Tschüss, Meer….

Die Elegien über diegrünen Berge von Mavrovouni mögen den ein oder anderen Leser wundern, denn Griechenland steht doch do für seine Badestrände, und die veVerbundenheit der Griechen zum Mer ist ja beinahe sprichwörtlich. In der Tat liegt das Meer vor der Tür, und Frau Wu nimmt gerade abschied, täglich badete sie dort, während hei-Wu in den Bergen durch die Wälder zog. To Koritzi theli Thalassa (Das Mädchen will ans Meer) heißt es in einem populären Volkslied aus den 1950er Jahren, es handelt von einer Frau, die ständig überarbeitet ist und dringend Erholung braucht, die sie sich aber mit den wenig ersparten Groschen kaum leisten kann.

Zu Ηochzeiten im Sommer, bis Anfang September, ist der Strand von Agiocampos brechend voll, Autos parken in Δreierreihen auf dem kiesigen Strand, die Strandbars verzeichnen Hochbetrieb. Es ist vor allem die Naherholung schlechthin für die Einwohner von Larissa, wer kann, flieht aus der überhitzten Stadt anσ Μeer.

Auch vom Balkon aus sieht das Meer gut aus, bei klarer Luft kann man sogar auf der gegenüberliegenden Seite wieder Land sehen – es gehört zur Halbinsel Chalkidiki, und manchmal sieht man sogar den spitzen Bergkegel des Athos am Horizont. Nacht fahren hier Fischerboote mit ihren „Pyrophania“ vorbei, LScheinwerfern, mit denen sie Fische anlocken..

Der Blick von der Terrasse aufs Meer wird nie langweilig. Mal ist ist es strahlend blau, und so ruhig, als hätte man Öl hinein gegossen („Thalassa inä ladi“) , manchmal, wenn Wind weht, oder gar Sturm aufzieht, donnern gewaltige Wellen an den Strand. Dann badet niemand. Früher riefen die Städter die verbliebenen Einwohner von Agiocampos an, um zu erfahren, wie das Meer ist. Die 50 Kilometer wollte man nicht umsonst zurück legen, denn allein der Wetterbericht sagt nichts darüber aus, ob es gerade ungemütlich auf dem Meer ist. Heute schaut jeder auf die Webcams, und weiß gleich, ob sich der Ausflug lohnt.

.Auf der Terrasse zu sitzen, und das sich immer wechselnde Gesicht des Meeres zu betrachten, ist auf jeden Fall immer wieder spannend.

Abschied von Mavrovouni

Langsam naht der unvermeidliche Aufbruch, es gilt Abschied nehmen vom Meer, und vor allem den Bergen von Mavrovouni. Heute abend fahren wir von hier zurück nach Larissa, dann nach Athen, und übermorgen hebt das Flugzeug Richtung Berlin ab.

Ohne Worte:; es bleibt, einfach ein paar Bilder aus der Gegend in und um Mavrovouni zu zeigen. Ohne Kommentar, denn sie sprechen für sich.

Die Casa Bianca – Traumhafte Villa mit finsterer Geschichte

Die Villa in reinstem Jugendstil steht im Viertel „Exarchon“, einem ehemaligen Außenbezirk der Stadt Thessaloniki. Man komm an ihr vorbei, wenn man vom Flughaffen aus dem Westen kommend sich der Stadt nähert. Die ehemalige Villengegend der gehobene Bürgerschicht ist mittlerweile stark von modernen Bauten der Stadt zugewachsen, hin und wieder trifft man hier zwischen mehrstöckigen Hochhäusern aus den 1970er Jahren noch in Lücken auf die ursprüngliche Bebauung. Eine davon ist die Casa Bianca, die heute die städtische Pinakothek berbergt. Gebaut wurde sie 1911 – 1913 nach Plänen des italienischen Archititekten Pietro Arrigoni (Arrigoni ist übrigens auch einer der vielen Architekten, die nach 1917 am Wiederaufbau der Stadt mitwirkten – und in den 1920ern viele Neubauten in einer eigentlich nicht mehr zeitgemäßen Stilrichtung hinterließ). Eigentümer war der jüdische Italiener Dino Fernandes Diaz, ein Großhändler und Bankier. Seine Frau war die Französin Blanche (Bianca) de la Mayer. Die Eheleute hatten drei Kinder, Alina, Nina und Pierre. Blanche starb 1934 in Paris. Vater Dino und Sohn Pierre und dessen Familie flohen vor dem Einmarsch der Deutschen nach Italien, dessen Staatsbürgerschaft sie besaßen. Sie zogen an den Lago Maggiore, wo sie nach dem deutschen Einmarsch dort von Deutschen aufgegriffen und ermordet wurden.

Die Villa in Thessaloniki wurde von deutschen Truppen zum Gebrauch für die Militärverwaltung beschlagnahmt , Nach der Befreiung zog Tochter Aline hier wieder ein, wo sie 1965 starb. Nach weiteren Besitzerwechseln und Konflikten mit der Denkmalbehörde gelangte das Haus riet das 1976 in den Besitz des Ministeriums für Bildung und Kultur.

Heute beherbergt die Villa städtische Pinakothek. Diese verfügt über mehrere Sammlungen, die übverwiegend auf Stiftzungen zurückgehen. So verfügt man über eine Sammlung neugriechischer Malerei, die Sammlung des Jugendstilmalers Nikolaus Gysis,(der die meiste Zeit seines Lebns in Bayern und Tirol wirkte), eine Lithografiesammlung, eine Karrikaturensammlung und eine Skulpturensammlung.

Zur Zeit (September 2022) sind diese Werke nicht zu sehen, statt dessen wird hier einen Ausstellung mit Werken des deutschen Künstlers findet eine Sonderausstellung des Düsseldorfer Künstlers Bernd Schwarzer statt. Der Titel lautet „Europawerk“ und zeigt vornehmlich Gemälde zur Politik Deutschlands und Europas. Bernd Schwarzer liebt es, Ölfarben mit dickem Spachtel verschwenderisch aufzutragen, seine Werke sind oft mehr farbige Reliefs denn Ölgemälde im klassischen Sinne. Seine bevorzugten Farben sind blau und gelb – was keinen Bezug zur Ukraine darstellt, sondern die Europaflagge aufgreift.

Die Ausstellung wird vom deutschen Außenministerium gefördert. Es gibt auch zwei dicke Kataloge zu erwerben, leider ist in einem (erschienen 2008) ein Vorwort von Gerhard Schröder enthalten.

Der Besuch des Hauses lohnt auf jeden Fall – und im Garten sitzt man angenehm im Schatten unter Bäumen, ein Gastronomiebetrieb sorgt hier für Erfrischungen und auch Kleinigkeiten zum Essen.

Moderne Architektur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Thessaloniki nach dem Brand von 1917

Die schwarz gezeichneten Flächen waren 2017 vom Brand betroffen

Auch wenn die unmittelbaren Folgen des Großbrandes von Thessaloniki (Hier gibt es einen Youtube-Film über die Katastrophe) heute, nach über 100 Jahren, kaum noch erkennbar sind, ist das Ergebnis des ziemlich rasanten Wiederaufbaus ab 1918 heute noch allgegenwärtig. Nachdem die Regierung unter Ministerpräsident Eleftherios Venizelos den Wiederaufbau der Stadt nach altem Muster strikt untersagt hatte, suchte man nach einem Generalplaner, der der Stadt sowohl einen neuen Grundriss als auch ein „Corporate Design“ verpassen sollte. Die Altstadt von Thessaloniki gleicht heute einem Lehrbuch europäischer Architekturgeschichte der Zeit nach dem ersten Weltkrieg.

Dass die Stadt heute so „französisch“ wirkt, hat nicht nur damit zu tun, dass das griechische Bürgertum zu dieser Zeit stark nach Frankreich orientierte war. Der französische Charakter hat auch eng mit der Person des einberufenen Stadtplaners zu tun, dem Architekten und Archäologen Ernest Hébrard .

Wiederaufbaukommission für Thessaloniki. Der Mann in der Uniform ist Ernest Hebrard

Hebrard plante einen Grundriss auf Basis eines breiten, rechtwinkligen Straßenrasters. In der Mitte führt eine Hauptachse aus einer Folge von Monumentalen Plätzen die sanfte Anhöhe hinauf. Hier hat Herbrard auch selbst Bauten hinterlassen: Die Bauten im einem verhaltenen „Neobyzantinischen“ Stil (Hebrard selbst konnte sich Zeit seines Lebens nie so richtig vom Historismus lösen) , die den Aristotelos-Platz formen, gehen auf seine Entwürfe zurück. Endgültig fertig gestellt wurden einige dieser monumentalen Mehrgeschosser erst in den 1950er Jahren. Im weiteren Umfeld des Platzes konnten sich viele Architekten und Bauherren stilistisch austoben – wenn sie sich an den neuen Stadtgrundriss und Geschosshöhen hielten.

So findet man die verschiedensten Stilrichtungen -. und natürlich Mischformen – der Architekturströmungen der 1920er bis 1930er Jahre wider. Man findet Bauten, die sich grob als “ Art déco“ bezeichnen lassen, wobei hier oft deutliche Anleihen und Einflüsse von Bauhaus, aber auch Jugendstil erkennen lassen. Einige der Bauten wirken auch älter, als sie sind. So gibt es durchaus auch Fassaden, die man eher noch dem französischen Fin de Siècle zurechnen würde. Nicht jeder Bauherr war wohl nach der Katastrophe gleich neuesten Architekturmoden zugetan.

Ein Spaziergang durch Thessalonikis Altstadt mit einem Blick nach oben auf die Fassaden lohnt sich allemal. Aber Vorsicht: auch in Thessaloniki folgt die Pflasterung der Bürgersteige griechischem Standard: Alle zehn Meter muss man mit Bodenwellen, Schlaglöchern und geöffneten Kellerluken rechnen.

(Mehr über Thessaloniki gibt es hier und hier und da.)

Und eine großartige informative Seite – allerdings nur griechisch – zur Architektur der Neubauten findet man hier. Eine Vielzahl von Gebäuden ist hier mit Foto aufgelistet und mit umfassenden Beschreibungen zur Geschichte versehen.

Im Kloster Panteleimonas bei Agia: Pantaleon mag keine Hosen

Vor sieben Jahren bin ich schon einmal über das Kloster Agios Panteleimonas gestolpert, im wahrsten Sinne des Wortes, denn es lag, etwas oberhalb von Agia, unausgeschildert und folglich unbeachtet rechts abseits der Straße hinauf nach Melivia.Das Kloster hatte auch schon in diesem Blog Erwähnung gefunden.. 2015 lebten dort drei Mönche, einer gab etwas wortkarg Antwort, die anderen beiden waren gerade ausgeflogen. Die Anlage machte einen etwas verwahrlosten Eindruck – obwohl das Katholikon (die Klosterkirche) ein beachtliches Denkmal mittelbyzantinischer Architektur angesehen werden kann, und die nachbyzantinischen Fresken aus der Zeit am 1580 von beachtlicher Qualität und sehr gut erhalten sind. Damals gelang nur kurzer Blick hinein.

Was aus dem Kloster heute geworden ist, wollen wir uns noch einmal ansehen. Geweiht ist das Kloster dem heiligen Panteleimonas, der Heilige entspricht dem lateinischen St. Pantaleon. Mit „Hosen“ (griechisch: Pantelonia) hat der Name nichts zu tun (indirekt schon, das ist eine andere Geschichte), der seit dem frühen Christentum verehrte Heilige leitet seinen Namen von „panta“ und „elein“ her, der „alles Erbarmende“

Im Hinterhof des Kloster Panteleimonas

Der Hinterhof des Klosters wirkt kaum aufgeräumter als vor sieben Jahren, die Holzvorräte sind aber erheblich größer geworden. Vor dem Haus treffen wir einen älteren Mönch, der auf unsere Frage, ob wir kurz hinein sehen dürften, uns bedeutet, man habe gerade einen Besuch eines Abtes eines befreundeten Klosters aus dem Peleponnes zu Besuch, wir könnten uns aber gerne einer Führung anschließen. Die beiden Damen müssen sich allerdings noch schnell einen Pseudo-Rock aus bereitgestelltem Leihfummeln umlegen – mit Hosen kommen sie nicht hinein. Religiöser Kleiderzwang ist halt kein Privileg fundamentalistischer Muslime. Gendermainstreaming? Auch die Mönche tragen die langen Haare hübsch zum Pferdeschwanz gebunden, ihr schwarzer Gehrock reicht züchtig herab bis zu den Knöcheln. Pantaleon mag keine Hosen.

Den größten Raum zwischen den rechteckigen Außenmauern nimmt das Katholikon, also die eigentliche Klosterkirche, ein. Nach Osten und Süden schließt sich ein rechteckiger Hof an, dessen Begrenzung die ehemaligen Umfassungsmauern des nicht mehr existierenden, einstigen Zellentraktes aus der Zeit des 16. Jahrhunderts bilden. Der heutige Zellentrakt ist in den letzten Jahren in traditionellem Stil an der Westflanke neu errichtet worden. Im Hof verströmen Jasmin und Basilikum und viele Zierpflanzen, die in unzähligen Töpfen und Kübeln gehalten werden, einen angenehmen Duft. Dazwischen hat ein frommer Mönch ein Schild gepflanzt, in weißer Schrift auf grünem Grund verkündet es die Botschaft der Demut: „So lange schon lebe ich auf dieser Welt, und noch bin ich keinem schlechten Menschen begegnet. Außer mir selbst.“

Die Nachfahren der roten Katzen, die schon 2015 den Hof bevölkerten, sind natürlich wieder da, wie es sich gehört, sind es die berühmten rot-weißen Ägäische Hauskatzen, der wenige Monate alte Nachwuchs räkelt sich zwischen den Töpfen genießerisch in der der Sonne.

In der Kirche erläutert der junge Klosterbruder der mönchischen Besuchergruppe die Geschichte der Kirche und erzählt auch etwas über die jetzige Situation.

Das Bauwerk selbst stamm wohl aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Das Katholikon ist typisches Beispiel einer klassischen Kreuzkuppelkirche, in einer speziellen Ausprägung, die man besonders auf dem Athos findet. Der Bautypus der Kreuzkuppelkirche ist seit seiner Entstehung im 9. Jahrhundert n. Ch. zu einem der wichtigsten Kirchenformen im gesamten griechisch-orthodoxen Einflussbereich geworden. Im Gegensatz zu den vorwiegend westlichen Basilika-Typen mit Längsorientierung ist es ein Zentralbau. In einen rechteckigen Grundriss wird ein inneres Quadrat aus vier Pfeilern gesetzt, darauf ruht eine erhöhte runde Kuppelkalotte, oft durch einen zylindrischen Tambour aufgestelzt. Die Anräume zwischen Pfeilern und rechteckiger Außenwand werden längs und quer mit Tonnengewölben, in den Ecken mit kleinen Kreuzgewölben geschlossen.

Kompliziert ?: Kann man bei Wikipediea nachlesen.

Grundriss und perspektivischer Anschnitt einer typischen Kreuzkuppelkirche: Die Hagia Sophia, 8. Jhdt n. Ch., Thessaloniki, ist eines der frühesten Beispiele dieses Bautypes. Auf den vier in das äußere Quadrat eingestellten Pfeilern ruht eine zentralen Kuppel. Die sich von hier zur Wand ergebenden kurzen „Querarme“ werden mit Tonnengewölben geschlossen, die in den Ecken des Quadrates entstehenden kleinen Eckräume werden ebenfalls überkuppelt. An den sich so entstandenen, quadratischen Kreuzkuppelraum schließen sich nach Osten hin die Chrorräume an (hier mit drei Apsiden) , westlich vor dem Kirchenraum liegt meist ein Vorraum, der so genannte Narthex. Im vorliegenden Beispiel umfasst dieser Narthex hufeisenförmig den gesamten Kirchenraum.

Die Fresken aus der Zeit um 1580 zeigen in der zentralen Kuppel Christus Pantokrator, den Weltherrscher. Insgesamt folgt die Freskenausstattung dem klassischen Bildprogramm, über dem Ausgang zu Westseite ist die Kimisis, die Entschlafung der Muttergottes, dargestellt.

Nach der griechischen Landreform fielen die Ländereien des Klosters an die Bauern der Umgebung, die verfallenen Klostergebäude gingen an den Staat. In den 1980er Jahren gab es erste Versuche, hier wieder ein Frauenkloster einzurichten, was wohl scheiterte. 2005 startete die Kirche einen neuen Versuch, dieses Mal als Männerkloster. Offenbar mit einem gewissen Erfolg, heute leben hier bereits sieben Mönche, und man gibt sich gegenüber Besuchern weitaus offener. Im ehemaligen Wehrturm des Klosters, der an der Südseite des Klosterhofes erhalten und mittlerweile gut restauriert ist, hat man begonnen, im Erdgeschoss eine Art kleine Ausstellung mit Relikten von Ausstattungsgegenständen des Klosters und umliegender Kirchen aufzubauen. Viel Platz ist hier jedoch nicht, aber es gibt einige sehenswerte Reste des alten „Templon“ (der Chorschranke) aus dem 17. Jahrhundert zu sehen, eine seltene Perlmutt-Ikone und weitere Ikonen des 18. und 19. Jahrhunderts. Unter dem Aufgang zum Obergeschoss findet man einen alten Lautsprecher, Putzgerätschaften, sowie das ionische Kämoferkapitell vermutlich einer frühchristlichen Kirche des 5. Jahrhunderts. „Wurde bei Ausgrabungen hier gefunden“, erklärt uns der hunge Mönch und führt uns hinauf und zeigt uns seinen Arbeitsplatz im Obergeschoss. Hier hat er ein kleines Restaurierungsatelier improvisiert. Gerade bearbeitet er eine Ikone aus dem 18. Jahrhundert. Sie zeigt die Darstellung Jesu im Tempel. Die Holztafel ist mehrfach gerissen, wird fachmännisch von Schraubzwingen zusammengehalten, der Kreidegrund ist an vielen Stellen samt der Malschichten abgesprungen. Nun versucht er, die erhaltene Substanz durch vorsichtige Injektion mit Harzlösungen zu festigen. Die Vorgehensweise ist moderner Standard restauratorischer Praxis: der junge Mönch hat in Thessaloniki das ein Studium der Restaurierung von Kulturgut abgeschlossen. Wir unterhalten uns über historische Maltechniken, über die Möglichkeiten der Materialuntersuchung mit Röntgenfluoreszenz und vieles mehr.

Katastrophenalarm auf Griechisch – ohne Klick, ohne App, ganz einfach aufs Handy

Sonntagabend. Die Luft ist schwül-warm, wir sitzen auf der Terrasse. Unsere Handys, so heiß geglüht und ausgelaugt vom vielen fotografieren, Whats-appen und navigieren liegen ausgeruht an den Ladebuchsen. Spiegelglatt liegt das Meer in der Dämmerung, am Horizont über dem fernen Chalkidiki ziehen Wölkchen am Abendhimmel auf.

Doch die Mobilfone sind unruhig. Wären es Katzen, würden sie vielleicht jetzt ihre Ohren aufrichten. Die Elektrokatzen sind hellwach. Sie brummen. Irgendwann greifen wir nach ihnen, auf dem Bildschirm erscheint eine Banderole: Katastrophenalarm.

Jetzt schalten wir sie alle ein. Überall leuchtet die Textbanderole wie ein Menetekel, lässt sich h nicht weg-x-en: „Außergewöhnlich intensive Wettervorgänge“.

Es geht um eine Wetterwarnung. Es wird vor ungewöhnlich starken Winden, Niederschlägen und einem Temperatursturz gewarnt. Wir sollen uns über die Medien informieren, warnt das Ministerium für Klimakrise und Zivilschutz.

Wie gelangt das Ministerium auf unser Handy ? Wir haben kein entsprechenden Apps installiert. Keine Zustimmung gegeben, dass uns irgendwer irgendwas schickt. Zum Test: Wir machen die Handys aus. Wieder an. Es brummt: und da kommt sie wieder, die Meldung. Die Warnung gilt für genau die Region, wo wir sind. Mittlerweile zucken Blitze über den jetzt nächtlich dunklen Himmel. Es fängt an zu stürmen, der Wind baut sich in der Nacht zu gefühlter Orkanstärke auf, im Schein der Straßenlampen sehen wir den Schaum der Wellen hoch auf den Strand auflaufen. Ein Mobilheimbesitzer fährt sicherheitshalber sein Gefährt weg, stemmt sich bei dem Versuch, die Anhängerkupplung an die Zugmaschine zu hängen, gegen Wind und peitschenden Regen. .Überall jaulen die Alarmanlagen auf. Den nächsten Tag erfährt man, dass es so schlimm nun doch nicht war, in Thessaloniki sind ein paar Keller überschwemmt worden, Straßen überflutet. Hätte alles schlimmer kommen können, noch immer ist das Meer aufgewühlt, zu Nachmittag beruhigt es sich.

Die Frage, die bleibt: warum schafft es das angeblich technologisch so rückständige Griechenland, alle Handybesitzer zu warnen – während wir in Deutschland noch immer, ein Jahr nach der Flutkatastrophe im Ahrtal, darüber diskutieren, was alles gar nicht geht, nicht sein kann, kaputte Sirenen, Datenschutz.. usw.

Letzter kommt hier übrigens gar nicht in Betracht: Nein, das Ministerium weiß nicht, wer wir sind, wo wir sind, und wir mussten auch keine Cookies akzeptieren: Die Mobilfunkanbieter sind schlichtweg gesetzlich gezwungen, die Warnungen als „Broadcast“ an alle Mobilanschlüsse der betroffenen Region zu schicken.

Cat-Warn habe ich dann übrigens spaßeshalber auch mal angeschaltet.. „In Ihrer Region steht dieser Dienst nicht zur Verfügung.“

Die Kapelle rumtata, und der Metropolit ist auch schon da

Apfelfest in Agia

Nach zweijähriger Pandemiepause wird in der Provinzstadt Agia wieder das Apfelfest gefeiert. Es dauert vom 31. August bis zum 8 September. Die Veranstaltung ist eine Mischung aus Kirchweih, Volksvergnügen und Kulturfest. Gestern begann die Festwoche zum 25. Mal seit ihrem Bestehen mit einer einer heiligen Messe und dem Empfang des Metropoliten von Larissa und Tirnavos, Hieronymus Nikolopoulos. Zur Begrüßung des Metropoliten, dessen Rolle etwa der eines Erzbischofs vergleichbar ist, haben sich schon vor der Kirche etliche schwarz gekleidete Würdenträger versammelt, die Blaskapelle begann Rumtatamusik zu spielen, wie es auch einem Spielmannszug Mannsfelder Bergleute zur Ehre gereicht hätte. Der Dienstwagen des Metropoliten trägt selbstverständlich kein ordinäres weltliches Kennzeichen – auf gelbem Grunde prangen in einer Schrift, die wohl byzantinisch wirken soll, die Initialen „Μ 𓅮 Λ &Τ“ , zwischen dem M und dem T prangt der byzantinische Doppeladler als kirchliches Herrschaftszeichen – so wie selbstverständlich die byzantinische Flagge gleichberechtigt gegenüber der griechischen Fahne vor dem Kircheneingang weht. Klares Bekenntnis zur Trennung von Staat und Kirche.

Aus dem Kircheninneren klingen die monotonen orthodoxen Gesänge der Lithurgie, die Gläubigen drängen hinein und hinaus in fliegendem Wechsel, vor der Ikone des hl. Antonius steht man Schlange, um sie zu küssen, wird kurz die Corona-Maske abgenommen. Der Heilige ist schließlich geimpft.

Die Plateia des Städtchens ist festlich hergerichtet, überall sind Fress- und Süßigkeitenstände und allerlei Verkaufsstände für blinkenden Nippes aufgebaut, mehrere beleuchtete Verkaufsbuden für „Chalvas Farsalon“ konkurrieren untereinander, die Verkäuferinnen machen durch energisches Klopfen mit dem Schneidmesser auf ihr Angebot aufmerksam. Chalvas Farsalon ist eine klebrige, gallertartige, stark nach angebranntem Karamell schmeckende, süße Masse aus Stärke, Zucker, Öl (oder Butter) und Wasser, gelegentlich sind Nüsse eingearbeitet. Für ein griechisches Volksfest ist das so ikonisch wie Zuckerwatte in Deutschland (mit der ebenfalls „Halvas“ genannten Süßmasse auf Sesambasis hat das Zeug nur den Namen gemein).

Traktorparade zum Fest des Apfels in Aghia

Lautes Hupen kündigt den vorläufigen Höhepunkt der Eröffnungsfeierlichkeiten an. Eine Parade von knapp hundert Traktoren und Landmaschinen zieht unter lautem Dröhnen über die Straße am Festplatz vorbei. Putin wäre sicher neidisch auf diese lange Reihe von Fahrzeugen mit überlegener und funktionierender Technik. Gerade siegreich im Felde zurückgekehrt, werden hier Gifthaubitzen, Mehrfachobstkistenlader und fahrbare Pflückvorrichtungen dem staunenden Volk am Straßenrand präsentiert. Journalisten von Presse Funk und Fernsehen richten ihre Kameras auf die heimgekehrten Kämpfer im Spezialeinsatz gegen den Apfelspanner.

In der Enteschlacht gefallen: diese Äpfel bleiben im Felde zurück (Apfelplantage nach der maschinellen Ernte in Aetolofos bei Agia).

Wie man sich am Strand den Krebs holen kann.

Mit Hühnerbeinen im Trüben fischen

Die zuvor noch ziemlich gestrenge, junge Fremdenführerin taut nun etwas auf, wo sie mit uns alleine ist und uns zeigen wird, wie man Flusskrebse (Kavouria) fängt. Sie stammt aus einem Dorf in der Nähe, hat Maschinenbau studiert und arbeitet jetzt als Lehrerin in einer Berufsschule. In der Ferienzeit bessert sie ihr Gehalt mit Gruppenführungen auf . Wir sind nun an einem der „Priele“, den sandigen Wasserlöchern angekommen, die der sich ständig ändernde Flusslauf im Meeresstrand hinterlassen hat. Das Brackwasser steht hier maximal knietief.

Auf dem Weg zu den Fanggründen

Aus einer Plastetüte kramt sie nun zwei Hühnerschenkel hervor, die sie an einer Angelschnur befestigt. Sie zeigt uns, wie man die Köder etwa zehn Meter von der Uferkante bin seichte leicht trübe Wasser wirft, die Schnur ganz leicht anspannt, um zu spüren, ob ein Krebs an dem Futterbrocken zieht. Die sieht man in dem trüben Wasser kaum, man muss schon genau hinzusehen, ob sich eines der zehnbeinigen Opfer dem Brocken nähert. Eine viertel Stunde tut sich nichts, dann bewegt sich ein grauer Schatten auf einen der Hühnerschenkel zu. Es zieht ganz leicht an der Leine – nun muss man ganz langsam den Brocken an Land ziehen, ohne dass der Krebs, der sich mit seinen Scheren in die Beute verbissen hat, Verdacht schöpft. Hat man ihn fast ganz ans Ufer gezogen, muss man ganz vorsichtig mit einem Käscher flach am Boden versuchen, Krebs und Hühnerbein einzufangen.

Oft rennt bzw. schwimmt der Krebs dann aber doch lieber weg: die Tiere sind erstaunlich schnell. Unserer Führerin macht die „Arbeit“ jetzt genau so viel Spaß wie uns, sie erzählt, dass sie hier schon als kleines Mädchen Krebse gefischt hat. So werfen wir, begeistert wie Kinder, etwa zwei Stunden lang Hühnerbeine ins Wasser, ziehen Strippen, balancieren auf umgestürzten Baumästen über dem Wasser, käschern – und fangen. Sofia zeigt uns, wie die Tiere zu töten sind: mit einem beherzten Messerstich mitten durch den Panzer. Sie habe schon Leute mitgenommen, die dabei angefangen hätten zu weinen – deshalb wurden wir vorher auch gefragt, ob wir ein Problem damit hätten, die Tiere zu töten. Haben wir nicht, denn wir wollen die ja essen (man kann die Tiere auch in kochendem Wasser töten, allerdings soll dann wohl die anschließende Präparation der Tiere schwieriger sein – das habe ich alles erst später im Netz gelesen). Sofia zeigt uns auch, wie man die getöteten Krebse ausnehmen soll: den Panzerdeckel mit einem Messer absprengen, die (wenigen) schwarzen Verdauungsreste entfernen, und dann auch die gelbraune, senfartige Masse rausspülen. Die wie Bananenbüschel aussehenden Kiemen an der Bauchseite müssen auch weg. Zehn Stück haben wir am Ende gefangen. In der Taverne von Paläopyrgos erbetteln wir noch einen Sack Eisbeutel, und so erreichen die noch leicht zuckenden Tiere unsere Küche in Aghiokampos. Hier nimmt die weitere Putz- und Präparationsarbeit noch eine gute Stunde in Anspruch. Viel bleibt am Ende nicht übrig, aber für eine Pastasoße, angereichert mit viel Tomate, drei grünen, scharfen Peperoni, Knoblauch, Zwiebeln und Petersilie, reicht es.

Dann kommen die aufgebrochenen Krebse hinein. Ein Schuss Wein, denke ich, kann auch nicht schaden, greife nach der Flasche im Kühlschrank, gieße eine ordentliche Portion in die quackernde Masse hinein. Ein deutlicher Geruch eines zunächst nicht erkannten Gewürzes steigt aus der Pfanne – dabei habe ich doch sonst nichts hineingetan? Ein Blick auf das Flaschenetikett gibt Aufklärung: es war nicht Wein, sondern Tsipouro, ein spezieller Anisschnaps aus Thessalien, ähnlich wie Ouzo, aber aus echtem Weintrester gebrannt. Alle Mühe umsonst? Schade um den kostbaren Fang? Wir lassen noch etwas sieden – dann wird probiert: es ist unglaublich lecker, der feine Anisgeschmack passt ausgezeichnet zu der krebsigen Soße. Nach etwa 20 Minuten Dünsten bei geschlossenem Deckel sind die Krebsteile in der Soße alle rot, vorher waren sie ockerfarben, Beine und Scheren azurblau.

Blau? Ja. Schon als wir den ersten Krebs aus dem Wasser gezogen hatten, war klar, dass es sich hier nicht um europäische Flusskrebse handelt. Denn die haben einen langen Schwanz, wie so wie Hummer, Langusten oder Garnelen (Unterordnung Astacidae). Diese Teile hier mit ihrem wanzenartigen Körper sehen eher aus wie Taschenkrebse (Gattung Cancer) . Google Lens schafft schnell Klarheit: Was uns hier ins Netz gegangen ist, und die Küstenbewohner hier schon „seit Generationen“ fangen, ist  die Blaue Schwimmkrabbe (Callinectes sapidus). Es ist ein Neozoon, das seit ungefähr 1910 im Mittelmeer vorkommt. Seine ursprüngliche Heimat ist die Westatlantikküste, ins Mittelmeer geriet sie wohl über Ballastwassertanks des Überseehandels. Französische Fischer hassen sie, da die feinschmeckerisch ausgerichtete Krabbe sich mit ihren Nussknackerarmen über die Austernzuchtbänke her macht und dort wohl für gewaltige Schäden sorgt. In Amerika gilt die Krabbe als ausgemachte Delikatesse und erzielt dort auch enorme Preise. Neugierig googeln wir nach: das was wir da in der Pfanne haben, hätte einen Marktwert von über dreihundert Euro gehabt. Dafür hat sich doch der Einsatz von zwei Hühnerbeinen von Lidl gelohnt.

Krebse in Tomatensoße, abgeschmeckt mit Tsipouro

Was den Nährwert betrifft, sicher nicht. Denn das Essen ist zwar traumhaft lecker, aber was man an verwertbarem Fleisch uns den Schalen pult, sind wenige Gramm. Das Fleisch der Scheren ist auch sehr schmackhaft, aber man braucht schon Spezialwerkzeuge um da ran zu kommen. Ein Essen für Feinschmecker und Feinmechaniker.

Was den Tsipouro betrifft: später erfahren wir, dass in vielen Rezepten mit Krabben ein Schuss des Anisschnapses dran kommt (oder wahlweise Ouzo). Kann man sich also merken.

Den Bach hinunter: Kanufahren im Pinios-Delta

Das Pinios-Delta zieht mich jedes Jahr immer wieder magisch an – so oft wurde hier auch schon darüber berichtet. Immer schon kam der Gedanke auf, diese Gegend nicht nur vom Lande aus, sondern sich auch auf dem Wasserwege zu erschließen. Ein kleines Stück wenigstens. Der Kanu-Ausflug, gebucht nach einer etwas umständlichen Recherche von Deutschland aus, wird in der Hochsaison im Sommer von verschieden Reiseveranstaltern angeboten, jetzt, in der Nachsaison, wurde es schwierig, jemanden zu finden, aber es hat dann funktioniert. Surftip: z.B. hier entlang. Oder hier: (Olympostrek.gr)

Einer der vielen Arme des Pinios schleicht sich durch das Delta in Richtung Meer

Start ist die Plateia von Paläopyrgos, einem verschlafenen Ort in mitten der schilfig-grünen Ebene des Deltas. Direkt neben dem berühmten Muschel-Haus von Opa Sotiris, über das wir schon berichtet hatten, werden wir von einem Führer der Trekking-Gesellschaft empfangen und zur Ablegestelle unter der Flussbrücke geführt, wo schon seine junge Kollegin vier weiteren Mitreisenden – es sind offenbar Polen mittleren Alters – eine Einführung in die Benutzung der Paddel erteilt. Es ist wie immer bei solchen Kanutouren – die verpflichtenden Einführungen sind etwa so interessant wie die Sicherheitsbelehrungen im Linienflieger, aber unvermeidlich.

Bei den Booten handelt es sich um die typischen, „idiotensicheren“ Vollkammer-Plastik-Kanus, wie sie auch an der Saale zur Vermietung angeboten werden.

Die Strecke die wir dem breiten, nahezu strömungsarmen Flusse bis zur Mündung (etwa 8 Kilometer) folgen, bietet verschiedene Wasservögel, vor allem Graureiher und Kormorane. Die Ufer sind mit Pappeln und Platanen bestanden, dazwischen blüht Blutweiderich. Das könnte man durchaus auch in der Altmark haben – wenn hier nicht zwischendurch auch Feigenbäume ihre Blätter über das Wasser reichen würden. Man kommt an kleinen, verwunschenen Flussinselchen vorbei, auf denen dieses Jahr gerade eine Cannabis-Plantage mit 20.000 Pflanzen ausgehoben wurde, berichtet die Führerin. Zwischendrin in den Büschen gibt es Fischerhütten, die sehr an unsere Schrebergartenlauben erinnern. Und Fischerboote, die an den Hütten festgemacht haben. Die Idylle muss aber täuschen, denn vor nicht allzu langer Zeit kamen hier im Sturm drei Fischerbrüder ums Leben – wenn der Sturm das Meer in das Flussdelta drückt, wird es hier rau und gefährlich. Kann man sich nicht vorstellen, wenn man hier durch diese friedliche Idylle paddelt. Auch dann noch nicht, wenn bei der Weiterfahrt Richtung Küste auch auf dem Fluss der Wellengang deutlich zunimmt.

Nach der Passage durch die Öffnung einer kleinen Sandbank, die der Fluss vor sich her ins Meer geschoben hat, wird es auch für uns sportlich: wir stechen ein kurzes Stück hinaus in die offene See, bei dem Wellengang wird jetzt jeder nass, und die Paddel müssen kräftig durchgezogen werden, um den Kurs zu halten. Jetzt biegen wir rechts ab, und steuern auf den Strand zu. Hier bekommen wir in einer Art improvisierten „Strandbar“ noch einen kurzen Imbiss serviert, gehen am vollkommen menschenleeren Strand, der immer wieder durch Priele und Flusseinmündungen durchsetzt ist, entlang. Ein spannender Ort, leider, obwohl hier so wenig „los“ ist, haben die Menschen (wohl überwiegend Hobbyangler) hier ihre Spuren hinterlassen. Man stößt zwischen Schilf, Strandkletten und Sand immer wieder auf Plastikabfälle. Neben einer verlassene Fischerhütte rostet ein alter roter Toyota vor sich hin.

Idylle mit Autoschrott

Die Polen hatten noch „Bogenschießen“ am Strand gebucht, und wir etwas anderes: Flusskrebse („Kavouria“) fangen, also teilt sich die Gruppe hier.

Bei den Wassern der Thermopylen ließen wir uns nieder

Wieder ein Jahr vergangen. Unterwegs von Athen nach Thessalien. Wie immer Rast gehalten auf etwa halber Strecke. Dazu verlässt man die Autobahn Athen-Larissa-Thessaloniki an der Abfahrt Kamena Vourla /Ajios Konstaninos. Die Schnellstraße führt hier fast kontinuierlich an der Küste entlang. Es gibt einen schmalen Kiesstrand, der direkt an der Ortsdurchfahrt liegt, in dem zwanzig Meter breiten Streifen dazwischen die meistens gut besuchten Sitzplätze der Restaurant- Konditorei und Schnellimbissbetreiber. Kellner wechseln in gefährlicher weise über die Straße mit den beladenen Tabletts hin und her.

Unter den Maulbeerbäumen in Kamena Vourla
Der Klassiker, „Toast Tiri Sabon“ – mittlerweile eines der griechischen „Nationalgerichte“: Toastbrot, Scheiblettenkäse und gekochter Schinken (), garniert mit Kartoffelchips.

Die Thermopylen erkennt man von Weitem schon an ihrem Geruch

Die Schnellstraße führt nach Kamena Vourla weiter in Richtung Norden auf die Stadt Lamia zu. Nach etwa zehn Kilometern, bevor man wieder auf die Autobahn auffahren kann, kündet der Geruch, der zuweilen, in Abhängigkeit von Wetter und Windrichtung kilometerweit zu riechen ist, einen der wohl bedeutendsten historischen Orte Griechenlands, wenn nicht gar der Geschichte des Abendlandes an. Die „Thermopylen“ dürften jedem Pennäler, dem europäische Geschichte eingebläut worden ist, bekannt sein.

Den Namen nach haben die Thermopylen aus dem Altgriechischen – es bedeutet so viel wie „heiße Pforten“ . Es sind heiße Karstquellen, die hier aus zwei beeindruckenden Trögen unvermittelt aus den Flanken des Kallidromosgebirge, einem Kalksteinmassiv entspringen. Einst reichte das Meer (der Malische Golf) zwischen der direkt gegenüberfliegenden Insel Evia (Euböa) bis an die Flanken des Berges heran, hier, wo auch die heißen Quellen herauskommen. Dazwischen verlief nur ein etwa 15 Meter breiter Pfad- der mehrfch in der Geschichte strategische Bedeutung gewann. Heute führt hier entlang die Autobahn – und rechts davon erstreckt sich eine breite, mehrere Kilometer lange ebene, bis zum Meer. Von der Engstelle ist nichts zu sehen. Ursache sind enorme Ablagerungen von Geröll, das nach der Abholzung der Wälder im Laufe der Zeit hier hinuntergestürzt ist – und die Ablagerungen des Kalksinters (Travertin) aus den heißen Quellflüssen, die das Gelände heute auch noch weiter Anwachsen lassen. Die Versandung des Meeres durch mehrere Flüsse trugen ebenfalls dazu bei. Würde man unter der heutigen Schnellstraße etwa 22 Meter tief graben, stieße man vielleicht auf die Überreste jener legendären Schlacht bei den Thermopylen von 480 v. Ch. Die „Schlacht der 300“ wird sie auch bezeichnet, als der Spartaner Leonidas mit seiner Truppe von nur 300 Mann dem zahlenmäßig übermächtigen Heer („hunderttausende“) gegenüberstand, und so das Abendland rettete. So stark reduziert wirkt heute dieses („Narrativ“ – was für ein grässliches Modewort) – über die wahren Zahlenverhältnisse, Umstände und die Überlieferungsgeschichte kann man anderswo nachlesen. Das Urmotiv ist dabei wohl so alt wie die Menschheitsgeschichte („David und Goliath“) und wirkt bis in die Gegenwart nach (Man denke an die Vernichtung der russischen Angreiferkolonne vor Kiew im März 2022) und wird gerne heute politisch missbraucht: etwa von den „identitären“ Nazis, deren „Λ“ für Leonidas stehen soll und die in ihrem wirren Wahn glauben, mit ihrer Minderzahl von einem Prozent der Gesamtbevölkerung ihre menschenfeindlichen Ideen gegen die Mehrheit umsetzen zu können.

ΜΟΛΟΝ ΛΑΒΕ (Hols Dir doch selbst)

Als der Perserkönig Xerxes Leonidas zur Kapitulation zwingen wollte, und ihn aufforderte, seinen Speer niederzulegen, soll der ihm zugerufen habe: „Hol ihn dir doch selbst“: die altgriechische Entsprechung „ΜΟΛΟΝ ΛΑΒΕ“ steht in Stein gemeißelt an dem Leonidas-Denkmal, das hier seit 1913 steht, worauf ein überlebensgroßer in Bronze gegossener Leonidas seinen Speer Richtung Schnellstraße zu schleudern droht.

Über eine Schotterfläche hinweg kann man sich den Quellen nähern, man muss sich nur den Bergen und dem dem Gestank der Schwefelquellen entgegen orientierten. Zwischen dem Schotter, der überwiegend aus Geröllsteinen abgelagerten Travertins besteht, findet man einen etwa einen Meter breiten, rauschenden Bach.

So ergießt sich das heiße Wasser in Richtung Meer. Im Hintergrund sieht man die Berge der Insel Evia (Euböa)

In ihm sind die Wasser der Thermalquellen zusammengefasst, auch hier etwa einen Kilometer von den Quellen entfernt, ist er noch ziemlich heiß (an der Quelle sind es 42 Grad), wovon man sich überzeugen kann, wenn man seinen Fuß hineinsteckt. Heute, an diesem glühend heißen Sommertag, ist es mehr Abenteuer als eine Erfrischung. Im Winter hingegen dampft der Bach wie ein beheiztes Freibad. Begrenzt wird der Bach von zwei Dämmen, die er sich selbst errichtet hat – so liegt er sogar etwas oberhalb des Geländeniveaus. Das liegt an den Sinterablagerungen, die sich fortgesetzt an Wasserpflanzen, aber auch hineingeratenen Müll abscheiden und so bizarre Versteinerungen erzeugen. Das Wasser hat deshalb aus dem Karstgebirge so viel Kalk gelöst mitführen können, weil es sehr stark kohlensäurehaltig ist, nach dem Austritt aus dem Berg und im weiteren sprudelnden Verlauf perlt sie aus, und der Bach scheidet den Kalk wieder ab. Man kenn diese Erscheinung auch von den Sinterterrassen von Pamukkale oder dem Yellowstone-Park .

Folgt man dem Bach weiter aufwärts, so stößt man auf die ruinösen Bauten von Bädereinrichtungen aus den 1950er Jahren. Durch gemauerte Tröge läuft das Thermalwasser wer will, kann hier ein heißes Bad nehmen. Vor der Umzäunung weht eine griechische Flagge, am Eingang bietet jemand bescheidene Souveniers an.

Ein kleines Stück weiter oberhalb der heißen Badetröge, in denen sich überwiegend arabisch sprechende Kinder vergnügen, führt der Weg weiter entlang des über vierzig Grad heißen Wasserlaufes, der  hier den Anschein eines kühlen Alpenbaches erweckt – so harmlos, wie er hier zwischen dem satten Grün der Bäume und den ihn säumenden Binsenbüschel heranplätschert. Weiterhin liegt der penetrante Geruch von Schwefel, den das schäumende Wasser verströmt, in der Luft. Das verfallende Kurhotel, das wohl in den 1950er Jahren hier errichtet wurde, kündet von dem heute verlorenen Glauben an die Heilkraft dieses Stinkewassers. Etwa hundert Meter weiter oberhalb des alten Hotelkastens quillt das Wasser als Karstquelle unmittelbar aus dem schottrigen Wassertrog empor.

Der Geschmack ist salzig, erinnert etwas an Hühnersuppe und prickelt aufgrund seines Kohlensäuregehaltes leicht auf der Zunge. Neben den mit improvisierten, zerfetzten Planen verdeckten Fensteröffnungen hängen die grauen Kästen der ehemaligen Klimaanlagen  – sie funktionieren wohl seit Jahrzehnten nicht mehr. Heute ist es eine Unterkunft für Geflüchtete, im Hinterhof hat man noch etliche Container aufgestellt, da die Kapazitäten der elenden Hotelruine zur Aufnahme dieser Menschen nicht ausreichen. Angestellte einer privaten Security-Firma patroulieren mit gelangweilter, aber wichtiger Miene zwischen den Behausungen umher. Sie haben als Wachhütte auch einen Container – er ist im Unterschied zu den anderen Wohncontainern selbstverständlich klimatisiert. Hinter einem rostigen Drahtzaun stößt man zwischen unvermittelt auf eine kleine Oase, den die Geflüchteten wohl selbst organisiert haben. In der allenfalls hundert m² umfassenden Ecke bauen sie  Gemüse an, vielleicht, um den Speiseplan wenigstens ein klein wenig um aus der Heimat gewohnte Lebensmittel zu bereichern.