Mit dem Kanu auf dem Nestos von Stavroupoli nach Galani und zurück über die Berge

Stavroupoli, 06. September 2016

Unser Wirt Pantelis bestand darauf, dass wir uns entscheiden sollen: Den Nestos, der sich tief unterhalb von Stavroupoli durch tiefe Schluchten zwängt, entweder mit der Bahn zu erkunden (was wohl ein Erlebnis sein soll), oder aber mit dem Kanu. Letzteres klingt spannender. Er ruft seinen Kumpel Georgios an, der erscheint nach einer halben Stunde mit seinem Wagen und holt uns ab. Unten am Kiesufer des Nestos treffen noch  eine Deutsch-Griechische Familie aus Aschaffenburg als weitere Tourteilnehmer ein.

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Die Kanus sind stabile „Kanadier“, der Führer verteilt uns zu je zweit auf die Boote, und dann wird in „See“ gestochen. Der Fluss hat zur Zeit nicht viel Wasser, aber noch genug, um an einigen Stellen eine passable Strömung zu erzeugen, die uns bequem voran treibt. Immer steiler ragen die Felswände neben uns auf, einige Graureiher fliegen entsetzt davon, wenn wir mit unseren Botten vorbei ziehen.

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Panorama am Rastplatz

Auch zwei Schwarzstörche geben sich die Ehre. Die Strecke, die wir zwischen Stavroupoli und Galani zurück legen, beträgt etwa fünfundzwanzig Kilometer, zwei Picknickpausen werden auf den Schotterbänken eingelegt, insgesamt sind wir dann etwa drei Stunden auf dem Wasser unterwegs. Zum baden ist der Fluss übrigens – obwohl es pausenlos hier oben sehr heiß war, mit 14 Grad einfach zu kalt.

Nach der Anlandung in Galani folgt der Zweite Teil der Exkursion: Die Boote werden auf den Anhänger geladen, dann werden wir knapp 1000 Meter in die Berge gefahren: von einem Aussichtspunkt oberhalb des „Ästhetiko Dassos“ hat man Flugzeugperspektive.

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Blick über den Nestos in Richtung Meer. Der Schatten ganz im Hintergrund ist die Insel Thassos.

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Da unten sind wir durchgepaddelt, jetzt sehen wir uns das aus einer Höhe von knappm 1000 Metern von oben an.

Wir sehen über die mäandrierende Schlucht, die wir gerade durchpaddelt hatten, hinweg in die Ferne, wo sich der Fluss weiter Richtung Mündung ins Meer bewegt. dahinter sieht man schwach die Umrisse der Insel Thassos liegen. Wir erfahren, dass hier im Rodopi-Gebirge seit den 1960er Jahren viele Dörfer aufgegeben wurden, ihre Bewohner haben ihre Orte meistens Richtung Deutschland verlassen. Ihre Pferde, die wohl niemand mehr haben wollte, haben sie dabei einfach frei gelassen: seitdem sind sie verwildert, und bilden recht beständige Herden.

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Da rennen sie davon, die verwilderten Pferde.

Eine solche Herde von „Wildpferden“ sehen wir davon stieben, als wir den verlassenen Ort Ano Liveria besuchen. In dem einst etwa 400 Seelen zählende Dorf lebt heute noch ein einzelner Mann: er ist zurück gekehrt, hat sein Haus restauriert und harrt hier oben in der Einsmkeit aus. Ano Livadia ist dabei eine Art modernen Pompei: nur wenige Häuser stehen noch, die meisten sind nur noch Trümmerhaufen: bei der hiesigen Bauart bleibt von einem Haus nicht viel übrig, wenn es verlassen wird.

Es sind Konstruktionen aus Bruchstein, mit eingelegten Holzrahmen, das Bindemittel ist Lehm. Wenn das Holz, das die Steine am seitlichen Auseinanderdriften hindert, vermodert, rutscht bei den häufigen Regengüssen im Winter die durchfeuchtete Lehm-Steinmasse auseinander, zurück bleiben nur noch ein Haufen Stein und Erde, die schnell von der Vegetation angenommen werden. Nach der Rückkehr erhalten wir noch eine CD mit Bildern, die Georgos während der Tour von uns gemacht hat. Kosten für den insgesamt 4 1/2 stündigen Ausflug: 40,- € pro Person. Facit: Empfehlenswert.

Gegessen haben wir während des dreieinhalbtägigen Aufenthalts abends immer im „Steki“, einem Lokal in der Nähe der Platia von Stavroupoli. Die Gerichte sind allesamt schlicht und gut zubereitet, neben den Klassikern wie Suvlakia gibt es vorzüglich dünn panierte, gebratene Zucchinischeiben, und eine Spezialität im insgesamt fleischlastigen Thrakien sind die Bratwürste, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

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Werschtschen !

 

Im Rodopi-Gebirge: Wenn der Förster seine Gäste in den Wald schickt

In den Wäldern von Stavroupolis, 5.September 2016

Der Morgen unter der Tanne: zunächst muss ich hier eine Tourismusinformation vorweg schicken:  die Übernachtung in der sehr gepflegten Suite mit häuslicher Atmosphäre kostet 45 €, Einzelzimmer 35. ( Kontakt: http://toarchontiko.gr/en/home-page-en/) Damit ist die Belle Etage,  inklusive Küche des Archontiko, inbegriffen. Das Frühstück: Du machst es entweder selbst, oder Pantelis, der an unserem Tage Urlaub hat, serviert es uns, für weitere 5 Euro pro Person, oder seine Frau, oder seine Angestellten.

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Frühstücksgedeck unter der Tanne

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Leider habe ich von dem opulenten Frühstückstisch bei Pantelis unter der großen Tanne kein Foto gemacht, dafür aber etwa hundert Katzenbilder. Rechts eine Schmusekatze, die alles mit sich machen lässt, wenn sie ein kleines Stück Pasturmas vor die Nase bekommt (den Rest esse ich, soweit kommt das noch). Ihr Bruder links ist intelligent, besucht auf Stavroupolis schon die Oberschule: Er kann bis drei zählen. Er fordert Dich genau drei mal auf, ihm am Kopf zu kraulen, beim vierten mal haut er zu. Beide lieben Butterstückchen, die sie gerne in Tannenadeln vor dem Verzehr zu Kugeln formen.

In jedem Fall läuft das Frühstück unter der Tanne den Interessen des Gastgebers Pantelis eigentlich diametral zuwider: es ist einfach zu viel, zu umfangreich, und zu wohlschmeckend, dazu derart abwechslungsreich, dass noch irgend jemand auf die Idee käme, allzu rechtzeitig den Reiseempfehlungen des „Oberförsters Pantelis“, so wie wir ihn nennen, zu folgen. Es gibt unter anderem: dünne Scheiben  Pasturmas (eine besondere Art gewürzten Schinkens, türkisch: „Pastirma“), es gibt mehrere Sorten Frischkäse und Butter unterschiedlicher Zubereitungsart, Tiganies (so was wie Krapfen), Retselia (Marmelade), Eier, und Zeugs aus der Kategorie „hastenich gesehen“. Unten im Tal des Flusses Nestos tutet gelegentlich die Eisenbahn, die sich mit leichter Diesellok und zwei Wagen durch das Gebirgstal schlängelt, sie gibt dieses melancholische Tacktack von sich, das in uns Erinnerung an Kindertage aufsteigen lässt, während aus dem Dorf  gedämpftes Hundegebell aufsteigt.

Während des Frühstücks vollführt Pantelis bühnenreife Wegbeschreibungen, die einer Pina Bausch ebenbürtig wären. Er möchte uns in seien Wald lotsen. „Du stehst also vor dem Ort „Dasiko Choroio“, dann gibt es drei Wege, einen links, ein Erdweg, dann noch einen, dann der Asphaltierte“. Er macht Bewegungen, die den ganzen Ort der Abzweigung eindrucksvoll beschreiben: mal stellt er einen Laubbaum dar, dann einen Busch, dann mimt er eine Tanne, und mit den Händen weist er uns den Weg durch die imaginäre Szenerie.  Seine Wegbeschreibungen enthalten Würdigungen der Landschaftsschönheiten, wilde Tiere, dann wieder genaue Ortsangaben. Das halbe Rodope-Gebirge als Theaterstück.

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Unten liegt Stavroupoli und das Tal des Nestos, weiter oben werden wir uns verlieren.

Pantelis liebt seinen Wald, neulich hatte er Urlaub, und nutzte die Zeit, um an sein Revier angrenzende Wälder zu besuchen. Er kam begeistert zurück, während wir uns in seinem Wald etwas verirrten.

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„Pros Kataraktes“, zu den Wasserfällen, sagt das Schild. Das ist noch unterhalb der Wälder, in denen wir uns verirren werden.

Dennoch ist es ist  kein Wunder, dass nach Homers litararischen, plastischen Ortsbeschreibungen Troja trotzdem erst so spät wiedergefunden wurde. Die Fahrt in etwa 1600 Höhenmeter hatte unser Waldpoet  zwar noch nachvollziehbar beschrieben,  dann, im Wald, verließ uns etwas die Erinnerung an das Schauspiel des Pantelis, die Kataraktes im Wald (Wasserfälle), fanden wir nicht, weil ein Mitarbeiter unseres Försters gemeinsam mit 5 Maultieren auf dem Fahrweg Holz abgeladen hatte. Und zwar Unmengen.

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Holz wird im Naturschutzgebiet in den Rodopen nicht mit dem Harvester geerntet. Das ist verboten, aber es gibt Maultiere, die den Transport bewerkstelligen

Der entschuldigte sich höflich, ein netter Kerl von vielleicht 16 Jahren. Den Haufen Holz zu verrücken, wäre unmöglich gewesen, und das Ganze für Wasserfälle, die bei der anhaltenden Trockenheit auch hier im Rodopigebirge wahrscheinlich nur tröpfeln, wäre der Mühe nicht wert.

Während der folgenden „Irrfahrt“ (Handy-GPS kann man vergessen, es gibt keine Internet-Kartendaten im Wald)  gelangen wir durch Platanenwälder, dann gab es haushohe Buchen, Eichenwälder (es gibt mindestens 19 Eichenarten, sagt Pantelis), und allzu selten lockte eine Quelle mit Wasser. Man kann gut einen Tag in diesem Urwald verbringen, mutig muss man sein, wenn die Sonne langsam den Wald in orangefarbenens Licht taucht, deine GPS-Daten Dir sagen, dass du dich im Kreise bewegst, aber sie nicht sagen, wo. Und kurz bevor die dein GPS-Dings Dir mühsam funkt, dass du bald am Ausgangsort bist, da taucht vor Dir abermals ein riesiger Haufen fetter Baumstämme auf, frisch geschlagen, mitten auf dem Weg. Zurück: Niemals, vorwärts? wie?.

Irgendwo im dichten Wald knattert eine Motorsäge, es wird langsam dämmrig. Wir rufen um Hilfe, Waldarbeiter kommen die Böschung herunter, zwei Stunden werde es dauern, den Weg frei zu machen, sagen sie, das erscheint bei diesem Haufen fetter Buchenstämme realistisch. Zurück zu kehren sei unmöglich, sagen wir, die Wegbeschreibung des Pantelis hätten wir nicht mehr parat, und so geht ein Rucken und Zucken durch die Gemeinde der Holzarbeiter, das seinesgleichen sucht. Wir versuchen, mit anzupacken, aber es ist beschämend, wenn ein Mensch Mitte Siebzig Dich vom Holzstamm wegruft, weil der nun wirklich zu schwer sei, und dabei  auch noch Recht hat. Sie setzen sich auf den Boden, schieben die Stämme mit Füßen beiseite, größere Exemplare werden auf Kante gesetzt, und wie Fässer gerollt. Untereinander sprechen sie Pomacko, türkisch ist auch dabei, „tamam“ sagen sie,  „alles OK“, aber auch ihr Griechisch ist besser als das Meinige. Pantelis hatte uns gesagt, es seien seine Freunde, und da kann man ihn verstehen.

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VielHolz.