Auf Kapernfahrt durch die thessalische Kornkammer und eine Abhandlung über ein Unkraut, das nach Ansicht der Griechen den Redefluß fördert.

31.08.2012 Platykampos.

Capparis Spinosa ist nicht der Abenteuerroman eines portugiesischen Seeräubers, sondern botanischer Name eines stacheligen Strauches mit wunderschönen Blüten, der im mediterranen Raum an frostgeschützten Felshängen wie auch auf „Ruderalflächen“, also Schuttplätzen, aber nur an warmen Orten, die gelegentlich mit Wasser versorgt werden, wächst. Die Blütenknospen des sich flach ausbreitenden Kriechgewächses kann man in Essig und Salz einlegen, und sind dann das unentbehrliche Essential von Königsberger Klopsen und Hühnerfrikassee: Kapern.

Kapernstrauch in Blüte. Die gesamte Pflanze enthält Senfölglykoside, die dei Schärfe und das Aroma der Kapern ausmachen. Die in Essig und Salz eingelegten Knospen sind das, was wir als „Kapern“ kennen.

Bis auf Stängel und die unangenehm spitzen Stacheln kann man von diesem Strauch alles in der Küche verwenden: Die Früchte („Kapernäpfel“), Knospen, und Blätter.

Im Ort Platikampos, in Mitten der Landwirtschaftlich intensi genutzten Kornkammer Thessaliens, haben sich Kapernsträucher eher zufällig angesiedelt. Sie finden sich am Straßenrand, auf Brachflächen und merkwürdigerweise sogar auf relativ frisch umgepflügten Weizenfeldern. Warum die in Essig- und Salzlake eingelegten Knospen und Früchte relativ teuer sind, erfährt man schnell: mit seinen spitzen Dornen wehrt sich der Strauch gegen den Raub seiner jungen Knospen und Früchte.  Des öfters hielt ein Treckerfahrer an, um zu erfahren, was ich denn da suche.“Aha, das sind also Kapern, wusste ich nicht! “

Kapern werden in der griechischen Küche eher selten verwendet, sind aber nicht ein so exotisches Gewürz wie beispielsweise Basilikum, das hier überall als Duftpflanze in Töpfen gehalten wird, aber nur äußerst selten den Weg in die Küche findet.

Glystrida, Andrakla, Trevla: Viele Namen für ein verhasstes, aber schmackhaftes Unkraut.

Portulaca oleracea ist der botanische Name einer Pflanze, die laut Wikipedia zu den achthäufigsten Pflanzen überhaupt und zu den „schädlichsten“ Unkräutern zählt. Den Wikipediaeintrag muß ein griechischer Landwirt oder Ziergartenbesitzer geschrieben haben.

Poruklaca oleracea, Glystrida, Trevla, Andrakla: Viele Namen für ein schmackhaftes Unkraut.

Tatsächlich kämpft einer unserer griechischen Gartenfreunde gegen das dickfleichige Gewächs so verzweifelt und erfolglos, wie deutsche Kleingärtner gegen Giersch und Vogelmiere. Als ich ihm berichtete, dass ich Samen davon nach Deutschland mitnehmen wollte, sah er mich entgeistert an, als hätte ich die Absicht geäußert, Pestbazillen oder Milzbranderreger freisetzen zu wollen.

Das Art-Epitheton „oleracea“ im botanischen Namen, den auch viele uns bekannte Gemüsepflanzen tragen (Kohl, Spinat pp.) weist jedoch schon darauf hin, dass das „Unkraut“ auch gegessen und in dieser Beziehung auf eine lange kulinarische Tradition verweisen kann.

 

Man isst dieses Unkraut in Griechenland seit alters her. Im Ipiros bestellten wir „Chorta“, was allgemein blanchiertes und in Essig oder Zitrone mit reichlich Olivbenöl zubereitete krautige Gewächse meint; heute sind das meistens „Vlita“, von denen schon die Rede war. Der Kellner der Taverne in Anthoussa bei Parga entschuldigte sich ausgiebig dafür, dass es keine Vlita gäbe, dafür aber nur „Andrakla“. Falls die uns nicht gefallen würden, sollten wir einfach nicht dafür bezahlen. Sie gefielen uns aber, und gerne hätte ich sogar den doppelten Preis dafür bezahlt. Die Andrakla waren nichts anders als das eben erwähnte „Unkraut“: die saftigen Stängel ergeben einen schmackigen Biß, die Pflanze schmeckt etwas nussig, die Samenkörnchen knacken zwischen den Zähnen. Im thessalischen Dorf Potamia, wo meine angeheirateten Verwandten her stammen, nennt man das Unkrautgemüse „Trevla“, aber sprichwörtlich noch bekannter ist das Gewächs in Griechenland unter der Bezeichnung „Glystrida“.

Andrakla – fertig zubereitet.

Hast Du Glystrida gefressen? („γλυστρίδα έφαγες;“) fragt man Menschen, deren lauter, schneller und unaufhörlicher Redefluß nicht enden will. Woher die Redensart stammt, und ob in dem wilden Portulak irgendwelche kommunikationserweiternde Substanzen enthalten sind, weiß ich nicht. Ich habe gerade eben die am Straßenrand gesammelte Glystrida, blanchiert, mit etwas Knoblauch, Öl und Zitrone, gegessen, und deshalb mach ich hier lieber mal einen Punkt. Denn die ernsten Themen, die Griechenland und unsere hier lebenden Freunde betreffen, vertragen kein Geschwätz.

 

 

Einmal Charon spielen: Paddeln auf dem Acheron, zwischen Feigen, Sumpfschildkröten und Nachtigallennestern.

24.08.2012, Ammoudia.

Minas Paschos hat Sportwissenschaft studiert.  Nach einer Zeit schlecht bezahlter Anstellung als Aushilfslehrer an einer Schule wurde er nicht in das Beamtenverhältnis übernommen. Schlecht bezahlt zu werden für eine nicht selbstbestimmte Tätigkeit – das war nicht sein Ding. Er kündigte und machte sich selbstständig. Im Winter betreibt er eine Skischule, und den ganzen Sommer sitzt er am Ufer des Acheron, vier Kilometer oberhalb der Flussmündung des Acheron bei Amoudia. Handgemalte Holztafeln mit „AcheronKayak“ hat er dezent in der Umgebung aufgehängt. Unter Bäumen am Ufer sitzt er, zusammen mit Thansassis, einem 16 Jahre altem Schüler aus Amoudia, und wartet auf Kunden. Es sind in erster Linie Individualreisende, vor allem solche aus Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien, die sich auf sein Angebot einlassen. Minas hat sein Radio auf einen Kultursender eingestellt, und während er einer Theaterkritik lauscht, angelt Thanasssis in in türkisblauen Fluß. 15,- Euro pro Person soll die Kanufahrt kosten, inklusive Einweisung. Es gibt verschiedene Angebote, wir entscheiden uns zunächst dafür, eine ungeführte Fahrt zu unternehmen, also ohne Begleitung.

Da wir die Fahrt zweimal gemacht haben, mischen sich jetzt die Erzählungen zweier Touren.

Größere Kartenansicht. Den Fluß Acheron kann man gut erkennen, der Startpunkt der Tour ist etwas unterhalb des Ortes Mesopotamos.

Die erste Variante besteht darin, den etwa vier Kilometer langen Fluß hinunter zu paddeln, dann nimmt Minas seine Kunden unten am Strand von Amoudia wieder auf, und fährt sie zurück. Eine weitere Variante besteht darin, dass man – in Begleitung von Minas oder Thanassis, der dann im eigenen Boot vorausfährt, über die Mündung des Acheron sich noch hinaus aufs offene Meer begibt – hin zu gewaltigen Felshöhlen am Ende der Bucht von Amoudia.

Minas wäre nicht Sportlehrer, würde er nicht jedem seiner Kunden vor der Fahrt eingehende Trockenübungen angedeihen lassen. Wir setzen uns dazu in eines der offenen Kunststoffkayaks, und müssen die Paddel in den Sand stechen – Wende rechts, links, vorwärts, Rückwärts. Wie genau das Paddel zu halten ist: Die Armbeuge hat einen  rechten Winkel zu beschreiben, wie einzutauchen ist usw. Es erfolgt noch eine Beschreibung, welche besonderen Sehenswürdigkeiten auf dem Wasser und Ufer zu beachten sind: Lagerplätze von Sumpfschildkröten, Nachtigallennester in den Bäumen, Libellen, Kröten und vieles mehr.

Die Fahrt selbst ist mit Worten nicht einfach zu beschreiben. Daher die folgenden Bilder.

Der Startpunkt der Tour und „Firmensitz“ von „AcheronKajak“:Infos und Kontakt:http://www.acheronkayak.gr/
(Die Seite ist zur Zeit leider nur auf Griechisch, vieles erschließt sich aber auch ohne Sprachkenntnisse. )
Mobilnummer: 0030-6977 700 122
Preise (Pro Person): Kinder unter 7 Jahren: Kostenlos
Kinder 7-12 Jahre: 7 Euro
Erwachsene: 15 Euro.
Enthalten im Preis:
Unterricht in Grundlagen des Kayakfahrens (Trockenübungen)
Begleitung (auf Wunsch)
Versicherung
Rücktransport zum  Startpunkt
Abfahrtzeiten: 10-12-14-16-18.00h 

 

 

Sogar Bambus hat sich an die Ufer des Acheron verirrt.

Türkisfarbenes Wasser, überhängende Bäume. Das ist nicht der Amazonas, sondern der Unterweltfluß Acheron.

Das ist kein Fotoshop-Trick. Der Regen stammt aus einer Bewässerungskanone von einem Maisfeld am Ufer. Und wenn dann die Sonne günstig steht….

Ein Flußfischer auf dem Weg zur Kontrolle seiner Netze.

Des Charon Lieblingsspeise: Feigen

Die Angler am Ufer verwickeln uns in ein Gespräch. Der eine bat darum, dieses Bild nicht in die deutsche Öffentlichkeit zu bringen, sonst würde der Eindruck enstehen, den Griechen ginge es noch zu gut, und würden den ganzen Tag faulenzen. „Nein“, wandte sein Kollege ein, „die Deutschen sollen wissen, dass wir nichts zu essen haben, und nun Fische fangen müssen, um nicht zu verhungern“.

In der Nähe von Amoudia liegen bereits größere Fischerboote am Ufer des Acheron.

Am Ufer des Acheron bei Amoudia

Aufs offene Meer hinaus…

Thanassis wird uns noch voraus fahren, um uns die Höhlen in den Klippen zu zeigen. Der Seegang ist dort aber zu stark, die Kamera bleibt deshalb aus. Im Hintergrund der Strand vom Amoudia.

Nach unserer Ankunft an der Acheron-Mündung in Amoudia warten  Minas und Thanassis schon auf uns. Sie überreden uns noch zu einer Anschlußtour, über das offene Meer, wo es gilt, eine andere Fahrtechnik zu entwickeln als auf dem träge dahin fließendem, glatten Fluß. Die Kamera habe ich gegen das die Gischt in einem Seesack verstaut, deswegen gibt es leider von diesem Fahrtabschnitt keine Bilder. Mit gezielten Stößen paddeln wir den Kunststoffkayak gegen die Wellen, sehr hoch sind sie nicht, aber es fühlt sich an, wie auf einer Achterbahn. Die Höhlen liegen im goldenen Licht der sich senkenden Sonne, hineinfahren tun wir allerdings nicht, die Brandung ist zu stark. In den Höhlen leben Fledermäuse und Tauben: Felsentauben, die Urform unser Stadt- und Haustauben.

Nach dem Aufladen der Bote am Strand unterhalten wir uns lange mit Minas. Minas beklagt, dass die meisten Touristen, die hier in der Gegend eintreffen, dem strengen Programm der Reiseveranstalter unterliegen. So würden viele Reiseveranstalter nicht einmal die Informationen über alternative Angebote, wie die von Minas, an ihre Kunden weitergeben. Aus Sicht der Reiseveranstalter sicher verständlich: denn wenn die Urlauber den ganzen Tag auf dem Wasser im Kayak verbringen, generieren sie keinen Umsatz.

Minas empfiehlt uns noch Reiseziele in der Umgebung, ist sichtlich bewandert in Vorgeschichte, Kultur, Geologie, Ökologie. Eine seiner Empfehlungen elektrisieren mich: Kokkinopilos, was soviel bedeutet wie „Roter Ocker“. Hier soll es eine interessante geologische Formation geben, wo Rötel in Form gewaltiger, spärlich bewachsener  Hügel an die Oberfläche tritt. Die eindrucksvollen tiefroten Erdhügel sehen wir uns per Google-Earth auf dem Handy an – deutlich erscheinen sie auf den Satellitenbildern als rote Flecken in der sonst graugrünen, vollkommen einsamen Gegend. Über die Koordinaten und dem GPS müssten diese Erdhaufen in der einsamen Gegend eigentlich zu finden sein, dachten wir. Minas warnte uns allerdings schon, dass dort nichts ausgeschildert ist, und selbst Einheimische diesen Platz kaum kennen.

 

 

 

Das Nekromandion – das Orakel am Fluß der Toten. Zyklopenmauerwerk und unterirdischer Budenzauber.

Amoudia, 24.08.2012

Von Parga ist es nicht weit bis nach Amoudia, einem verhältnismäßig kleinen Badeort im Mündungsdelta des Acheron. Das Dörfchen selbst, mit seinen verstreuten, allesamt neuen Häusern ist nicht der Rede wert, wohl aber seine Lage. Der Acheron, ein kleiner Gebirgsfluß, dessen überwiegende Wassermasse nur wenige Kilometer oberhalb im Gebirge aus Karstquellen entspringt, hat hier an seiner Mündung ein gewaltiges, sumpfiges Flußdelta geschaffen. Die Bewohner von Amoudia wollten vor wenigen Jahrzehnten auch etwas vom Tourismus profitieren, und versuchten, den wild in seinem Delta umhermäandrierenden Fluß zu kanalisieren, auch legte man eine Strandpromenade an. Der Acheron hat sich an dieser Zwangsmaßnahme gerächt, und überschwemmte den Ort kräftig, als er mal wieder, von starken Regenfällen in seinem Quellgebiet bekräftigt, über die Ufer trat.

Das Sumpfgebiet von Amoudia, dem Flußdelta des Acheron. Auch die Kirche im Hintgergrund mußte erneuert werden, als der Fluß versuchte, sich sein Delta zurück zu erobern.

 

Nur wenige Kilometer oberhalb von Amoudia befand sich in der Antike noch ein flacher, sumpfiger See, der im 19.Jahrhundert teils verlandete, teils aktiv trockengelegt wurde. Am Ufer des Acheroussa-Sees lag in der Antike das „Nekromanteion“, das Totenorakel, in Nähe der antiken Stadt Ephyra.  Die Stadt mykenischer Gründung gibt es nicht mehr, doch 1958 wurden unterhalb der aus dem 18. Jahrhundert stammenden Kirche Johannes des Täufers sehr imposante Mauerreste aus hellenistischer Zeit gefunden, die der Ausgräber als das „Nekromanteion von Ephyra“ zu identifizieren glaubte. Als solches ist das archäologische Denkmal auch mit braunen Schildern von weithin ausgezeichnet.

Für den kleinen Ort Mesopotamos, in dessen Nähe es sonst keine besonderen Attraktionen gibt, ist so eine antike Orakelstätte, leidlich gepflegt und mit Kassenhäuschen versehen, ein Glücksfall. Auch Archäologen neigen gelegentlich zu orakeln, und so neigt die Fachwelt dazu, die Anlage mit ihrem Zyklopenmauerwerk und dem mit runden Gurtbögen überwölbten Kellerraum zwar in das 3-4 Jahrhundert vor Christus zu datieren, aber doch eher als profane Reste eines adligen Landgutes anzusehen. Ob nun in dem beeindruckenden unterirdischen Raum Priester zahlungswilligen Besuchern die Stimmen der Toten vorgeorakelt haben, oder ein antiker Gutsbesitzer seinen „Chateau de Ephyra “ in Amphoren gelagert hat, sei dahingestellt.

Hellenistischer Weinkeller oder Totenorakel?

Beeindruckend ist die Anlage auf der kleinen Anhöhe auf jeden Fall. Schon das sehr sorgfältig ausgeführte „Zyklopenmauerwerk“ müsste eigentlich jeden faszinieren, der einmal versucht hat, aus groben Bruchsteinen eine Mauer zu errichten. Frontal sind die Steine glatt behauen, die scheinbar regellosen Kanten fügen sich exakt zu einem polygonalen Netzwerk aneinander. Im rückwärtigen Teil sind die Steine aber so roh belassen, wie sie aus dem Bruch stammen. Die Mauern sind zweischalig, das heißt, zwischen die beiden Schauseiten wurde der Zwischenraum mit lockeren Steine, teils mit Mörtel vermischt, geschichtet.

Über dem Zyklopenmauerwerk des 3.-4. Jhdt v. Ch. erhebt sich die Johannes-Täufer-Kirche des 18.Jhdt.

Wie haben die Steinmetze das hinbekommen, die Kanten der Steine so zuzurichten, dass nur eine ganz schmale Fugenritze entstand? Können heutige Steinmetze das noch? Ich habe einmal in Halle gesehen, wie eine aus verhältnismäßig kleine Steinen bestehende Stützmauer am „Volkspark“, ausgeführt in „Zyklopenverband“, abgetragen wurde, um sie anschließend neu zu errichten. Da hat man dann jeden einzelnen Stein lieber nummeriert, um das Mauerwerk wieder so hin zu bekommen. Warum machen sich Menschen so eine Mühe, statt die Steine einfach rechtwinklig zu sägen, und wie normale Quadersteine zu versetzen? Einen Stabilitätsvorteil bringt das „Zyklopenmauerwerk“ übrigens nicht. Aber es schindet mächtig Eindruck.

Auch wenn unser archäologischen Denkaml nicht das gesuchte Totenorakel ist, so ist ein solches bei Ephyra bezeugt. Den Fluß Acheron hielt man in der Antike für einen der Flüsse, die den Hades, die Unterwelt, durchzogen. Die plötzlich aus dem Karstgestein entspringenden Quellen mögen den Gedanken nahegelegt haben, dass dieser Fluß bereits eine längere Reise durch die Unterwelt gemacht haben muß. Als „Quellen“ des Archeron wird heute ein Tal bei der Ortschaft Pigi bezeichnet, es sind nicht seine wirklichen Quellen, aber hier wächst der Fluß mitten im Wald in seinem Schotterbett plötzlich mächtig an. Taverne reiht sich an Taverne, Angebote wie „Riverrafting“ und Ponyreiten durch den Fluß gibt es, für griechische Familien wird Natur auf diese Weise damit durchaus akzeptabel und attraktiv.

In den „Quellen“ des Acheron…

 

Wer in der antiken Vorstellungswelt eines Tages die unvermeidliche Reise in den Tod antreten musste, gelangte dann an die Ufer des Unterweltflusses, und musste nun auch noch an Charon, den Fährmann, für die wahrscheinlich unfreiwillige Reise auch noch Geld abdrücken, den sprichwörtlichen „Obolus“. In der antiken Mythologie sind leider kaum Einzelheiten über die Beförderungsbedingungen und das Tarifsystem überliefert, auch nicht, wie mit Schwarzfahrern umgegangen wurde, und ob die Mitnahme von Fahrrädern im Preis inbegriffen war.

Unseren Charon treffen wir am Ufer des Acheros, er heißt Minas und bietet Kayakfahrten auf dem Acheron an. In Reiseführern ist davon selten die Rede, deshalb werden wir die Fahrt auf dem Unterweltfluß im folgenden Beitrag ausführlich zur Nachahmung empfehlen…

 

Von Larissa nach Parga durch die Berge an die Westküste.

23.08.2012, Anthoussa bei Parga.

Die Fahrt von Larissa durch die thessalische Tiefebene in westlicher Richtiung hatte ich letztes Jahr beschrieben, deshalb erfolgen dazu bis Trikala keine Bemerkungen, bis auf die Tatsache, dass sich kleine, auffällige, aber möglicherweise zukunftsweisende Änderungen im Landschaftsbild bis Trikala ergeben haben. Es entstehen Fotovoltaikanlagen.

Fotovoltaikanlagen unweit von Trikala. Hydraulikarme bringen die Module exakt in die ideale Position zur Sonne.

Sie sind nicht groß, und aufgrund ihrer Bauart nicht in der Lage, so aufzufallen, wie die ersten Windkraftanlagen in Mitteldeutschland, an deren Anblick wir uns beim ersten Auftreten erregt, und heute doch so gewöhnt haben.  Letztes Jahr war kein einziges Solarstromanlage hier zu sehen, jetzt sind es einige wenige, die auf den brachliegenden Feldern, am Westrand der thessalischen Ebene bei Trikala, enstanden sind. Es sind relativ kleine Module, jedes vielleicht 40-50 Quadratmeter groß, die sich, auf jeweils kleinen Betonsockeln montiert, in Gruppen zu vielleicht 10-20 Stück, auf einem “Strema“, der griechische Maßeinheit für 1000 Quadratmeter Landbesitz, von einem Drahtzaun umgeben, mit einem kleinen Häuschen, in dem sich der Wechselrichter befindet, versammelt haben. Jede einzelne dieser Panele hat einen hydraulischen Antrieb, mit dem sie auf den optimalen Sonnenstand ausgerichtet werden, was sie von ihren lahmen, fest montierten  Geschwistern, die man gelegentlich auf hiesigen und deutschen Einfamilienhausdächern findet, unterscheidet. Die griechische Stromgesellschaft ist, ähnlich wie in Deutschland, verpflichtet, den erzeugten Solarstrom zu einem Vorzugspreis einzuspeisen, aber, wie ich glaubhaft von betroffenen Freunden höre, zahlt sie oft nicht, einfach so, trotz empfangener Leistung. Das dürften Anfangsschwierigkeiten sein, denn das Potential, das in den eher suboptimal mit zu wenig Wasser versorgten, und daher agrarisch wenig geeigneten Flächen an der Peripherie der Kornkammern steckt, ist einfach enorm.

Unser Ziel ist Parga an der Westküste, hinter den Bergen des Ipiros. Wir passieren Kalambaka, den Ort, wo rechterhand die merkwürdigen Felsformationen aus Konkglomeratgestein beginnen, auf denen sich die berühmten und in jedem Griechenlandführer unausweichlichen Meteoraklöster befinden. Die lassen wir rechts liegen.

Die Konglomeratfelsen über Kalambaka.

Wie Schlickerhäuschen sehen die Felsformationen aus Konglomeratgestein aus, wie in Beton nachgeformter Schweizer Käse. Von Klambaka aus wollen wir durch die Berge des Ipiros über Metsovo und Joannina weiter, doch die Strasse ist an einer Kreuzung und einer Flußbrücke, an der Honig unter schattigen Platanenbäumen verkauft wird, gesperrt. Der direkte Weg nach Joannina und Parga wird von den Polizeikräften mit einem heftigen Wink mit einer roten Fahne Richtung Grevena umgeleitet. Das bedeutet an die hundert Kilometer Umweg. Der Grund für den Umweg, ein Waldbrand in den Bergen, der seit drei Tagen nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte, taucht in der Ferne auf. Friedlich liegt der hohe Berg da, graubraune, bald gelbliche, zarte Wölkchen steigen daraus auf, vereinigen sich mit den Kumuli, während dort, wo wir fahren, feuchte, schattige Wälder und  abgeerntete Weizenfelder eine arkadische Landschaft enstehen lassen. Maler des 18.Jahrhunderts hätten sicher auch so etwas gemalt, vielleicht auch eine bukolische Szene in den Vordergrund gesetzt, und sicher auch nicht die kleine Vögel am kobaltblauen Himmel vergessen, die erst beim näheren Hinsehen einer ernsten Aufgabe nachgehen, nämlich Wasser vom über hundert Kilometer entfernten Meer aufzugreifen, um es über die dampfenden Berge zu gießen.

Griechische Sommerlandschaft mit brennendem Berg.

So fahren wir weiter, auf der schlecht ausgebauten Straße durch Krüppeleichenwälder, auf der Suche nach einer Abkürzung, um nicht in das „VlachikodreckskaffGrevena“ (So meine Frau) fahren zu müssen, weiter. Die Landschaft entschädigt den weiten Umweg.

Bei Pygi führt die Strasse über einen Zufluß des Aliakmonas.

Kurz vor Grevena erreichen wir die „Via Egnatia“.  Die alte Römerstraße, die einst Konstantinopel über Igumenitsa und Brindisi  mit Westrom verband, verläuft nicht mehr entlang der alten Römerpfade, sondern wurde jüngst mit gewaltigen EU-Mitteln als Autobahn durch die alpine Landschaft des Ipiros neu gefräßt. Tunnel folgt auf Tunnel, Licht an, Licht aus, befehlen die blinkenden Leuchttafeln.

In den von kräftigen Turbinen und gelben Natriumdampflampen beleuchteten Betonröhren gibt es reichlich Fluchttüren, und alle 50 Meter eine Feuerlöschanlage. Bremspuren, zerbeulte Reste einer Feuerlöscheinrichtung samt Resten der entstandenen Pulverwolke zeigen, dass ein LKWfahrer jüngst das Ziel mittig getroffen haben muss.

Irgendwo vor Igoumenitza auf der Via Egnatia.

 

Kurz vor Igoumenitza verlassen wir die „Egnatia“ Richtung Parga. Nach einem merkwürdigem Ausblick den Sumpf von Kalodikio, erscheint die Adria, erreichen wir Parga, das wir aber gleich Richtung Anthoussa, einem kleinen Ort oberhalb der Stadt, wieder verlassen. Der Hotelwirt, der das Appartementhaus „Villa Thomas“ (sehr empfehlenswert, übrigens), betreibt, hat uns schon mehrfach – unterbrochen durch die Tunnelfahrten – angerufen, um zu erfahren, wo wir denn bleiben.

Der Sumpf von Kalodikio.

Die Aussicht aus der günstigen, geräumigen, aber schlichten Appartementwohnung auf Parga ist einfach „nett“, doch Parga selbst ist eine Touristenhölle sonder gleichen („Yes Please“ ), und hier oben, in Anthousa, erwartet uns eine Überraschung: Wie nahe doch Griechenland und Halle doch sind.

Um Personen, die Opfer grausamer historische Ereignisse wurden, nicht in unangemessener Weise zu nahe zu treten, will ich darüber so berichten, wie über den brennenden Berg aus Entfernung. In dem kleinen Kafenion in Anthoussa sprechen viele Menschen Deutsch, wechseln, so wie die junge Familie, die zunächst uns gegenüber saß, zwischen Deutsch und Griechisch hin und her. Es gesellte sich ein älteres Ehepaar hinzu, ebenfall beider Sprachen mächtig. Woher wir kämen, also aus Halle, war rasch erklärt, und Halle als auch Leipzig und Jena waren dem deutlich alten Herren sehr wohl bekannt. Seit 1949 (!) lebte er in Leipzig, in Jena auch, als Werkzeugmacher, bis er die DDR in den 70ern Richtung Westen verließ. Ich kannte einen weiteren Griechen, der auch um die selbe Zeit in Halle angekommen war, ein begnadeter Künstler, Fotis Zaprasis, den ich selber als lieben Bekannten kennen lernen durfte. Er  verstarb vor einigen Jahren in Halle. Es ergab sich im weiteren Gespräch, dass beide sich kannten, und die Frau des alten Herren die Neffin meines leider zu früh verstorbenen hallischen Freundes war.

Die Welt ist klein, und die Verbindungen, deren wir auch als Individuen untereinander unterfliegen, sind zuweilen undenkbar groß.

Panorama über Parga in der Dämmerung.

 

Parga selbst ist ansonsten ein saublöde Touristadt, bitte meiden, besonders abends. Empfehlung: Anthousa, oberhalb, der Ausblick auf das Geglitzer von Parga aus angemessener Entfernung und auf das Meer reicht vollkommen. Hier oben kann man das Zirpen der Grillen in den Olivenhainen hören, gelegentlich knattert ein Moped durch den Ort, mehr nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gemüse aus der Gischt der Meeresbrandung mit einem Hauch von Petroleum.

21.08.2012, Aghiocampos

Eines der wenigen größeren Fischerboote, die den Hafen von Aghiocampus nutzen.

Der Hund lebt gesund: er frißt die Reste einer „Kakavia“, einer Fischsuppe, die die Fischer morgens aus kleinen Fischen und Meeresfrüchten zubereiten.

Am südlichen Ende des Ortes Aghiocampos befindet sich eine Hafenanlage für Sport- und kleinere Fischerboote. Er wurde mit EU-Mitteln in den letzten Jahren nicht unbeträchtlich ausgebaut und erweitert, die Kapazitäten wirken für die wenigen Boote, die hier liegen, ziemlich überdimensioniert.

Die Felsen hinter dem Hafen.

In weiter südlicher Richtung reichen die Berge von Mavrovouni bis ans Wassser heran, zwischen den schroffen Felsbrocken kann man am Wasser entlang herumklettern. Dort, wo bei starker Brandung das Salzwasser bis auf die Felsen spritzt, und in der Sonne in den kleine Näpfchen Salzkrusten zurück läßt, wächst eine eigenartige Pflanze. Sie nennt sich „Kritamo“, zu deutsch „Meerfenchel“, botanisch crithmum maritinum.

Kritamo, Meerfenchel (crithmum maritimum)

Schon im Altertum waren die sukkulenten, dickfleischigen Blätter als Gemüse begehrt. Die ganze Pflanze riecht eigenartig würzig, die Blätter haben einen intensiven Geschmack, der sich irgendwie mit anisartig und einem Hauch von Petroleum beschreiben läßt. Im Mittelalter nahmen Seefahrer die in Salz oder Wein eingelegten Blätter als Vitaminvorrat mit auf Reisen, und heute noch werden Kritama als würzende Zutat Salaten beigegeben. Oder als würziges Gemüse, als Beilage oder Meses, verzehrt. Einen dicken Büschel der Pflanze einzusammeln, ist nicht immer einfach, man muss schon an entlegenen Stellen herumklettern, denn die Pflanze ist begehrt, und viele Restaurantbesitzer lassen das Kraut einsammeln.

Meerfenchel an seinem typischen Standort.

Wirklich gefährdet scheint die Art jedoch nicht zu sein, die Pflanze ist im gesamten Mittelmeergebiet und auch an der Atlantikküste bis hin zur Normandie verbreitet. Die zahllosen Samen des Doldenblüters verbreiten sich schwimmend auf dem Wasser, und wo sie von der Brandung wieder an Land geworfen werden, keimen sie wieder aus.
Auch roh kann man die Blättchen verzehren: dann schmecken sie sehr salzig. Zur Zubereitung verwenden wir die abgetrennten, jungen Triebe mit den Blättchen, es empfiehlt sich, mindestens zwei mal das Wasser beim Abkochen zu wechseln, weil das Aroma sonst zu  intensiv und die „Petroleumnote“ zu stark wird. Beim Kochen gibt die Pflanze einen Teil des ätherischen Öles ab, das dann wie „Fettaugen“ auf dem Wasser schwimmt. Nach insgesamt etwa einer halben Stunde Garzeit wird das Wasser abgegossen, etwas Essig oder Zitrone darüber gegeben, etwas nachgesalzen, mit etwas Knoblauch gewürzt und reichlich Olivenöl übergossen. Die "Fettaugen" auf dem Kochwasser sind kein Petroleum, sondern ätherische Öle.Man serviert kalt. Im Prinzip ist die Zubereitung nicht anders, als eine einer Vielzahl von Gemüsen, die ähnlich blanchiert als Meses oder „Salat“ gegessen werden. Der Biß ist angenehm, und von dem „Petroleumaroma“ darf man sich nicht abschrecken lassen. Es stammt garantiert nicht vom Altöl irgendwelcher Tankschiffe, sondern von den reichhaltigen ätherischen Ölen, die die dickfleischige, saftige Pflanze als Abwehr von Fraßfeinden im Laufe der Evolution entwickelt hat. Gegen zweibeinige Schädlinge schützen sie aber offenbar weniger.

 

 

Bauen gegen die Hitze.

Aghia, 20.08.2012.

Enricos Seppelts Einwurf aus dem ausnahmsweise extrem heißen Halle, was man denn in Griechenland gegen die Hitze tue, veranlasste mich, auf seine Frage unter besonderer Berücksichtigung der Bauweise der alten und neuen Griechen einzugehen. Vieles ist ja bekannt, und bedarf keiner besonderen Erörterung: Dass selbstverständlich in den heißesten Mittags- bis Nachmittagsstunden Ruhe gehalten wird, und sowohl das Leben als auch die Arbeit(!) erst am späten Nachmittag weitergeht, dafür sich aber bis in die frühe Nacht erstreckt. In weiten Teilen des Geschäftslebens ist immer noch üblich, dass die Arbeit mittags pausiert, um danach in den Büros und kleinen Läden bis 21-22 h weiter zu gehen. Wenn sich die Leute hier Abends zu einem Essen verabreden, dann trifft man sich selten vor 22 oder 23 Uhr. Im Übrigen tut man hier das, was auch Ärzte in den seltenen heißen Monaten empfehlen: viel trinken (in Griechenland ist Wasser das Hauptgetränk Nr. 1). Die Speisen sind leicht, die dem Deutschen so liebe Hauptmahlzeit, das „Mittagessen“, existiert hier praktisch nicht. Zugeschlagen wird abends, und dass die Speisen selten so heiß gegessen werden, wie gekocht, ist eine Selbstverständlichkeit. Der Lebensmittelkonzern Nestle, der in Griechenland – wie nahezu überall auf der Welt – es verstanden hat, seine Fertigprodukte zu unentbehrlichem Kulturgut zu erklären, verdient mit kaltem Kaffee Unsummen: Frappe heißt das Produkt, durch Schütteln aufgeschäumter und mit Eiswürfeln servierter Instantkaffe. Den ursprünglichen, in kleinen Puppentäßchen servierten türkischen oder griechischen Mocca hat dieses Zeug längst verdrängt.

Aber ich wollte eigentlich vom Bauwesen berichten, auf Enricos Einwurf antworten, man streiche einfach nur die Häuser weiß. So einfach ist das nicht. Man hat ja immer diese Postkartenbildchen vor Augen, die weißen Häuschen mit den weiß gestrichenen Flachdächern, aus denen sich als einzige farbliche Akzente blaue Kirchenkuppeln und blaue Fensterrahmen hervorheben. Mykonos oder die südlichen Kykladeninseln sind dafür bestbekannte Beispiele. Dort gibt es so etwas, aber diese Architektur ist in Griechenland nicht die Regel, und erstreckt sich eigentlich nur auf wenige Kykladeninseln. Man ja sofort eine rationale Erklärung parat, dass diese Bauweise damit zu tun habe, dass weiße Dächer und Wände über ein besonders hohes „Albedo“ verfügen, und so die Sonnestrahlung besonders gut zurück werfen. Bewegt man sich jedoch auf dem Festlandgriechenland, besonders in die tatsächlich viel mehr hitzegeplagte Orte wie Athen oder Larissa, passt dieses Bild einfach nicht. Google-Earth verrät, dass die Farbe der Dächer griechischer Großstädte sich von mitteleuropäischen Dachlandschaften kaum unterscheidet. Haben die modernen Griechen also die traditionelle, klimagünstige Bauweise zu Gunsten einer europäischen Einheitsarchitektur in geradezu törichter Weise aufgegeben? Um das zu beantworten, werfen wir zunächst den Blick auf tatsächliche „traditionelle“ Zivilarchitektur auf dem Festland.

Das Archontiko des Färbers und Tuchhändlers „Swarts“ in Abelakia.

Das im Bild gezeigte Haus ist das „Archontiko“, ein Herrenhaus des reichen Färbereibesitzers und Händlers „Swarts“ in Ambelakia, oberhalb des Tempi-Tals bei Larissa. Es ist ein typisches Beispiel spätosmanisch-griechischer, herrschaftlicher Architektur. Über einem massiv aus Feldsteinen und Lehm errichteten Untergeschoß erhebt sich ein aus Lehmfachwerk gebautes, mit vorspringenden Erkern versehenes Obergeschoß.

Untersicht der Erker- und Dachvorsprünge.

Die Wände sind verputzt, gekalkt und farbig, teils dekorativ mit barockisierenden Ornamenten bemalt, das Untergeschoß trägt eine grauweiße, aufgemalte Quadermalerei. Über dem Obergeschoß schattet ein wie eine Schirmmütze ausgebildeter Dachvorsprung die Wände und die Fenster ab. Das Dach: ein flaches Schrägdach, mit gewöhnlichen Roten Ziegeln gedeckt. Andere, übliche Dachbedeckungen sind dunkelgrauen Steinplatten. Der flache Dachstuhl ist gegen die Zimmer durch eine isolierende flache Holzdecke getrennt, so dass der Dachraum eine Art Luftpolster bildet.

Im Obergeschoß des Archontiko. Die untere Fensterreihe ist mit den Läden verschlossen, die abgeschatteten bunten Oberlichter lassen nur wenig Licht in den Raum hinein.

Es gibt zwei Fensterreihen in dem als „Bel Etage“ dienenden Obergeschoß. Zum einen die kleinen, aus farbigen Glastäfelchen mit Gipssprossen gebildeten, dekorativen Oberlichter. Sie sind nicht zu öffnen. Die unteren, großen Fenster sind mit riesigen hölzernen Läden versehen, die sich nach oben hochklappen lassen, und damit dann noch eine Art Sonnensegel darstellen.
Möglichst wenig Sonnenlicht in die Innenräume zu lassen, und mittels vorspringender Vordächer, Loggien und Ladenklappen die Fassade vor direkter Sonneneinstrahlung zu schützen, ist die vorherrschende Methode, die Innenräume tagsüber vor Strahlungswärme zu schützen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde, auch im Zuge des erstarkenden griechischen Nationalismus und der Hinwendung zu Westeuropa, der neoklassizistische Stil französischer Prägung modern. Der osmanische Stil wurde weitgehend aufgegeben, aber das Prinzip, die Wohnungen mit Schlagläden zu verschließen, blieb im Prinzip bestehen.

 

Spät/Neoklassizistische Villa in Aghia, um 1880.

Portiken und Loggien bildeten eine zusätzliche, schattenspendende Einrichtung. Die Farben: hell, aber selten weiß. Ockertöne mit grau abgesetzten Stein- und Putzgliederungen sind die vorherrschenden Farben.

Neben dieser ruinösen Villa residiert die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE). Der Balkon der Villa wäre sicherlich ein geeigneter Ort, eine neue Republik auszurufen.

Griechische Städte und Dörfer sind heute vorwiegend von 08/15-Bauten der 60er,70er und spätere Jahre geprägt. Aber den sonst phatasielosen Bauten ist das Prinzip der Wandabschattung erhalten geblieben. Das typische Straßenbild einer griechischen Stadt ist davon geprägt, dass man eigentlich gar keine Fassaden sieht. Die äußere, feste Hülle der Bauten wird von Balkonen umzogen, die hinter den Brüstungen, Gittern und Topfpflanzen liegenden Fenster mit ihren Schiebeläden sieht man schon kaum, und die Terrassen sind noch durch ausladende, tief heruntergezogene Markiesen bedeckt. An den Außenwänden brummen oft auch noch dicke, wie Wespennester angeklebte Kästen, die Aggregate der Klimaanlagen, die mit erheblichem Energieaufwand die verbliebene Wärme aus den Häusern pumpen. Die die gestiegenen Stromkosten lassen diese aktive Art der Gebäudekühlung immer mehr zu einem anachronistischen Luxus geraten.

08-15-Bebauung, Aghia, 70er Jahre.

Mittags bis nachmittags sehen griechische Kleinstädte wie ihre mitteldeutschen Entsprechungen nach 9 Uhr abends aus: Die Straßen sind leer, und die Rolläden heruntergelassen.

Appartementhaus, 1980er Jahre. Aghiocampus

Nachmittags im Sommer sind die abgedunkelten griechischen Wohnungen für unsere Verhältnisse ungemütlich. Aber um einen Nachmittagsschlaf zu machen, um sfit zu sein für die langen, lauen Abendstunden, sind sie der geeignete Ort.

Gewöhnlicher Strasssenzug in Larissa, Bauten 1980er-1990er Jahre.

20.08.2012. Bilder aus Zagora – ein Dorf auf dem Pilion

Galerie

Diese Galerie enthält 15 Fotos.

Den Ortsnamen Zagora gibt es mehrfach auf der balkanischen Halbinsel. Der Name soll aus dem Slavischen stammen und soviel bedeuten wie „jenseits der Berge“ oder „Hinterland“. Andere sagen, der Name stamme aus dem slavischen „Zarograd“, „Königstadt“. Die slavische Herkunft scheint … Weiterlesen

15.08.2012. Zagora und Chorevto. Das Fest der Maria. Ab morgen nur Nudeln und Linsen.

Mittags raffen wir uns auf, in Schlangenlinien fahren wir von Zagora hinunter an den Ort Chorevto. Von Zagora aus sieht man ihn liegen, unten an der

Küste, man meint, ihn mit entsprechend langem Arm und einem Steinwurf erreichen zu können. Das ist eine optische Täuschung, denn mit dem Auto braucht man locker eine Dreiviertelstunde, bis hinunter zum Strand.

Bei „Petros“ in Chorevto, Pilion.

Um Marias Namenstag gebührend zu feiern, haben wir bei „Petros“ reserviert. Nach dem Baden rücken wir ein in das Lokal, Weinreben überranken die Pergola, an die zehn Kellner im weißen Hemd flitzen hin und her, kommen an den Tisch, sagen auf, was es heute gibt. An Fischen haben sie heute fast alles, was das Meer zu bieten hat. Der Schwager ordert für uns so ziemlich die ganze heimische Unterwasserwelt, es klingt, wie in einer Zoologieprüfung im höheren Semester. Bevor das „Gastmahl des Meeres“  serviert wird, sind allerdings noch Chemie und Botanik dran. Die Künste der Destillation müssen in Form zweier Sorten Tsipouro gewürdigt werden, der in kleinen Fiolen serviert wird.

Krithama (links) und Vlita (rechts)

Seit Jahren schon gilt Tsipouro ohne Anis („choris glykaniso“) als das Getränk der Kenner, dass dazu Mesedes serviert werden, ist selbstverständlich, denn auch der Pilion gehört zu Thessalien. Der Tsipouro ist bemerkenswert, man hat offenbar etwas Mastixharz bei der letzten Destillation der Maische beigegeben. Unter den Mesedes finden wir botanische Besonderheiten, so gedünstete „Krithama“, Meerfenchel, den man von den nackten, brandungsbespritzten Felsen sammelt. Anbauen kann man ihn nicht. Daneben gibt es unter anderem „Vlita“, ein Fuchsschwanzgewächs, das mit Zitrone, Knoblauch und Öl ein Gedicht der Sonderklasse ist. Als es mir erstmals gelang, aus in Griechenland erworbenen Samen dieses Gemüse zu ziehen, und das im Halleschen Kleingarten riesenhoch geworden ist, schüttelten die Nachbarn den Kopf über das vermeintliche Unkraut. Ein fürchterliches Kindergeschrei hob an, als die ersten Kudsumures und Tsipures (auch so Fische) kamen. Die Fischlein waren mehr als reichlich, doch die Kinder fürchteten, zu kurz zu kommen. Ich erinnere mich an meine eigene Kindheit: da war Fisch ein Haßgericht. Warum, das weiß ich jetzt: das, was meine Mutter als „Fisch“ servierte, verdiente den Namen nicht. Kinder haben einen sehr differenzierten Geschmack, Verderbnis riechen sie viel schneller als wir.

„Tsipura“ heißt der Fisch, Tsipuro das Destillat.

Nun klingt das alles so, als gäbe es keine Krise in Griechenland, denn selbstverständlich ist so ein Essen teuer. Das ist eben nur die eine Seite der Medaille. Nach dem Bezahlen sagten unsere Freunde, ab morgen gäbe es eben wieder nur Linsen und Nudeln. Man muss die Feste so feiern wie sie fallen, und die Lebensfreude werden sich die Griechen niemals nehmen lassen. Freunde erzählen, wie sie ihren Kindern richtig Angst machen: wenn Ihr nicht artig seid, kommt die Tante Merkel.

 

Das Haus  in Zagora.

 

„Psaria“, Fische.

 

13.-15.08: Athen-Larissa-Aghiokampus-Volos-Pilion

Nachts gegen eins setzt das Flugzeug auf der Landebahn in Athen auf, und kaum ist das Beifallklatschen verklungen, setzt das übliche Gerangel ein, schließlich geht es darum, als erster das Handgepäck aus der Ablage gezerrt zu haben, als erster den Gang zu verstopfen, als erster den Flughafenbus bestiegen zu haben, um dann als erster am stehenden Gepäckband warten zu dürfen, das sich dann nach einer Viertelstunde tatsächlich bewegt. In der Angst, irgendwo zu kurz zu kommen, nicht erster zu sein, sind sich Griechen und Hallenser auffallend ähnlich. Vor dem Flughafengebäude ordnen Geländer und ein Streifenwagen der Polizei die gerechte Verteilung der Ankömmlinge auf die in langer Schlange bereitstehenden Taxen. Die rasante nächtliche Fahrt über die Schnellstraße durch Athen in den Vorort Kifisia rasch bewältigt, wir verpassen die Abfahrt, weil das Geschäft, das den Abzweig markiert, pleite und nicht mehr beleuchtet ist.

Am nächsten morgen vergewissern wir uns, dass in dem noblen Vorort Kifisia sich allerdings kaum etwas merklich verändert hat. Hier sind die Reichen und Schönen unter sich,  das Angebot von Manikürestudios, edlen Modeläden und Tinnefboutiken für Menschen, die mehr als alles haben, scheint äußerlich unverändert. Die zahllosen Topfpflanzen im Garten grünen fleißig, kleine Minioasen in einer an sonsten vertrockneten Wüste. Griechische Vorstadtgärten sehen immer so aus.

Im vollkommen überalterten, aber immer noch mit TÜV-Plakette ausgestatteten Auto begeben wir uns auf die Autobahn Richtung Larissa. Unterwegs, etwa auf halber Strecke, machen wir Halt in Kamena Vourla, einem kleinen Badeort aan der Küste gegenüber der Insel Evia (Euböa).

Das Strandcafe hat eine Neuerung zu bieten: Das 5-Getreide-Bier „Bios5“. Auch in Griechenland lassen sich immer noch Überflüssigkeiten an den Mann bringen, wenn sie mit einer ausgefeilten Philosophie transportiert werden. Auf dem Tisch stehen dreieckige Aufsteller, die darauf hinweisen, wie gesund Bier ist (es hat weniger Kalorien als Wein und Schnaps), und dass Getreide seit alters her die Grundlage der gesunden mediterranen Ernährung ist. Und wenn ein Bier dann auch noch fünf Getreidesorten enthält, ist das geradezu ein diätetisches Lebensmittel. Teuer genug ist es, die Kleine Flasche kommt für 3,50 € auf den Tisch. Aber das fade Zeug enthält dafür:

„Reis, damit es vollkommen ist“

„Gerste, damit es traditionell ist“

„Roggen, damit es überraschend ist“

„Weizen, damit es reich und gehaltvoll ist“

„Mais, damit es leicht ist“

Derart gestärkt, treten wir die Weiterfahrt nach Larissa an, sitzen eine Weile mit der Schwiegermutter auf der Terasse in der Straßenschlucht mehrgeschossiger Hochhäuser, und fahren durch die  thessalische Tiefebene, dann durch die Berge von Mavrovouni, an den Ferienort Aghiocampus.

Landschaft in Thessalien, zwischen Larissa und Aghiocampos.

Endlose Autoschlangen aus Richtung Küste begenen uns in der Dämmerung, und lassen erahnen, dass wir dieses Jahr zu früh dran sind. Es ist noch Hauptferienzeit in Griechenland, und so erwartet uns am Ziel griechischer Freizeitterror total.

Einen Steinwurf von unserer Terrasse des Ferienhauses hat eine Strandbar aufgemacht und wummert die Häuserzeile mit Bässen voll, aber die kommt kaum gegen das lautstark schreiend sich unterhaltende, vierköpfige griechische Rentnergespann an, das sich in der Nachbarschaft eingemietet hat. Es ist ein seit der Antike gehütetes Geheimnis griechischer Rhetorik, der Nebensächlichkeit der Gedanken durch gewaltiges Anheben der Stimme Ausdruck zu verleihen. Den Rest besorgen knatternde Mopeds mit abgesägtem Auspuff, die Schaufahrten auf der Strandpromenade veranstalten.

Bloß weg von hier. Der Fluchtweg führt 5 Minuten fußläufig zum Lokal des „Lideris“, der sich mittlerweise durch seine gute Küche einen Namen gemacht hat. Es liegt etwas abseits im Ort, in einer Stichstrasse. Man sitzt zwischen Bäumchen draußen, es weht ein lauer Wind, die Kellner sind freundlich, aber unaufdringlich. Essen ist einfach und genial. Zum obligatorischen Tsipouro (ein Tresterschnaps, ziemlich hochprozentig) werden nach thessalischer Art – natürlich im Preis inbegriffen ) „Mesedes“, (Vorspeisen),  gereicht, in einem Umfange, wie sie eigentlich als Hauptgericht ausreichen würden. Es sind immer kleine Überraschungen, gleichsam eine Art „Gruß aus der Küche“, die aber in Griechenland eine lange Tradition haben, das Wort stammt noch aus dem Türkischen. Besonders klasse dieses mal : „Mydorisi“, eine Art Risotto mit Muscheln, lauwarm, mit Zitrone und sehr schmackhaftem Olivenöl serviert. Das Rezept werde ich noch abfassen, und hier einstellen.

„Mydorisi“ – Risotto mit Miesmuscheln, Dill und Olivenöl.

 

Kudsumures, paniert und gegrillt.

„Kudsumures“ heißen die kleinen, panierten und gegrillten Fischlein, die derart frisch und schmackhaft sind, dass sie nicht nur uns, sondern auch die kleinen Kätzchen begeisetrn, die flugs angeschossen kommen, und schüchtern wartend, dann, als sie merken, dass wir gute Mnschen sind, uns die Finger ablecken mit diesen Leckerreien ablecken. Im Verhalten sind griechische Katzen unseren einheimischen ähnlich, das heißt, eigentlich ist jede ein stolzes Individuum.

Griechenkatzen verfügen über ein Turbolaufwerk.

Fuchs-Katzen-Hybride

Nur dass sie anders aussehen: sie haben größere Augen, und fallen durch ihre viel längeren Beine auf. Wahrscheinlich haben Evolutuonsbiologen schon längst das Rätsel gelöst, aber ich habe meine eigene Theorie. Lange Beine sind von Vorteil, wenn man rennen muß – sei es, um Beute zu erhaschen oder menschlichen Fußtritten zu entkommen (leider sind nicht alle Griechen Katzenliebhaber, obwohl ihre Zahl stetig zunimmt). Kurze Beine sind dagegen hilfreich, wenn es gilt, Bäume zu erklettern. Hohe Kletterbäume als Zufluchtsort sind aber in Griechenland selten.

Der kommende 15.  August ist ein gestzlicher Feiertag, das Fest der Maria. Gefühlt jede zweite Frau hat an diesem Tag ihren Namenstag (Namenstage werden in Griechenland so gefeiert, wie bei uns Geburtstage), und ebenso traditionell ist dies der letzte Ferientag, der in Griechenland noch mal so richtig ausgekostet wird.  Als wir am Vorabend Aghiokampus mit Ziel Larissa und dann Volos- Zagora (Pilion) verlassen, kommen uns bereits lange Autoschlangen auf den Serpentinen entgegen. Sie bestätigen, dass unsere Absicht, die Gegenrichtung anzutreten, richtig war.

Der Zielort, Zagora, ist einer der Hauptorte der gebirgigen Halbinsel Pilion. Wie die meisten Orte liegt er in der Höhe, weit oberhalb des Meeres, um vor Piratenüberfällen geschützt zu sein. Hier, auf ca. 800 Metern Höhe im Pilion gelegen, feiern wir in den Namenstag unserer Schwägerin hinein. Das alte Steinhaus liegt einsam, hier stören wir niemanden, wenn wir uns um die Wette lautstark ausnahmslos dummes Zeug erzählen.

 

Des Hei-Wu Reise in das Land der Griechen.

Wieder ist ein Jahr vergangen, seit der letzten Griechenlandfahrt im Spätsommer 2011. Es hat sich viel getan, in Griechenland, wie auch in Halle. Griechenland befindet sich in einer schweren Krise, und in die sonst übliche Vorfreude auf ungetrübten Urlaub mischt sich Besorgnis. Kaum einer unter unseren griechischen Freunden und Anverwandten ist von der Wirtschaftskrise unverschont geblieben: Arbeitslosigkeit, massive Lohnkürzungen, gewaltige Steuererhöhungen, insbesondere indirekte Steuern, allgemeine Preissteigerungen machen dort das Leben schwierig, wie wir aus der Ferne immer wieder in Telefongesprächen erfahren. Schon letztes Jahr waren die Vorboten der Krise im Alltagsleben unübersehbar. Wir kommen aber nicht als Krisentouristen, wir werden über einige Facetten berichten, subjektiv aufgelesenen am Wegesrand, wobei die ganz persönlichen Dinge, die nicht in die  Öffentlichkeit gehören, natürlich ausbleiben werden.

Noch etwas ist anders: Die Reiseberichte des „Hei-Wu im Land der Griechen“ erscheinen dieses mal – und sicher auch die nächsten Male – hier auf diesen Seiten, im Hallespektrum. Nach und nach werde ich dann auch die beiden älteren Reiseberichte von 2010 und 2011 hierher kopieren.

Was ist dieses Jahr geplant? Der „Flieger“, wie man neudeutsch sagt, hebt gegen 18.30 h in Leipzig ab, Umsteigen in Frankfurt, und irgendwann werden wir in Athen landen, wo wir uns erst einmal bei der Anverwandschaft ausruhen. Es soll dann einen kurzen Abstecher wieder in den Pilion geben, dann fahren wir in die Umgebung von Larissa/Thessalien. Eine kleinere Rundreise, wahrscheinlich an die Nordwestküste, ist auch geplant.

Jetzt gleich fahre ich das Gimritzer Rechenzentrum herunter, ich muß noch die „Japanertasche“ packen, wie meine Frau die nennt. Die ganze Elektronik muß eben mit, Handy mit GPS, Kamera, diverse Ladegeräte, der Internetsticks von der OT, der griechischen Telekom, Speichermedien, aber auch Mitbringsel wie Samentütchen, botanisches Besteck zum Pflanzensammeln, schlichtweg: der Marsrover „Curiosity“ ist kaum besser ausgestattet, und die ausgebeulte, abgewetzte  Tasche wohl auch kaum leichter.

Unsere Katze liebt geöffnete Koffer nicht – die riechen nach Abreise. Die „Japanertasche“ erregt ihr Interesse sehr. Sie spielt schon mal „Sicherheitskontrolle“, ein schöner Vorgeschmack, wenn es nachher beim Check-in heißt: „Laptop bitte rausnehmen., „Öffnen!“, „Kamera auslösen“, „Nein, fotografieren im Sicherheit ist nicht gestattet..“

Und es heißt Abschied nehmen von der Katze, die mal wieder ahnt, dass sie verlassen wird. Die Nachbarn werden sich stündlich um sie kümmern, aber das weiß sie noch nicht, und deshalb streicht sie immer leise klagend um meine Beine herun.