Die Flut in Thessalien

4.-7. September 2023

Auf der Hinfahrt von Athen nach Larissa kommen wir an vielen verbrannten Bergen und Landschaften vorbei, und kurz vor Beginn der Thessalischen Ebene verdunkeln Rauchschwaden die Sonne – einer der letzten noch aktiven Waldbrände, irgendwo westlich der Ortschaft Almyros.

30. August: Rauchschwaden eines Waldbrandes westlich von Almiros (Thessalien) verdunkeln die Sonne

Am Donnertag, den 31. August saßen wir endlich im Garten unserer Freunde in Platykampos, einem – der Name sagt es schon – Ort in der flachen Ebene zwischen Larissa und Aghia, von wo wir dann weiter nach Aghiokampos fahren wollen. Die Freunde haben hier ein wunderbares zweistöckiges Haus in einen idyllischen Blumen- und Gemüsegarten gesetzt, wo sie vieles ihres täglichen Bedarfes anbauen. Es ist zu recht ihr Stolz. Hier wachsen Auberginen, Feigen, Riesentomaten, Melonen, Kürbisse, aber auch Wein und solche Banalitäten wie Kohl. Wir fachsimpeln über das Wetter. Beide sind nicht besonders glücklich über den Zustand des Gartens. Die ständigen, heißen und trockenen Winde haben vieles verdorren lassen. Meltemi heißt dieser heiße Wind. Heute ist die Luft schwül, und wir mutmaßen, dass es ja eine Chance auf Regen geben könne. Ja, das habe sie schon im Wetterbericht vernommen – aber sie glaube es nicht, sagt unsere Freundin.

Wir verabreden uns für den Samstag zum Krabbenfischen, und am Sonntag verbringen wir gemeinsam einen Tag am Strand und essen Fisch in einer Taverne in Aghiokampos.. Es ist warm, und von der Ferne dröhnt unglaublich laute Musik – das „Abschlusskonzert“ einer Strandbar, die Nachts nochmal richtig aufdreht, denn die Saison ist endgültig zu Ende. Montag früh fahren unsere Freunde wieder zurück nach Platykampos. Noch ahnte niemand, was nun kommen würde – wenngleich die Nachrichtensender für Montagabend vor Unwetter mit Starkregen und utopisch anmutenden Niederschlagsmengen für die kommenden Tage warnen. Man spricht von bis zu 2000 Litern Niederschlag in den kommenden Tagen pro Quadratmeter – was niemand glaubt (das ist eine zwei Meter hohe Schicht Wasser !). Das wäre die etwa 4-5-fache Menge eines durchschnittlichen Niederschlags in Griechenland pro Jahr.

Montagmorgen ist die Saison am Strand tatsächlich zu Ende – es hat in der Nacht leicht geregnet, Pfützen haben sich am Strand gebildet, aber der Himmel ist wieder klar. Es liegt eine merkwürdige Schwüle in der Luft. Abermals warnen die Nachrichten vor Regengüssen katastrophalen Ausmaßes. Gegen Abend werden die Wolken dichter, es donnert, und plötzlich prasselt ein Regen herunter, den die Welt noch nicht gesehen hat. Wir jedenfalls nicht. Es kracht und donnert, und vor allem fegt ein kräftiger Sturm den Regen fast waagerecht über die Straße – von der so wenig wie vom Strand noch irgend etwas zu sehen ist.


Beeindruckt – und nun auch etwas besorgt – gehen wir schlafen – versuchen es zumindest. Der Wind rüttelt am Haus, und ich wache morgens von einem merkwürdigen Gequäke auf – es ist die Alarmanlage des Autos, wohl von dem Unwetter ausgelöst. Ob es die kräftigen Donnerschläge oder die Windböen waren, – keine Ahnung. Jetzt hat sich das griechische Katwarn gemeldet und warnt vor Überflutungen im ganzen Land. Die Unwetter haben sich über genau unsere Region ergossen – man spricht an diesem Tag von über 700-800 Litern.

Erst langsam kommen die ersten Katastrophenmeldungen. Wir gehen raus, wollen sehen, was die Chimaroi machen. Ein Chimaros ist ein Trockental oder ausgetrocknetes Flussbett von oft beeindruckender Breite, und noch nie haben wir einen fließen gesehen, wir kennen sie immer nur trocken, mit vielen großen, rundgeschliffenen Felsen darin. Im Winter wenn es mehr regnet,, führen sie Wasser, daher auch der Name (Chimonas=Winter, Chimaros – Winterfluss). In einem Kilometer Entfernung steht die etwas übertriebene Brückenkonstruktion (nach einem spanischen Architekten, der für diese Konstruktionen bekannt ist, von den Einheimischen hier spöttisch „Kalatrava-Brücke“ genannt). Mit donnerndem Getöse rauschen die gelben Wassermassen nicht nur durch die Brücke, sondern auch an ihr vorbei, die halbe Straße haben sie bereits weggerissen, es droht immer mehr nachzustürzen. Durch den Supermarkt neben der Brücke hat sich das schmutzige Wasser ebenfalls einen Weg gebahnt, die Ladenbesitzer sind verzweifelt und versuchen zu retten, was zu retten geht.

Langsam lässt der Regen etwas nach, man hört, dass die Straßen von Volos überschwemmt sind, der nächst größeren Stadt 50 km weiter südlich. In den Fernsehaufnahme wird der Bürgermeister gezeigt, wie er verzweifelt auf Autofahrer einredet, ihren Wagen stehen zu lassen, und nicht durch die Fluten zu fahren. Vergeblich. Man sieht verzweifelte Fahrer, das griechische Katastrophenfernsehn berichtet rund um die Uhr, zeigt immer wieder die selben schockierenden Bilder in Dauerschleife, in Briefmarken großen Fensterchen versuchen aufgeregte Fernsehjournalistinnen gleichzeitig Bürgermeister, Feuerwehrleute und Betroffene zu „interviewen“, am meisten hören sie sich selbst reden, und fallen den Befragten ins Wort. Das ist nichts besonderes, sondern griechisches Fernsehen. Hier geht es aber nicht um irgend einen Nachbarschaftsstreit, sondern eine Katastrophe, die sich in den folgenden Stunden und Tagen noch entwickeln wird.

Am Strand schieben die Wogen weißlich-gelbe Schaumteppiche vor sich her. Der Wind treibt sie rollend wie Schäfchen über den Strand, wo sie knisternd zerfallen und einen braunen Schmier hinterlassen. Der Schaum ist ein Ergebnis von Algenblüte und den Schlammmassen, die von Land ins Meer strömen.

Die Erleichterung war zu früh. Am Abend des Folgetages türmen sich abermals schwarze Wolken über den Bergen von Mavrovouni auf. Nun scheint sich der Regen voll auf die Ebene um Larissa, aber auch auf Karditsa und umliegende Dörfer zu konzentrieren. Man sieht im Fernseher, wie Dörfer der Ebenen im Schlamm versinken, Häuser bis zum Dach im Waser stehen. Die Telefonleitungen nach Larissa sind gekappt, unsere Verwandschaft erreichen wir noch auf dem Handy. Sorge um unsere Freunde in Platykampos – denn der Ort liegt gefährlich in der Ebene, außerdem gibt es dort Kanäle, die vom Fluss Pinios zum Limni Karla führen. Wir erreichen unsere Freunde nicht, irgendwann bekommen wir sie doch auf dem Handy. Sie sind überschwemmt, im Haus steht eine Hand breit Wasser, das aber nicht vom Fluss gekommen ist, sondern von der Dachrinne, die dummerweise mit der Küche verbunden war. Im Garten steht das Wasser kniehoch, versunkenes Paradies. Morgen werden wir versuchen, zu unseren Freunden zu fahren, wenn das Wasser abgelaufen ist.

Wir waren nochmal an der Kalatrava-Brücke. In der Nacht ist der Fluss wiedergekommen. Er hat die Straße jetzt komplett weggerissen, und leider ist er wieder durch den Supermarkt gelaufen, den die Besitzer tags zuvor wieder geputzt und mit neuen Waren gefüllt hatten. Ihnen standen die Tränen in den Augen.

Das gesamte Ausmaß der Katastrophe haben wir hier nur über den Fernseher und das Internet mitbekommen, sie scheint „biblische“ Ausmaße genommen zu haben, das meiste wird man wohl erst begreifen, wenn die Wassermassen weg sind. Aber jetzt schon ist klar, dass die Ahrtal-Flut gegen die Thessalische Unwetterkatastrophe wohl nur ein Vorspiel war, dessen, was noch als Klimafolgen auf Europa zukommt. Leider gibt es auch im griechischen Parlament schon wieder Redner der rechtsaußen-Parteien, die den Klimawandel für eine Verschwörung halten oder eine Strafe Gottes (Und da Griechenland noch viel kleiner ist und noch weniger Wirtschaftskraft hat als Deutschland, hat es ja erst recht keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Atmosphäre.)

Fortsetzung: Nach dem Regen kommt erst die richtige Flut

Katastrophenalarm auf Griechisch – ohne Klick, ohne App, ganz einfach aufs Handy

Sonntagabend. Die Luft ist schwül-warm, wir sitzen auf der Terrasse. Unsere Handys, so heiß geglüht und ausgelaugt vom vielen fotografieren, Whats-appen und navigieren liegen ausgeruht an den Ladebuchsen. Spiegelglatt liegt das Meer in der Dämmerung, am Horizont über dem fernen Chalkidiki ziehen Wölkchen am Abendhimmel auf.

Doch die Mobilfone sind unruhig. Wären es Katzen, würden sie vielleicht jetzt ihre Ohren aufrichten. Die Elektrokatzen sind hellwach. Sie brummen. Irgendwann greifen wir nach ihnen, auf dem Bildschirm erscheint eine Banderole: Katastrophenalarm.

Jetzt schalten wir sie alle ein. Überall leuchtet die Textbanderole wie ein Menetekel, lässt sich h nicht weg-x-en: „Außergewöhnlich intensive Wettervorgänge“.

Es geht um eine Wetterwarnung. Es wird vor ungewöhnlich starken Winden, Niederschlägen und einem Temperatursturz gewarnt. Wir sollen uns über die Medien informieren, warnt das Ministerium für Klimakrise und Zivilschutz.

Wie gelangt das Ministerium auf unser Handy ? Wir haben kein entsprechenden Apps installiert. Keine Zustimmung gegeben, dass uns irgendwer irgendwas schickt. Zum Test: Wir machen die Handys aus. Wieder an. Es brummt: und da kommt sie wieder, die Meldung. Die Warnung gilt für genau die Region, wo wir sind. Mittlerweile zucken Blitze über den jetzt nächtlich dunklen Himmel. Es fängt an zu stürmen, der Wind baut sich in der Nacht zu gefühlter Orkanstärke auf, im Schein der Straßenlampen sehen wir den Schaum der Wellen hoch auf den Strand auflaufen. Ein Mobilheimbesitzer fährt sicherheitshalber sein Gefährt weg, stemmt sich bei dem Versuch, die Anhängerkupplung an die Zugmaschine zu hängen, gegen Wind und peitschenden Regen. .Überall jaulen die Alarmanlagen auf. Den nächsten Tag erfährt man, dass es so schlimm nun doch nicht war, in Thessaloniki sind ein paar Keller überschwemmt worden, Straßen überflutet. Hätte alles schlimmer kommen können, noch immer ist das Meer aufgewühlt, zu Nachmittag beruhigt es sich.

Die Frage, die bleibt: warum schafft es das angeblich technologisch so rückständige Griechenland, alle Handybesitzer zu warnen – während wir in Deutschland noch immer, ein Jahr nach der Flutkatastrophe im Ahrtal, darüber diskutieren, was alles gar nicht geht, nicht sein kann, kaputte Sirenen, Datenschutz.. usw.

Letzter kommt hier übrigens gar nicht in Betracht: Nein, das Ministerium weiß nicht, wer wir sind, wo wir sind, und wir mussten auch keine Cookies akzeptieren: Die Mobilfunkanbieter sind schlichtweg gesetzlich gezwungen, die Warnungen als „Broadcast“ an alle Mobilanschlüsse der betroffenen Region zu schicken.

Cat-Warn habe ich dann übrigens spaßeshalber auch mal angeschaltet.. „In Ihrer Region steht dieser Dienst nicht zur Verfügung.“