Wer von Larissa – oder Aghiokampos aus den Pilion erreichen wollte, jene auch unter griechischen Touristen und Ferienhausbesitzern begehrte Berglandschaft, würde, normalerweise einen – zumindest auf der Landkarte – sehr umständlichen Weg fahren, der fast drei Stunden benötigt: Über Larissa die Schnellstraße oder gleich die Autobahn Richtung Volos , Portaria, und dann, beispielsweise Richtung Tangarada oder Zagora fast die Ganze Halbinsel umrunden.
Es geht auch anders: Knappe 20 Kilometer sind es von Aghiokampos, dem Traumstrandort Larissas, zu einem der Traumstrände des Pilion, Nomos Volos. Den Weg muss man nur kennen. Ein kleines Stück die normal ausgebaute Küstenstraße entlang, und nach etwa 10 Kilometern Weg, wo sich die Straße langsam in die Berge ansteigt, wenige hundert Meter, nachdem man den Fluss Rakopotamos überquert hat, der hier ins Meer mündet (und wo es einen beliebten Strand mit guten Angelmöglichkeiten gibt) gibt es ein handgemaltes Straßenschild: Keramidi Volou. Das Schild verweist auf einen holprigen Waldweg, 12,6 Kilometer sind es nur, wenn man dem Schild traut. An den Steilhängen entlang schleicht sich der rumplige Schotterweg (mit etwas Mut auch für nicht ganz geländegängige Fahrzeuge durchaus passierbar) durch dichte, dunkle Wälder, dann wieder Macchien, Olivenhaine, und immer wieder liegt das Meer in beängstigender Tiefe ganz tief links unten.
Auch zu Fuß wäre der Weg zu schaffen – vielleicht eher im Herbst, wenn es nicht ganz so heiß ist, dafür aber die Pilze am Wegesrand locken. Auf der Strecke, die man mit dem rumpelnden Wagen etwa eine Stunde benötigt, weil man auch hin und wieder anhalten muss, um den Blick über die Landschaft schweifen zu lassen, oder um Feigen zu mopsen, glaubt man manches Mal gar, ganz woanders zu sein, etwa auf Rügen, woran die gleißend weißen Sandsteinfelsen erinnern, die immer wieder am Hang, bekrönt von hohen Buchen und Eichen, auftauchen.
Diese gut 12 Kilometer können da sehr lang werden. Glaubt man, nie wieder aus dieser erstaunlich feuchten Wildnis heraus zu kommen, sieht man rechts oben im Gebirge eine aus Steine gebaute Ortschaft liegen: Keramidi ( oder Keramidion, es gibt zwei Schreibweisen).
Das letzte Stück nach Keramidi hinauf führt nun eine ganz normale Asphaltstraße, und links hinunter geht die Straße nach Kamari.
Erst Baden? dann fahren wir erst einmal den Weg hinab. Kamari: Kleine Bucht, ein paar Häuser, eine Taverne, die allerhand Erfrischungen anbietet. Am Strand wenig Betrieb, das Wasser ist glasklar. Beim Schwimmen im lauwarmen, türkisfarbenen Wasser wird man zuweilen kalt erwischt: schuld daran sind die plötzlich am Ufer kalt aufkommenden Strömungen- es sind Quellen, die unterirdisch aus dem Flussbett münden, das sich hier, aus dem Pilion-Gebirge kommend, kaltes Bergwasser ins Meer drückt.
Hat man genug vom Strand, dann kann man endlich nach Keramidi fahren. Es ist einer der ganz wenigen, hoch gelegenen Pilion-Orte (damals, wegen der Piraten, hat man sich im Gebirge versteckt), der noch nicht vom Tourismus entstellt worden ist. Viele der Häuser (die meisten noch aus spätosmanischer Zeit der 1880er Jahre, mit betont christlichen Symboliken in den Türsturzen) sind noch gut erhalten, zwischen ihnen bescheidene Neubauten der 1990er Jahre, das ein oder andere Haus (noch) ruinös, insgesamt ein harmonisches, natürliches Ortsbild. Als wir auf der Plateia ankommen, ist noch späte Mittagszeit, die bescheidenen Kafeneia bereiten sich auf die Öffnung vor, der Ort wirkt fast ausgestorben, denn die meisten Leute schlafen. Ein Mädchen fegt mit einem Reiserbesen den Platz vor dem Laden ihrer Eltern. Die Kirche aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, im inneren im volkstümlichen Stil des osmanischen Barocks gehalten, ist geöffnet. Marmorimitiertende Säulen tragen Rockocko-Kapitelle mit Vögeln (Pelikane) als Skulpturenschmuck. Eie geschnitzte Ikonostase gibt es, und drei Frauen (deshalb ist die Kirche geöffnet, sind mit Putzarbeiten beschäftigt, man streitet sich wortgewaltig und durchaus mit unchristlichen Kraftausdrücken über den Arbeitsablauf, denn es gilt, ein Fest vorzubereiten, Blumen werden ausgelegt, und alle Scheiben vor den Ikonen, die am meisten von den Gläubigern geküsst werden, müssen mit Sidol abgerieben und desinfiziert werden. Beim Spaziergang durch den Ort treffen wir auf einige Opas, die sich langsam von der Mittagspause erhoben haben, zwischen den zahllosen Blumentöpfen, die die schmalen Gässchen zieren, dösen Katzen, Hunde kläffen. Und immer wieder ergeben sich wundervolle Ausblicke über das Meer, das sich dunkelblau tief unten ausbreitet. Hier wären wir gerne geblieben, um das Abendleben auf der Plateia zu genießen – doch morgen ist Aufbruch.
Zu entdecken gibt es in dieser Ecke noch viel: beispielsweise die Überreste eines (angeblich) venezianischen Bergwerkes, dessen Mündungsstollen etwa auf halber Strecke des Rückwegs, unterhalb der Siedlung Ischiomata, mit seinem Mundstollen und den steinernen Stützmauern sich zum Meer hin öffnet. Andernmal. Nächtes Jahr wieder. Kallo Chimona.