Als Jäger und Sammler im wilden Mavrovouni: Ein kulinarischer Streifzug zwischen Maronen, Edelpilzen und Wildschweinragout

Dieser Pilz lässt Kenner in Verzückung geraten: Der Kaiserpilz, Amanita caesarea, gefunden im Mavrovouni /Thessalien
Der auf dieser Google-Karte mit „Dasoktima Polydendrio „(Forstbezirk Polydendri)“ bezeichnete grüne Berg ist das Kerngebiet von Mavrovouni in Thessalien.

Mavrovouni heißt die Landschaft in Thessalien zwischen dem Ossa-Massiv im Norden, dem Pilion im Süden, zwischen der Küste im Osten und der Thessalischen Ebene im Westen. Mavrovoni ist eigentlich ein Berg, ein ansehnlich hoher sogar, ein Bergkamm mit Höhenlagen um die 1000 Meter. Mavrovouni bedeutet auf griechisch „schwarzer Berg“, was eigentlich nur zutrifft, wenn seine dicht bewaldeten Hänge morgens von den beschaulichen Ortschaften Potamia, Aghia oder Aetolofos im Gegenlicht stehen. Denn sonst müsste man ihn eigentlich „Grünberg“ nennen. Das Gebirge ist kaum besiedelt, abgesehen von den Dörfen Skiti und Sklithro sind die Orte, die allesamt von der Landwirtschaft leben, um den Fuß des Berges herum verteilt. Das erscheint merkwürdig, erklärt sich wohl aber damit, dass seine steilen, bewaldeten Hänge früher schwierig zu bezwingen waren und das Siedeln an den Füßen, von wo man auf der einen Seite in der fruchtbaren Ebene Landwirtschaft betreiben kann, und einst auf der anderen Meerseite zum Fischfang auszog. Heute liegen an der Ägäisküste des Berges mit seinen Badebuchten und einem langen Strand die Wochenend- und Ferienorte der Städter.

(Mehr über Mavrovouni gibt es in diesem Blog beispielsweise hier oder hier)

Der Berg jedoch versorgt bis heute die Bewohner der Ortschaften nicht nur mit Unmengen von Wasser, das sich bei den zahlreichen Regenfällen durch die Täler und Schluchten in die Ebene ergießt: er wird – und das in jüngster Zeit sogar in zunehmendem Maße – land- und forstwirtschaftlich genutzt. Das wollen wir uns ansehen. In die Höhenlagen des Mavrovouni führt allerdings ausgebaute Straße – nur mit den in der Landwirtschaft üblichen „Agrotika“ (einer Art Geländewagen, meistens gealterte Pickups von Toyota und Mitsubishi) oder Traktoren lassen sich die steilen, unbefestigten „Chomatodromi“ befahren. Zu Fuß im Sommer sind die staubigen und heißen Forstwege mühsam zu begehen, die Strecken sind lang, Orte zur Rast für Bergwanderer gibt es hier oben nicht. Auch GPS ist nicht immer eine Hilfe – der Handyempfang versagt oft, auch hier oben immer mehr Sendeanlagen errichtet werden. In den Mavrouvouni startet man am besten von dem Dorf Potamia oder Skiti aus. Jetzt, Ende September, ist hier unten bis in die Höhe von Skiti (etwa auf 350 Höhenmetern gelegen),die Apfelernte, wie überall in Thessalien, in vollem Gange.

Von Skiti oder auch dem fast in der Ebene gelegene Potamia aus führen die mit rötlicher Erde bedeckten Staubpisten langsam, dann immer steiler werdend, in die Berge hinauf. Nach den letzten Apfelbäumen wechselt die Vegetation zunächst in eine Art Macchia, mit Harthölzern bewachsen, der westliche Erdbeerbaum, hier „Kumaria“ genannt“, ist das Leitgehölz. Die Beeren beginnen jetzt zu reifen, sie schmecken süßlich, säuerlich und vor allem etwas fad. Genutzt werden sie kaum (vgl. Hallespektrum, Pflanze der Woche). Kaum vorstellbar, dass es oberhalb dieser trockenen Gehölzzone Vegetation gibt, die sogar landwirtschaftlich genutzt wird. Und doch ist es so.

Hebt man die Augen in die sich weiter oberhalb auftürmenden, dunkel grünen Berge, so erkennt man schon von weitem, dass dort ein Wald aus recht großen Bäumen bis in die Gipfelllagen der Berggipfel aufsteigt. Ermöglicht wird dieses Baumwachstum durch die Nebelwände und Regenwolken, die sich weiter oben an den Hängen stauen und diese oft sogar in ein feuchtes Dunkel tauchen – manchmal, wie jetzt im Herbst, ganz plötzlich und unvermittelt. Bald begleiten Eichen und Buchen, dann immer mehr und mehr Kastanien, und zwar nicht etwa die uns bekannten Roßkastanien, sondern Esskastanien (Maronen, Castanea sativa) den Weg. Teils handelt es sich noch um ihre Wildform, denn der Baum ist hier heimisch.

In den meisten Fällen aber verraten die Tennisballgroßen, grüngelb leuchtenden, stachelbewehrten Fruchtstände, dass es sich Kulturformen handelt. Es fällt auf, dass viele Plantagen neu angelegt sind, besetzt mit noch recht kleinwüchsigen Bäumen, die aber, das verraten ältere Exemplare, locker Höhen bis zu 20 Meter erreichen können. Schwarze Wasserschläuche durchziehen die steil in die Hanglagen aufsteigenden Plantagen mit einem bizarren Girlandenwerk. Je weiter man aufsteigt, mittlerweile erreichen wir Höhen von 800 bis 1000 Meter, wird der Nebel dichter, die Bäume kräftiger. Motorengebrumm zeugt von unzähligen Dieselmaschinen, die tagein- tagaus das Wasser zu den Bäumen pumpen. An manchen Stellen künden verkohlte Holzreste und breite, in ihren Höhlungen ausgekohlte Baumstümpfe, von Jahren zurücklegenden Brandereignissen – die aber anders, als sonst in Griechenland, kaum katastrophale Ausdehnungen erreicht haben. Ein Glück. Das mag an der prinzipiell geringeren Entflammbarkeit der regelmäßig künstlich wie natürlich befeuchteten Baumwelt liegen. Nadelbäume sieht man hier nicht.

Aus den verkohlten Stümpfen dieser Bäume treibt frisches Grün – es sind jedoch nicht Stockausschläge. Bauern haben die verkohlten Ruinen angebohrt, Edelreiser der neuen, besonders ertragreichen Edelkastaniensorten eingesteckt, die ihren Saft nun aus den lädierten, aber noch vitalen Relikten ihrer Großväter ziehen.

Dass nun, wo die Apfelernte sich dem Ende zuneigt, der nächste Ernteeinsatz in größerer Höhe ansteht, davon zeugen die langsam aufplatzenden grünen Stachelhüllen, die die braunglänzenden Maronenfrüchte langsam freigeben. Je höher wir geraten, ums so reifer werden die Bäume – die Ernte wird hier von oben herab, absteigend, erfolgen. Auf etwa 1000 Höhenmetern finden wir herabgefallene Kastanienauf dem Weg, viele aber sind nicht auf die Straße gefallen, sondern sind die Hänge hinabgekollert, wo sie sich in Mulden sammeln. Wie werden die eigentlich professionell geerntet? Gibt es da Maschinen? Wer soll da umherklettern, und um die Ware in die bereits bereitstehenden blauen Plastekisten einsammeln? Sicher ist: anders als in den Äpfelplantagen, wo zwischen den Baumreihen kleine Traktoren mit Anhängern durch fahren, besetzt mit meist albanischen oder osteuropäischen Zeitarbeitern, kommt hier keine Technik durch. Die Bäume zu hoch, die Hänge zu steil, und die Früchte fallen einfach aus den Stachelhülsen von den Bäumen, wenn sie reif sind und häufigen Windböen sie schütteln.

Eigentlich war unsere Idee, hier oben Pilze zu sammeln. Ein hoffnungsloses Unterfangen, denken wir, aber immerhin sind unsere Taschen voll mit Maronen, die wir vor dem Überfahren gerettet haben. Was auch nicht schlecht ist. Denn sie sind frisch, nicht wie diese innen verschimmelte, bestenfalls vertrocknete Ware, die man gelegentlich in Halle im Supermarkt erwerben kann.

Statt Maronen: der Kaiserling, der begehrteste Speisepilz der antiken Welt: Amanita caesarea.

Für Pilze war es zu trocken, jedenfalls fanden wir bislang keinen, bis zwischen vertrockneten strohigen Fruchthüllen der Bäume ein einzelner orangefarbenener Fleck erscheint. Ein Pilz. Erst einer, dann mehrere. Immer wieder in kleinen Gruppen lugen sie hervor. Vorsichtig aus dem mulmigen Erdreich gehoben, zeigen sie eine deutliche, breite Konolle, aus der ein Stiel emporsteigt. Der Schaft trägt eine Manschette, wie ein Knollenblätterpilz. Keine Frage: es handelt sich um Exemplare der Gattung Wulstling. Zu ihnen gehören die giftigsten Pilze, die man kennt – aber auch einige Speisepilze, beispielsweise der Perlpilz, den man jetzt auch gelegentlich in den herbstlichen Wäldern in Deutschland findet. Der Hut ist orangegelb, trägt aber keine weißen Flecken (Hüllreste) wie der uns natürlich bekannte Fliegenpilz. Sehr auffallend: Die Blätter (Lamellen) der Hutunterseite sind intensiv gelb-orange gefärbt. Das macht die Bestimmung sicher: Es ist eine Amanita caesarea, der Kaiserling. Schon der antike Enzyclopädist Plinius nennt in seiner „Naturalis historia“, der Wikipedia der Antike, Steinpilz, Trüffel und Kaiserling als die drei besten Speisepilze.  Aber auch der Gault Millau führt ihn als den „König der Pilze“ und empfiehlt sogar, den Fruchtkörper roh als Carpaccio zu genießen.

Das ist auch das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zu anderen Arten der Gattung Amanita, und auch die wichtigste Lebensversicherung: kein anderer Wulstling hat gelbe Lamellen. Das sagt nicht nur die schlaue Wikipedia, sondern steht so auch in vielen Bestimmungsbüchern, auch diverse Apps erkennen den Pilz (obwohl – wie wir wissen – hier Vorsicht geboten ist. )
In fremden Klimazonen gibt es oft schlimme Doppelgänger – die leidvolle Erfahrung machen bekanntlich nicht nur nach Deutschland geflüchtete – anders herum passiert es auch. Aber auch die „einheimischen“ Webseiten beschreiben den „Käsarikos“ als guten Speisepilz und zeigen mögliche Verwechslungsgefahren fachkundig auf.

(Zum Thema Pilze sammeln in Griechenland gibt es in diesem Blog auch hier etwas zu lesen)

Der Wald: ein Ort, um zwanglos neue Bekanntschaften zu schließen

Motorengeräusch kommt näher, zwischen den Bäumen nahe der Lichtung, erscheint ein schwarzer Pickup, steuert langsam auf uns zu. Aus dem Wagen steigen zwei Männer, ein älter und ein jüngerer. Sie inspizieren zunächst das Wasserbecken, das hier als Pumpspeicher dient, dann mustern sie uns argwöhnisch und sprechen uns an. Was wir hier tun, sie hätten nichts dagegen, dass wir uns aufhalten – man möge es nur nicht, wenn Fremde die Kastanien zwischen den Bäumen aufsammeln. Das seien nämlich ihre. Wir versichern, dass wir mehr auf Pilze aus sind und zeigen den Herrschaften die Exemplare, die wir gefunden haben. Anerkennend stimmen sie uns zu – und bestätigen ebenfalls Art und Essbarkeit. Wir sollten uns aber vorsehen, meinten sie. Nicht nur vor giftigen Pilzen. Vielmehr sollen wir uns nicht dem Metallrohr nähern, das da zwischen den Bäumen steht und über einen Schlauch mit einer Propangasflache verbunden ist. Es ist eine Selbstschussanlage. Diese Maschinen, die übrigens kein Projektil verschießen, aber eine gehörige Druckwelle erzeugen, sind auch Ursache der merkwürdigen Knallgeräusche, die ringsum in den Wäldern zu hören sind. Sie sollen Vögel vertreiben.

So kommen ins Gespräch. Zunächst über Pilze, besonders der Jüngere scheint sich gut auszukennen. Im letzten Jahr – was ein gutes Pilzjahr war – haben die beiden einen Zentner davon aus ihrem Wald geholt, und sorgsam als Vorrat eingefroren. Die Plantage, bzw. der Wald, gehört ihnen. Wir fragen, aus welchem Ort sie kommen, von wo aus die Wälder hier oben bewirtschaftet werden. Aus Potamia, sagt der ältere. Da stammt mein Schwiegervater her, erkläre ich, und siehe: die Welt ist klein: die Familien waren Nachbarn. Wir bekommen gekochte Kastanien zum probieren, der Geschmack ist herrlich, leicht süßlich, weich wie Marzipan.
Nun erfahren wir auch, mit welchen Maschinen die Kastanienernte eingefahren wird: es gibt gar keine Maschinen. Alles wird von Hand aufgesammelt. Man habe schon vieles probiert, etwa mit Saugrüsseln: aber alles Fehlanzeige, hier zählt Handarbeit. Die erledigen wieder die albanischen, rumänischen und bulgarischen Saisonkräfte, derer allein unser Kastanienbauer über 50 jedes Jahr beschäftigt.

Schwein gehabt

Es wird frisch, geht auf sechs Uhr zu, zwischen den Bäumen weht ein kühler, geradezu kalter Wind und treibt Wolkenfetzen umher, es wird Zeit, die Talfahrt anzutreten.

Wir verabschieden uns – und sehen uns kurz darauf wieder. Vor einem großzügigen Haus in Potamia steht wieder der schwarze Pickup. Unsere Waldbekanntschaft winkt uns herbei. In der Einfahrt liegt ein frisch erlegtes Wildschwein, das den beiden auf dem Rückweg vor die Flinte gekommen ist. Während der Coronapause (wo sogar Jagen verboten war) haben die Tiere im Wald geradezu überhand genommen, erfahren wir. Vor uns liegt ein ordentliches Exemplar, seine Hauer lugen gefährlich aus dem blutenden Maul hervor, Vater und Sohn häuten das Tier. Wir bekommen eine Tüte mit einigen Fleischstücken geschenkt, versehen mit der Empfehlung, es gut zu marinieren, Knoblauch und ein Schuss Tsipouro (ein spezieller Tresterschnaps aus der Region) sollen es besonders zart und schmackhaft machen.

Hallali im Mavrovouni: die Sau ist tot

Dankend verabschieden wir und, und versichern, nächstes Jahr wiederzukommen, „einfach and der Tür klopfen, wir freuen uns“, laden sie uns ein.

Das machen wir, ganz bestimmt. Wenn die Pilze, die wir mittlerweile gegessen haben, es zulassen.

Maronen und Kaiserlinge: thessalisches Foodporn, unbearbeitet

Die Ägäische Katze: ein Haustier züchtet sich selbst

Sie haben richtig gelesen: es geht nicht um Selbstzüchtigung, sondern um Selbst-Zucht und darum, wie es in Griechenland frei lebende Katzen dazu bringen, den Rang einer bald international anerkannten Haustierrasse zu erhalten.

Kaum eine Tierart ist in Griechenland derart präsent wie Katzen. Während Ziegen und Schafherden nur gelegentlich die Landstraßen blockieren und verwilderte Hunde vorzugsweise vorbei fahrenden Autos hinterherjagen, sind ihre miauenden Mit-Carnivoren allgegenwärtig: sie bevölkern Kitschpostkarten, Tavernen und Restaurants, Müllcontainer in den Großstädten genauso wie sie in den Fischereihäfen herumlungern. Viele ihrer Artgenossen haben allerdings auch den anerkannten Status als Familienmitglieder erhalten und leben in den Etagenwohnungen der Städte: neben Hunden ist die Katze in Griechenland, ähnlich wie in den meisten europäischen Ländern, das beliebteste Haustier.

Da haben sie Glück: denn wild lebende „Streunerkatzen“ werden von der Verwaltung vieler von Tourismus lebenden Gemeinden als Problem angesehen. Von den meisten Touristen geliebt, unter dem Tavernentisch gefüttert und in malerischen Posen fotografiert, polarisieren die Tiere unter den Einheimischen. Das bemerkt man nicht erst, wenn der Wirt entnervt das Gesicht verzieht, weil die Gäste einen Teil der liebevoll servierten Speisen an die unter dem Tisch lungernden Katzen verteilen. Wie auf Kommando ist nämlich nicht nur das eine kleine süße Tierchen, das unbedingt vor dem Hungertod gerettet werden muss, zur Stelle: wie auf ein geheimes Zeichen verabredet, ist schnell das halbe Dutzend Katzen aus versteckten Winkeln herbeigesprungen, um den reichen zweibeinigen Onkel aus Amerika zu umbetteln. An Ferienorten haben sich Andenkenläden, Kioske und Mini-Märkte an den Bedarf zugereister Katzenliebhaber angepasst: Neben Dosenbier, Zigaretten und Andenken halten sie auch Katzenfutter in handlichen Portionstüten bereit. Wenn die Touristensaison vorbei ist, bleiben Heerscharen überfütterter Katzen zurück: nur ein Bruchteil überlebt den Winter.

Katzen in einer privaten Pflegestelle in Apterea / Kreta

Vielerorts haben sich – insbesondere in den Touristenregionen – Katzenschutzvereine gebildet, erstaunlich viele sind in der Hand von Einwohnern mit deutschem „Migrationshintergrund“, aber auch einheimische Tierliebhaber kümmern sich um Katzen, die sie oft in kleinen Heerscharen an Futterstellen versorgen. Die Katzenliebe ist umstritten – andere Gemeinden „entsorgen“ Katzen in mehr oder weniger brutaler Weise durch Vergiften, aber es gibt auch humane, allerdings teure Kastrationsprogramme.

Katzenvermittlung

Viele Tierschutzorganisationen vermitteln griechische Katzen – auch ins Ausland. Sie sorgen auch dafür, dass die Katze tatsächlich in gute Hände kommt, und vor Allem: dass das Tier überhaupt die erforderlichen Reisepapiere bekommt. In die Hände einer solchen Schlepperorganisation zu geraten, ist für manche Katze sicher ein Glücksfall – und für die Tierliebhaber, die unbedingt eine dieser bezaubernden Postkartenkatzen bei sich aufnehmen wollen, der einzige sichere Weg dahin.

Interessenten können sich beispielsweise an folgende Katzenvermittlungsstellen wenden:

Paroskatzen.de

Katzenvermittlung Santorin

Katzenvermittlung Kreta

Nun kann es aber passieren, dass man in die dumme Situation gerät, sich als Urlauber in eine ganz bestimmte Katze zu verlieben. So manchem Reisenden hat dieses Schicksal ereilt, zumeist unverhofft und unvorbereitet. Es ist meistens die Katze, die es mit der ihr immanenten Überzeugungskraft schafft, jegliche Grenzen der menschlichen Vernunft zu überwinden. Der Autor weiß, wovon er spricht, seit Jahren lebt in seinem Haushalt ein vierbeiniger Hausgenosse aus Thessalien. Aber das ist eine andere Geschichte.

Strenge Vorschriften bei der Katzenadoption beachten

Unser Kater, Larissa 2013, mit Impfpass

Wenn man sicher ist, dass das anhängliche und liebgewordene Tier wirklich herrenlos ist, man selbst möglichst bereits über einschlägige Katzenerfahrung verfügt und sich über die Konsequenzen seines Handelns bewusst ist: dann geht der erste Weg zum örtlichen Tierarzt. Die Vorschriften und Wege sind im EU-Recht ziemlich eindeutig, illegale Wege wie Schmuggel etc. sind ausgeschlossen:

„Bevor Ihr Haustier reisen darf, muss es von einem ermächtigten Tierarzt gegen Tollwut geimpft werden. Damit die Impfung gültig ist, muss Ihr Haustier mindestens 12 Wochen alt und vor der Impfung mit einem Mikrochip ausgestattet worden sein. Ihr Haustier darf frühestens 21 Tage nach Abschluss des Impfprotokolls reisen. Sie sollten sicherstellen, dass alle weiteren Impfungen verabreicht werden, bevor die Gültigkeitsdauer der vorherigen Impfung abgelaufen ist.“ (Quelle: europe.eu)

Nur ein Tierarzt kann die entsprechenden Untersuchungen und Impfungen verabreichen, das Tier chippen (Impfung und Chip, Bill Gates lässt grüßen 🙂 ) und am Ende auch den EU-Haustierausweis ausstellen. Schon der Zeitfaktor dürfte die meisten spontan-Katzenimporteure vor unlösbare Probleme stellen.

Junge Kätzchen, Herbst 2021, Platia Anatoli Aghias

Die griechische Wohnungskatze

Keineswegs leben in Griechenland nur herrenlosen Streunerkatzen. Im Gegenteil: schon im Straßenbild der Großstädte fällt die die Vielzahl von Geschäften für Heimtierbedarf auf, das Angebot ist vor allem auf Hunde- und Katzenbesitzer ausgerichtet. Kleintierarztpraxen arbeiten dabei mit einem kombinierten Geschäftsmodell: im vorderen Ladenbereich verkaufen sie Katzen- und Hundefutter, Hundeleinen, Katzenspielzeug und was das Herz des Tierliebhabers begehrt. In den dahinterliegenden Räumen werden die Tiere behandelt, die meisten Praxen verfügen auch über Röntgenvorrichtungen und OP-Räume nach europäischem Standard.

Ein Wurf, wie aus einem Guss: Ägäische Katzen (Zagora / Pilion)

Natürlich führt der Weg der Katze nicht nur aus Griechenland heraus – es gibt auch Einwanderer. Im Haushalt unserer Tierärztin in Larissa lebt beispielsweise Massoud – der Kater einer geflüchteten Syrerin, die ihr geliebtes Tier bis nach Griechenland gebracht hat, dann aber doch nicht ins Zielland Kanada mitnehmen konnte.

Die Katzenrasse Aegean und die Selbstzucht

Während einerseits der Mehrzahl „wilder“ Streunekatzen weltweit irgendwo das Schicksal im Spannungsfeld zwischen Verhungern, vergiftet-werden oder Adoption zuteil wird, genießen „Edelkatzen“ den Status eines Luxuslebens. Schon deshalb, weil ihre Besitzer schon für den Erwerb ihrer „Rassekatze“ größere Geldmengen aufgeboten haben.

Die Ägäische Hauskatze auf dem Weg zur „anerkannten Rasse“

Was liegt da näher, als die streunenden „Allerweltskatzen“ in den Adelsstand zu erheben? Griechische Katzenfreunde sind da offenbar auf einem guten Weg. Es gibt bereits eine Art Rassestandard, der zwar noch nicht international anerkannt ist, es aber unter anderem schon zu einem Wikipedia-Eintrag gebracht hat. Auf vielen Katzenseiten wird die „Ägäische Hauskatze“ bereits in ihren Eigenschaften von Kopf bis Schwanz, Fellfarbe, Ohrenform und Sozialverhalten klar definiert. Einig ist man sich darüber, dass sich die „Ägäische Hauskatze“ ohne menschliches Zutun – lediglich durch Selbstauswahl und Anpassung an den Menschen – erschaffen hat. Wobei: vermutlich hat sie eher ihre zweibeinigen Freunde züchterisch bearbeitet.

Wer auch nur wenig Erfahrung mit den um das Mittelmeer sich tummelnden Katzen verfügt, wir zunächst bestätigen: die herausragende Fähigkeit dieser Katzen ist, die von ihr ausgewählten Zweibeiner dazu abzurichten, ihren freien Willen aufzugeben und sich ganz dem Wunsch der Katze unterzuordnen. Im Regelfall sucht sich die Ägäische Katze den Menschen aus, indem sie sich aus der Gruppe ihrer Artgenossen löst, vor ihrem ausgewählten Partner niederlässt und ihn durch unaufhörliches Geschrei und hinterherlaufen dazu bringt, zunächst sein Essen mit ihr zu teilen, um dann notgedrungen („das arme Tier, wer, wenn nicht ich, wird sich um sie kümmern“ ) in den Hausstand aufgenommen zu werden. Wo sie fortan das Heft übernimmt und keinen Widerspruch duldet.

Laut „Züchterdefinition“ zeichnet sich die Ägäische Hauskatze durch folgende Merkmale aus:

Gewicht: 8-12 Pfund

Augenfarbe: grün, blau oder golden

Fell: zwei/ bis dreifarbig, eine davon weiß, mittellang

Schwanz: Lang, manchmal krumm

Pfoten und Beine: mittelgroß.

Unter den sozialen Eigenschaften ist vermerkt, Ägäische Hauskatzen seien intelligent und äußerst „gesprächig„.

Nicht nur unser Kater, den wir vor Jahren nach Halle mitgenommen haben, erfüllt diese Kriterien vollkommen. Gerade komme ich wieder vom Katzenfüttern zurück. Ein neuer Ägäischer Promenadenkater hat unsere volle Aufmerksamkeit erobert. Als wir hier vor ein paar Tagen in Aghiocampos eintrafen, hatte das Tier bereits zwei Nachbarsfamilien unter seine Herrschaft gebracht, nun sind wir dran.

Kater Lupin erfüllt alles Standards der Rasse „Aegean“.

Der Kater sitzt vor der Haustür und schreit, wenn man nicht schnell genug die verlangte Futterration herunterbringt, und das 7/24. Mehrere Familien buhlen um die Gunst des roten Schreihalses, der oft nicht einmal genau weiß, was er will: Fressen, Milch, gestreichelt werden. Am meisten mag er die Kinder im Erdgeschoss. Mit ihnen macht er Ausflüge an den Strand, stundenlang tummelt er sich zwischen ihnen und hilft fachkundig beim Scharren im Sand. In allen Wohnungen findet er sich mittlerweile zurecht: er weiß, wo Küche und Kühlschrank sind und hat herausgefunden, auf welche Gesangstonlage die jeweiligen Bewohner reagieren, um Bestellungen entgegenzunehmen. Die Nachbarskinder rufen ihn „Lupin“. Wir haben die Kinder nach der Herkunft des Namens gefragt und erfahren, dass eine Figur bei Harry Potter so heißt: ein Werwolf, der nachts unaufhörlich seine Gesänge zum Besten gibt. Dieser Kater bleibt auf jeden Fall hier.

Για την αγαπημενη γυναικα μου στα γηνεθλια της το 2021.

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Streifzüge durch Larissa

Lagekarte Larissa

Wenn das Gespräch auf Larissa kommt, werden viele ältere Griechenlandreisende berichten, sie „seien da schon einmal durchgefahren“. Heute vermutlich seltenen, denn die Stadt umgibt heute ein Ring von Umgehungsstraßen und einen Autobahnring, so dass man ungeplant selten in den Genuss kommt, in den zu Stoßzeiten hoffnungslos verstopften Innenstadtbereich zu geraten. Heute hat die Stadt  etwa 165.000 Einwohner und damit die größte Stadt Thessaliens. Sie ist die Hauptstadt der gleichnamigen Präfektur. Larissa verdankt ihre Bedeutung seit der Antike zwei Faktoren: zum einen besetzt die Stadt „strategisch“ einen wichtigen Verkehrsknoten am Ausgang des Tembi-Tals, einem Durchbruch zwischen den Bergmassiven von Olymp und dem Ossa-Gebirge.

Wer Griechenland an der Küste von Thessaloniki Richtung Athen wollte, musste hier durch: das gilt bis heute. Auch das Land vom Ionischen Meer kommend, das Pindos-Gebirge durch die Passage von Pyli durchquerend, die Thessalische Ebene erreichte, wird sich auf dem weiteren Wege durch die sich nun öffnende grüne Landschaft des thessalischen Beckens in Larissa am Fluss Pinios wiedergefunden haben. Die fruchtbare weite Ebene, schon in der Antike die Kornkammer Griechenlands schlechthin, ist der zweite Pfeiler, der der Stadt Larissa schon in der Antike zu Wohlstand verhalf. Landwirtschaft und Handel prägten seitdem die Wirtschaft der Stadt: bis heute.

Silberstater (Münze) aus Larissa, 4. Jhdt v. Ch.

Besiedelt ist Larissa bereits in de Jungsteinzeit. Zu einer größeren Stadt von Bedeutung geriet sie im in der Zeit der klassischen Antike im 5. Jahrhundert. In Larissa geprägte Silberdrachmen zeigen oft ein Pferd – wohl ein Hinweis auf einen ausgedehnten Handel und Zucht dieser Tiere in der Region. Aus dem 3. Jahrhundert vor Christus sind noch eindrucksvolle Reste eines Theaters erhalten, die in den 1980er Jahren nahezu vollständig ausgegraben sind und heute auch zu öffentlichen Kulturveranstaltungen genutzt werden.

Das antike Theater in Larissa, 3. Jhdt v. Ch.

Aus der Zeit des frühen Christentums hat die Stadt einen Heiligen aufzubieten, der heute Patron der Hauptkirche (Metropolie) der Stadt ist. Achillios war Metropolit (Erzbischoff) von Larissa und soll sich um die Orthodoxie während des Konzils von Nicäa mit einem Wunder verdient gemacht haben (Kritiker um die strittige Frage nach der ursächlichen Abfolge von Vater und Sohn hat er mit Öl überzeugt, das er aus einem Stein fließen ließ).

Zeitweise schon in den 1390er Jahren, endgültig ab 1421 kam Larissa unter osmanische Herrschaft, lange schon vor dem endgültigen Fall des byzantinischen Reiches 1453. In der Folgezeit war die Stadt stark islamisch geprägt, neben Christen gab es jedoch auch eine starke jüdische Minderheit. Bekannt war sie für die Vielzahl reich gestalteter Moscheen und Bäder.

Larissa. Stich von Coronelli Vicenco 1688. Die Ansicht zeigt schematisch die Moschee sowie die Brücke über den Pinios

Die osmanische Herrschaft endete endgültig nach den Türkenkriegen 1898. Im Fortgang wurden viele Reste osmanische Herrschaft in der Stadt geschleift. 1908 wurde die – aus heutiger Sicht baukünstlerisch bedeutende Hassan Bey Moschee aus dem 16. Jahrhundert geschleift. Sie hatte das Stadtbild auf der antiken Akropolis an der Pinios-Brücke über 300 Jahre geprägt und wurde nun ab 1909 durch einen neuen Kirchenbau (Aghios Achillios) ersetzt. In neobyzantinischem Stil, unter Verwendung von viel Stahlbeton und Marmor.
Das Schicksal der Umbenennung nach der Re-Hellenisierung, das viele kleinere Orte Thessaliens erlitten, erfuhr Larissa nicht: ihren antiken Namen hatte die Stadt durch alle Zeiten, auch während der Herrschaft der Osmanen, behalten.

Skizze aus dem Judenviertel von Larissa, Bertholdy, 18. Jhdt


Nach der weitgehenden Auslöschung der osmanischen Architektur erfolgte die Zerstörung der Stadt im 2. Weltkrieg. Im März 1941 war die Stadt von einem Erdbeben heimgesucht worden, wenige Tage darauf bombardierte die italienische Luftwaffe die Stadt. Deutsche Truppen besetzten die Stadt 1941-44, in der Folge wurden von hier über 1800 Juden nach Auschwitz deportiert.

Was Erdbeben und zweiter Weltkrieg nicht vernichteten, verschwand im Zuge der Modernisierung und Neubebauung. Noch in den 1980er-1990er Jahren verschwanden fast alle der noch übrig geblieben Bauten aus der neoklassizistischen Bauten des 19. Jahrhunderts und bis auf wenige Ausnahmen alle verbliebenden Gebäude aus osmanischer Zeit.

Heute ist Larissa eine pulsierende, moderne Stadt; ein Streifzug lohnt sich dennoch allemal, keineswegs nur zum flanieren und Shopping in den großzügig angelegten Fußgängerzonen oder dem ausgedehnten Park Alkazar am Ufer des Pinios, der die Stadt durchfließt. Und wer genau hinsieht, stößt auch noch hinter modern Geschäftsfassaden auf das ein oder andere vormoderne Relikt.

Wer sich für die Geschichte Thessaliens interessiert, kommt an einem Besuch im „Diachronen Museum Larissa“ nicht vorbei. Hier werden archäologische Funde von der Jungsteinzeit bis in die osmanische Zeit ausgestellt. Außerdem werden regelmäßig Sonderausstellungen zu ausgewählten Kapiteln der Regionalgeschichte gezeigt.

Reste des alten türkischen Hamam – umbaut mit Läden vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Aber auch sie wurden später abermals zur Unkenntlichkeit „modernisiert“.
Spuren eines Obst-und Gemüseladens aus den 1970er Jahren
Larissa: Moderner Bioladen für Obst und Gemüse
Tsipuro-Zeit in der Mittagspause
Ein noch erhaltenes neoklassizistisches Wohnhaus zwischen Hochhäusern vom Ende des 20. Jahrhunderts
Pinios-Brücke mit der Kirche Aghios Achillios auf der ehemaligen Akropolis. Bis 1907 stand hier die Hassan Bey Moschee aus dem 16. Jahrhundert
Aghios Achillios mit dem bronzenen Pferdedenkmal (1980er Jahre?)
Auch die jüngsten Zeiten – (Wirtschaftskrise, Corona-Krise) – haben im Straßenbild Spuren hinterlassen
Restauriertes Geschäftshaus aus dem 19. Jahrhundert
Zahlreiche Geschäfte in der Fußgängerzone laden zum Einkaufen ein
Straßencafes in großer Zahl erfüllen die ausgedehnten Fußgängerzonen

Graffiti unter der Pinios-Brücke

Europäische Boheme im Osmanenreich in der thessalischen Provinz: das dekadente Leben eines illustren Schweizer Ehepaars in einem griechischen Dorf

 Eine besondere Entdeckung im Diachronen Museum Larissa ist die  Sonderausstellung, die wir noch am letzten Eröffnungstag erleben konnten. Titel der Ausstellung: „Choro-Grafies: die malerische Ausschmückung des Herrenhauses der Favres in Metaxochori bei Aghia“.

„Choro-Grafies“ ist dabei ein Wortspiel: es erinnert einerseits an die Choreographie, meint aber „Raum-Malerei“, gemeint ist die malerische Ausstattung von Innenräumen eines stark verfallenen ehemaligen Herrenhauses aus dem vorletzten Jahrhundert, dessen sterbliche Hülle sich im Eingang des kleinen, malerischen Ortes Metaxochori, oberhalb von Aghia, etwa 40 km östlich Larissa, befindet. 1872, noch immer gehörte Thessalien zum Osmanischen Reich, erhielt der kleine Ort, dessen Bewohner in erster Linie von der Seidenzucht lebten (Metaxochori bedeutet „Seidendorf“) illustren Zuzug: Der wohlhabende schweizer Bankier, Baron Eugene Favre und seine französische Frau Stefania, eine ehemalige Tänzerin aus dem Pariser Moulin Rouge, gaben sich die Ehre. Die gute Luft, die bezaubernde Hanglage des Ortes mit dem weiten Blick über die Thessalische Ebene gaben wohl den Ausschlag, sich hier niederzulassen, ferner winkten Geschäfte mit Wolle und Seide. Mindestens vier Manufakturen errichteten sie im Ort: für Seide, für Kerzen, Seife und eine für Nudeln. Sie brachten kosmopolitisch westliche-mondäne Kultur in den noch stark orientalisch geprägten Südosten Europas. Mit ihrer Lebensart dürften sie einen merkwürdigen Eindruck unter der Landbevölkerung hinterlassen haben: Insbesondere Stefania, die fortan nur mit „Madama“ angeredet wurde und mit extravaganter Kleidung im Ort Furore machte. 1876 erteilten sie den Auftrag zum Bau eines Herrensitzes („Archontiko“) mit einem im Ort ungesehenen Ausmaß: drei Etagen hoch, jede Etage mit 300 Quadratmetern Wohnfläche. Äußerlich verhältnismäßig schmucklos, traditionell aus lehmgebundenen Steinen und Holzbindern errichtet, entfaltete das gewinkelt zweiflügelig errichtete Gebäude seine Pracht im Inneren. Während repräsentative Wohnbauten jener Zeit noch in eher traditionellem osmanischen Stil ausgestattet wurden („Turkobarock“), sollte das Herrenhaus der Favres europäische, historistische Pracht neuesten Stiles entfalten, oder so etwas in der Richtung: Denn offensichtlich fanden sich keine in westeuropäischer Manier erfahrene Maler in der Provinz. Das Ergebnis, was Meister Argyropoulos und seine Helfer ablieferten, ist in seiner bäuerlich-naiven Art dafür um so herzerfrischender.

Im Schlafzimmer sollten Putten und Eroten schweben, Im Treppenhaus „fliegende Gruppen“ in Pompejanischer Manier die Wände beseelen, und Jagdszenen wie auch spielende Kindergruppen die repräsentativen Wohnräume Wände bereichern

Allerdings gingen die Maler aus den umliegenden Provinzen so vor, wie sie sonst in der Ikonenmalerei arbeiteten: mit perforiertem Pergament wurden die Umrisse von Vorlagen aus irgendwelchen westlichen Katalogen auf die Wand übertragen. Hatte man einmal eine hübsche Vorlage mit einem Putto, wurde er einfach mehrfach per „copy&past“ auf die Wände fabriziert, und ihm dann  mal ein Bogen, mal ein Blumenkranz in die Ärmchen gedrückt. Die Umrisse wurden liebevoll, aber etwas doch unbeholfen naiv ausgemalt, und so erfreuen uns heute die Malereien, im Museum. Denn sie konnten in letzter Minute in den vergangen beiden Jahren gerettet werden.

Was es damit auf sich hatte: das ausschweifende Leben der Favres endet tragisch. Sie betrog ihren Mann mit dem italienischen Hausdiener, der betrogene Gatte beging vor Kummer Selbstmord im Fluss Pinios. Was aus „Madama“ wurde, wissen wir nicht, sie blieb  jedenfalls kinderlos, ohne Erben. Das Haus ist dann wohl an die Gemeinde Aghia gefallen (der es zumindest noch gehört) stand zuletzt leer. Bei solchen Häusern führt Leerstand schnell zur Zerstörung: Die tragenden Balken, die nicht nur die Geschosse, sondern ach die Steinmauern zusammenhalten, vermoderten. Fast alle Geschossdecken stürzten ein. Glücklicherweise hat die Gemeinde Aghia wie auch die staatliche Denkmalbehörde in letzer Minute die Bedeutung der Ruine erkannt. Sie erhielt ein Notdach aus Wellblech und die Fensterhöhlen sowie eingebrochene Wandteile wurden mit stützenden Ziegelmauern provisorisch versteift. Die Wandmalereien aber, so man ihrer noch habhaft werden konnte, wurden in einem komplizierten Verfahren abgenommen, auf stabile, transportable Bildträger montiert und aufwändig restauriert. So gelangten sie nun in die Sonderausstellung ins Museum nach Larissa. Was weiter mit dem Gebäude und den Malereien geschieht, ist indes, laut einem Artikel des Onlinemagazins „Larissanet.gr“ (des thessalischen Spiegels des Hallespektrums:) ) von 2017 weiterhin ungewiss, es scheitert, wie immer, am Geld..

 

 

 

 

Und der Wahlkampf?

Der ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, zumindest nicht im Straßenbild. Die übliche Plakatschlacht ist weitgehend ausgeblieben. Das ist merkwürdig, denn Übermorgen ist Wahl. Möglicherweise liegt die neue Enthaltsamkeit daran, dass die Regierung Tsipras die Wahlkampfkostenerstattung für die Parteien radikal gekürzt hat. Ganz selten erscheinen noch Plakate der beiden chancenreichen Bewerber, hin und wieder ruft SYRIZA zu Veranstaltungen in den Städten auf, meistens ist das Porträt des Hoffnungsträgers Tsipras abgebildet, ebenso selten sind Plakate der konservativen Nea Dimokratia mit ihrem Spitzenkandidaten Meimarakis zu sehen. Nach altem Muster tobt sich allenfalls die traditionelle kommunistische Partei in versuchten Massenplakatierungen aus, oder die neoliberale Splitterpartei „Enosi Kendroon“ (Vereinigung der Mitte) des Dimitrios Levendis, der vor allem in Thessaloniki die Straßen mit markigen Sprüchen die Hoheit über die Laternenpfähle erobert hat.

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Links wirbt die KKE für eine Veranstaltung am 12. September, wo Generalsekretär Dimitrios Koutzumbas spricht, rechts reißt der neoliberale Levendis das verfaulte System ein.

Auf seinen Slogan „Wir werden das verfaulte System einreißen“, scheint er besonders stolz zu sein. Die Umfragen sehen ihn bei 1,5 %. Die Umfragewerte sehen ansonsten die Parteien SYRIZA zwischen 28 und 30 Prozent, Nea Dimokratia ebenfalls, abhängig ist das Umfrageergebnis offenbar stark vom Auftraggeber. Man sollte in Griechenland zur Zeit nicht allzu sehr auf Umfrageergebnisse vertrauen. Bei der „Ochi-Abstimmung“ sahen die (publizierten) Umfragen einen knappen Ausgang voraus, und dann siegte das „Nein“ mit gut über 60%. Nach meinen persönlichen „Umfragen“ im Freundes-und Bekanntenkreis kommt SYRIZA auf über 90%, die linken SYRIZA-Abspalter um Lafzanis (Laiki Enosi, Volkseinheit) bekommt nahezu den Rest, bis auf eine Stimme, die an die KKE geht. Aber mit den persönlichen Wahrnehmungen ist dass so eine Sache, jeder hat seine eigene Perspektive.  Einen Eindruck habe ich aber dennoch: die Diskussion um Politik ist nicht mehr lautstark und leidenschaftlich. Der Ton ist stiller geworden. „Kati tha vji“ (irgendwas wird schon herauskommen) ist häufig zu hören.

Der Wahlkampf findet nun nicht mehr auf der Straße, sondern in den Medien statt, und das vor allem im Fernseher. Es gibt Life-Übertragungen der großen Kundgebungen von Nea Dimokratia und Syriza in Athen, und auch Diskussionsrunden in den Fernsehstudios.

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Gerne wirden in den Fernsehformaten der Bildschirm aufgeteilt. Manchmal, wenn viele Leute was gleichzeitig zu sagen haben, erscheinen ganz viele Briefmarkenköpfe. Hier eigentlich nur ein Zweiteiler. Links wehende griechische Fahnen auf einer zentralen Kundgebung der Nea Dimokratia, rechts eine Umarmungsszene mit Tspras. Im rot unterlegten Untertitel geht es um die Lagarde-Liste. einer Liste mit über 2500 schwerreichen Steuersündern, und in deren Vertuschung und Manipulationen besonders die Altparteien ND und PASOK verstrickt waren. Tsipras verspricht im Falle seines Wahlsieges, diese Liste abzuarbeiten.  Darunter steht noch, dass es ein Kopf-an Kopf-Rennen zwischen ND und SYRIZA geben wird.

Der Wahlsonntag ist auch unser letzter Urlaubstag. Erste vernünftige Ergebnisse werden am Sonntagabend gegen 21.00 h erwartet. Wir haben uns schon zum Abschied verabredet: da setzen wir uns auf die Plateia von Platykampus, einem landwirtschaftlich geprägten Vorort der Großsstadt Larissa. Dort gibt es einen Wirt, der die besten Souvlakia macht. Er hat einen großen Fernseher aufgebaut, um den sich die Leute scharen werden. Mal sehn, kati tha vji.

 

 

 

 

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Ausflüge durch das Ossa-Gebirge.

Es muss nicht immer die gut ausgebauten, halbneue Straße von Agia nach Agiokampos sein, oder die etwas ältere, die auch von Agia nach Agiokampus, an Skiti vorbei, die Thessalische Ebenen mit der Ostküste, die heute den Namen „Paralies Larrisaion“, Strände des Bezirks Larissa, tragen, verbindet. Es gibt weit aus mehr, auch den Einheimischen unbekannte Schleichwege durch die Berge, solche, die einst die Bauern der hoch gelegenen, aber sicheren Dörfer in den Höhen des Ossa wählten, um an den Kampos, also an die an der Küste gelegenen Felder und Marschländer, zu gelangen. Diese Wege gibt es immer noch, teils sind sie durchaus als mit robusten Autos befahrbare Schotterpisten ausgelegt.

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Blick aus der Ebene zwischen Agia und Dimitra, hinauf in die Berge des Osssa, wohin unsere Reise geht

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Ganz am Horizont im Osten die Ägäis, sonst ist alles grün. Aussicht von der Höhe bei Melivia.

Sie zu befahren, erfordert etwas Mut, und nach Möglichkeit ein Fahrzeug, das Kratzer ab kann, wo gelegentliches Aufsetzen kein grundsätzliches Problem darstellt oder gar  ängstliche Werkstattbesuche zur Folge hat. Benzin sollte man dabei haben, Wasser nach Möglichkeit auch. Zwar sind die Strecken, die ich hier vorschlage, relativ kurz, aber erfordern ihre Zeit, und wenn man dann doch liegenbleiben sollte, ist Hilfe stundenlang weit weg. Handyempfang ist nicht überall in den Tiefen Wäldern von Mavrovouni und  im Ossa garantiert.  Darf ich zu einem kleinen Abendausflug von Agiokamos, entlang der Strände, nach Paliouria, einladen? An diesem langweiligen Strandort biege ich allerdings plötzlich scharf nach links ab, wir folgen einem kleinen Bachlauf unter Platanen, und befinden uns auf einer Schotterpiste. Nein,ich habe mich nicht verfahren. Unter schattigen, eindrucksvollen Platanen folgen wir dem Bach, rechts und links liegen Plastikschläuche, mit denen die Obst- und Kastanienbauern ihre Plantagen bewässern. Noch gibt es eine Lichtleitung, die zeigt: hier gibt es Zivilisation. Nach drei Kilometern sanfter, steiniger Strecken entlang des Baches kommt das vorerst letzte, einsame Häußchen in einer Kastanienpflanzung, das ältere Ehepaar sieht erstaunt zu, wie wir mit unserer Schrottkarre den Weg weiter nach oben in die Wildnis fortsetzen. Jetzt wird der Weg schlechter, und die Ohren beginnen zu knacken – es geht aufwärts. Tiefe Täler, sattes Grün und beginnende Herbstfärbung, die bei den Platanen und Ahornen beginnt,  zeigen, dass es hier schnell mal trocken wird. Nur in der Ferne hört man mal eine landwirtschaftliche Maschine, vielleicht eine Wasserpumpe, rumpeln, sonst ist es still. 09-05-palimeli-dromo3Dabei ist die Strecke ein Anfängerweg. Gerade erst hat man frischen Schotter über die immer von den Herbst-und Winterunwettern überspülten, freigelegten Felsbrocken geschüttet und planiert. Der Ausblick: Manchmal sieht man das Meer.

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Unterwegs nach Melivia.

Sonst aber eigentlich nur: lichten Wald, eine grüne Hölle, verhältnismäßig enge Täler zwischen den in kurzer Frequenz aufwellenden Hügeln. Nach etwa einer halbe Stunde  kommen Abzweigungen. Ein verrostetes Schild verweist auf eine Einrichtung der Telekom, wahrscheinlich einen Funkmast. Besser also dem Gefühl folgen, und ungefähr in Richtung der schon tiefstehenden Sonne westlich weiter fahren.  Die Abzweigungen werden mehr, und die gelegentlich entgegenkommenden „Agrotika“ (landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge der Kleinbauern, meistens uralte, verbeulte Pickups von Toyota) zeigen, dass wir hier schon wieder langsam in die Periferie einer menschlichen Siedlung eintreten.  Hier werden Äpfel, Äpfel, nochmals Äpfel und Kastanien angebaut. Wir befinden uns schon in erklecklicher Höhe über dem Meer, dessen Blick die grünen Höllenberge manchmal gestatten.  Wir rumpeln noch etwas weiter über die Piste, als dann erreichen wir den  Ort Melivia (die Alten sagen „Athanati“, wie aufmerksame Leser wissen).  In Melivia sitzen alte Leute auf der Plateia, Pickups stehen am Straßenrand. Jetzt, da Apfelernte ist, wird hier viel Albanisch gesprochen, die junbgen Männer ducken sich weg, wenn man den Platz fotografiert.

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Auf der Plateia von Melivia

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Melivia.

Hier könnten wir einen Tsipouro in eine der zahlreichen Tavernen zwischen den Opas einnehmen, es beginnt aber zu dämmern, und im Herbst wird es in Griechenland schnell und schlagartig dunkel. Also nehmen wir die jetzt befestigte Straße herab Richtung Agia, wieder durch Platanenwälder, wo man schon das Licht einschalten muß. Unten in Agia, das wir durch viele Apfel- und Kastanienplantagen erreichen, dämmert es schon. Der richtige Zeitpunkt, um durch die belebten Straßen zu schlendern, um dann einen Tsipuro mit Mesedes einzunehmen. Das wäre nur ein Tourvorschlag, für den Anfang.

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Abends in Agia

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Irgendwo zwischen unterwegs zwischen Paliuria, hinauf nach Melivia.

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Die Schotterpiste, die oberhalb von Melissochori hinauf führt.

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Irgendwo im Wald. Endlich ein Wegweiser.

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Jede Menge Holz : Abfahrt nach Karitza.

Wer noch nicht nicht genug hat, dem sei am nächsten Tag eine Fahrt empfohlen, die nur etwas länger dauert, aber schwieriger, und ob der Einsamkeit gefährlicher ist. Ausgangspunkt könnte beispielsweise wieder Agia sein, von vo wir die Auffahrt nach Metaxochori nehmen. Die dortige Platia lassen wir liegen, mag auch ihr Angebot noch so verlockend sein, denn wir fahren weiter hinauf nach Melissochori (auch Platia, auch super Tsipuro und Mesedes, aber lassen wir auch liegen). Oberhalb des Dorfes beginnt dann wieder so ein „Chomatodromos“, also ein Erd- und Schotterweg. Den könnte man weiter „bequem“ den Hang entlang weiter nach Anatoli (Selitsani) nehmen, wo es die berühmten Pilze gibt. Wir biegen aber nach ein paar Kilometern  an einer Wegekreuzung rechts ab. „Karitsa“ steht da drauf, 26 Kilometer. Das klingt wenig, aber es braucht zwei Stunden Abenteuerfahrt, wenn man da hin will. Oder länger, denn weitere Hinweisschilder gibts nicht, und der Möglichkeiten, sich in dem Dickicht aus nicht erkennbaren Wegen zu verfahren, gibt es viele. Zunehmend wird es dämmrig,  denn die Gegend liegt an der Ostseite des Ossamassives, und der Wald aus hohen Buchen steht hoch und dicht. Zuweilen wird es schon richtig dunkel, etwas Panik kommt auf, denn hier oben gibt es keinen Handyempfang, und das GPS istr auch tot. Wenigstens führt der Weg endlich wieder abwärts. Holzstapel liegen zur Abfuhr bereit, auch kommt man an einer Art Zelt aus zerlumpten Planen vorbei, neben denen Holzrückmaultiere weiden. Hier übernachten die Waldarbeiter. Die Zivilisation ist also noch weit, möchte man meinen, doch dann kommen wir an einem alten Schild vorbei. Es sind tatsächlich noch 12 Kilometer bis Karitsa, es ist gerade einmal etwas über die Hälfte des Weges geschafft. Die Schotterpiste wird aber besser: es tauchen Wasserleitungsschläuche auf, es gibt wieder Kastanienbäume und irgendwann erscheinen auch Telegrafenleitungen, die sich noch deutlich gegen den dunkelblauen Abendhimmel abheben. In tiefer Dämmerung erreichen wir endlich Karitsa, ein Dorf mit einer ausgefallen netten Platia, auf der es Tsipuro und Mesedes gibt, und von wo  man den Blick über das langsam in Dunkelheit versinkende, sicher noch 400 meter tiefer liegenden Meer schweifen lassen kann.

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Blick auf die Ebene von Larissa, von der Strasse nach Anatoli aus gesehen.

Eine richtig klasse Abenteuertour aber, für Leute, die noch höher hinaus wollen, könnte man (fast) bis zum Gipfel des Ossa machen.

Dazu fährt man ab Agia an Anatoli vorbei (ca. 800 Höhenmeter), und kurz bevor man das Kloster Johannes des Täufers erreicht, muss man auf ein kleines, gelbes Schild achten, das auf die „Korifi Kissavou“ (Gipfel des Kissavos) weist. Über die holprige Steinpiste schraubt man sich durch größtenteils verkarstetes Gelände hinauf, verschiedene Wacholderarten stehen in der von Ziegen kahlgefressenen Landschaft. Der Blick ringsum, in die thessalische Ebene im Westen,  zum Pilion über Mavrovouni im Süden, die Ägäis im Westen – überwältigend. Man fährt einfach weiter, bis es nicht mehr geht, oder die Angst, liegenzubleiben, zu groß wird. Den Gipfel des immer näher rückenden Kissavaos haben wir übrigens bisher nie erreicht. Irgendwann mal – vielleicht nächstes Jahr. Vielleicht ist es ja dort oben ja auch so langweilig wie auf dem Brocken.

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Man sollte auf Schildkröten achten, die manchmal etwas unbesonnen die Piste queren.

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Blick auf das Ossa-Massiv, gesehen von Mavrouvouni in Richtung Westen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Türkischrot aus Abelakia: Aufstieg und Fall einer internationalen Handelsmetropole in den Gebirgen des Ossa.

Nur 15 Kilometer sind es bis zur Mautstation, die man auf der Autobahn von Larissa in Richtung Katerini und Thessaloniki passieren muß. Man entrichtet hier nur 1,40 Euro, dann darf man die enge Passsage durch das einst romantische Tempi-Tal-passieren. Wir biegen jedoch gleich rechts ab, folgen den Schildern nach Ambelaki, das man nach 5 Kilometern steiler Serpentinenstrecke erreiht. (Man kann sich auch die Maut sparen, fährt dann über Ajokampos-Velika-Kokkino Nero, Stomio nach Ampelakia).

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Auf halber Höhe, Blick über das Tal des Pinios, in Richtung Larissa. Im Vordergrund ist die Serpentoinenstraße nach Ambelakia zu erkennen. Unten rechts beginnt das Tempi-Tal ( und wer eine Lupe hat, sieht sogar die Mautstation).

In der Gegend um das Tempi-Tal wächst heute noch eine Pflanze, die man für eine Art mutierten, zu groß geratenen Waldmeister halten würde. Es ist der sogenannte Krapp, Rubia tinctoria, aus der Familie der Rötegewächse. Das unkrautartige Gewächs ist  ein Relikt eines agrarisch-und vorindustriellen wirtschaftlichen Zweig Thessaliens, hier ist es ausgewildert, und bedürtfe eigentlich strengster Unterschutzstellung. Selbst die chemische Industrie Deutschlands wäre ohne dieses Kraut, und ohne seine einstige regionale Bedeutung,möglicherweise weniger denkbar. Der Lauf der Geschichte, der Bayer, Höchst und BASF möglich machte, passierte hier in Ampelakia und im Tempi-Tal gewissermassen eine historische Mautstation, die wohl nur schwer zu umfahren gewesen wäre.

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Krapp oder Färberröte, Rubia tinctoria L.

Die Wurzeln der Pflanze enthalten einen leuchtend gelben Farbstoff, das Alizarin. Schon in der Antike hatte man heraus gefunden, dass dieser gelbe Farbstoff in ein leuchtendes Rot umschlägt, wenn man ihn mit Aluminiumsalzen zusammenbringt. Mit aluminiumreicher Tonerde gekocht, erhielt man pinkfarbene Farbpulver, mit denen man beispielsweise die hellenistischen Tanagra-Figuren bemalen konnte, damit die dann aussahen, wie heutige Barbiepuppen. Man hatte auch herausgefunden, dass man damit Wolle und Seide färben kann, indem man die Aluminiumsalze auf Wolle aufziehen ließ, wo sie sich chemisch fest mit der Faser verbanden. Dann wurde die Wolle mit einem Absud aus Krappwurzeln behandelt, das Alizarin und verwandte Farbstoffe banden dann wieder an dem Aluminium, und das Ergebnis war ein rotes Garn von guter Lichtechtheit, und die feste chemische Bindung sorgte für eine „waschechte“ Färbung. Eine der ältesten Nachweise für Textilfärbungen mit Krapp finden sich sogar schon an Mumientextilien aus chinesischen Provinz Xinjiang (Nordwestchina, Turfan-Becken) aus der späten Bronzezeit, Ende des 2. Jahrtausend v. Ch.

Auch in Mitteldeutschland lässt sich die Kenntnis dieses Farbstoffs – wohl als importierte römische Technologie –  nachweisen, schon in Textilien des 3. Jahrhunderts nach Christus finden sich Farbstoffspuren der Krapppflanze  in mitteldeutschen und norddeutschen Gräbern. In der Gegend um Halle und Leipzig  wurde Krapp noch im 18. Jahrhundert in großem Umfange angebaut, um damit Wolle und  andere tierische Fasern zu färben.

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Traditionell werden in Griechenland auch Ostereier mit Krapp gefärbt. Andere Eierfarben als rot gelten als westliche-moderner Einfall.

Abertrotzdem bleiben bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts nach Christus blieben farbige Textilien, insbesondere brillant rote, ein Statussymbol, das nur höheren Klassen der Gesellschaft vorbehalten war. Die aufwändigen Verfahren und die teuren Rohstoffe waren der Grund dafür. In der frühen Neuzeit gewann Baumwolle als Faserstoff an Bedeutung – ein vergleichsweise günstiges Material, und Baumwolle wird bis heute in der thessalischen Tiefebene mit großem ökonomischen Gewinn (und hohen Verlusten für die Umwelt) angebaut. Leider ließ sie sich mit den damaligen Methoden nicht färben. Das Aluminium haftete nicht so einfach an Pflanzenfasern, im Gegensatz zu tierischen Fasern wie Wolle oder Seide. Wo und wann genau die Technik der „Türkischrotfärberei“ erfunden wurde, liegt im Dunkeln, es muß aber im 17 und frühen 18. Jahrhundert gewesen sein. Möglicherweise hier in Ampelaki, jenem kleinen Dörfchen 800 Meter oberhalb des Tempi-Tals, schwer erreichbar, gut versteckt.

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Das gewaltige „Archontikon“ (Herrenhaus) des Färbers Georgios Mavros alias „Swarts“ in Ambelakia ist kaum zu übersehen.

Die Genossenschaft von Ambelaki verstand sich jedenfalls auf die Kunst, das Unmögliche möglich zu machen, und eben auch das Aluminium auf der Cellulosefaser Baumwolle zu fixieren. Das Verfahren hielten sie streng geheim. Heute weiß man, wie das ging, Haftvermittler waren Aluminium-Fettseifen, die auf der Faser kleben blieben. Von Chemie verstanden die Leute von Ampelaki nicht viel, denn auch in Westeuropa entwickelte sich die moderne Chemie erst Ende des 18. Jahrhundert langsam aus der Alchemie.

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Im Tresorraum der Genossenschaft Swarts verwahrte hier nicht nur sein Privatvermögen, sondern treuhänderisch auch das der Genossenschaft. Die Doppeltür ist erst durch einen als „Kartoffelkeller“ getarnten Raum zu erreichen.

Die Alchemie ging bislang davon aus, dass man Eigenschaften auf fremde Substanzen „übertragen“ könnte, so etwa Silber durch „Tinctur“ die Eigenschaft „golden und unverwüstlich“ zu verleihen, es also in Gold zu transmutieren. Übertragen auf die Pflanzenfasern hieß das, man müsste diese erst einmal animalisieren, um auf sie die Eigenschaft der färbbaren,tierischen Fasern zu übertragen.So experimentierte man mit allerlei tierischen Produkten herum, behandelte Pflanzenfasern unter anderem mit Schafsmist und tierischen Fetten. Letztere sorgten dann, unter den vielen unsinnigen Schritten,  für den Erfolg. Die „türkisch rot“ gefärbten Baumwollgarne aus Ambelaki wurden der Exportschlager schlechthin. Handelspartner war vor allem Deutschland, aber auch Briten und Franzosen begehrten den trotz langer Exportwege günstigen, roten Stoff. „Türkischrot“ hieß das Verfahren deshalb, weil Thessalien – wie auch nahezu ganz Griechenland damals zum osmanischen Reich gehörte. Man gründete in Ambelaki eine Art Genossenschaft der Färber, deren Zeil einerseits die Vermarktung war, andererseits die Hütung des Geheimnisses. Dioe Genossenschaft der Färber von Ambelakia, gegründet 1785, galt seinerzeit als sensationell. Sie gilt als Vorläufer der späteren Agrargenossenschaften, aber auch des griechischen landwirtschaftlichen Genossenschaftsbankwesens heutiger Zeit [Karl Kienitz, Existenzfragen des griechischen Bauerntums. Agrarverfassung, Kreditversorgung und Genossenschaftswesen. Berlin 1960, S.66]; weiterführende Literatur mit umfangreichen Recherchen auch hier: Ulrich Bernhard: Ambelakia – eine europäische Utopie: „Vor 200 Jahren lebten hier 6000 Menschen und es gab eine reiche kulturelle Vielfalt, die in ihren verwirklichten Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in dieser Form nirgendwo im übrigen damaligen Europa Ihresgleichen fand“ . Organisiert war (lt. Bernhard) nicht nur das Finanzwesen, das es Nicht-Ambelakioten verbot, in die Finanzgeschäfte der Syntrophia (der Genossenschaft) zu investieren: sondern es waren verfaßt: „das Recht auf Ausbildung,
eine Altersrente, eine Kranken- und Armenfürsorge, die ökonomische Teilhabe aller
in Form von Aktien, am erarbeiteten Mehrwert und die damit verbundene Mitentscheidung
für alle- Mann, Frau, ja selbst Kind. Die Regeln der Teilhaber sind streng. Nur Angehörige
aus Ambelakia können Anteile zeichnen und nur eigenes Kapital darf verzinst
werden. Kein fremdes Kapital darf aufgenommen werden.“(Bernhard, s. O.)

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Das Untergeschoß ist aus meterdicken Bruchsteinmauern entstanden. Dort befindet sich auch der „Tresor. Die beiden Obergeschgosse, nach osmanischer Art orkragend, bestehen aus einer Holz-Lehm-Konstruktion, die überputzt und neben dekorativer Malerei auch mit vorgetäuschtem Mauerwerk versehen ist. So verging den „rohen Muselmännern aus Larissa“ wohl schon vom Anblick der Mut.

So machte man sich unabhängig von fremden Krediten und Zahlungsverpflichtungen. Eine traumhafte Vorstellung angesichts der jüngsten Bankenkrise in Griechenland.

Und man wehrte sich verhältnismäßig erfolgreich gegen türkische Steuereintreiber (das Dorf ließ sich aufgrund seiner strategisch guten Lage und der Festungsartig ausgebauten Häuser gut verteidigen) als auch gegen ausländische Spione. Es existieren mehrere Reiseberichte aus dieser Zeit, die immer wieder in der westeuropäischen Encyclopädischen Literatur erscheinen. So lesen wir im Jahre 1813 in Diesbachs Neuester Länder- und Völkerkunde: Ein geographisches Lesebuch für alle Stände (Prag 1813, Band 14, S. 262-264, über die „Europäische Türkei“:Das Dorf Ambelakia liegt auf dem Abhang des Ossa, und auf dem rechten Ufer des Peneus, zwischen Larissa» und dem Meere. Es gleicht durch die lebhafte Thätigkeit, die darin herrscht, mehr einem holländischen Flecken, als einem türkischen Dorfe. Es verbreitet durch seine Industrie Leben und Bewegung in der ganzen Gegend umher, und durch seinen Fleiß tritt Teutschland mit Griechenland in eng, Verhältnisse. Seit funfzehn Jahren ist seine  Bevölkerung auf das dreifache gestiegen, und betragt gegenwärtig viertausend Seelen. Alle Einwohner leben in und von Färbereien, und man kennt unter ihnen den Müßiggang nicht. Auch ist die Sklaverei, die rings um sie in. den Ebenen, die der Peneus bewässert, ihre Geißel schwingt, nie bis zu ihnen vorgedrungen; sie dulden gar keine Türken unter sich, und werden nach der Weise ihrer Vorfahren durch selbst gewählte  Obrigkeiten regiert. Zweimal haben die rohen Muselmänner von Larissa aus den Versuch gewagt, ihre Berge zu ersteigen und ihre Hauser zu plündern, aber beide Male sind sie von den Einwohnern, die schnell den Weberstuhl verließen, um die Musquete zu ergreifen, zurück geschlagen worden.

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Schlafgemächer im Haus des Genossenschaftsdirketors. Hier wurden auch die Handlungsreisenden als Gäste der Syntrophia aufgenommen.

Jedermann, auch sogar die Kinder, sind hier mit der Färberei beschäftigt, und während die Männer das Garn färben, spinnen und bereiten es die Weiber. Alle Einwohner leben von, dem Ertrag ihrer Fabriken, und bilden sammtlich nur eine Familie von Brüdern und Freunden. Die schöne Verfassung, die von den Jesuiten in den Wäldern von Paraguay gestiftet werden sollte» findet man hier auf dem beschneiten, felsigten Ossa wirklich eingeführt. Es scheint Zauberei zu  seyn, wenn man auf einmal in den Griechen ganz andere Menschen findet; sie sind fleißig und nachdenkend, an die Stelle der National=Eitelkeit sind großmüthige Gesinnungen getreten, und hohe Ideen von Freiheit keimen auf einem Boden, den seit zwanzig Jahrhunderten Sklaverei entehrt. Der ganze Charakter der alten Griechen zeigt-sich wieder mit seiner vorigen Energie, und alle Talente, alle Tugenden des alten Griechenlandes erwachen wieder in diesem wilden, entlegenen Winckel des neuern.

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Osmanischer Barock in Reinkultur – und dazu bester Erhaltung. Das ist sowohl in Griechenland als auch in der Türkei extrem selten.

Man findet in Ämbelakia vier und zwanzig Fabriken, in denen,jährlich 2500 Ballen türkisch Garn, jeder Balle von hundert Oken, gefärbt werden. Diese 2500 Ballen gehen sämtlich nach Teutschland, und zwar über Pest und Wien nach Leipzig, Dresden, Ansbach, Bayreuth u. s. w. In den meisten dieser Städte haben die Kaufleute von Ambellakia eigene Comptore, worin sie das türkische Garn unmittelbar  an die teutschen Manufacturen absetzen. .

Man hat auch im übrigen Europa vielfältige Versuche gemacht, das Baumwollengarn roth zu färben, und sogar haben sich griechische Färber in der Mitte des vorigen Iahrhunderts in Montpellier niedergelassen, und solche Fabriken auf griechischen Fuß errichtet. Die franzosischen Färber lernten ihnen ba!d ihre Handgriffe ab, und jetzt wird in Languedoc, Bearn, Rouen ,Mayenne  u. s. w. eine Menge Garn auf levantinische Art roth gefärbt. Auch die Oesterreicher haben glückliche Versuche hierüber angestellt. Dessen ungeachtet hat man die rothe Farbe, die dem türkischen Garn, das aus der Levante kommt, eigenthümlich ist, noch nicht nachmachen können; sie behält immer eine: Glanz und eine Lebhaftigkeit, die von der unsrigen nicht erreicht wird. Es fragt sich aber, woher denn dieser Verzug eigentlich kommt ? Viel» Färber behaupten, der Schafmist  trage am meisten dazu bei; andere sagen, das türkische Roth erhalte hauptsachlich daher seine Schönheit, daß man das Garn jedes Mal, wenn es aus einem Bade kommt, wieder sorgfältig ausspühlt,  indem die Farbe dadurch desto leichter eindringe und sich inniger milt dem Garn vermische. Auch scheint das vollkommene Austrocknen nach jedem Bade ein wesentliches Erfordernis zu seyn, es mag geschehen, auf welche Art es wolle, im Schatten oder in der Sonne.

In vielen Fabriken wird auch Urin anstatt des Wassers genommen, allein im Sommer geht dieser zu bald in Faulniß über. Anstatt der Gallapfel wird in manchen Orten Sumach oder ein anderes gemeineres zusammenziehendes Mittel genommen, wie z. B. Granatenrinde, oder Wurzeln von Nußbäumen, Erlen und Eichen.

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hier ist auch das Komplexe (oder wie wir vor zweihundert Jahren gesagt hätten: „zusammnengesetzte“ Lichtregime eines osmanischen Herrenhauses zu verstehen. Die von Stuckrahmen (häufig zweischalig ausgeführten) Schmuck-Oberlichter liegen über den Hauptfenstern, die im Sommer, zur Vermeidung großer Hitze, mit Holzläden („Patsouria“) geschlossen werden.

Ueberhaupt ist das Verfahren der Griechen äußerst zusammengesetzt (komplex): sie brauchen zu ihrer Farbe über fünfzehn verschiedene Ingredienzen, und jede Quantität Garn, die gefärbt wird, kostet über einen Monat Arbeit.“

Schon wenige Jahre später war es mit dem Glanz von Ampelakia vorbei. Ausländische Textilfärber waren den Färbern auf die Schliche gekommen, und nun nimmt der Niedergang seinen Lauf:1837 liest man dann schon in  Friedrich Brans „90. Band der „Miszellen aus der neuesten ausländischen Literatur“  (Jena,S.433 434)

„Ambelakia heißt ein Ort, von dem herab man in das Tempethal blickt. Seine Geschichte giebt den schlagendsten Beweis für alle Behauptungen, welche ich hinsichtlich der Türkei aufgestellt habe. Unter den vielen merkwürdigen Puncten, an denen Thessalien so reich ist, hat mich keiner lebhafter interessiert, als Ambelakia. Sein Handel, seine Thatigkeit und seine Bevölkerung sind verschwunden, aber noch schauen seine Paläste stolz herab auf den staunenden Wanderer, und bescheinigen die Wahrheit von den Erzählungen seines ehemaligen Ueberflusses, der sonst wohl fabelhaft erscheinen möchte“

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Hinten auf der Tribüne, saßen zu festlichen Anlässen die Musiker. Sicher spielte man dort keinen Sirtaki 8gabs damals nocht nicht), sondern eher höfische Osmanische Musik, wie sie sich einst Mozart sogar als Anregung zu seinem „al la Turka“ vorgenommen hat –> Pera-Ensemble)

In Frankreich befand sich nun auch das Hauptanbaugebiet des Krapps, bis die deutschen Chemiker Graebe und Liebermann 1868 nach der Strukturaufklärung des Alizarins auch einen Weg fanden, den Naturstoff billig aus Steinkohlederivaten zu synthetisieren.

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So stellten sich die Maler des 18.Jahrhunderts die ideale Stadt vor: Istanbul könnte gemeint gewesen sein, aber auch Thessaloniki, Bremen… Hauptsache: Häuser, Schiffe, Hafenbecken… und viel Platz zum Handeln.

Das war dann der Beginn der deutschen Farbenindustrie, insbesondere der Firma Bayer in Wuppertal und später Leverkusen, die den europäischen Markt, auch Griechenland, mit billigen, bunten Farben überschütteten. Nicht nur mit Alizarin, sondern auch mit synthetischem Ultramarin, einer wunderschönen himmelblauen Farbe, mit der die Griechen seit der Mitte des 19.Jahrhunderts ihre Häuser blau streichen konnten. Nicht nur in Ampelaki, sondern überall. Was wir für traditionelle griechische Farben, insbesondere auf den Inseln, halten, ist ein der Triumph der deutschen Farbenindustrie. Schon lange sind bunte Farben kein Distinktionsmittel der Reichen mehr, im Gegenteil. Die chemische Substanzbezeichung Alizarin markiert dabei eine lange Kulturgeschichte. „Riza“ ist griechisch und bedeutet „Wurzel“. Die Krappwurzel nannte man dann „Rizari“, und die Türken, denen Konsonanten am Wortanfang unausprechlich erscheinen, nannten sie dann „Irizari“, oder Izari. Ein Arabisches „Al“ davor, und so ist der Weg frei zum Trivialnamen Alizarin, dem leider die internationale Nomenklatur ein jähes Ende bereitet hat: 1,2-Dihydroxyanthrachinon.

Zurück nach Ampelaki. Das bedeutendste und größte der erhaltenen „Archontika“, Herrenhäuser, ist heute Museum. Eines der wenigen heute erhaltenen Herrenhäuser im osmanisch-griechischen Stil in Griechenland überhaupt. Um die Bezeichnung „osmanische“ oder gar „türkische“ Architektur druckst man sich in offiziellen griechischen Denkmalführern etwas herum, insbesondere, wenn sie von der staatlichen Denkmalpflege herausgegeben werden. Da wird dann das Byzantinische heraufbeschworen, was auch nicht ganz falsch sein muß, da natürlich auch die mittelalterliche byzantinische Architektur eine der Grundlagen osmanischer Architektur darstellte. Sogar weitaus der Grenzen Griechenlands.

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Europäisches Common Sense im Design des 18.jahrhunderts: Form vor Funktion. Dieser Kamin hat sicher nie gebrannt. Sonst hätte die ;Malerei nicht überlebt.

Der Besitzer des Herrenhauses: Georgios Schwarz. Er war der Vorsitzende der griechischen Genossenschaft von Ambelaki. Sein ursprünglicher Familienname war „Mavros“, später hat er sich wegen seiner langen Vertreteraufenthalte in Österreich und Wien seinen Namen auf Deutsch übersetzt. Einst ließ sich in der Renaissancezeit unser Freund und Reformator von Schwarzer auf „Melanchthon“ umbenennen, und nur ca 300 Jahre später tut Herr Mavros das Gleiche, nur umgekehrt. Distinktionsmittel der Upperclass haben eine geringe Halbwertszeit. Seien es bunte Farben, Baustile, Automarken, Turkizismen, Gallizismen, Anglizismen: sie durchtröpfeln die gesellschaftlichen Schichten von oben herab wie die Kiesschichten in einer Kläranlage, bevor sie unten als bunte Fallschirmseide am Getränkestand wieder heraus sickern.

Das Haus des Herrn Schwarz diente auch der Genossenschaft als Versammlungsort. Es ist Denkmal türkischen, herrschaftlichen Lebensstils. Orientierte man sich auch handelspolitisch an Westeuropa (nicht anders, als seinerzeit in Istanbul/Konstantinoupoli), so war der Mainstream gehobener Wohnkultur von Istanbul bestimmt. Ein massives Sockelgeschoß aus Bruchstein mit Holzverstärkung, wo Vorräte aufbewahrt wurden, im Halbgeschoss darunter befand sich die Schatzkammer in einem überwölbten, feuersicheren Raum. Im ersten Obergeschoss die Winterwohnungen, darüber, in Fachwerktechnik errichtet, die Sommerwohnungen in reichster Ausstattung nach türkischem Vorbild. Die Ornamentik ist die damals angesagteste des osmanischen Reiches: Naiv nachempfundene Roccaillen türkischer Umprägung, idealisierte Landschaften, rührend naiv gemalt, zeigen das, wie man sich die Hauptstadt Konstantinopel vorstellte. Von den Zentren hehrer Kunst war er weit entfernt, der Maler, der sich in der Inschrift über dem Kamin als „niemand geringerer als L.L.“ bezeichnet. „Turkobarock“ vom Feinsten, und Fallmerayer hätte sicherlich angesichts dieser Kunst die türkische Lebensart gerade mal anerkannt, aber mit Häme  den Niedergang der griechischen Kunst beklagt. Beliebt waren auch die Oberlichter in den vorspringenden Erkern aus buntem Glas, zusammengehalten von geschwungene Stegen aus Stuck. Im Gegensatz zu heutigen griechischen Haushalten standen nicht viele Möbel herum – sie waren vorzugsweise eingebaut, und zum Sitzen wie auch zum Schlafen begab man sich auf den „Sofas“, eine um den Raum herum laufende, niedrige Holzbank. Von hier aus hatte man, wenn die Luken der tief herunter gezogenen Fenster geöffnet waren, einen wunderbaren Blick auf die Landschaft und die Gärten mit ihren Feigenbäumen, Quitten und Granatäpfeln. Im Winter konnte man diese an den Wänden als Ornament gemalt, bewundern.

Im Ort Ampelaki sind noch drei bis fünf weitere Herrenhäuser dieser Zeit erhalten, teils restaurierungsbedürftig, teils im Stadium der Rettung. Der Rest ist neu, etliche Hotels und Privathäuser imitieren den Stil der Archontika in Beton – zum Davonlaufen. Nett ist die Plateia, der Dorfplatz, wo wir zum Tsipouro auch die ordentliche Portion Mesedes bekommen.

 

 

 

 

 

 

 

Ausklang mit Katze

15.09 2013

Auffahrt auf ins Ossa – Gebirge und Besuch im Koster

Eine der Nonnen, die wir auf der Samenbörse in Dimitra kennen lernten, hat uns

zum Besuch des Nonnenklosters St.Johannes des Täufers (Ajos Joannis Prodromos) eingeladen. Also fahren wir den steilen Weg von Dimitra hinauf nach Argostoli. Die Straße, die veilfältige Ausblickmöglichkeiten bietet, ist besonders im Herbst auch für andere Verkehrsteilnehmer gefährlich: Landschildkröten. Dieses Jahr begegneten wir keiner, doch vor einigen Jahren noch war die Strasse voll von Ihnen – teils heftig im Paarungsakt vertieft.

Oberhalb von Anatoli – (dem Ort, wo es die besten Pommes  gibt – ich berichtete schon einmal ) weist ein Wegweiser zum Kloster hinauf. Man öffnet man uns nach zaghaftem Läuten an der Glocke, wir werden zunächst aufgefordert, in der Klosterkirche ein Gebet zu verrichten. Dann wird „unsere“ Schwester gerufen. Sie stammt aus Deutschland, hatte sich zunächst, – dies hier auszuführen, würde zu weit führen – dem überkonfessionellen Teze-Bewegung verschrieben, bis sie in Kontakt mit orthodoxen Nonnen kam, ihre Arbeit in Deutschland kündigte und fortan in Griechenland im Kloster lebt. Das Kloster selbst ist neu. Zwar befand sich an dieser Stelle schon im 16. Jahrhundert ein Kloster, dessen Kirche mittlerweile nur noch eine bedauerliche Ruine ist. Mönche vom Athos starteten in den 1980er Jahren einen ersten Anlauf, hier ein neues Kloster zu errichten, der Bau kam aber zum Erliegen, und verfiel als Bauruine in der Folgezeit dahin..Die 16 Nonnen der international zusammengesetzten Klostergemeinschaft setzten Anfang der 2000er Jahre schrittweise – hauptsächlich aus eigener Hände Kraft – die angefangene Ruine in Stand, Zelle für Zelle.  So ganz fertig sei man immer noch nicht, erfahren wir von unserer Schwester. Doch das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die geschmackvoll eingerichteten Besucher- und Versammlungsräume öffnen sich in die weite grüne Landschaft, weit unten ist schemenhaft die Stadt Larissa zu sehen. Man könne von Larissa aus auch das Kloster sehen, erzählt die Nonne. Es sei das einzige Licht hier oben am Berg Kisssavos. Neben dem Kloster hier oben in Anatoli gibt es mittlerweile noch eine weitere Baustelle: ein Kloster in Estland, auf dem gerade 4 Nonnen werkeln. Die Gemeinschaft tauscht sich hin und wieder aus – es gibt keine feste Besetzung zwischen dem Stammkoster Laurion bei Athen, hier oben bei Anatoli und in Estland. Wie in einem Pfalzverbund wirken die Nonnen da, wo gerade der größte Bedarf ist. Nächstes Jahr soll es auch Whisky geben – eine der Schwestern hat die Schnapsbrennerei zu ihrem „Hobby“ ausgebaut und will sich nun an komplizierteren Bränden als nur Tsipouro versuchen.

Wenn wir schon einmal so weit oben auf dem Berge Ossa (=Kissavos) sind, wollen wir die Gelegenheit noch wahrnehmen, auch noch dem Wegweiser zum Berggipfel zu folgen. Die Straße besteht aus trockenem Lehm und teils großen Gesteinsbrocken, aber mit etwas Mühen und Mut gelangen wir doch zum vermeintlichen Gipfel, hinter dem allerdings, kurz bevor man oben ist, noch ein höherer in der Ferne erhebt. Die Straße führt auch bis dort hinauf, weil sich oben eine Funkstation befindet -. Wir lassen das lieber, denn die Vorstellung, ohne Benzin und funktionierendem Handy hier oben hängen zu bleiben, ist nicht angenehm. Auf dem Gipfel Nr. 2 läßt es sich auch aushalten, Fernsicht fast rundrum, von Ägäis bis über Larissa zum Pindos hinweg liegt alles da. Hier oben wachsen Wachholderbeeren, die wir noch als Reisemitbringsel ernten.

An dieser Stelle mache ich einen jähen Punkt. Gestern, einen Tag vor der Abreise, ist uns ein kleiner verhungerter Kater zugelaufen. Nachdem wir ihn mit reichlich Fisch aufgepäppelt haben, hat er uns klargemacht, dass er mit nach Halle möchte. Die Tierärztin in Larissa wird sich des Falles annehmen, impfen, Dokumente ausstellen, chippen. Bei der Lufthansa ist er schon als Passagier registriert.

Tiberius von Aghiokampos.

Das ist auch der Grund, warum die letzten beiden Artikel (noch) keine Bilder haben. Er hat es geschafft, mit irgendeiner Vierpfotenkombination das W-LAN des Rechners auszuschalten.  

Rund um Kephalonia

12-14-09.2013

Der botanische Garten von Argostoli enthält in seinem großzügigem Areal mindest 30 verschiedene Pflanzenarten, die – bis auf wenige Ausnahmen –durchaus korrekt beschriftet sind. Durch den Garten rauscht ein kleiner Bach, es gibt einen Teich, und mit dem an sich spärlichen Pflanzensortiment werden verschiedene „Pflanzengesellschaften“ und Themenräume angelegt.Der Spaziergang durch den Garten lohnt sich, wenn auch nicht unbedingt durch den erwarteten Erkenntnisgewinn. Leider ist der Garten kaum ausgeschildert, am besten fragt man nach der örtlichen Polizeistation, der Garten liegt gegenüber.

 

Will man der Hitze von Argostoli entfliehen, so empfehlen sich Ausflüge zu dem in der Nähe liegenden Stränden. Empfehlenswert: „Trapezaki“, liegt am Ende eines Baumbewachsenen Tales, sauberer Sandstrand, sehr gepflegt.

 

Wer es dagegen richtig erfrischend kühl haben möchte, sollte einmal die Insel von Argostoli aus Richtung Sami durchqueren. In der nähe von Sami liegt sice Höhle von Melissani, die in gewisser Weise ein Naturwunder darstellt. Die Höhle ist Teil eines langen Karsthöhlensystems, das bei Argostoli im Meer beginnt und die ganze Insel bis nach Sami durchzieht. An der Eintrittsstelle des Meerwasssers bei Argostoli gab es einst Mühlen, deren Räder von dem einströmenden Wasser angetrieben wurden. Bei Melissani tritt dieses Wasser wieder aus dem Berg aus – wo es wiederum kleine Mühlen antrieb. Was das Wasser veranlasst, quer durch die Insel zu fließen, ist offenbar bis heute unbekannt nicht geklärt. Die Tatsache, dass das Wasser diesen 16 km langen Weg durch das Gebirge nimmt, kennt man seit den 1960er Jahren durch Färbeversuche.

Vor ca 5000 Jahren stürzte eine Kaverne des Karstsystems ein, worauf sich ein baumbestandenes Loch mit einer angrenzenden Tropfsteinkammer ergab. Das Loch ist von Bäumen umstanden, das Wasser türkisfarben und Sommers wie Winters kontinuierlich 15 Grad kalt. Durch einen künstlich angelegten Gang gelangt man hinein, worauf man dann von einem Fremdenführer im Boot einmal umhergerudert wird.

 

Etwas beeindruckender, allerdings ohne Wasser, ist die in der Nähe liegende Drogarati-Höhle. Hier unten ist es richtig kühl, die Tropfsteine ansehnlich, wenn auch – wohl schon in früheren Zeiten – zur Souveniergewinnung ihrer Spitzen beraubt.

 

Etwa auf halbem Wege zwischen Sami und Argostoli führt ein Seitenstraße in Richtung Kloster „Ajois Gerasimos“. Das (neue) Kloster lohnt sich nicht, dagegen sollte man unbedingt die in der Nähe liegende Winzergenossenschaft besichtigen, die hier die nur auf Kephalonia wachsende Weißweintraube „Robola“ zu einem einzigartigen trockenen Wein verarbeitet. Robola gehört mit Abstand zu den besten Weißweinen Griechenlands überhaupt. Die Genossenschaft exportiert auch nach Deutschland – jedoch nur in so geringen Mengen, dass der Wein dort kaum aufzutreiben ist (www.robola.gr).

Die Robola-Rebe ist wohl auf Kephalonia entstanden, ihre genaue Entstehung liegt im dunkeln. Die kleinfrüchtigen Beeren sind nicht sehr ertragreich, ergeben jedoch schöne, trockene Weine mit einem vollfruchtigem Aroma.

Die modernen Kelteranlagen lassen sich besichtigen, die Weine auch probieren und käuflicbh erwerben. Leider muß man hierzu die seltenen Zeitpunkte abpassen, wo nicht gerade wieder eine Busladung Russen die Aufmerksamkeit des Personals bindet.

 

Lixouris selbst war lange Zeit – bevor es die Rolle an Argostoli abtrat – Hauptstadt von Kephalonia. Der Weg nach Lixouris ist landschaftlich interessant, die Stadt bietet rein gar nichts an Se-henswürdigkeiten. Nur der mächtige Gummibaum auf dem Marktplatz überlebte die Zerstörung der Stadt durch das Kephalonia-Beben von 1953.

 

Auch wer nicht Baden möchte, sollte unbedingt den Strand von Xi besuchen. Xi liegt nicht weit entfernt, südlich von Lixouri. Die Küste besteht aus an die 20-30 meter hohen „Felsen“ aus weißem Ton, die durch Erosionsprozesse bizarre Formationen ergeben, die stark an die Kreidefelsen von Rügen erinnern. Vom Sandstrand aus kann man einige 5o Meter durch das flache, badewannenwarme Wasser ins Meer hinauslaufen, ohne Schwimmen zu können. Für Familien mit Kindern ideal.

 

Leider ist es kaum möglich, durch Griechenland zu reisen, ohne irgendwo an die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht und der SS erinnert zu werden. Auf Kephalonia trifft man oberhalb von Argostoli, nicht weit vom Leuchtturm entfernt, auf das „monumento ai caduti “.  Das schlichte Monument gedenkt der über 9000 italienischen Soldaten, die nicht nur Opfer von Kampfhandlungen wurden, sondern Großteils Opfer eines grausamen Rachezuges der Wehrmacht wurden. Allein über 5200 gehörten der italienischen Division „acqui“ an, die von ihnen wurden in einem Massaker von der Wehrmacht hingerichtet.

http://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_auf_Kefalonia

 

Da Italien, das zunächst bis 1941 an der Seite Hitlerdeutschlands Griechenland besetzte, sich September 1943 den Allierten ergeben hatte, wurden auf Kephalonia festsitzende italienische Seiten nun als Feinde und Verräter aufgefasst. Es erging der Befehl vom Oberkommando der Wehrmacht, dass „wegen des gemeinen und verräterischen Verhaltens auf Kephalonia keine italienischen Gefangenen zu machen“ seien. Am 21. September 1943 wurde die gesamte Divison von Acqui, die sich komplett den Deutschen ergeben hatten, hingerichtet. Weitere Italiener starben bei Evakuierungsversuchen, indem ihre Schiffe versenkt wurden oder bei direkten Kampfhandlungen.

 

Die Kriegsverbrechen der Wehrmacht hatten nach 1945 kaum ein ernsthaftes juristisches Nachspiel. Erst auf Anfrage Simon Wiesenthals nahm man 1962 Ermittlungen auf, die 1967 unter fadenscheinigen Begründungen eingestellt wurden. Auch weitere Versuche einer juristischen Aufarbeitung des Kriegsverbrechens verliefen immer wieder im Sande, zuletzt im Jahre 2006.