Europäische Boheme im Osmanenreich in der thessalischen Provinz: das dekadente Leben eines illustren Schweizer Ehepaars in einem griechischen Dorf

 Eine besondere Entdeckung im Diachronen Museum Larissa ist die  Sonderausstellung, die wir noch am letzten Eröffnungstag erleben konnten. Titel der Ausstellung: „Choro-Grafies: die malerische Ausschmückung des Herrenhauses der Favres in Metaxochori bei Aghia“.

„Choro-Grafies“ ist dabei ein Wortspiel: es erinnert einerseits an die Choreographie, meint aber „Raum-Malerei“, gemeint ist die malerische Ausstattung von Innenräumen eines stark verfallenen ehemaligen Herrenhauses aus dem vorletzten Jahrhundert, dessen sterbliche Hülle sich im Eingang des kleinen, malerischen Ortes Metaxochori, oberhalb von Aghia, etwa 40 km östlich Larissa, befindet. 1872, noch immer gehörte Thessalien zum Osmanischen Reich, erhielt der kleine Ort, dessen Bewohner in erster Linie von der Seidenzucht lebten (Metaxochori bedeutet „Seidendorf“) illustren Zuzug: Der wohlhabende schweizer Bankier, Baron Eugene Favre und seine französische Frau Stefania, eine ehemalige Tänzerin aus dem Pariser Moulin Rouge, gaben sich die Ehre. Die gute Luft, die bezaubernde Hanglage des Ortes mit dem weiten Blick über die Thessalische Ebene gaben wohl den Ausschlag, sich hier niederzulassen, ferner winkten Geschäfte mit Wolle und Seide. Mindestens vier Manufakturen errichteten sie im Ort: für Seide, für Kerzen, Seife und eine für Nudeln. Sie brachten kosmopolitisch westliche-mondäne Kultur in den noch stark orientalisch geprägten Südosten Europas. Mit ihrer Lebensart dürften sie einen merkwürdigen Eindruck unter der Landbevölkerung hinterlassen haben: Insbesondere Stefania, die fortan nur mit „Madama“ angeredet wurde und mit extravaganter Kleidung im Ort Furore machte. 1876 erteilten sie den Auftrag zum Bau eines Herrensitzes („Archontiko“) mit einem im Ort ungesehenen Ausmaß: drei Etagen hoch, jede Etage mit 300 Quadratmetern Wohnfläche. Äußerlich verhältnismäßig schmucklos, traditionell aus lehmgebundenen Steinen und Holzbindern errichtet, entfaltete das gewinkelt zweiflügelig errichtete Gebäude seine Pracht im Inneren. Während repräsentative Wohnbauten jener Zeit noch in eher traditionellem osmanischen Stil ausgestattet wurden („Turkobarock“), sollte das Herrenhaus der Favres europäische, historistische Pracht neuesten Stiles entfalten, oder so etwas in der Richtung: Denn offensichtlich fanden sich keine in westeuropäischer Manier erfahrene Maler in der Provinz. Das Ergebnis, was Meister Argyropoulos und seine Helfer ablieferten, ist in seiner bäuerlich-naiven Art dafür um so herzerfrischender.

Im Schlafzimmer sollten Putten und Eroten schweben, Im Treppenhaus „fliegende Gruppen“ in Pompejanischer Manier die Wände beseelen, und Jagdszenen wie auch spielende Kindergruppen die repräsentativen Wohnräume Wände bereichern

Allerdings gingen die Maler aus den umliegenden Provinzen so vor, wie sie sonst in der Ikonenmalerei arbeiteten: mit perforiertem Pergament wurden die Umrisse von Vorlagen aus irgendwelchen westlichen Katalogen auf die Wand übertragen. Hatte man einmal eine hübsche Vorlage mit einem Putto, wurde er einfach mehrfach per „copy&past“ auf die Wände fabriziert, und ihm dann  mal ein Bogen, mal ein Blumenkranz in die Ärmchen gedrückt. Die Umrisse wurden liebevoll, aber etwas doch unbeholfen naiv ausgemalt, und so erfreuen uns heute die Malereien, im Museum. Denn sie konnten in letzter Minute in den vergangen beiden Jahren gerettet werden.

Was es damit auf sich hatte: das ausschweifende Leben der Favres endet tragisch. Sie betrog ihren Mann mit dem italienischen Hausdiener, der betrogene Gatte beging vor Kummer Selbstmord im Fluss Pinios. Was aus „Madama“ wurde, wissen wir nicht, sie blieb  jedenfalls kinderlos, ohne Erben. Das Haus ist dann wohl an die Gemeinde Aghia gefallen (der es zumindest noch gehört) stand zuletzt leer. Bei solchen Häusern führt Leerstand schnell zur Zerstörung: Die tragenden Balken, die nicht nur die Geschosse, sondern ach die Steinmauern zusammenhalten, vermoderten. Fast alle Geschossdecken stürzten ein. Glücklicherweise hat die Gemeinde Aghia wie auch die staatliche Denkmalbehörde in letzer Minute die Bedeutung der Ruine erkannt. Sie erhielt ein Notdach aus Wellblech und die Fensterhöhlen sowie eingebrochene Wandteile wurden mit stützenden Ziegelmauern provisorisch versteift. Die Wandmalereien aber, so man ihrer noch habhaft werden konnte, wurden in einem komplizierten Verfahren abgenommen, auf stabile, transportable Bildträger montiert und aufwändig restauriert. So gelangten sie nun in die Sonderausstellung ins Museum nach Larissa. Was weiter mit dem Gebäude und den Malereien geschieht, ist indes, laut einem Artikel des Onlinemagazins „Larissanet.gr“ (des thessalischen Spiegels des Hallespektrums:) ) von 2017 weiterhin ungewiss, es scheitert, wie immer, am Geld..

 

 

 

 

Im Rodopi-Gebirge: Wenn der Förster seine Gäste in den Wald schickt

In den Wäldern von Stavroupolis, 5.September 2016

Der Morgen unter der Tanne: zunächst muss ich hier eine Tourismusinformation vorweg schicken:  die Übernachtung in der sehr gepflegten Suite mit häuslicher Atmosphäre kostet 45 €, Einzelzimmer 35. ( Kontakt: http://toarchontiko.gr/en/home-page-en/) Damit ist die Belle Etage,  inklusive Küche des Archontiko, inbegriffen. Das Frühstück: Du machst es entweder selbst, oder Pantelis, der an unserem Tage Urlaub hat, serviert es uns, für weitere 5 Euro pro Person, oder seine Frau, oder seine Angestellten.

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Frühstücksgedeck unter der Tanne

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Leider habe ich von dem opulenten Frühstückstisch bei Pantelis unter der großen Tanne kein Foto gemacht, dafür aber etwa hundert Katzenbilder. Rechts eine Schmusekatze, die alles mit sich machen lässt, wenn sie ein kleines Stück Pasturmas vor die Nase bekommt (den Rest esse ich, soweit kommt das noch). Ihr Bruder links ist intelligent, besucht auf Stavroupolis schon die Oberschule: Er kann bis drei zählen. Er fordert Dich genau drei mal auf, ihm am Kopf zu kraulen, beim vierten mal haut er zu. Beide lieben Butterstückchen, die sie gerne in Tannenadeln vor dem Verzehr zu Kugeln formen.

In jedem Fall läuft das Frühstück unter der Tanne den Interessen des Gastgebers Pantelis eigentlich diametral zuwider: es ist einfach zu viel, zu umfangreich, und zu wohlschmeckend, dazu derart abwechslungsreich, dass noch irgend jemand auf die Idee käme, allzu rechtzeitig den Reiseempfehlungen des „Oberförsters Pantelis“, so wie wir ihn nennen, zu folgen. Es gibt unter anderem: dünne Scheiben  Pasturmas (eine besondere Art gewürzten Schinkens, türkisch: „Pastirma“), es gibt mehrere Sorten Frischkäse und Butter unterschiedlicher Zubereitungsart, Tiganies (so was wie Krapfen), Retselia (Marmelade), Eier, und Zeugs aus der Kategorie „hastenich gesehen“. Unten im Tal des Flusses Nestos tutet gelegentlich die Eisenbahn, die sich mit leichter Diesellok und zwei Wagen durch das Gebirgstal schlängelt, sie gibt dieses melancholische Tacktack von sich, das in uns Erinnerung an Kindertage aufsteigen lässt, während aus dem Dorf  gedämpftes Hundegebell aufsteigt.

Während des Frühstücks vollführt Pantelis bühnenreife Wegbeschreibungen, die einer Pina Bausch ebenbürtig wären. Er möchte uns in seien Wald lotsen. „Du stehst also vor dem Ort „Dasiko Choroio“, dann gibt es drei Wege, einen links, ein Erdweg, dann noch einen, dann der Asphaltierte“. Er macht Bewegungen, die den ganzen Ort der Abzweigung eindrucksvoll beschreiben: mal stellt er einen Laubbaum dar, dann einen Busch, dann mimt er eine Tanne, und mit den Händen weist er uns den Weg durch die imaginäre Szenerie.  Seine Wegbeschreibungen enthalten Würdigungen der Landschaftsschönheiten, wilde Tiere, dann wieder genaue Ortsangaben. Das halbe Rodope-Gebirge als Theaterstück.

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Unten liegt Stavroupoli und das Tal des Nestos, weiter oben werden wir uns verlieren.

Pantelis liebt seinen Wald, neulich hatte er Urlaub, und nutzte die Zeit, um an sein Revier angrenzende Wälder zu besuchen. Er kam begeistert zurück, während wir uns in seinem Wald etwas verirrten.

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„Pros Kataraktes“, zu den Wasserfällen, sagt das Schild. Das ist noch unterhalb der Wälder, in denen wir uns verirren werden.

Dennoch ist es ist  kein Wunder, dass nach Homers litararischen, plastischen Ortsbeschreibungen Troja trotzdem erst so spät wiedergefunden wurde. Die Fahrt in etwa 1600 Höhenmeter hatte unser Waldpoet  zwar noch nachvollziehbar beschrieben,  dann, im Wald, verließ uns etwas die Erinnerung an das Schauspiel des Pantelis, die Kataraktes im Wald (Wasserfälle), fanden wir nicht, weil ein Mitarbeiter unseres Försters gemeinsam mit 5 Maultieren auf dem Fahrweg Holz abgeladen hatte. Und zwar Unmengen.

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Holz wird im Naturschutzgebiet in den Rodopen nicht mit dem Harvester geerntet. Das ist verboten, aber es gibt Maultiere, die den Transport bewerkstelligen

Der entschuldigte sich höflich, ein netter Kerl von vielleicht 16 Jahren. Den Haufen Holz zu verrücken, wäre unmöglich gewesen, und das Ganze für Wasserfälle, die bei der anhaltenden Trockenheit auch hier im Rodopigebirge wahrscheinlich nur tröpfeln, wäre der Mühe nicht wert.

Während der folgenden „Irrfahrt“ (Handy-GPS kann man vergessen, es gibt keine Internet-Kartendaten im Wald)  gelangen wir durch Platanenwälder, dann gab es haushohe Buchen, Eichenwälder (es gibt mindestens 19 Eichenarten, sagt Pantelis), und allzu selten lockte eine Quelle mit Wasser. Man kann gut einen Tag in diesem Urwald verbringen, mutig muss man sein, wenn die Sonne langsam den Wald in orangefarbenens Licht taucht, deine GPS-Daten Dir sagen, dass du dich im Kreise bewegst, aber sie nicht sagen, wo. Und kurz bevor die dein GPS-Dings Dir mühsam funkt, dass du bald am Ausgangsort bist, da taucht vor Dir abermals ein riesiger Haufen fetter Baumstämme auf, frisch geschlagen, mitten auf dem Weg. Zurück: Niemals, vorwärts? wie?.

Irgendwo im dichten Wald knattert eine Motorsäge, es wird langsam dämmrig. Wir rufen um Hilfe, Waldarbeiter kommen die Böschung herunter, zwei Stunden werde es dauern, den Weg frei zu machen, sagen sie, das erscheint bei diesem Haufen fetter Buchenstämme realistisch. Zurück zu kehren sei unmöglich, sagen wir, die Wegbeschreibung des Pantelis hätten wir nicht mehr parat, und so geht ein Rucken und Zucken durch die Gemeinde der Holzarbeiter, das seinesgleichen sucht. Wir versuchen, mit anzupacken, aber es ist beschämend, wenn ein Mensch Mitte Siebzig Dich vom Holzstamm wegruft, weil der nun wirklich zu schwer sei, und dabei  auch noch Recht hat. Sie setzen sich auf den Boden, schieben die Stämme mit Füßen beiseite, größere Exemplare werden auf Kante gesetzt, und wie Fässer gerollt. Untereinander sprechen sie Pomacko, türkisch ist auch dabei, „tamam“ sagen sie,  „alles OK“, aber auch ihr Griechisch ist besser als das Meinige. Pantelis hatte uns gesagt, es seien seine Freunde, und da kann man ihn verstehen.

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VielHolz.