Parga-Metsovo-Kalambaka-Larissa. Der geo-biographische Höhepunkt der Reise.

Larissa, den 27-August 2012.

Am späten Vormittag brechen wir von Parga auf, um die Heimreise Richtung Larissa anzutreten, wo wir abends zu einer kleinen Feier verabredet sind. Der Weg führt uns an Joannina vorbei zunächst hinauf nach Metsovo. Die Stadt liegt mitten im Pindos-Gebirge auf knapp 1200 Höhenmetern.

Parga. Oben, vom Kastell aus, wirkt die von Touristen überquellende Kleinstadt durchaus ansehnlich. Wir verlassen sie jetzt – durch das Gebirge in Richtung Larisssa.

 


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Blick von Dorfplatz Metsovo in die alpine Landschaft. Es ist in Griechenland selten möglich, solche Bilder ohne Telegrafen- und Stromkabel zu fotografieren. Sie gehören einfach ins Landschaftsbild. Kann man natürlich alles mit „Fotoshop“ rausmachen, aber dann haben viele Leute in Metsovo keinen Strom mehr, auch nicht die Kunstgalerie, die das Gebäude auf der linken Seite beherbergt.

Die Stadt, die bis heute überwiegend von der arumänisch („vlachisch“) sprechenden Bevölkerung Griechenlands besiedelt ist, liegt an einem ehemals strategisch bedeutenden Katara-Pass. Bedeutung hat die Stadt heute zum einen wegen der berühmten Käsesorten. Die Stadt ist Sitz mehrerer Molkereien, die ihren Rohstoff vor allem von den Kuhherden beziehen, die in großer Zahl in den umgebenden Wäldern und auf den Hochgebirgswiesen weiden.

Alpenkühe vor Stadtlandschaft: Metsovo.

 

 

Das alpine Landschaftsbild der Umgebung von Metsovo mit dem Kuhglocklengeklimper erinnert eher an die Tiroler Alpen, so dass man sich kaum vorstellen mag, dass in diesem Ort, der im Winter regelmäßig durch gewaltige Schneemassen von der Außenwelt abgeschnitten ist, einen hervorragenden Wein produziert. Evangelos Averoff, einer der Mitglieder einer alten Familiendynastie des Ortes, brachte den Qualitätswein „Katogi Averoff“ hervor, der zu den berühmtesten Weinkellereien Griechenlands gezählt wird. Es ist ein Verschnitt aus dem lokal angebauten Cabernet Sauvignon und der griechischen Rebsorte „Aghioritikos“.

Doch der Weinbau war nur eines seiner vielen Hobbys:  Averoff publizierte wissenschaftliche Arbeiten über die Wirtschaftsgeschichte des Balkans, und engagierte sich zu einer Zeit, da dies ausgesprochen unpopulär war, für das Anligen der vlachisch sprechenden Minderheiten in Griechenland, deren Angehöriger er selber war.  Averoff verfasste Dramen und literarische Prosa. 1974, nach Ende der Diktatur in Griechenland, trat Averoff der konservativen Partei Nea Dimokratoa bei. Er legte eine steile  Karriere hin, war 1974 bis 1981 Verteidigungsminister Griechenlands. 1981 wurde er Vorsitzender seiner Partei, das Amt gab er 1984, mittlerweile 75jährig, aus Altersgründen ab.

Die wohlhabende metsovitische Familie Averoff hat noch andere bekannte Persönlichkeiten hervorgebracht, einer ihrer ersten bekannten Vertreter war der  erfolgreiche Geschäftsmann Georgios Averoff (geb. 1818),  der mit seinem vorwoiegend in Kairo verdientem Reichtum in Athen als Kulturmäzen auftrat und als erste Sponor der Olympischen Spiele der Neuzeit in die Geschichte einging: Die olympischen Spiele Athen 1896 hätten beinahe nicht stattfinden können, weil dem griechischen Staat das Geld für die Fertigstellung des Stadions fehlte. Averoff sprang persönlich mit privatem Geld in die Bresche.

Dass Metsovo heute überwiegend ND wählt, liegt auch daran, dass die Averoffs den Aufstieg des Ortes sowohl politisch als auch finaziell massiv beförderten. Es gibt mehrere Averoff- Museen, Strassen und Plätze. Durchaus sehenswert ist die Averoff- Pinakothek, die eine einzigartige, qualitätvolle Gemäldesammlung des 19. und 20. Jahrhunderts zu ihrem Kernstück hat.  Während viele sowohl staatliche als auch private Kunstmuseen in Griechenland leider selten mehr sind als zweifelhafte Ansammlungen drittklassiger Malerei mit einem unübersehbaren Hang zum Kitsch, bietet die beschauliche Averoff-Sammlung einen durchaus repräsentativen Querschnitt europäischer Kunstgeschichte im Spiegel griechischer Kunstschaffender.

Der sterbende Atheist: Nikolaos Alektoras malte dieses schwülstige Bild im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts. Was mich als gerade mal 50-Jährigen daran so berührt, wissen die Götter.

Leider bedient der aufwändig gepflegte Ort Mezovo sonst wenig Sehenswürdigkeiten. Es gibt kaum ein Bauwerk, das älter ist als vielleicht 20 Jahre, auch wenn man sich bemüht, diese mit viel Blendfassaden aus Bruchstein irgendwie „traditionell“ erscheinen zu lassen.  Die Läden quellen über von mundgebissenem Edelnippes, und die Unarten der „Yes-please“-Gastronomie haben sich auch hier erfolgreich etabliert.

Oberhalb von Metsovo. Im Winter ist hier Ski und Rodeln gut.

Bei der Weiterfahrt über den Pass zeugen Skihütten und hohe Markierungsstangen entlang der Strasse davon, wie hoch hier, mitten in Griechenland, im Winter der Schnee liegen kann. Wie schnell führt die Strasse des 27. August nun wieder talwärts:  Nach den verkrüppelten Fichten und Tannen säumen erst Kiefern, dann Buchen und Eichen den Weg. Die ersten Maronenbäume und Platanen tauchen auf, dann die ersten Feigen. Unten, kurz vor Kalambaka, am Rande der drückend heißen thessalischen Ebene, zeugen Olivenbäume davon, dass die mediterrane Welt wieder in Ordnung ist. Die Spuren des Waldbrandes, wegen dessen wir auf dem Hinweg die große Umleitung fahren mussten, wirken glücklicherweise wenig dramatisch. Es ist verhältnismäßig wenig Fläche zerstört worden. Einige der größeren Bäume haben das Feuer, das vorwiegend im Unterholz wütete, möglicherweise überlebt, andere, deren Rinde zu tief verkohlt wurde, wohl nicht. Sie werden vielleicht eine Wiederauferstehung durch Stockausschläge erfahren.

Wenige Tage nach dem Brand: die Auferstehung der Natur ist dennoch gewiß.

 

Eine Handelsniederlassung vor den Bergen von Kalambaka.

Nach einer weiteren Stunde Fahrt sind wir in Larissa, es weht ein merkwürdiger, heißer Wind, der Himmel ist gelb vor Staub, doch das erlösenden Gewitter kommt nicht. Dafür ist die Feier im Kreise der Freunde von ausgesuchter Heiterkeit, die Krise in kaum einem Wort erwähnt, obwohl jeder sein Kreuz daran zu tragen hat. Hier endet der chronologische Reisebericht – es folgen aber später noch einige Randbemerkungen allgemeiner Art.

 

Mit GPS zu den Rötelbergen von Kokkinopilos. Altsteinzeitliche Flinthaufen in roter Erde. Römische Aquädukte. Erfolgreich geschlossen: das archäologische Museum von Preveza und das antike Nikopolis.

24.08.2012, Preveza.


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Über die Rötelhaufen von Kokkinopilos gibt es wenige im Netz veröffentlichte Literatur, sie verweist darauf, dass dies einer der wenigen Plätze Griechenlands ist, an denen altsteinzeitliche Steinartefakte in Situ gefunden wurden.

„Kokkinospilos“ bedeutet „rote Erde“. In Griechenland existieren mehrere Orte, die diesen Namen tragen. Europaweit noch viel mehr, und als ich als Kind immer wieder einmal mit meinem Vater in die Eifel fuhr, beeindruckte mich jedesmal der Bahnhof „Aachen-Rote Erde“.  Da erzählte er mir der Vater, dass die römischen Damen sich einst mit „Terra rossa“ aufhübschten, um den Männern zu gefallen. Was ich damals nicht verstand.

Kokkinopilos in der griechischen Präfektur Preveza hat keinen Bahnhof. Es gibt dort nicht einmal ein Dorf, das so heißt. Ob der in Kokkinopilos  anstehende Rötel, der schon in der Altsteinzeit ein begehrtes Farbmaterial war, oder die dort anstehenden Flintvorkommen Anziehungspunkt altsteinzeitlicher Menschen gewesen ist, ist auf die Schnelle nicht heraus zu bekommen. Aber vorstellbar. Das wird alles in Halle nachrecherchiert. Ausschlaggebend für die Suche nach den Rötelvorkommen ist mein geradezu neurotisches Interesse an Farben, speziell auch jenem eisenoxidhaltigen Rohstoff, der eine zentrale Rolle in einem in Halle anstehenden Kongress zum Thema „Rot“ spielen soll. (http://www.lda-lsa.de/tagungen/mitteldeutscher_archaeologentag/)

Als Grund für eine Fahrt in die ipirotische Pampa reicht das schon vollkommen aus. Das wird keine wissenschaftlich vorbereitete Expedition, es ist Urlaub. Und vom Paläolithikum habe ich soviel Ahnung wie die Kuh vom Fliegen. Die Bilder von den Rötelhügeln, die mir Minas zeigte, sind einfach genug Grund für die Fahrt ins „Rote“.

Die Suche nach dem Rötelplatz führt zunächst von Parga aus in südliche Richtung, ein ganzes Stück vor Preveza biegen wir ab, die Route geht über Archangelos nach Louros.

„Rot“ ist ein Urmotiv, das in jeder Hinsicht positiv stimulierend auf Säugetiere wirkt und Urkräfte auszulösen vermag. .
(Pferd, Tomaten verzehrend, aufgenommen irgendwo auf dem Weg zwischen Archangelos und Louros )

Nach Fillipiada kommt der Ort Aghios Georghios, der laut Satellitenkarte ziemlich dicht an den gesuchten Rötelhaufen liegt.

Von dort könnte man einen steilen Hang hinaufsteigen, sich durchs Dickicht schlagen, was aber bei der Hitze ziemlich verwegen erscheint. Bei Aghios Georghios stoßen wir aber auf einen römischen Aquädukt, Teil der insgesamt über 70 Kilometer langen römischen Wasserleitung. Die Anlage wurde um 31. v. Ch. auf Anordnung Oktavians, des späteren Kaiser Augustus, errichtet, und diente der Wasserversorgung der über 300.000 Einwohner zählenden Stadt Nikopolis, dem Vorläufer des heutigen Preveza.

Aquaedukt bei Aghios Georghios.

Nochmal der selbe Aquädukt. Eigentlich sind des zwei, die sich hier im Tal versammeln.

Der See von Sirou – den Rötelbergen sind wir schon nahe, auch wenn das blaue Wasser nicht darauf hinweist.

Der  nächste Versuch, die Rötelberge zu erreichen, führt zurück Richtung Fillipiada, bis zu einer Abzweigung, die zu dem See von Siros (Limni Sirou) führt. Von dort tasten wir uns über Feldwege um den See herum in nördliche Richtung hoch. Wie eine Fata Morgana tauchen plötzlich die Rötelhänge auf, doch die vermeintlichen Feldwege, die zum Ziele führen könnten, versickern entweder im Nichts oder enden jäh vor einem Viehgitter.

Ein Treckerfahrer, der einzige in der Einöde sichtbare Mensch, beschreibt uns ungefähr den weiteren Weg über die Schotterpiste, an einem Bachlauf schlagen wir uns durchs Gebüsch, verfolgt von kläffenden Hütehunden, und sind am Ziel. Mittlerweile haben die Temperaturen 36 Grad im Schatten erreicht, aber Schatten gibt es auf den rot glühenden Hügeln kaum.

 

Die Rötelerde ist feinkrümelig, läßt sich bequem mit den Fingern verreiben, das Wühlen in dem gewaltigen Farbtopf macht Spaß, und entsprechend sieht man nach kurzer Zeit aus. (Die Hotelwirtin beklagte sich am anderen Morgen über rote Spuren im Zimmer und auf der Bettdecke – das Zeug färbt einfach hartnäckig, und ist kaum von der Haut abzubekommen).

Die Rötelhaufen sind ein interessantes Produkt der Verwitterung von hämatit- und kalkhaltigem Ausgangsgestein. Es sind „Paläoböden“, gewissermaßen eine Art fossilierter Boden, der allerdings jetzt seiner konservierenden Deckschichten verlustig wurde undf kräftig wegerodiert. Gelegentlich findet man auch noch gut erhaltene, dunkelschwarze Hämatit- und Limonitknollen (Bohnerze) herumliegen. Im Laufe der Zeit ist der Kalk aus dem Oberboden gelöst worden, der fein verteilte rote Hämatit sowie Tonminerale haben sich dabei an der Oberfläche aufkonzentriert. Wohl während der Genese der Böden , die vor ca. 100000 Jahren stattfand, gelangten altsteinzeitlicher Flintartefakte wie etwa Faustkeile,. in den Boden, und treten nun, in Folge einer mittlerweile sehr starken Erosion,  immer wieder zutage.

Kokkinopilos: wo Bäume auf Stelzen wachsen.

Von der gewaltigen Erosionsgeschwindigkeit zeugen einige verkrüppelte Bäumchen, deren Wurzeln im Laufe der Erosion immer mehr freigelegt wurden, und die zum Teil mit ihren Wurzeln wie auf Stelzen über dem Boden zu schweben scheinen. Schätzt man das Alter der Bäume auf maximal 30-50 Jahre, so kann man sich vorstellen, dass alle hundert Jahre die Hügel um ein bis zwei Meter niedriger werden. Bei diesen Erosionsgeschwindigkeiten mag man sich kaum vorstellen, hier altsteinzeitliche Feuersteingeräte anzutreffen, da sie,Hügel, setzt man mal eine nur 5-7000 Jahre andaurnde Erosionszeit voraus, die Hügel um 100 bis -200 Meter niedriger geworden, bzw. eigentlich verschwunden sein müßten.  Doch geologische Prozesse sind halt kompliziert. Feuersteinartefakte sind hier tatsächlich sowohl ergraben, als auch in großer Zahl freigeschwemmt worden. Das wird in Halle zu recherchieren sein.

Ein Roboter der Internationalen Gimritzer Griechenlandmission hat diesen Stein bewegt. Im Kontrollzentrum des Hallespektrums brach daraufhin Jubel ob der gelungenen Operation aus.

Sieht man von den spärlichen Bäumchen ab, sieht es hier oben aus, wie auf den ersten Bildern, die der Marsroboter Curiosity gefunkt hat. Davon, dass es auf diesem lebensfeindlichen Fleck einmal Wasser gegeben haben muss, zeugen nur die tiefen Erosionsrinnen, in denen lauter weißliche Flintsteinchen liegen.

Die kleinen Bäumchen sind übrigens Kermeseichen. Sie sind im mediterranen Raum weit verbreitet. Auch sie haben mit der Farbe „rot“ zu tun. Auf ihnen lebt eine mittlerweile selten gewordene Schildlausart, die Kermeslaus. Aus den Weibchen dieser Art gewann man in der Antike bis ins Mittelalter hinein einen wertvollen Farbstoff, „Kermes“ oder „Karmin“ genannt, mit dem man Wolle und Seide besonders intensiv rot färben konnte. Der Farbstoff war derart teuer, dass er nur hohen kirchlichen Würdenträgern und dem Kaiserhause vorbehalten war. Die kleine Laus steckt noch heute in dem neugriechischen Wort „kokkinos“, was schlichtweg „rot“ bedeutet, und sich von „Kokkos“, Korn, ableitet. So nannte man in der Antike die kleinen warzenartigen Läuse, die an den Blättern hafteten.

Kurz vor Preveza erreicht man die Ruinen des antiken Nikopolis. Die Reste der antiken Großstadt liegen an der langsam verlandenden Bucht von Amvraka, einem riesigen Flußdelta, das als einzigartiges Feuchtbiotop gilt und weitgehend unter Naturschutz steht.

Die Stadtmauer von Nikopolis

Nikopolis, „Siegesstadt“ wurde von Oktavian nach seinem Sieg in der legendären Seeschlacht bei Actium, bei der Oktavian sich endgültig seine Vormachtstellung im Römischen reich sicherte. (Actium liegt gegenüber von Preveza, bekannt heute durch einen stolzen Untermeerestunnel, bis auf einen hässlichen Militärflughafen gibt es dort nichts zu sehen.)

Erhalten ist neben umfangreichen römischen Resten wie Thermenanlagen vor allem eine gewaltige Stadtmauer, die jedoch aus späterer, byzantinischer Zeit stammt. Hinein können wir nicht – „ekteloundai erga“ , es finden „Bauarbeiten“ statt, steht auf dem Schild am Eingang des archäologischen Parks. In der Tat sind Bauarbeiter und Steinmetze beschäftigt, eines der byzantinischen Stadttore zu restaurieren. Leider ist auch das archäologische Museum geschlossen. Die Öffnungszeiten entsprechen den Bürozeiten im öffentlichen Dienst:

Montags-Freitags 9.00 – 17.00 h, Samstags, Sonntags, Feiertags: Geschlossen.

Erhaben weht die griechische Fahne über dem geschlossenen archäologischen Museum.

Um 1032 zerstörten die Bulgaren Nikopolis, und in unmittelbarer Nähe entstand Preveza als neue Stadt. Weder Größe und Bedeutung von Nikopolis wurden je wieder erreicht, Preveza hat heute ungefähr 16.000 Einwohner.

Großartige Sehenswürdigkeiten hat Preveza nicht, aber die hat die Touristenhochburg Parga erst recht nicht. Es gibt eine Strandpromenade mit auf  Neoklassizismus hochgetrimmten Neubauten der 1990er Jahre, einen venezianischen Glockenturm, ein paar originale Bauten des 19. Jahrhunderts. Alles wirkt etwas verschlafen, aber durchaus freundlich.

Reste einer der frühchristlichen Kirchen von Nikopolis.

 

Einmal Charon spielen: Paddeln auf dem Acheron, zwischen Feigen, Sumpfschildkröten und Nachtigallennestern.

24.08.2012, Ammoudia.

Minas Paschos hat Sportwissenschaft studiert.  Nach einer Zeit schlecht bezahlter Anstellung als Aushilfslehrer an einer Schule wurde er nicht in das Beamtenverhältnis übernommen. Schlecht bezahlt zu werden für eine nicht selbstbestimmte Tätigkeit – das war nicht sein Ding. Er kündigte und machte sich selbstständig. Im Winter betreibt er eine Skischule, und den ganzen Sommer sitzt er am Ufer des Acheron, vier Kilometer oberhalb der Flussmündung des Acheron bei Amoudia. Handgemalte Holztafeln mit „AcheronKayak“ hat er dezent in der Umgebung aufgehängt. Unter Bäumen am Ufer sitzt er, zusammen mit Thansassis, einem 16 Jahre altem Schüler aus Amoudia, und wartet auf Kunden. Es sind in erster Linie Individualreisende, vor allem solche aus Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien, die sich auf sein Angebot einlassen. Minas hat sein Radio auf einen Kultursender eingestellt, und während er einer Theaterkritik lauscht, angelt Thanasssis in in türkisblauen Fluß. 15,- Euro pro Person soll die Kanufahrt kosten, inklusive Einweisung. Es gibt verschiedene Angebote, wir entscheiden uns zunächst dafür, eine ungeführte Fahrt zu unternehmen, also ohne Begleitung.

Da wir die Fahrt zweimal gemacht haben, mischen sich jetzt die Erzählungen zweier Touren.

Größere Kartenansicht. Den Fluß Acheron kann man gut erkennen, der Startpunkt der Tour ist etwas unterhalb des Ortes Mesopotamos.

Die erste Variante besteht darin, den etwa vier Kilometer langen Fluß hinunter zu paddeln, dann nimmt Minas seine Kunden unten am Strand von Amoudia wieder auf, und fährt sie zurück. Eine weitere Variante besteht darin, dass man – in Begleitung von Minas oder Thanassis, der dann im eigenen Boot vorausfährt, über die Mündung des Acheron sich noch hinaus aufs offene Meer begibt – hin zu gewaltigen Felshöhlen am Ende der Bucht von Amoudia.

Minas wäre nicht Sportlehrer, würde er nicht jedem seiner Kunden vor der Fahrt eingehende Trockenübungen angedeihen lassen. Wir setzen uns dazu in eines der offenen Kunststoffkayaks, und müssen die Paddel in den Sand stechen – Wende rechts, links, vorwärts, Rückwärts. Wie genau das Paddel zu halten ist: Die Armbeuge hat einen  rechten Winkel zu beschreiben, wie einzutauchen ist usw. Es erfolgt noch eine Beschreibung, welche besonderen Sehenswürdigkeiten auf dem Wasser und Ufer zu beachten sind: Lagerplätze von Sumpfschildkröten, Nachtigallennester in den Bäumen, Libellen, Kröten und vieles mehr.

Die Fahrt selbst ist mit Worten nicht einfach zu beschreiben. Daher die folgenden Bilder.

Der Startpunkt der Tour und „Firmensitz“ von „AcheronKajak“:Infos und Kontakt:http://www.acheronkayak.gr/
(Die Seite ist zur Zeit leider nur auf Griechisch, vieles erschließt sich aber auch ohne Sprachkenntnisse. )
Mobilnummer: 0030-6977 700 122
Preise (Pro Person): Kinder unter 7 Jahren: Kostenlos
Kinder 7-12 Jahre: 7 Euro
Erwachsene: 15 Euro.
Enthalten im Preis:
Unterricht in Grundlagen des Kayakfahrens (Trockenübungen)
Begleitung (auf Wunsch)
Versicherung
Rücktransport zum  Startpunkt
Abfahrtzeiten: 10-12-14-16-18.00h 

 

 

Sogar Bambus hat sich an die Ufer des Acheron verirrt.

Türkisfarbenes Wasser, überhängende Bäume. Das ist nicht der Amazonas, sondern der Unterweltfluß Acheron.

Das ist kein Fotoshop-Trick. Der Regen stammt aus einer Bewässerungskanone von einem Maisfeld am Ufer. Und wenn dann die Sonne günstig steht….

Ein Flußfischer auf dem Weg zur Kontrolle seiner Netze.

Des Charon Lieblingsspeise: Feigen

Die Angler am Ufer verwickeln uns in ein Gespräch. Der eine bat darum, dieses Bild nicht in die deutsche Öffentlichkeit zu bringen, sonst würde der Eindruck enstehen, den Griechen ginge es noch zu gut, und würden den ganzen Tag faulenzen. „Nein“, wandte sein Kollege ein, „die Deutschen sollen wissen, dass wir nichts zu essen haben, und nun Fische fangen müssen, um nicht zu verhungern“.

In der Nähe von Amoudia liegen bereits größere Fischerboote am Ufer des Acheron.

Am Ufer des Acheron bei Amoudia

Aufs offene Meer hinaus…

Thanassis wird uns noch voraus fahren, um uns die Höhlen in den Klippen zu zeigen. Der Seegang ist dort aber zu stark, die Kamera bleibt deshalb aus. Im Hintergrund der Strand vom Amoudia.

Nach unserer Ankunft an der Acheron-Mündung in Amoudia warten  Minas und Thanassis schon auf uns. Sie überreden uns noch zu einer Anschlußtour, über das offene Meer, wo es gilt, eine andere Fahrtechnik zu entwickeln als auf dem träge dahin fließendem, glatten Fluß. Die Kamera habe ich gegen das die Gischt in einem Seesack verstaut, deswegen gibt es leider von diesem Fahrtabschnitt keine Bilder. Mit gezielten Stößen paddeln wir den Kunststoffkayak gegen die Wellen, sehr hoch sind sie nicht, aber es fühlt sich an, wie auf einer Achterbahn. Die Höhlen liegen im goldenen Licht der sich senkenden Sonne, hineinfahren tun wir allerdings nicht, die Brandung ist zu stark. In den Höhlen leben Fledermäuse und Tauben: Felsentauben, die Urform unser Stadt- und Haustauben.

Nach dem Aufladen der Bote am Strand unterhalten wir uns lange mit Minas. Minas beklagt, dass die meisten Touristen, die hier in der Gegend eintreffen, dem strengen Programm der Reiseveranstalter unterliegen. So würden viele Reiseveranstalter nicht einmal die Informationen über alternative Angebote, wie die von Minas, an ihre Kunden weitergeben. Aus Sicht der Reiseveranstalter sicher verständlich: denn wenn die Urlauber den ganzen Tag auf dem Wasser im Kayak verbringen, generieren sie keinen Umsatz.

Minas empfiehlt uns noch Reiseziele in der Umgebung, ist sichtlich bewandert in Vorgeschichte, Kultur, Geologie, Ökologie. Eine seiner Empfehlungen elektrisieren mich: Kokkinopilos, was soviel bedeutet wie „Roter Ocker“. Hier soll es eine interessante geologische Formation geben, wo Rötel in Form gewaltiger, spärlich bewachsener  Hügel an die Oberfläche tritt. Die eindrucksvollen tiefroten Erdhügel sehen wir uns per Google-Earth auf dem Handy an – deutlich erscheinen sie auf den Satellitenbildern als rote Flecken in der sonst graugrünen, vollkommen einsamen Gegend. Über die Koordinaten und dem GPS müssten diese Erdhaufen in der einsamen Gegend eigentlich zu finden sein, dachten wir. Minas warnte uns allerdings schon, dass dort nichts ausgeschildert ist, und selbst Einheimische diesen Platz kaum kennen.

 

 

 

Das Nekromandion – das Orakel am Fluß der Toten. Zyklopenmauerwerk und unterirdischer Budenzauber.

Amoudia, 24.08.2012

Von Parga ist es nicht weit bis nach Amoudia, einem verhältnismäßig kleinen Badeort im Mündungsdelta des Acheron. Das Dörfchen selbst, mit seinen verstreuten, allesamt neuen Häusern ist nicht der Rede wert, wohl aber seine Lage. Der Acheron, ein kleiner Gebirgsfluß, dessen überwiegende Wassermasse nur wenige Kilometer oberhalb im Gebirge aus Karstquellen entspringt, hat hier an seiner Mündung ein gewaltiges, sumpfiges Flußdelta geschaffen. Die Bewohner von Amoudia wollten vor wenigen Jahrzehnten auch etwas vom Tourismus profitieren, und versuchten, den wild in seinem Delta umhermäandrierenden Fluß zu kanalisieren, auch legte man eine Strandpromenade an. Der Acheron hat sich an dieser Zwangsmaßnahme gerächt, und überschwemmte den Ort kräftig, als er mal wieder, von starken Regenfällen in seinem Quellgebiet bekräftigt, über die Ufer trat.

Das Sumpfgebiet von Amoudia, dem Flußdelta des Acheron. Auch die Kirche im Hintgergrund mußte erneuert werden, als der Fluß versuchte, sich sein Delta zurück zu erobern.

 

Nur wenige Kilometer oberhalb von Amoudia befand sich in der Antike noch ein flacher, sumpfiger See, der im 19.Jahrhundert teils verlandete, teils aktiv trockengelegt wurde. Am Ufer des Acheroussa-Sees lag in der Antike das „Nekromanteion“, das Totenorakel, in Nähe der antiken Stadt Ephyra.  Die Stadt mykenischer Gründung gibt es nicht mehr, doch 1958 wurden unterhalb der aus dem 18. Jahrhundert stammenden Kirche Johannes des Täufers sehr imposante Mauerreste aus hellenistischer Zeit gefunden, die der Ausgräber als das „Nekromanteion von Ephyra“ zu identifizieren glaubte. Als solches ist das archäologische Denkmal auch mit braunen Schildern von weithin ausgezeichnet.

Für den kleinen Ort Mesopotamos, in dessen Nähe es sonst keine besonderen Attraktionen gibt, ist so eine antike Orakelstätte, leidlich gepflegt und mit Kassenhäuschen versehen, ein Glücksfall. Auch Archäologen neigen gelegentlich zu orakeln, und so neigt die Fachwelt dazu, die Anlage mit ihrem Zyklopenmauerwerk und dem mit runden Gurtbögen überwölbten Kellerraum zwar in das 3-4 Jahrhundert vor Christus zu datieren, aber doch eher als profane Reste eines adligen Landgutes anzusehen. Ob nun in dem beeindruckenden unterirdischen Raum Priester zahlungswilligen Besuchern die Stimmen der Toten vorgeorakelt haben, oder ein antiker Gutsbesitzer seinen „Chateau de Ephyra “ in Amphoren gelagert hat, sei dahingestellt.

Hellenistischer Weinkeller oder Totenorakel?

Beeindruckend ist die Anlage auf der kleinen Anhöhe auf jeden Fall. Schon das sehr sorgfältig ausgeführte „Zyklopenmauerwerk“ müsste eigentlich jeden faszinieren, der einmal versucht hat, aus groben Bruchsteinen eine Mauer zu errichten. Frontal sind die Steine glatt behauen, die scheinbar regellosen Kanten fügen sich exakt zu einem polygonalen Netzwerk aneinander. Im rückwärtigen Teil sind die Steine aber so roh belassen, wie sie aus dem Bruch stammen. Die Mauern sind zweischalig, das heißt, zwischen die beiden Schauseiten wurde der Zwischenraum mit lockeren Steine, teils mit Mörtel vermischt, geschichtet.

Über dem Zyklopenmauerwerk des 3.-4. Jhdt v. Ch. erhebt sich die Johannes-Täufer-Kirche des 18.Jhdt.

Wie haben die Steinmetze das hinbekommen, die Kanten der Steine so zuzurichten, dass nur eine ganz schmale Fugenritze entstand? Können heutige Steinmetze das noch? Ich habe einmal in Halle gesehen, wie eine aus verhältnismäßig kleine Steinen bestehende Stützmauer am „Volkspark“, ausgeführt in „Zyklopenverband“, abgetragen wurde, um sie anschließend neu zu errichten. Da hat man dann jeden einzelnen Stein lieber nummeriert, um das Mauerwerk wieder so hin zu bekommen. Warum machen sich Menschen so eine Mühe, statt die Steine einfach rechtwinklig zu sägen, und wie normale Quadersteine zu versetzen? Einen Stabilitätsvorteil bringt das „Zyklopenmauerwerk“ übrigens nicht. Aber es schindet mächtig Eindruck.

Auch wenn unser archäologischen Denkaml nicht das gesuchte Totenorakel ist, so ist ein solches bei Ephyra bezeugt. Den Fluß Acheron hielt man in der Antike für einen der Flüsse, die den Hades, die Unterwelt, durchzogen. Die plötzlich aus dem Karstgestein entspringenden Quellen mögen den Gedanken nahegelegt haben, dass dieser Fluß bereits eine längere Reise durch die Unterwelt gemacht haben muß. Als „Quellen“ des Archeron wird heute ein Tal bei der Ortschaft Pigi bezeichnet, es sind nicht seine wirklichen Quellen, aber hier wächst der Fluß mitten im Wald in seinem Schotterbett plötzlich mächtig an. Taverne reiht sich an Taverne, Angebote wie „Riverrafting“ und Ponyreiten durch den Fluß gibt es, für griechische Familien wird Natur auf diese Weise damit durchaus akzeptabel und attraktiv.

In den „Quellen“ des Acheron…

 

Wer in der antiken Vorstellungswelt eines Tages die unvermeidliche Reise in den Tod antreten musste, gelangte dann an die Ufer des Unterweltflusses, und musste nun auch noch an Charon, den Fährmann, für die wahrscheinlich unfreiwillige Reise auch noch Geld abdrücken, den sprichwörtlichen „Obolus“. In der antiken Mythologie sind leider kaum Einzelheiten über die Beförderungsbedingungen und das Tarifsystem überliefert, auch nicht, wie mit Schwarzfahrern umgegangen wurde, und ob die Mitnahme von Fahrrädern im Preis inbegriffen war.

Unseren Charon treffen wir am Ufer des Acheros, er heißt Minas und bietet Kayakfahrten auf dem Acheron an. In Reiseführern ist davon selten die Rede, deshalb werden wir die Fahrt auf dem Unterweltfluß im folgenden Beitrag ausführlich zur Nachahmung empfehlen…

 

Von Larissa nach Parga durch die Berge an die Westküste.

23.08.2012, Anthoussa bei Parga.

Die Fahrt von Larissa durch die thessalische Tiefebene in westlicher Richtiung hatte ich letztes Jahr beschrieben, deshalb erfolgen dazu bis Trikala keine Bemerkungen, bis auf die Tatsache, dass sich kleine, auffällige, aber möglicherweise zukunftsweisende Änderungen im Landschaftsbild bis Trikala ergeben haben. Es entstehen Fotovoltaikanlagen.

Fotovoltaikanlagen unweit von Trikala. Hydraulikarme bringen die Module exakt in die ideale Position zur Sonne.

Sie sind nicht groß, und aufgrund ihrer Bauart nicht in der Lage, so aufzufallen, wie die ersten Windkraftanlagen in Mitteldeutschland, an deren Anblick wir uns beim ersten Auftreten erregt, und heute doch so gewöhnt haben.  Letztes Jahr war kein einziges Solarstromanlage hier zu sehen, jetzt sind es einige wenige, die auf den brachliegenden Feldern, am Westrand der thessalischen Ebene bei Trikala, enstanden sind. Es sind relativ kleine Module, jedes vielleicht 40-50 Quadratmeter groß, die sich, auf jeweils kleinen Betonsockeln montiert, in Gruppen zu vielleicht 10-20 Stück, auf einem “Strema“, der griechische Maßeinheit für 1000 Quadratmeter Landbesitz, von einem Drahtzaun umgeben, mit einem kleinen Häuschen, in dem sich der Wechselrichter befindet, versammelt haben. Jede einzelne dieser Panele hat einen hydraulischen Antrieb, mit dem sie auf den optimalen Sonnenstand ausgerichtet werden, was sie von ihren lahmen, fest montierten  Geschwistern, die man gelegentlich auf hiesigen und deutschen Einfamilienhausdächern findet, unterscheidet. Die griechische Stromgesellschaft ist, ähnlich wie in Deutschland, verpflichtet, den erzeugten Solarstrom zu einem Vorzugspreis einzuspeisen, aber, wie ich glaubhaft von betroffenen Freunden höre, zahlt sie oft nicht, einfach so, trotz empfangener Leistung. Das dürften Anfangsschwierigkeiten sein, denn das Potential, das in den eher suboptimal mit zu wenig Wasser versorgten, und daher agrarisch wenig geeigneten Flächen an der Peripherie der Kornkammern steckt, ist einfach enorm.

Unser Ziel ist Parga an der Westküste, hinter den Bergen des Ipiros. Wir passieren Kalambaka, den Ort, wo rechterhand die merkwürdigen Felsformationen aus Konkglomeratgestein beginnen, auf denen sich die berühmten und in jedem Griechenlandführer unausweichlichen Meteoraklöster befinden. Die lassen wir rechts liegen.

Die Konglomeratfelsen über Kalambaka.

Wie Schlickerhäuschen sehen die Felsformationen aus Konglomeratgestein aus, wie in Beton nachgeformter Schweizer Käse. Von Klambaka aus wollen wir durch die Berge des Ipiros über Metsovo und Joannina weiter, doch die Strasse ist an einer Kreuzung und einer Flußbrücke, an der Honig unter schattigen Platanenbäumen verkauft wird, gesperrt. Der direkte Weg nach Joannina und Parga wird von den Polizeikräften mit einem heftigen Wink mit einer roten Fahne Richtung Grevena umgeleitet. Das bedeutet an die hundert Kilometer Umweg. Der Grund für den Umweg, ein Waldbrand in den Bergen, der seit drei Tagen nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte, taucht in der Ferne auf. Friedlich liegt der hohe Berg da, graubraune, bald gelbliche, zarte Wölkchen steigen daraus auf, vereinigen sich mit den Kumuli, während dort, wo wir fahren, feuchte, schattige Wälder und  abgeerntete Weizenfelder eine arkadische Landschaft enstehen lassen. Maler des 18.Jahrhunderts hätten sicher auch so etwas gemalt, vielleicht auch eine bukolische Szene in den Vordergrund gesetzt, und sicher auch nicht die kleine Vögel am kobaltblauen Himmel vergessen, die erst beim näheren Hinsehen einer ernsten Aufgabe nachgehen, nämlich Wasser vom über hundert Kilometer entfernten Meer aufzugreifen, um es über die dampfenden Berge zu gießen.

Griechische Sommerlandschaft mit brennendem Berg.

So fahren wir weiter, auf der schlecht ausgebauten Straße durch Krüppeleichenwälder, auf der Suche nach einer Abkürzung, um nicht in das „VlachikodreckskaffGrevena“ (So meine Frau) fahren zu müssen, weiter. Die Landschaft entschädigt den weiten Umweg.

Bei Pygi führt die Strasse über einen Zufluß des Aliakmonas.

Kurz vor Grevena erreichen wir die „Via Egnatia“.  Die alte Römerstraße, die einst Konstantinopel über Igumenitsa und Brindisi  mit Westrom verband, verläuft nicht mehr entlang der alten Römerpfade, sondern wurde jüngst mit gewaltigen EU-Mitteln als Autobahn durch die alpine Landschaft des Ipiros neu gefräßt. Tunnel folgt auf Tunnel, Licht an, Licht aus, befehlen die blinkenden Leuchttafeln.

In den von kräftigen Turbinen und gelben Natriumdampflampen beleuchteten Betonröhren gibt es reichlich Fluchttüren, und alle 50 Meter eine Feuerlöschanlage. Bremspuren, zerbeulte Reste einer Feuerlöscheinrichtung samt Resten der entstandenen Pulverwolke zeigen, dass ein LKWfahrer jüngst das Ziel mittig getroffen haben muss.

Irgendwo vor Igoumenitza auf der Via Egnatia.

 

Kurz vor Igoumenitza verlassen wir die „Egnatia“ Richtung Parga. Nach einem merkwürdigem Ausblick den Sumpf von Kalodikio, erscheint die Adria, erreichen wir Parga, das wir aber gleich Richtung Anthoussa, einem kleinen Ort oberhalb der Stadt, wieder verlassen. Der Hotelwirt, der das Appartementhaus „Villa Thomas“ (sehr empfehlenswert, übrigens), betreibt, hat uns schon mehrfach – unterbrochen durch die Tunnelfahrten – angerufen, um zu erfahren, wo wir denn bleiben.

Der Sumpf von Kalodikio.

Die Aussicht aus der günstigen, geräumigen, aber schlichten Appartementwohnung auf Parga ist einfach „nett“, doch Parga selbst ist eine Touristenhölle sonder gleichen („Yes Please“ ), und hier oben, in Anthousa, erwartet uns eine Überraschung: Wie nahe doch Griechenland und Halle doch sind.

Um Personen, die Opfer grausamer historische Ereignisse wurden, nicht in unangemessener Weise zu nahe zu treten, will ich darüber so berichten, wie über den brennenden Berg aus Entfernung. In dem kleinen Kafenion in Anthoussa sprechen viele Menschen Deutsch, wechseln, so wie die junge Familie, die zunächst uns gegenüber saß, zwischen Deutsch und Griechisch hin und her. Es gesellte sich ein älteres Ehepaar hinzu, ebenfall beider Sprachen mächtig. Woher wir kämen, also aus Halle, war rasch erklärt, und Halle als auch Leipzig und Jena waren dem deutlich alten Herren sehr wohl bekannt. Seit 1949 (!) lebte er in Leipzig, in Jena auch, als Werkzeugmacher, bis er die DDR in den 70ern Richtung Westen verließ. Ich kannte einen weiteren Griechen, der auch um die selbe Zeit in Halle angekommen war, ein begnadeter Künstler, Fotis Zaprasis, den ich selber als lieben Bekannten kennen lernen durfte. Er  verstarb vor einigen Jahren in Halle. Es ergab sich im weiteren Gespräch, dass beide sich kannten, und die Frau des alten Herren die Neffin meines leider zu früh verstorbenen hallischen Freundes war.

Die Welt ist klein, und die Verbindungen, deren wir auch als Individuen untereinander unterfliegen, sind zuweilen undenkbar groß.

Panorama über Parga in der Dämmerung.

 

Parga selbst ist ansonsten ein saublöde Touristadt, bitte meiden, besonders abends. Empfehlung: Anthousa, oberhalb, der Ausblick auf das Geglitzer von Parga aus angemessener Entfernung und auf das Meer reicht vollkommen. Hier oben kann man das Zirpen der Grillen in den Olivenhainen hören, gelegentlich knattert ein Moped durch den Ort, mehr nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gemüse aus der Gischt der Meeresbrandung mit einem Hauch von Petroleum.

21.08.2012, Aghiocampos

Eines der wenigen größeren Fischerboote, die den Hafen von Aghiocampus nutzen.

Der Hund lebt gesund: er frißt die Reste einer „Kakavia“, einer Fischsuppe, die die Fischer morgens aus kleinen Fischen und Meeresfrüchten zubereiten.

Am südlichen Ende des Ortes Aghiocampos befindet sich eine Hafenanlage für Sport- und kleinere Fischerboote. Er wurde mit EU-Mitteln in den letzten Jahren nicht unbeträchtlich ausgebaut und erweitert, die Kapazitäten wirken für die wenigen Boote, die hier liegen, ziemlich überdimensioniert.

Die Felsen hinter dem Hafen.

In weiter südlicher Richtung reichen die Berge von Mavrovouni bis ans Wassser heran, zwischen den schroffen Felsbrocken kann man am Wasser entlang herumklettern. Dort, wo bei starker Brandung das Salzwasser bis auf die Felsen spritzt, und in der Sonne in den kleine Näpfchen Salzkrusten zurück läßt, wächst eine eigenartige Pflanze. Sie nennt sich „Kritamo“, zu deutsch „Meerfenchel“, botanisch crithmum maritinum.

Kritamo, Meerfenchel (crithmum maritimum)

Schon im Altertum waren die sukkulenten, dickfleischigen Blätter als Gemüse begehrt. Die ganze Pflanze riecht eigenartig würzig, die Blätter haben einen intensiven Geschmack, der sich irgendwie mit anisartig und einem Hauch von Petroleum beschreiben läßt. Im Mittelalter nahmen Seefahrer die in Salz oder Wein eingelegten Blätter als Vitaminvorrat mit auf Reisen, und heute noch werden Kritama als würzende Zutat Salaten beigegeben. Oder als würziges Gemüse, als Beilage oder Meses, verzehrt. Einen dicken Büschel der Pflanze einzusammeln, ist nicht immer einfach, man muss schon an entlegenen Stellen herumklettern, denn die Pflanze ist begehrt, und viele Restaurantbesitzer lassen das Kraut einsammeln.

Meerfenchel an seinem typischen Standort.

Wirklich gefährdet scheint die Art jedoch nicht zu sein, die Pflanze ist im gesamten Mittelmeergebiet und auch an der Atlantikküste bis hin zur Normandie verbreitet. Die zahllosen Samen des Doldenblüters verbreiten sich schwimmend auf dem Wasser, und wo sie von der Brandung wieder an Land geworfen werden, keimen sie wieder aus.
Auch roh kann man die Blättchen verzehren: dann schmecken sie sehr salzig. Zur Zubereitung verwenden wir die abgetrennten, jungen Triebe mit den Blättchen, es empfiehlt sich, mindestens zwei mal das Wasser beim Abkochen zu wechseln, weil das Aroma sonst zu  intensiv und die „Petroleumnote“ zu stark wird. Beim Kochen gibt die Pflanze einen Teil des ätherischen Öles ab, das dann wie „Fettaugen“ auf dem Wasser schwimmt. Nach insgesamt etwa einer halben Stunde Garzeit wird das Wasser abgegossen, etwas Essig oder Zitrone darüber gegeben, etwas nachgesalzen, mit etwas Knoblauch gewürzt und reichlich Olivenöl übergossen. Die "Fettaugen" auf dem Kochwasser sind kein Petroleum, sondern ätherische Öle.Man serviert kalt. Im Prinzip ist die Zubereitung nicht anders, als eine einer Vielzahl von Gemüsen, die ähnlich blanchiert als Meses oder „Salat“ gegessen werden. Der Biß ist angenehm, und von dem „Petroleumaroma“ darf man sich nicht abschrecken lassen. Es stammt garantiert nicht vom Altöl irgendwelcher Tankschiffe, sondern von den reichhaltigen ätherischen Ölen, die die dickfleischige, saftige Pflanze als Abwehr von Fraßfeinden im Laufe der Evolution entwickelt hat. Gegen zweibeinige Schädlinge schützen sie aber offenbar weniger.

 

 

Bauen gegen die Hitze.

Aghia, 20.08.2012.

Enricos Seppelts Einwurf aus dem ausnahmsweise extrem heißen Halle, was man denn in Griechenland gegen die Hitze tue, veranlasste mich, auf seine Frage unter besonderer Berücksichtigung der Bauweise der alten und neuen Griechen einzugehen. Vieles ist ja bekannt, und bedarf keiner besonderen Erörterung: Dass selbstverständlich in den heißesten Mittags- bis Nachmittagsstunden Ruhe gehalten wird, und sowohl das Leben als auch die Arbeit(!) erst am späten Nachmittag weitergeht, dafür sich aber bis in die frühe Nacht erstreckt. In weiten Teilen des Geschäftslebens ist immer noch üblich, dass die Arbeit mittags pausiert, um danach in den Büros und kleinen Läden bis 21-22 h weiter zu gehen. Wenn sich die Leute hier Abends zu einem Essen verabreden, dann trifft man sich selten vor 22 oder 23 Uhr. Im Übrigen tut man hier das, was auch Ärzte in den seltenen heißen Monaten empfehlen: viel trinken (in Griechenland ist Wasser das Hauptgetränk Nr. 1). Die Speisen sind leicht, die dem Deutschen so liebe Hauptmahlzeit, das „Mittagessen“, existiert hier praktisch nicht. Zugeschlagen wird abends, und dass die Speisen selten so heiß gegessen werden, wie gekocht, ist eine Selbstverständlichkeit. Der Lebensmittelkonzern Nestle, der in Griechenland – wie nahezu überall auf der Welt – es verstanden hat, seine Fertigprodukte zu unentbehrlichem Kulturgut zu erklären, verdient mit kaltem Kaffee Unsummen: Frappe heißt das Produkt, durch Schütteln aufgeschäumter und mit Eiswürfeln servierter Instantkaffe. Den ursprünglichen, in kleinen Puppentäßchen servierten türkischen oder griechischen Mocca hat dieses Zeug längst verdrängt.

Aber ich wollte eigentlich vom Bauwesen berichten, auf Enricos Einwurf antworten, man streiche einfach nur die Häuser weiß. So einfach ist das nicht. Man hat ja immer diese Postkartenbildchen vor Augen, die weißen Häuschen mit den weiß gestrichenen Flachdächern, aus denen sich als einzige farbliche Akzente blaue Kirchenkuppeln und blaue Fensterrahmen hervorheben. Mykonos oder die südlichen Kykladeninseln sind dafür bestbekannte Beispiele. Dort gibt es so etwas, aber diese Architektur ist in Griechenland nicht die Regel, und erstreckt sich eigentlich nur auf wenige Kykladeninseln. Man ja sofort eine rationale Erklärung parat, dass diese Bauweise damit zu tun habe, dass weiße Dächer und Wände über ein besonders hohes „Albedo“ verfügen, und so die Sonnestrahlung besonders gut zurück werfen. Bewegt man sich jedoch auf dem Festlandgriechenland, besonders in die tatsächlich viel mehr hitzegeplagte Orte wie Athen oder Larissa, passt dieses Bild einfach nicht. Google-Earth verrät, dass die Farbe der Dächer griechischer Großstädte sich von mitteleuropäischen Dachlandschaften kaum unterscheidet. Haben die modernen Griechen also die traditionelle, klimagünstige Bauweise zu Gunsten einer europäischen Einheitsarchitektur in geradezu törichter Weise aufgegeben? Um das zu beantworten, werfen wir zunächst den Blick auf tatsächliche „traditionelle“ Zivilarchitektur auf dem Festland.

Das Archontiko des Färbers und Tuchhändlers „Swarts“ in Abelakia.

Das im Bild gezeigte Haus ist das „Archontiko“, ein Herrenhaus des reichen Färbereibesitzers und Händlers „Swarts“ in Ambelakia, oberhalb des Tempi-Tals bei Larissa. Es ist ein typisches Beispiel spätosmanisch-griechischer, herrschaftlicher Architektur. Über einem massiv aus Feldsteinen und Lehm errichteten Untergeschoß erhebt sich ein aus Lehmfachwerk gebautes, mit vorspringenden Erkern versehenes Obergeschoß.

Untersicht der Erker- und Dachvorsprünge.

Die Wände sind verputzt, gekalkt und farbig, teils dekorativ mit barockisierenden Ornamenten bemalt, das Untergeschoß trägt eine grauweiße, aufgemalte Quadermalerei. Über dem Obergeschoß schattet ein wie eine Schirmmütze ausgebildeter Dachvorsprung die Wände und die Fenster ab. Das Dach: ein flaches Schrägdach, mit gewöhnlichen Roten Ziegeln gedeckt. Andere, übliche Dachbedeckungen sind dunkelgrauen Steinplatten. Der flache Dachstuhl ist gegen die Zimmer durch eine isolierende flache Holzdecke getrennt, so dass der Dachraum eine Art Luftpolster bildet.

Im Obergeschoß des Archontiko. Die untere Fensterreihe ist mit den Läden verschlossen, die abgeschatteten bunten Oberlichter lassen nur wenig Licht in den Raum hinein.

Es gibt zwei Fensterreihen in dem als „Bel Etage“ dienenden Obergeschoß. Zum einen die kleinen, aus farbigen Glastäfelchen mit Gipssprossen gebildeten, dekorativen Oberlichter. Sie sind nicht zu öffnen. Die unteren, großen Fenster sind mit riesigen hölzernen Läden versehen, die sich nach oben hochklappen lassen, und damit dann noch eine Art Sonnensegel darstellen.
Möglichst wenig Sonnenlicht in die Innenräume zu lassen, und mittels vorspringender Vordächer, Loggien und Ladenklappen die Fassade vor direkter Sonneneinstrahlung zu schützen, ist die vorherrschende Methode, die Innenräume tagsüber vor Strahlungswärme zu schützen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde, auch im Zuge des erstarkenden griechischen Nationalismus und der Hinwendung zu Westeuropa, der neoklassizistische Stil französischer Prägung modern. Der osmanische Stil wurde weitgehend aufgegeben, aber das Prinzip, die Wohnungen mit Schlagläden zu verschließen, blieb im Prinzip bestehen.

 

Spät/Neoklassizistische Villa in Aghia, um 1880.

Portiken und Loggien bildeten eine zusätzliche, schattenspendende Einrichtung. Die Farben: hell, aber selten weiß. Ockertöne mit grau abgesetzten Stein- und Putzgliederungen sind die vorherrschenden Farben.

Neben dieser ruinösen Villa residiert die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE). Der Balkon der Villa wäre sicherlich ein geeigneter Ort, eine neue Republik auszurufen.

Griechische Städte und Dörfer sind heute vorwiegend von 08/15-Bauten der 60er,70er und spätere Jahre geprägt. Aber den sonst phatasielosen Bauten ist das Prinzip der Wandabschattung erhalten geblieben. Das typische Straßenbild einer griechischen Stadt ist davon geprägt, dass man eigentlich gar keine Fassaden sieht. Die äußere, feste Hülle der Bauten wird von Balkonen umzogen, die hinter den Brüstungen, Gittern und Topfpflanzen liegenden Fenster mit ihren Schiebeläden sieht man schon kaum, und die Terrassen sind noch durch ausladende, tief heruntergezogene Markiesen bedeckt. An den Außenwänden brummen oft auch noch dicke, wie Wespennester angeklebte Kästen, die Aggregate der Klimaanlagen, die mit erheblichem Energieaufwand die verbliebene Wärme aus den Häusern pumpen. Die die gestiegenen Stromkosten lassen diese aktive Art der Gebäudekühlung immer mehr zu einem anachronistischen Luxus geraten.

08-15-Bebauung, Aghia, 70er Jahre.

Mittags bis nachmittags sehen griechische Kleinstädte wie ihre mitteldeutschen Entsprechungen nach 9 Uhr abends aus: Die Straßen sind leer, und die Rolläden heruntergelassen.

Appartementhaus, 1980er Jahre. Aghiocampus

Nachmittags im Sommer sind die abgedunkelten griechischen Wohnungen für unsere Verhältnisse ungemütlich. Aber um einen Nachmittagsschlaf zu machen, um sfit zu sein für die langen, lauen Abendstunden, sind sie der geeignete Ort.

Gewöhnlicher Strasssenzug in Larissa, Bauten 1980er-1990er Jahre.

20.08.2012. Bilder aus Zagora – ein Dorf auf dem Pilion

Galerie

Diese Galerie enthält 15 Fotos.

Den Ortsnamen Zagora gibt es mehrfach auf der balkanischen Halbinsel. Der Name soll aus dem Slavischen stammen und soviel bedeuten wie „jenseits der Berge“ oder „Hinterland“. Andere sagen, der Name stamme aus dem slavischen „Zarograd“, „Königstadt“. Die slavische Herkunft scheint … Weiterlesen

15.08.2012. Zagora und Chorevto. Das Fest der Maria. Ab morgen nur Nudeln und Linsen.

Mittags raffen wir uns auf, in Schlangenlinien fahren wir von Zagora hinunter an den Ort Chorevto. Von Zagora aus sieht man ihn liegen, unten an der

Küste, man meint, ihn mit entsprechend langem Arm und einem Steinwurf erreichen zu können. Das ist eine optische Täuschung, denn mit dem Auto braucht man locker eine Dreiviertelstunde, bis hinunter zum Strand.

Bei „Petros“ in Chorevto, Pilion.

Um Marias Namenstag gebührend zu feiern, haben wir bei „Petros“ reserviert. Nach dem Baden rücken wir ein in das Lokal, Weinreben überranken die Pergola, an die zehn Kellner im weißen Hemd flitzen hin und her, kommen an den Tisch, sagen auf, was es heute gibt. An Fischen haben sie heute fast alles, was das Meer zu bieten hat. Der Schwager ordert für uns so ziemlich die ganze heimische Unterwasserwelt, es klingt, wie in einer Zoologieprüfung im höheren Semester. Bevor das „Gastmahl des Meeres“  serviert wird, sind allerdings noch Chemie und Botanik dran. Die Künste der Destillation müssen in Form zweier Sorten Tsipouro gewürdigt werden, der in kleinen Fiolen serviert wird.

Krithama (links) und Vlita (rechts)

Seit Jahren schon gilt Tsipouro ohne Anis („choris glykaniso“) als das Getränk der Kenner, dass dazu Mesedes serviert werden, ist selbstverständlich, denn auch der Pilion gehört zu Thessalien. Der Tsipouro ist bemerkenswert, man hat offenbar etwas Mastixharz bei der letzten Destillation der Maische beigegeben. Unter den Mesedes finden wir botanische Besonderheiten, so gedünstete „Krithama“, Meerfenchel, den man von den nackten, brandungsbespritzten Felsen sammelt. Anbauen kann man ihn nicht. Daneben gibt es unter anderem „Vlita“, ein Fuchsschwanzgewächs, das mit Zitrone, Knoblauch und Öl ein Gedicht der Sonderklasse ist. Als es mir erstmals gelang, aus in Griechenland erworbenen Samen dieses Gemüse zu ziehen, und das im Halleschen Kleingarten riesenhoch geworden ist, schüttelten die Nachbarn den Kopf über das vermeintliche Unkraut. Ein fürchterliches Kindergeschrei hob an, als die ersten Kudsumures und Tsipures (auch so Fische) kamen. Die Fischlein waren mehr als reichlich, doch die Kinder fürchteten, zu kurz zu kommen. Ich erinnere mich an meine eigene Kindheit: da war Fisch ein Haßgericht. Warum, das weiß ich jetzt: das, was meine Mutter als „Fisch“ servierte, verdiente den Namen nicht. Kinder haben einen sehr differenzierten Geschmack, Verderbnis riechen sie viel schneller als wir.

„Tsipura“ heißt der Fisch, Tsipuro das Destillat.

Nun klingt das alles so, als gäbe es keine Krise in Griechenland, denn selbstverständlich ist so ein Essen teuer. Das ist eben nur die eine Seite der Medaille. Nach dem Bezahlen sagten unsere Freunde, ab morgen gäbe es eben wieder nur Linsen und Nudeln. Man muss die Feste so feiern wie sie fallen, und die Lebensfreude werden sich die Griechen niemals nehmen lassen. Freunde erzählen, wie sie ihren Kindern richtig Angst machen: wenn Ihr nicht artig seid, kommt die Tante Merkel.

 

Das Haus  in Zagora.

 

„Psaria“, Fische.

 

13.-15.08: Athen-Larissa-Aghiokampus-Volos-Pilion

Nachts gegen eins setzt das Flugzeug auf der Landebahn in Athen auf, und kaum ist das Beifallklatschen verklungen, setzt das übliche Gerangel ein, schließlich geht es darum, als erster das Handgepäck aus der Ablage gezerrt zu haben, als erster den Gang zu verstopfen, als erster den Flughafenbus bestiegen zu haben, um dann als erster am stehenden Gepäckband warten zu dürfen, das sich dann nach einer Viertelstunde tatsächlich bewegt. In der Angst, irgendwo zu kurz zu kommen, nicht erster zu sein, sind sich Griechen und Hallenser auffallend ähnlich. Vor dem Flughafengebäude ordnen Geländer und ein Streifenwagen der Polizei die gerechte Verteilung der Ankömmlinge auf die in langer Schlange bereitstehenden Taxen. Die rasante nächtliche Fahrt über die Schnellstraße durch Athen in den Vorort Kifisia rasch bewältigt, wir verpassen die Abfahrt, weil das Geschäft, das den Abzweig markiert, pleite und nicht mehr beleuchtet ist.

Am nächsten morgen vergewissern wir uns, dass in dem noblen Vorort Kifisia sich allerdings kaum etwas merklich verändert hat. Hier sind die Reichen und Schönen unter sich,  das Angebot von Manikürestudios, edlen Modeläden und Tinnefboutiken für Menschen, die mehr als alles haben, scheint äußerlich unverändert. Die zahllosen Topfpflanzen im Garten grünen fleißig, kleine Minioasen in einer an sonsten vertrockneten Wüste. Griechische Vorstadtgärten sehen immer so aus.

Im vollkommen überalterten, aber immer noch mit TÜV-Plakette ausgestatteten Auto begeben wir uns auf die Autobahn Richtung Larissa. Unterwegs, etwa auf halber Strecke, machen wir Halt in Kamena Vourla, einem kleinen Badeort aan der Küste gegenüber der Insel Evia (Euböa).

Das Strandcafe hat eine Neuerung zu bieten: Das 5-Getreide-Bier „Bios5“. Auch in Griechenland lassen sich immer noch Überflüssigkeiten an den Mann bringen, wenn sie mit einer ausgefeilten Philosophie transportiert werden. Auf dem Tisch stehen dreieckige Aufsteller, die darauf hinweisen, wie gesund Bier ist (es hat weniger Kalorien als Wein und Schnaps), und dass Getreide seit alters her die Grundlage der gesunden mediterranen Ernährung ist. Und wenn ein Bier dann auch noch fünf Getreidesorten enthält, ist das geradezu ein diätetisches Lebensmittel. Teuer genug ist es, die Kleine Flasche kommt für 3,50 € auf den Tisch. Aber das fade Zeug enthält dafür:

„Reis, damit es vollkommen ist“

„Gerste, damit es traditionell ist“

„Roggen, damit es überraschend ist“

„Weizen, damit es reich und gehaltvoll ist“

„Mais, damit es leicht ist“

Derart gestärkt, treten wir die Weiterfahrt nach Larissa an, sitzen eine Weile mit der Schwiegermutter auf der Terasse in der Straßenschlucht mehrgeschossiger Hochhäuser, und fahren durch die  thessalische Tiefebene, dann durch die Berge von Mavrovouni, an den Ferienort Aghiocampus.

Landschaft in Thessalien, zwischen Larissa und Aghiocampos.

Endlose Autoschlangen aus Richtung Küste begenen uns in der Dämmerung, und lassen erahnen, dass wir dieses Jahr zu früh dran sind. Es ist noch Hauptferienzeit in Griechenland, und so erwartet uns am Ziel griechischer Freizeitterror total.

Einen Steinwurf von unserer Terrasse des Ferienhauses hat eine Strandbar aufgemacht und wummert die Häuserzeile mit Bässen voll, aber die kommt kaum gegen das lautstark schreiend sich unterhaltende, vierköpfige griechische Rentnergespann an, das sich in der Nachbarschaft eingemietet hat. Es ist ein seit der Antike gehütetes Geheimnis griechischer Rhetorik, der Nebensächlichkeit der Gedanken durch gewaltiges Anheben der Stimme Ausdruck zu verleihen. Den Rest besorgen knatternde Mopeds mit abgesägtem Auspuff, die Schaufahrten auf der Strandpromenade veranstalten.

Bloß weg von hier. Der Fluchtweg führt 5 Minuten fußläufig zum Lokal des „Lideris“, der sich mittlerweise durch seine gute Küche einen Namen gemacht hat. Es liegt etwas abseits im Ort, in einer Stichstrasse. Man sitzt zwischen Bäumchen draußen, es weht ein lauer Wind, die Kellner sind freundlich, aber unaufdringlich. Essen ist einfach und genial. Zum obligatorischen Tsipouro (ein Tresterschnaps, ziemlich hochprozentig) werden nach thessalischer Art – natürlich im Preis inbegriffen ) „Mesedes“, (Vorspeisen),  gereicht, in einem Umfange, wie sie eigentlich als Hauptgericht ausreichen würden. Es sind immer kleine Überraschungen, gleichsam eine Art „Gruß aus der Küche“, die aber in Griechenland eine lange Tradition haben, das Wort stammt noch aus dem Türkischen. Besonders klasse dieses mal : „Mydorisi“, eine Art Risotto mit Muscheln, lauwarm, mit Zitrone und sehr schmackhaftem Olivenöl serviert. Das Rezept werde ich noch abfassen, und hier einstellen.

„Mydorisi“ – Risotto mit Miesmuscheln, Dill und Olivenöl.

 

Kudsumures, paniert und gegrillt.

„Kudsumures“ heißen die kleinen, panierten und gegrillten Fischlein, die derart frisch und schmackhaft sind, dass sie nicht nur uns, sondern auch die kleinen Kätzchen begeisetrn, die flugs angeschossen kommen, und schüchtern wartend, dann, als sie merken, dass wir gute Mnschen sind, uns die Finger ablecken mit diesen Leckerreien ablecken. Im Verhalten sind griechische Katzen unseren einheimischen ähnlich, das heißt, eigentlich ist jede ein stolzes Individuum.

Griechenkatzen verfügen über ein Turbolaufwerk.

Fuchs-Katzen-Hybride

Nur dass sie anders aussehen: sie haben größere Augen, und fallen durch ihre viel längeren Beine auf. Wahrscheinlich haben Evolutuonsbiologen schon längst das Rätsel gelöst, aber ich habe meine eigene Theorie. Lange Beine sind von Vorteil, wenn man rennen muß – sei es, um Beute zu erhaschen oder menschlichen Fußtritten zu entkommen (leider sind nicht alle Griechen Katzenliebhaber, obwohl ihre Zahl stetig zunimmt). Kurze Beine sind dagegen hilfreich, wenn es gilt, Bäume zu erklettern. Hohe Kletterbäume als Zufluchtsort sind aber in Griechenland selten.

Der kommende 15.  August ist ein gestzlicher Feiertag, das Fest der Maria. Gefühlt jede zweite Frau hat an diesem Tag ihren Namenstag (Namenstage werden in Griechenland so gefeiert, wie bei uns Geburtstage), und ebenso traditionell ist dies der letzte Ferientag, der in Griechenland noch mal so richtig ausgekostet wird.  Als wir am Vorabend Aghiokampus mit Ziel Larissa und dann Volos- Zagora (Pilion) verlassen, kommen uns bereits lange Autoschlangen auf den Serpentinen entgegen. Sie bestätigen, dass unsere Absicht, die Gegenrichtung anzutreten, richtig war.

Der Zielort, Zagora, ist einer der Hauptorte der gebirgigen Halbinsel Pilion. Wie die meisten Orte liegt er in der Höhe, weit oberhalb des Meeres, um vor Piratenüberfällen geschützt zu sein. Hier, auf ca. 800 Metern Höhe im Pilion gelegen, feiern wir in den Namenstag unserer Schwägerin hinein. Das alte Steinhaus liegt einsam, hier stören wir niemanden, wenn wir uns um die Wette lautstark ausnahmslos dummes Zeug erzählen.