Bei den Wassern der Thermopylen ließen wir uns nieder

Wieder ein Jahr vergangen. Unterwegs von Athen nach Thessalien. Wie immer Rast gehalten auf etwa halber Strecke. Dazu verlässt man die Autobahn Athen-Larissa-Thessaloniki an der Abfahrt Kamena Vourla /Ajios Konstaninos. Die Schnellstraße führt hier fast kontinuierlich an der Küste entlang. Es gibt einen schmalen Kiesstrand, der direkt an der Ortsdurchfahrt liegt, in dem zwanzig Meter breiten Streifen dazwischen die meistens gut besuchten Sitzplätze der Restaurant- Konditorei und Schnellimbissbetreiber. Kellner wechseln in gefährlicher weise über die Straße mit den beladenen Tabletts hin und her.

Unter den Maulbeerbäumen in Kamena Vourla
Der Klassiker, „Toast Tiri Sabon“ – mittlerweile eines der griechischen „Nationalgerichte“: Toastbrot, Scheiblettenkäse und gekochter Schinken (), garniert mit Kartoffelchips.

Die Thermopylen erkennt man von Weitem schon an ihrem Geruch

Die Schnellstraße führt nach Kamena Vourla weiter in Richtung Norden auf die Stadt Lamia zu. Nach etwa zehn Kilometern, bevor man wieder auf die Autobahn auffahren kann, kündet der Geruch, der zuweilen, in Abhängigkeit von Wetter und Windrichtung kilometerweit zu riechen ist, einen der wohl bedeutendsten historischen Orte Griechenlands, wenn nicht gar der Geschichte des Abendlandes an. Die „Thermopylen“ dürften jedem Pennäler, dem europäische Geschichte eingebläut worden ist, bekannt sein.

Den Namen nach haben die Thermopylen aus dem Altgriechischen – es bedeutet so viel wie „heiße Pforten“ . Es sind heiße Karstquellen, die hier aus zwei beeindruckenden Trögen unvermittelt aus den Flanken des Kallidromosgebirge, einem Kalksteinmassiv entspringen. Einst reichte das Meer (der Malische Golf) zwischen der direkt gegenüberfliegenden Insel Evia (Euböa) bis an die Flanken des Berges heran, hier, wo auch die heißen Quellen herauskommen. Dazwischen verlief nur ein etwa 15 Meter breiter Pfad- der mehrfch in der Geschichte strategische Bedeutung gewann. Heute führt hier entlang die Autobahn – und rechts davon erstreckt sich eine breite, mehrere Kilometer lange ebene, bis zum Meer. Von der Engstelle ist nichts zu sehen. Ursache sind enorme Ablagerungen von Geröll, das nach der Abholzung der Wälder im Laufe der Zeit hier hinuntergestürzt ist – und die Ablagerungen des Kalksinters (Travertin) aus den heißen Quellflüssen, die das Gelände heute auch noch weiter Anwachsen lassen. Die Versandung des Meeres durch mehrere Flüsse trugen ebenfalls dazu bei. Würde man unter der heutigen Schnellstraße etwa 22 Meter tief graben, stieße man vielleicht auf die Überreste jener legendären Schlacht bei den Thermopylen von 480 v. Ch. Die „Schlacht der 300“ wird sie auch bezeichnet, als der Spartaner Leonidas mit seiner Truppe von nur 300 Mann dem zahlenmäßig übermächtigen Heer („hunderttausende“) gegenüberstand, und so das Abendland rettete. So stark reduziert wirkt heute dieses („Narrativ“ – was für ein grässliches Modewort) – über die wahren Zahlenverhältnisse, Umstände und die Überlieferungsgeschichte kann man anderswo nachlesen. Das Urmotiv ist dabei wohl so alt wie die Menschheitsgeschichte („David und Goliath“) und wirkt bis in die Gegenwart nach (Man denke an die Vernichtung der russischen Angreiferkolonne vor Kiew im März 2022) und wird gerne heute politisch missbraucht: etwa von den „identitären“ Nazis, deren „Λ“ für Leonidas stehen soll und die in ihrem wirren Wahn glauben, mit ihrer Minderzahl von einem Prozent der Gesamtbevölkerung ihre menschenfeindlichen Ideen gegen die Mehrheit umsetzen zu können.

ΜΟΛΟΝ ΛΑΒΕ (Hols Dir doch selbst)

Als der Perserkönig Xerxes Leonidas zur Kapitulation zwingen wollte, und ihn aufforderte, seinen Speer niederzulegen, soll der ihm zugerufen habe: „Hol ihn dir doch selbst“: die altgriechische Entsprechung „ΜΟΛΟΝ ΛΑΒΕ“ steht in Stein gemeißelt an dem Leonidas-Denkmal, das hier seit 1913 steht, worauf ein überlebensgroßer in Bronze gegossener Leonidas seinen Speer Richtung Schnellstraße zu schleudern droht.

Über eine Schotterfläche hinweg kann man sich den Quellen nähern, man muss sich nur den Bergen und dem dem Gestank der Schwefelquellen entgegen orientierten. Zwischen dem Schotter, der überwiegend aus Geröllsteinen abgelagerten Travertins besteht, findet man einen etwa einen Meter breiten, rauschenden Bach.

So ergießt sich das heiße Wasser in Richtung Meer. Im Hintergrund sieht man die Berge der Insel Evia (Euböa)

In ihm sind die Wasser der Thermalquellen zusammengefasst, auch hier etwa einen Kilometer von den Quellen entfernt, ist er noch ziemlich heiß (an der Quelle sind es 42 Grad), wovon man sich überzeugen kann, wenn man seinen Fuß hineinsteckt. Heute, an diesem glühend heißen Sommertag, ist es mehr Abenteuer als eine Erfrischung. Im Winter hingegen dampft der Bach wie ein beheiztes Freibad. Begrenzt wird der Bach von zwei Dämmen, die er sich selbst errichtet hat – so liegt er sogar etwas oberhalb des Geländeniveaus. Das liegt an den Sinterablagerungen, die sich fortgesetzt an Wasserpflanzen, aber auch hineingeratenen Müll abscheiden und so bizarre Versteinerungen erzeugen. Das Wasser hat deshalb aus dem Karstgebirge so viel Kalk gelöst mitführen können, weil es sehr stark kohlensäurehaltig ist, nach dem Austritt aus dem Berg und im weiteren sprudelnden Verlauf perlt sie aus, und der Bach scheidet den Kalk wieder ab. Man kenn diese Erscheinung auch von den Sinterterrassen von Pamukkale oder dem Yellowstone-Park .

Folgt man dem Bach weiter aufwärts, so stößt man auf die ruinösen Bauten von Bädereinrichtungen aus den 1950er Jahren. Durch gemauerte Tröge läuft das Thermalwasser wer will, kann hier ein heißes Bad nehmen. Vor der Umzäunung weht eine griechische Flagge, am Eingang bietet jemand bescheidene Souveniers an.

Ein kleines Stück weiter oberhalb der heißen Badetröge, in denen sich überwiegend arabisch sprechende Kinder vergnügen, führt der Weg weiter entlang des über vierzig Grad heißen Wasserlaufes, der  hier den Anschein eines kühlen Alpenbaches erweckt – so harmlos, wie er hier zwischen dem satten Grün der Bäume und den ihn säumenden Binsenbüschel heranplätschert. Weiterhin liegt der penetrante Geruch von Schwefel, den das schäumende Wasser verströmt, in der Luft. Das verfallende Kurhotel, das wohl in den 1950er Jahren hier errichtet wurde, kündet von dem heute verlorenen Glauben an die Heilkraft dieses Stinkewassers. Etwa hundert Meter weiter oberhalb des alten Hotelkastens quillt das Wasser als Karstquelle unmittelbar aus dem schottrigen Wassertrog empor.

Der Geschmack ist salzig, erinnert etwas an Hühnersuppe und prickelt aufgrund seines Kohlensäuregehaltes leicht auf der Zunge. Neben den mit improvisierten, zerfetzten Planen verdeckten Fensteröffnungen hängen die grauen Kästen der ehemaligen Klimaanlagen  – sie funktionieren wohl seit Jahrzehnten nicht mehr. Heute ist es eine Unterkunft für Geflüchtete, im Hinterhof hat man noch etliche Container aufgestellt, da die Kapazitäten der elenden Hotelruine zur Aufnahme dieser Menschen nicht ausreichen. Angestellte einer privaten Security-Firma patroulieren mit gelangweilter, aber wichtiger Miene zwischen den Behausungen umher. Sie haben als Wachhütte auch einen Container – er ist im Unterschied zu den anderen Wohncontainern selbstverständlich klimatisiert. Hinter einem rostigen Drahtzaun stößt man zwischen unvermittelt auf eine kleine Oase, den die Geflüchteten wohl selbst organisiert haben. In der allenfalls hundert m² umfassenden Ecke bauen sie  Gemüse an, vielleicht, um den Speiseplan wenigstens ein klein wenig um aus der Heimat gewohnte Lebensmittel zu bereichern.