war, befindet sich im Wald ein Gebirgsbach, dessen Strudel tiefe Becken in den Fels geschliffen haben, die Gria Vathra“. Diese Becken sind eisigkalt, laden aber so manchen zum Baden ein. Auch heute noch ist Therma und  die umliegenden Wälder, ein Pilgerort der Nachfahren europäischer „Hippies“, deren gemeinsames Verbindungs- und Erkennungszeichen verfilzte Dreadlocks sind. Sie siedeln in Zeltlagern in den umliegenden Wäldern. Irgend jemand klimpert auf einer Gitarre, ein anderer fiepst auf einer Blockflöte herum.  Die in den Becken zu tausenden umher schwimmenden Kaulquappen stört es nicht.

Südlich von Kamariotissa, oberhalb von Lakkoma, wendelt sich eine Strasse am Fuß des Saos hinauf, sie führt auf den hoch gelegenen Ort Profitis Ilias.

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Blick herab von Profitis Ilias, Samothraki.

 

Die steilen Berghänge sind von den in Massen gehalten Ziegen abgefressen, und wir wiederum suchen den Ort auf, um eben diese Ziegen essen. Profitis Elkias ist berühmt für seine zarten Zicklein, die hier in einigen Psistaries (Grillstuben) angeboten werden. Fast noch genialer als die frisch gegrillten kleinen Ziegen sind ihre Innereien: Vorwiegend Leber, aber auch Herz, Nieren und Kutteln, werden auf Spieße gesteckt und mit feinem, frischen Darmschnüren fest umwickelt. Dann kommt das ganze auf den Grill.“Kokoretsi“ heisst dieses wahnsinnig lecker schmeckende Gericht, das fast überall in Griechenland gerne, insbesondere zur Osterzeit, gegessen wird. Als die EU dieses Nationalgericht um die Jahrtausendwende aus lebensmittelrechtlichen Gründen per Verordnung verbieten wollte, kam es im ganzen Land zu Aufständen – das Ergebnis des gescheiterten Verbotsversuches liegt verführerisch duftend auf meinem Teller.

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Kokoretsi

Der Hauptort der Insel, Chora, oder einfach, wie die gesamte Insel, „Samothraki“ genannt, liegt etwas abseits des Meeres in Hanglage.  Wie Samothraki selbst, ist auch der Ort glücklicherweise von den zweifelhaften Segnungen des Massentourismus verschont geblieben. Kein einziges „Yes Please“, nur erträglich wenige, harmlose Souveniershops, ansonsten ist der Ort so, wie es sich für griechische Kleinstädtchen gehört: ein paar Tavernen, eine Kirche, Schlachter- und Käseläden und Geschäfte, in denen Trockenfrüchte, Honig etc. verkauft werden. Auf einem Felsen thront ein venezianisches, in osmanischer Zeit umgestaltetes Kastell.