Man muss die Menschen draußen im Lande da abholen, wo sie stehen: Fortbildungsterror auf dem Dorffest

Aghia (Thesslien), 6. September 2017

Aghia (Αγια, Aja) ist der Hauptort der Gemeinde Aja, die mehrere größere und kleinere Orte in der Ebene zwischen den Gebirgen Mavrovouni und Ossa auf der einen Seite, und der Großstadt Larissa auf der anderen Seite umfasst. Die Orte in der fruchtbaren Ebene  ringsum leben fast ausschließlich von der Landwirtschaft. Biegt man hier von der Landstraße aus Larissa kommend, oder von den Bergen Mavrovounis herunter hier ab, so in eine zig Quadratkilometer weite, endlosen Paradiesgartem aus Apfelbäumen.  Nichts als Apfelbäume. 80 % der Äpfel, die Griechenland exportiert, stammen von hier. Das glaubt man, wenn man die Massen an dicken roten,und gelben Äpfeln an den überladenen Bäumen sieht sofort, und fragt sich unweigerlich, wer um alles in der Welt so viele Äpfel essen kann.

Apfelplantage bei Aghia

Apfelplantage bei Aghia

Unendliche lange Reihen von Monokulturen, die Bäume werden an Spalieren gezogen, dazwischen laufen schwarze Plastikschläuche, die oft sogar Rechnergesteuert gezielt die Wasserversorgung steuern. Zig Millionen Apfelbäume, voll mit perfekten, normgerechten Früchten, man kann bedenkenlos hineinbeißen, den Wurmlöcher oder faule stellen gibt es nicht. Immer wieder sieht man  kleine Traktoren, die zwischen den Reihen hindurch fahren, und Nebelfontänen empor stoßen, wie kleine Walfische pflügen sie sich durch das Plantagenmeer. Es sind Spritzmaschinen, mit denen Pflanzenschutzmittel aller Art zerstäubt werden. Das muss sein, denn die Großabnehmer haben klare Erwartungen an das genormte Produkt, meistens sind es dunkelrote Äpfel, es gibt auch noch spitze, gelbliche, die nach gar nichts schmecken. Geerntet werden die Äpfel noch von der Hand, was fast ausschließlich von albanischen Saisonarbeitern und Tagelöhnern erledigt wird.

Panijiri (Jahrmarkt) in Aghi

Panijiri (Jahrmarkt) in Aghia

Jetzt ist Erntezeit, und in Aghia wird das „Jorti ton Milon“, das Apfelfest, gefeiert. Auf den Mäuerchen der Plateia sitzen Scharen der albanischen Saisonarbeiter in der Abenddämmerung, in der Hand halten sie kleine Plastiktüten, in denn sie ihre Verpflegung aufbewahren, manche unterhalten sich, manche streiten, und manche starren auch nur mit leerem Blick auf die Straße, wo immer mal ein verspäteter Lastwagen mit Obstkisten oder eine der Spritzmaschinen vorbei rumpelt. Den Besuch in den zahllosen Tavernen, Tsipouradika und Psistaries (Grillrestaurants) können sie sich nicht leisten. Das Apfelfest ist eine mehrere Tage andauernde „Panijiri“, eine Art Kirmes. An den von LED-Scheinwerfern grell erleuchteten Ständen verkaufen Händler fast nichts anderes als „Chalvas Makedonikos“, ein leicht karamellisierter, fester, gummiartiges Gelee aus Stärkekleister und Zucker, garniert mit Nüssen und Mandeln. Es gibt aber auch ein kleines Karussel für Kinder, Glücksspielgeräte, gewissermaßen die abgespeckte Miniaturversion einer deutschen Provinzkirmes. Aber eine Panijiri ist hier des Volkes wahrer Himmel. Und, was ganz wichtig ist: Auf der Bühne gibt es täglich Lifebelustigung, meistens Musik, griechische Volksmusik der eher schlicht gestrickten Art mit viel Herzschmerz und Klarinettengejaul. Vor der Bühne sitzen nun die griechischen Bauern und Grundbesitzer, aber auch die Besitzer der großen Kühlhäuser, in denen die Ernte gelagert wird, um sie bei guten Tagespreisen auf den internationalen Markt werfen zu können. An den Rand gedrängt auch hier die albanischen Tagelöhner mit ihren Plastiktüten in ihren verschwitzten Arbeitsklamotten. Während wir uns an den Tischen einer Psistaria niedergelassen haben, ganz hervorragende Souvlakia und Kokoretzi zu uns nehmen, beginnt das Programm. Die Ansage kündigt an, dass sogar der stellvertretende Vorsitzende der Bezirksregierung das Fest mit seiner Anwesenheit beehrt, es soll Musik geben, und außerdem: ein Schulungsprogramm. Vorträge der Hochschule Thessaliens (eine Art Fachhochschule) zum Thema: „richtiger Umgang mit Pflanzenschutzmitteln“. Es folgt zunächst die etwas nichtssagende Ansprache eine zweitrangigen Lokalpolitikers, die zwischendurch von lautstarken Rufen aus der albanischen Ecke unterbrochen wird: „Die Tagelohnsätze sind zu niedrig“.  Ja, er werde darauf eingehen, sagt der unterbrochene Redner, was er dann nicht tut. Nun gibt es ein paar Takte Musik, oder sind es Soundchecks? Singen können weder Sänger und  noch Sängerin, und nun geht das Schulungsgprogramm los. So etwas haben wir noch nicht erlebt, Schulung der Landbevölkerung auf einem Dorffest, das klingt nach längst vergangenen Sowjetzeiten, und so warten wir gespannt ab, was passiert. Die ersten Griechen verlassen den Ort, die Albaner starren genau so interessiert wie wir auf den Mittfünfziger, der nun die Bühne betritt.

Vortrag in Aghia zum Thema Pflanzenschutzmittel

Vortrag in Aghia zum Thema Pflanzenschutzmittel

Er ist der für den Bereich Landwirtschaft zuständige Abteilungsleiter des Verwaltungsamtes im „Nomos“ von Larissa, man könnte das etwa mit der Bedeutung unseres Landesverwaltungsamtes vergleichen.

„Wir haben, in Zusammenarbeit mit der Hochschule Thessalien, diese Woche drei Schulungsveranstaltungen angeboten. Dann, noch einmal, heute um 18:00 Uhr, noch eine, weil fast niemand gekommen ist. Auch heute Abend war niemand von Euch erschienen“, begann er, sichtlich wutentbrannt, seine Rede an das versammelte Publikum. Den Grund der Publikumsbeschimpfung schob er gleich nach: „Es geht nicht nur um die Umwelt, die Ihr mit dem unverantwortlichen Einsatz von  Pflanzenschutzmitteln verseucht. Es geht um Euer Geld, das Ihr sinnlos mit diesem Übermaß von Material verschwendet. Es geht um die Qualität eurer Produkte, denn selbstverständlich werden die immer wieder wegen zu hoher Belastung beanstandet. Und es geht um Eure Gesundheit“. Aber Ihr glaubt immer, alles schon alles zu wissen“, ruft er über die Reihen von Plastikstühlen, in denen die stolzen Landwirtsfamilien sich bequem gemacht haben, um dem eigentlich erwarteten Musik- und Belustigungsprogramm bei Bier, Wein und Schnaps zu folgen. „Nein, wir haben beschlossen, Euch nicht in Ruhe zu lassen, so kommt Ihr uns nicht davon !“  Es ist mittlerweile abends um zehn, der Abteilungsleiter redet sich in Rage. “ Ihr solltet wissen, dass die Abnehmer immer stärkere Kontrollen einführen werden, der Ruf einer ganzen Erzeugerregion geht kaputt, wenn Ihr so weiter macht. Stellt Euch vor: In den Niederlanden dürftet Ihr überhaupt nicht mehr Pflanzenschutzmittel anwenden, wenn Ihr keinen Sachkundenachweis vorlegen könnt. Dort wird die Teilnahme an zweijährigen Seminaren verlangt“.

"Zum reinbeißen, diese herrlich knackigen Äpfel.... doch solche Ernten reifen nicht von allein.... Chemie. Auf Ihrer Seite." So (ähnlich warb einst die Chemieindustrie (West) in den 80er Jahren für Verständnis ihrer Produkte. Wie wahr !) . Äpfel in einer Plantage am Strassenrand bei Zagora.

„Zum reinbeißen, diese herrlich knackigen Äpfel…. doch solche Ernten reifen nicht von allein…. Chemie. Auf Ihrer Seite.“ So (ähnlich warb einst die Chemieindustrie (West) in den 80er Jahren für Verständnis ihrer Produkte. Wie wahr !) . .

Erstaunlicherweise verlässt nun kein Bäuerlein mehr den Platz, brav lauschen sie den folgenden Vorträgen über den sicheren Einsatz von Spritzmitteln, das Anlegen von Schutzausrüstung (ich habe noch keine Spritztraktorfahrer mit irgendwelcher solcher Ausrüstung gesehen, es ist allerdings auch eine Drecksarbeit, die man lieber den vorgenannten Tagelöhnern überlässt). Eine Wissenschaftlerin der landwirtschaftliche Fakultät führt nun aus, welche Unfälle (In erster Linie Vergiftung, Nervenschäden, Kollaps) mit entsprechender notfallmedizinischer Behandlung und längerem Krankenhausaufenthalten regelmäßig auftreten ( in erster Linie betroffen sind die Tagelöhner), man habe in der Provinz Aghia den Bestand um zehn Krankenwagen erhöhen müssen, um die Patienten nach solcherart Unfällen in die Kliniken bringen zu können. Langsam wird mir auch schlecht. Habe ich nicht eben noch, bei unseren Streifzügen, Äpfel von den Bäumen gepflückt, hineingebissen, um zu probieren? Au weiha. An Appel per day, keeps the doctor  away? Von wegen. Hier wird gespritzt, bis der Arzt kommt. Ok, wir leben noch. Gefährdet sind wohl weniger die Verbraucher, als die Arbeiter, die teils aus Dummheit, teils wohl auch unter Zwang, sich selbst dem Dauernebel von Pestiziden, Fungizide, Herbiziden tagtäglich aussetzen. Vielleicht ist es auch testosterongesteuerter Heldenmut – Schutzausrüstungen werden möglicherweise als  ein Zeichen von Schwäche gedeutet: unbehelmte Motorradfahrer im T-Shirt gehören ja auch  immer noch zum gewohnten Straßenbild.

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Orienttabak und heiße Bäder: in den Dörfern der Pomaken. Teil 2, Thermes und Kottani

Von Echinus aus fahren wir durch die abwechselnd felsige, dann wieder dicht baumbestande Landschaft weiter in das Gebirge hinein.

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Eine mindestens so so spannende Thermalquellensiedlung gibt es oberhalb von Paranesti, ebenfalls nicht weit von Stavroupoli, aber andere Richtung, da waren wir schon vor zehn Jahren. Dort gibt es keine staatlich organisierten Thermalbecken, hier hat sich ein Verein über die Quellen und Becken kleine Lauben eingerichtet, es sieht dort etwas aus, wie in einer Favela, allerdings sauber, und die Becken sind nur mit Zement und Kalk ausgekleidete Pools – aber wild romantisch im Wald gelegen. Wird ein anderes Mal hier beschrieben, vieleicht nächstes Jahr?

Man gerät nacheinander in drei Ortschaften, untere Thermes, mittlere Thermes und Oberthermes. (Kato Thermes, Mesa Thermes, ano Thermes) Die drei Orte haben ihren Namen nach den hier auftretenden, heißen Quellen erhalten, eine davon, die „Iamatikes Piges Thermon“, sind öffentlich nutzbar. Neben dem neu errichteten Badehaus, das mit dem aus dem Berg austretenden heißen Wasser gespeist ist, gibt es an dem Ort noch ein paar Kurhäuser, eine Kirche und eine Moschee, sonst nichts, alles relativ modern, nicht besonders sehenswert.

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Von Stavroupoli über Thermes und Medousa nach Kottani

Das Wasser soll eine heilkräftige Wirkung, es enthalte Salze, heißt es (viel sicher nicht, das würde man schmecken), angeblich auch Schwefel, den man aber nicht riecht. Die Nutzung des Badehauses kostet  3 € pro Person, die man an den Bademeister, der zugleich Pförtner ist, zu entrichten hat, dafür gibt es ein Handtuch, eine Kabine und eine Einweisung. Die Wichtigste: nicht zu lange im Becken bleiben, das Wasser ist 45 Grad heiß, mehr als zehn Minuten soll man nicht drin bleiben. Noch gefährlicher seien nur noch die Badewannen, in denen man sich das Wasser von sage und schreibe 56 Grad einlassen kann. Die Warnung vor der Überschreitung der Badezeit ist unnötig, langer hält man es kaum in dem dampfenden Becken in der überkuppelten Badestube aus. Ein Abkühlbecken gibt es nicht, wir sollen das nicht mit einer Sauna verwechseln, sagt der Bademeister. Nach dem Bad soll man sich mindestens eine halbe Stunde ausruhen. Das Wasser, das aus den Wasserhähnen der Badewannenkämmerchen kommt, ist derart heiß, dass man sich Verbrennungen ersten Grades an den Füßen holt: lieber nicht. Vielleicht taugt es zum Kaffee aufbrühen.

Der Bademeister unterhält sich mit einem Mann aus Bulgarien, der hat seinen Vater eben über die Grenze zum Baden gefahren hat. Das sie sind das kurze Nachmittagsausflüge hier her. Weiter fahren wir nach Medousa, einem Dorf mit einer hässlichen Kachelmoschee, das dafür aber mit gut erhaltenen osmanischen Häusern beidseitig in einem kleinen Flusstal liegt. „Hoşgeldin yâ şehr-i Ramazân“, „Herzlich willkommen, oh gesegneter Monat Ramadan“ wirbt die Moschee auf Türkisch mit einer Leuchttafel.

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Die Moschee von Medousa

Eine eiserne und eine alte, osmanische Bogenbrücke verbinden die beiden Ortshälften mit einander, im Bach stakst  ein Schwarzstorch, pickt sich eine der zahlreichen Forellen heraus und schwebt davon. Ebenso wie bei „Echinos“ (bedeutet zu deutsch „Seeigel“) fragt man sich, warum dieser Ort nach der Regräcisierung „Medousa“ (= Qualle) genannt wurde. Der alte pomakische Name war Memkovo. Maritim geprägt sind diese Orte nun wirklich nicht, auch wenn man von mancher Höhenlage hier oben bei guter Sicht das Meer erahnen kann. In Medousa hört die asphaltierte Strasse auf, ein handgemaltes Holzschild weist nach dem Ort Kottani, wohin ein schwieriger Erd- und Schotterweg führt.

Der Weg dauert von hier mindestens eine halbe Stunde, da man teils nur im Schritttempo vorankommt. Dafür lohnt sich die Landschaft entlang des kleinen Baches auf jeden Fall.

Am Ortseingang von Kottani informiert ein überdimensionales blaues EU-Schild darüber, dass in diesem Ort im Rahmen des InterregIII-A – Programmes die traditionellen Häuser des Ortes restauriert werden sollen. 75% der Gelder stammen aus den EFRE-Fördertöpfen der EU, 25% stammen aus den nationalen Quellen, und zwar Bulgariens und Griechenlands. Das InterregIII-A- Programm zielt, das steht nicht auf dem Schild, aber in der schlauen Wikipedia, auf “ die grenzübergreifende Zusammenarbeit benachbarter Gebietskörperschaften. Auf der Basis gemeinsamer Strategien sollen die räumliche Entwicklung gefördert und grenzübergreifende wirtschaftliche und soziale Pole geschaffen werden. Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist unbedingt zu beachten. Förderfähig sind alle Gebiete entlang von Binnen- und Außengrenzen sowie bestimmte Küstenregionen“.

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Die EU informiert über die Verwendung der Fördermittel in Kottani aus dem InterregIII A – Programm.

Der Ort mit seinen teils schon restaurierten, teils noch zu rettenden Wohnhäusern wirkt durchaus gepflegt, allerdings scheint er um diese Zeit verlassen zu sein. Leider auch die oberhalb des Ortseingangs gelegene Taverne, die ein echter Geheimtip sein soll – sie öffnet nur am Wochenende. Deshalb fahren wir nun zurück nach Griechenland, das wir unten in Xanthi zu finden erhoffen: S. nächstes Kapitel.

 

 

Orienttabak und heiße Bäder: in den Dörfern der Pomaken. Teil 1, Echinos.

Viele der Eingangs bei Komotini schon einmal erwähnten Pomaken leben in wenigen Dörfern und Kleinstädtchen nordöstlich von Stavroupoli. Es ist eine wirtschaftlich abgehängte Region, das schon seit langer Zeit. erst seit webigen Jahren hat sich in Griechenland überhaupt die Ansicht durchgesetzt, dass man sich um die muslimische Minderheit in Nordthrakien kümmern muss – und sie nicht ignorieren darf. Vor über zehn Jahren waren wir schon einmal hier oben in der Gegend – und hatten Gelegenheit, vor Ort mit einigen Bewohnern zu sprechen. In in orange gehaltener junger Imam, aus der Türkei stammend, in Saudi-Arabien ausgebildet, wollte uns erläutern, dass alle Pomaken Türken seien. Der türkische Staat betreibt über die griechische Grenze hinweg so etwas wie Minderheitenindoktrination, worüber sich damals einige ältere Menschen leise beschwerten, insbesondere auch über die arrogante, hochnäsige Art der jungen, orangen Schnösel, die sich erdreisteten, Ihnen den Islam neu zu vermitteln. Extrem verunsichernd war, dass man merken konnte, wie die Turkisierung kräftig fort schritt: Die größte Zahl der Pomaken sprach damals wie heute Pomacko, einen bulgarischen Dialekt, was auch die älteren unumwunden so beschrieben: mit den Bulgaren jenseits der Grenze verstünden sie sich, und ein alter, sehr freundlicher Mann  brachte uns ein paar Wörter bei: Kostel für das Haus, Dobre Doshli „Herzlich Willkommen“, „Kak si“ – wie geht es Dir, Voda = Wasser, und oft hört man heute „Da“ für „Ja“. Aber es gibt auch viele türkische Lehnwörter in der Sprache, auf der Straße grüßen sich die Älteren auch mit mit „Maraba“ (Merhaba, türkisch für „Guten Tag“).

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Tabakzelte vor der Ortschaft Sminthi

Fragt man die Pomaken selbst, insbesondere die Jüngeren, nach ihrer Identität, oder gar nach der Herkunft ihrer Sprache, sagen viele mittlerweile, sie seien Türken, und sie sprächen auch nichts anderes als Türkisch, auch wenn sie pomakisch reden.

Einen interessanten Artikel veröffentlichte dazu vor zehn Jahren die Neue Züricher Zeitung. In der Tat sprechen fast alle hier mindestens drei Sprachen: Griechisch, Pomakisch, Türkisch, dazu kommt noch sehr oft Deutsch, das sie während ihrer Zeit als Gastarbeiter in Deutschland gelernt haben.

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Echinos, Nordwestthrakien.

Ein sehr alter Mann, der sich mit uns bei unserem ersten besuch vor zehn Jahren unterhielt, lobte die Deutschen sehr. „Damals“ (im zweiten Weltkrieg), „da kamen sie über die Berge, um uns von den Griechen zu befreien. „Sie hatten so wunderschöne Pferde mit glänzendem Fell“.  Hintergrund: Nazi-Deutschland war mit Bulgarien verbündet, und dass die Deutschen damals nicht nur schöne Pferde brachten, sondern in Griechenland Massaker ungeheuren Ausmasses anrichteten, dürfte hinlänglich bekannt sein.

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Strassenszene in Echinos, Nordwestthrakien

Unsere Fahrt soll dieses Jahr in die Berge nach Echinos, (Pomakisch Schahin, ähnlich Türkisch Şahin) führen, einem Kleinstädtchen mit etwa  zweieinhalbtausend Einwohnern. Wie in den umliegenden Dörfern leben sie vom Tabakanbau – das schon seit Jahrhunderten, ihre Erzeugnisse hat die Tabakhändler von Xanthi, bis hin nach Kavala und  Thessaloniki, reich gemacht. Der erwirtschaftete Wohlstand kam aber nie in den armseligen Dörfern hier oben an, bis heute nicht. Der karge Boden bietet außer Tabakanbau und etwas Ziegen- und Schafzucht kaum Möglichkeiten. Dafür wird aber jedes Fleckchen der steinigen Erde, selbst auf Verkehrsinseln, in Handarbeit mit Tabakpflanzen besetzt, die mehrfach im Jahr von Hand gehackt und bewässert werden. Jetzt, um diese Zeit Anfang September, ist die Tabakernte in den letzten Zügen.  Die kleinen Blättchen, die sukzessive an der Pflanze von unten nach oben reifen, werden täglich neu von Hand gepflückt, auf Drähte gespießt, die dann in langen Girlanden unter Zelten aus Plastikfolie zum Trocken aufgehängt werden. Zum Schluss bleiben von den Pflanzen dann nur noch blattlose Gerippe mit Blüten- und Samenständen.

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Der Orienttabak „Basmas“

Die Folienzelte zur Trocknung stehen überall in der Landschaft herum, überall liegt der Plasikmüll herum, und statt mit Zäunen oder Hecken werden  auch die Felder und Gärten eingezäunt. mit Plastikfolien. Schön ist das nicht, aber vielleicht praktisch.

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Dass hier überhaupt Tabak angebaut wird, liegt an der besonderen Sorte: „Basmas“, ein Orienttabak. Es sind sehr kleine Pflanzen, meistens nur einen halben Meter hoch, es sind die ganz kleinen Brüder des übermannshohen Virginiatabaks, die hier nirgends zu sehen ist. Basmas wird als Würztabak  verwendet, er darf – anders als Virginiatabak, nur wenig gedüngt werden, sonst verliert er das Aroma. In herkömmlichen Tabakmischungen wie der „American Blend“ ist Orenttabak  zu 5-10 Prozent enthalten, und darin angeblich unverzichtbar. Auch heute noch kommen die wohlhabenden Tabakhändler in die Dörfer, um den Bauern den mühsam erzeugten Tabak abzukaufen, und immer noch sind sie es, die brutal die Preise drücken.  Lange Zeit hat die Europäische Union den Tabakanbau hier oben subventioniert – im seltsamen Widerspruch zur Antiraucherkampagne. 2010 war mit der Förderung Schluss. Seit 2014 gibt es jedoch wieder geringe Fördermittel. Alternativen zum Takakanbau existieren in dieser Gegend  scheinbar nicht, die geringwertigen Böden lassen bei gleichzeitig großem Angebot an Arbeitskräften und hoher Wertschöpfung pro Fläche wirtschaftlich kaum andere Feldfrüchte als Ausweiche zu. Am Ortseingang von Echinos finden wir eine Kuh, die zwischen einem Arrangement aus Plastikfolien dürres Gras sucht. Wir fotografieren die Szene, ein Mann fragt uns, was wir denn an diesem grausigen Ort schönes fänden – er wartet glücklicherweise keine Antwort ab, sondern beginnt eine Schimpflitanei über den griechischen Staat, der sie immer schon habe hängen lassen, und jetzt, mit der Krise, „haben sie uns einfach vergessen „. Bei aller Armutsromantik, die sich in den Gassen des steil am Berg klebenden Ortes auf den ersten Blick ergeben mag: hier möchte man nicht wirklich leben.  Lange suchen wir nach einer Platia, einem Platz, wo man vielleicht einen Kaffee trinken kann, wir werden immer wieder hin und hergeschickt, und finden nichts  („Frage nie einen Pomaken nach dem Weg“).

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Etwa 2500 Einwohner teilen sich drei Moscheen. Blick vom „Panorama-Cafe“ oberhalb der Stadt.

Es stellt sich heraus: es gibt keine Platia. Das was sie Platia nennen, ist eine enge Straße, wo ein paar Opas vor den Läden Kaffee und Tee trinken – will ein Traktor durch, müssen sie Stuhl und Tischchen beiseite räumen, so eng ist die „Platia“. Irgend jemand verrät uns ein Panoramarestaurant über der Spitze des Ortes. Ein zerzauster, alter Hund begleitet uns auf dem steilen Weg durch die Gassen, wo tatsächlich manchmal noch historische, leider verfallene Häuser zu finden sind, der Rest der armseligen Bebauung stammt aus den 1970ern und 80er Jahren.

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Ein treuer Begleiter. Der Orienthund.

Selbst die Moscheen, dreie ihrer Zahl, wirken trotz auswärtiger Unterstützung armselig: Vor einiger Zeit muss hier mal ein Vertreter für industrielle glasierte Mosaiksteinchen vorbei gekommen sein, also für solche, wie man sie bei uns aus Schwimmbädern der 1970er Jahre kennt, die auf Drahtgaze fertig angeliefert, dann nur aufgespachtelt werden müssen. Alle Moscheen sind bis zum Minarett herauf mit dem schäbigen Zeug vollgekleistert. Von dem Panoramarestaurant hat man tatsächlich ein Aussicht über das Tal, eine Kopftuchfrau serviert uns einen Frappe, mehr gibts hier oben nicht, ein Junge spielt an ein paar Computern herum,die wohl mal Reste eines Internetcafes gewesen sind. Viele Frauen, auch junge Mädchen tragen hier Kopftücher, damals oft sehr bunt, bei unserem diesjährigen Besuch schienen eher dunkle Töne vorzuherrschen. Die Frau freut sich, dass wir aus Deutschland sind, da hat sie auch mal fünf Jahre gearbeitet. Viel Deutsch kann sie dafür aber nicht. Vor dem Laden wartet der Hund geduldig auf uns, und auf dem Rückwegs durch den Ort weicht er nicht von unserer Seite, dafür werden wir ständig von anderen Hunden angekläfft, was an unserem zotteligen Begleiter liegt, der hier durch fremde Reviere dringt.  „Der macht das mit allen Fremden“, sagen uns die Opas auf der Platia sichtlich amüsiert, als wir nach einer Stunde wieder mit dem Tier erscheinen.  Der Hund ist also eindeutig xenophil.

 

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Die Route von Stavroupoli über Echinos nach Thermes, Medousa und Kottani.