Ziegen und Kokoretsi essen bei Prof. Elias

Samothraki, den 3.-4. September

Wenige Kilometer entlang der Uferstraße in Richtung Osten stößt man auf die Anseidlung „Therma“, die ihren Namen von warmen Quellen hat, die unterhalb des Ortes entspringen sollen. Oberhalb des Ortes, der einst eine „Hippiemetropole“ war, befindet sich im Wald ein Gebirgsbach, dessen Strudel tiefe Becken in den Fels geschliffen haben, die Gria Vathra“. Diese Becken sind eisigkalt, laden aber so manchen zum Baden ein. Auch heute noch ist Therma und  die umliegenden Wälder, ein Pilgerort der Nachfahren europäischer „Hippies“, deren gemeinsames Verbindungs- und Erkennungszeichen verfilzte Dreadlocks sind. Sie siedeln in Zeltlagern in den umliegenden Wäldern. Irgend jemand klimpert auf einer Gitarre, ein anderer fiepst auf einer Blockflöte herum.  Die in den Becken zu tausenden umher schwimmenden Kaulquappen stört es nicht.

Südlich von Kamariotissa, oberhalb von Lakkoma, wendelt sich eine Strasse am Fuß des Saos hinauf, sie führt auf den hoch gelegenen Ort Profitis Ilias.

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Blick herab von Profitis Ilias, Samothraki.

 

Die steilen Berghänge sind von den in Massen gehalten Ziegen abgefressen, und wir wiederum suchen den Ort auf, um eben diese Ziegen essen. Profitis Elkias ist berühmt für seine zarten Zicklein, die hier in einigen Psistaries (Grillstuben) angeboten werden. Fast noch genialer als die frisch gegrillten kleinen Ziegen sind ihre Innereien: Vorwiegend Leber, aber auch Herz, Nieren und Kutteln, werden auf Spieße gesteckt und mit feinem, frischen Darmschnüren fest umwickelt. Dann kommt das ganze auf den Grill.“Kokoretsi“ heisst dieses wahnsinnig lecker schmeckende Gericht, das fast überall in Griechenland gerne, insbesondere zur Osterzeit, gegessen wird. Als die EU dieses Nationalgericht um die Jahrtausendwende aus lebensmittelrechtlichen Gründen per Verordnung verbieten wollte, kam es im ganzen Land zu Aufständen – das Ergebnis des gescheiterten Verbotsversuches liegt verführerisch duftend auf meinem Teller.

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Kokoretsi

Der Hauptort der Insel, Chora, oder einfach, wie die gesamte Insel, „Samothraki“ genannt, liegt etwas abseits des Meeres in Hanglage.  Wie Samothraki selbst, ist auch der Ort glücklicherweise von den zweifelhaften Segnungen des Massentourismus verschont geblieben. Kein einziges „Yes Please“, nur erträglich wenige, harmlose Souveniershops, ansonsten ist der Ort so, wie es sich für griechische Kleinstädtchen gehört: ein paar Tavernen, eine Kirche, Schlachter- und Käseläden und Geschäfte, in denen Trockenfrüchte, Honig etc. verkauft werden. Auf einem Felsen thront ein venezianisches, in osmanischer Zeit umgestaltetes Kastell.

 

 

 

 

 

 

 

Im Legoland der Großen Götter

Samothraki ist klein, und verfahren kann man sich nicht, das Heiligtum der „Großen Götter“ liegt etwa 3 Kilometer östlich an der Uferstraße von Kamariotissa. Die Topografie entspricht der Vorzugslage antiker Heiligtümer: Im Hintergrund der große Berg, Blick aufs Meer, nicht zu steil hinauf.

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Das Heiligtum der großen Götter auf Samothraki

Die „alten“ Griechen waren Seefahrer, nicht Bergsteiger. Und man war nicht auf unbequeme religiöse Streitigkeiten erpicht. Die namenlosen „Großen Götter“, die die Thraker einst verehrten, die „Kabiroi“, wurden mit der Hellenisierung Thrakiens einfach uminterpretiert, im Olymp gibt es viel Platz für große Mächte, und erst recht auf dem Saos, an dem sich ständig die Wolken stauen, mühsam den Weg über den Gipfel überwinden, um sich über dem Heiligtum wiederum in wirbelnden Kringeln aufzulösen. Tagtäglich das selbe Spiel.

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Wolkenumspielt: der Götterberg Saos

Zum Heiligtum führt ein schattiger Weg durch krüppelige Olivenbüsche hinauf, nicht weit, dann erreicht man das mit EU-Mitteln neu errichtete Museum auf der rechten Seite, das leider wegen fehlender Folgefinanzierung nicht eingerichtet und geschlossen ist.

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Weg zu den Großen Göttern: durch Olivenhaine

Zum Ausgleich für den entgangenen Museumsbesuch erhalten wir am Kassenhäuschen eine wissenschaftliche Broschüre über den Verlauf der Restaurierung der verbliebenen Reste des Heiligtums der großen Götter.
Zwischen den dorischen Säulen des klassisch-griechischen  Tempels tummeln sich weiß gewandete Gestalten, die sich mit ausgestreckten Armen der Sonne zuwenden. Es sind offenbar Mitglieder einer amerikanischen Sekte, eine dicke Frau im Gardinengewand bittet uns um Verständnis, die Szene nicht zu stören, allerdings vergeblich.

SDIM1957 Heiligtum der großen Götter Samothraki

Wolken umspielen den Berg Saos, kann es hier einen besseren Standort für das Besuchs-und Informationszentum der „Großen Götter“ geben?

Auch wenn die Niki in Paris steht: Architektur- und Kunsthistoriker können Samothraki keinesfalls auslassen. Die Frontseite der einst von zwei Säulenreihen gestützte Vorhalle des Tempels der „Großen Götter“ haben Denkmalpfleger theatralisch in Stand gesetzt, die übrigen Hinterlassenschaften hat man im Umfeld sortiert: In Stein gehauene Dachrinnen (Geison), Gebälkteile mit Triglyphen, und die noppenbesetzten Bausteine, die wie übergroße Legosteine herumliegen: es sind die „Guttae“ , eine Reminiszenz der dorischen Säulenordnung aus der Zeit, als man Tempel noch aus Holz baute. Es  sind  in Stein gehauene Erinnerung an die genagelten Bretter, die einst Teil der Dachkonstruktion waren.

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Legoland für klassische Architekturtheoretiker: Triglyphen, Guttae, alles da. (Nur für Insider: das mit dem Triglyphenkonflikt haben sie auch hinbekommen)

 

 

Überfahrt nach Samothraki

Alexandroupoli und Samothraki, 2. September 2016

Der Fährhafen für die die Insel Samothraki ist Alexandroupoli, eine Kleinstadt unweit der Mündung des Evros, nur wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt.  Die Stadt ist ganz nett, hat aber nichts wirklich aufregendes zu bieten, bis auf ein durchaus sehenswertes Museum kirchlicher Kunst, das immerhin eine für griechische Verhältnisse in didaktischer Hinsicht funktionierende Ausstellung bietet. Am Hafen gibt es noch ein Denkmal für die lokalen Helden der Befreiung, wie sie jede griechische Kleinstadt zu bietetn hat. Hier: Das Ehepaar Visvisi, der Vater zog in den Krieg gegen die Türken, starb dabei, die Mutter schickte daraufhin ihre fünf Söhne nach.

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Die Erläuterung gibt es im Text, aber hier meine eigene Interpretation des Heldendenkmals. Er hält die linke Hand auf den Brustkorb, hat sichtlich Schmerzen, die Rechte umfasst den Straßenpolller aus Plaste, den er im Fall umgerissen hat: Herzinfarkt, mit sowas ist nicht zu spaßen! Sie hat deshalb den Krankenwagen gerufen, hier, rechts ran, schnell ! scheint sie zu gestikulieren

Die Fähre Saos II braucht etwa 2 Stunden, was einem merkwürdig vorkommt: Denn schon vom Hafen aus scheint die Insel wie ein Klotz handgreifbar vor dem Hafen zu liegen. Das liegt aber an dem 1600 Meter hohen Bergmassiv Saos, der die Insel beherrscht.

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Samothrake, nach Umrundung des Saos

Während der Überfahrt rückt der graue Inselklumpen nur langsam näher, und bietet genug Anlass zur Frage, was denn nun ausgerechnet an dieser Insel so besonders besuchenswert sein soll, zumal das Original der „Niki von Samothraki“, einer bekannten hellenistischen Skulptur, schon lange im Louvre in Paris weilt.

Erst kurz vor der Landung der Fähre auf der Rückseite des Felsklotzes taucht etwas flaches und sogar stellenweise grünes Land auf. Die Anlandung inm kleienn Hafenort Kamariotissa gestaltet sich jedoch schwierig. Mit an Bord war ein Bus mit betagten Naturfreunden aus Kavalla. Der Bus sprang nicht an, weil, wie der Fahrer erklärte, ein „Relais kaputt“ war. (Wenn etwas Elektrisches nicht funktioniert, ist überall auf der Welt die Erklärung, ein „Relais“ sei kaputt, meistens zutreffend, nichtssagend, klingt aber um so bedeutungsvoller: selbst im Raumschiff Enterprise war das beizeiten so). Da die Fahrzeuge packedicht auf die Fähre jongliert worden sind, konnte etwa eine Stunde lang kein Fahrzeug das Schiff verlassen. Neben dem Bus stand ein LKW, der musste warten, bis eine tonnenschwere Kühltruhe und hunderte von Transportkisten verschoben waren, andere Fahrzeuge mussten stehen bleiben, weil, wie der Kapitän erklärte, sonst das Schiff zu kentern drohte. „Alles Idioten hier, in diesem Land, diese Scheißregierung, das sind alles Irre“ brüllte ein griechischer Autofahrer, der in vorderster Reihe stand, und dessen Gegengewicht man angeblich brauche. Irgendwann war dann der Weg aber trotzdem frei.

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Es nervt: Kühltruhe muss weg, damit Laster weg kann, damit.. usw.

In der Nachsaison ist die Suche nach Hotelplätzen auf Samothraki kein Problem: das Hotel „Aiolos“ (Wind) liegt am Rand des Hafenortes Kamariotissa, Blick auf Meer, Palmen, blauer Swimmingpool (ohne Wasser allerdings),  kitschiger Sonnenuntergang inclusive. Leer schien der in den 1970er Jahren erbaute  Palast der Winde: viel Marmor, Holz,Geruch nach Chlor. Ob denn Zimmer frei seien, erschien uns als rhetorische Frage. Ja geht, aber man erwarte eine Reisegruppe aus Kavalla, die müsse alllerdings längst da sein..
–>(Reiseempfehlung:, Hotel Aiolos, Kamariotissa, preislich günstig, ausgesucht freundliches Personal, man spricht Deutsch)

Fußläufig erreicht man den Uferweg von Kamariotisssa, wenige Tavernen, in denen aber das volle Leben blüht. Da, wo wir uns niederlassen, umringt von einer Apostelschar bunter Katzen, platzt dann noch eine Verlobungsfeiergesellschaft rein, alles kein Problem, Tsipuro, Msedes, Fisch – es passt.  Auf dem Rückweg ins Hotel verpassen wir einen Weg, klettern blind in der Dunkelheit über Stacheldrahtzäune, Gestrüpp und Feigenbäume. Erst tags drauf lesen wir, dass Samothraki ein Reservat für seltene und giftige Schlangen ist. Überhaupt ist Samothraki die untypischste aller griechischen Inseln: Hier gibt es keinen Massentourismus, keine Kellner, die Fremde mit „Yes-Please“ anwanzen, keine Souveniershops, nix dergleichen. Nur Natur und ein bisschen Kultur. Die sehen wir uns morgen an.