Wie man sich am Strand den Krebs holen kann.

Mit Hühnerbeinen im Trüben fischen

Die zuvor noch ziemlich gestrenge, junge Fremdenführerin taut nun etwas auf, wo sie mit uns alleine ist und uns zeigen wird, wie man Flusskrebse (Kavouria) fängt. Sie stammt aus einem Dorf in der Nähe, hat Maschinenbau studiert und arbeitet jetzt als Lehrerin in einer Berufsschule. In der Ferienzeit bessert sie ihr Gehalt mit Gruppenführungen auf . Wir sind nun an einem der „Priele“, den sandigen Wasserlöchern angekommen, die der sich ständig ändernde Flusslauf im Meeresstrand hinterlassen hat. Das Brackwasser steht hier maximal knietief.

Auf dem Weg zu den Fanggründen

Aus einer Plastetüte kramt sie nun zwei Hühnerschenkel hervor, die sie an einer Angelschnur befestigt. Sie zeigt uns, wie man die Köder etwa zehn Meter von der Uferkante bin seichte leicht trübe Wasser wirft, die Schnur ganz leicht anspannt, um zu spüren, ob ein Krebs an dem Futterbrocken zieht. Die sieht man in dem trüben Wasser kaum, man muss schon genau hinzusehen, ob sich eines der zehnbeinigen Opfer dem Brocken nähert. Eine viertel Stunde tut sich nichts, dann bewegt sich ein grauer Schatten auf einen der Hühnerschenkel zu. Es zieht ganz leicht an der Leine – nun muss man ganz langsam den Brocken an Land ziehen, ohne dass der Krebs, der sich mit seinen Scheren in die Beute verbissen hat, Verdacht schöpft. Hat man ihn fast ganz ans Ufer gezogen, muss man ganz vorsichtig mit einem Käscher flach am Boden versuchen, Krebs und Hühnerbein einzufangen.

Oft rennt bzw. schwimmt der Krebs dann aber doch lieber weg: die Tiere sind erstaunlich schnell. Unserer Führerin macht die „Arbeit“ jetzt genau so viel Spaß wie uns, sie erzählt, dass sie hier schon als kleines Mädchen Krebse gefischt hat. So werfen wir, begeistert wie Kinder, etwa zwei Stunden lang Hühnerbeine ins Wasser, ziehen Strippen, balancieren auf umgestürzten Baumästen über dem Wasser, käschern – und fangen. Sofia zeigt uns, wie die Tiere zu töten sind: mit einem beherzten Messerstich mitten durch den Panzer. Sie habe schon Leute mitgenommen, die dabei angefangen hätten zu weinen – deshalb wurden wir vorher auch gefragt, ob wir ein Problem damit hätten, die Tiere zu töten. Haben wir nicht, denn wir wollen die ja essen (man kann die Tiere auch in kochendem Wasser töten, allerdings soll dann wohl die anschließende Präparation der Tiere schwieriger sein – das habe ich alles erst später im Netz gelesen). Sofia zeigt uns auch, wie man die getöteten Krebse ausnehmen soll: den Panzerdeckel mit einem Messer absprengen, die (wenigen) schwarzen Verdauungsreste entfernen, und dann auch die gelbraune, senfartige Masse rausspülen. Die wie Bananenbüschel aussehenden Kiemen an der Bauchseite müssen auch weg. Zehn Stück haben wir am Ende gefangen. In der Taverne von Paläopyrgos erbetteln wir noch einen Sack Eisbeutel, und so erreichen die noch leicht zuckenden Tiere unsere Küche in Aghiokampos. Hier nimmt die weitere Putz- und Präparationsarbeit noch eine gute Stunde in Anspruch. Viel bleibt am Ende nicht übrig, aber für eine Pastasoße, angereichert mit viel Tomate, drei grünen, scharfen Peperoni, Knoblauch, Zwiebeln und Petersilie, reicht es.

Dann kommen die aufgebrochenen Krebse hinein. Ein Schuss Wein, denke ich, kann auch nicht schaden, greife nach der Flasche im Kühlschrank, gieße eine ordentliche Portion in die quackernde Masse hinein. Ein deutlicher Geruch eines zunächst nicht erkannten Gewürzes steigt aus der Pfanne – dabei habe ich doch sonst nichts hineingetan? Ein Blick auf das Flaschenetikett gibt Aufklärung: es war nicht Wein, sondern Tsipouro, ein spezieller Anisschnaps aus Thessalien, ähnlich wie Ouzo, aber aus echtem Weintrester gebrannt. Alle Mühe umsonst? Schade um den kostbaren Fang? Wir lassen noch etwas sieden – dann wird probiert: es ist unglaublich lecker, der feine Anisgeschmack passt ausgezeichnet zu der krebsigen Soße. Nach etwa 20 Minuten Dünsten bei geschlossenem Deckel sind die Krebsteile in der Soße alle rot, vorher waren sie ockerfarben, Beine und Scheren azurblau.

Blau? Ja. Schon als wir den ersten Krebs aus dem Wasser gezogen hatten, war klar, dass es sich hier nicht um europäische Flusskrebse handelt. Denn die haben einen langen Schwanz, wie so wie Hummer, Langusten oder Garnelen (Unterordnung Astacidae). Diese Teile hier mit ihrem wanzenartigen Körper sehen eher aus wie Taschenkrebse (Gattung Cancer) . Google Lens schafft schnell Klarheit: Was uns hier ins Netz gegangen ist, und die Küstenbewohner hier schon „seit Generationen“ fangen, ist  die Blaue Schwimmkrabbe (Callinectes sapidus). Es ist ein Neozoon, das seit ungefähr 1910 im Mittelmeer vorkommt. Seine ursprüngliche Heimat ist die Westatlantikküste, ins Mittelmeer geriet sie wohl über Ballastwassertanks des Überseehandels. Französische Fischer hassen sie, da die feinschmeckerisch ausgerichtete Krabbe sich mit ihren Nussknackerarmen über die Austernzuchtbänke her macht und dort wohl für gewaltige Schäden sorgt. In Amerika gilt die Krabbe als ausgemachte Delikatesse und erzielt dort auch enorme Preise. Neugierig googeln wir nach: das was wir da in der Pfanne haben, hätte einen Marktwert von über dreihundert Euro gehabt. Dafür hat sich doch der Einsatz von zwei Hühnerbeinen von Lidl gelohnt.

Krebse in Tomatensoße, abgeschmeckt mit Tsipouro

Was den Nährwert betrifft, sicher nicht. Denn das Essen ist zwar traumhaft lecker, aber was man an verwertbarem Fleisch uns den Schalen pult, sind wenige Gramm. Das Fleisch der Scheren ist auch sehr schmackhaft, aber man braucht schon Spezialwerkzeuge um da ran zu kommen. Ein Essen für Feinschmecker und Feinmechaniker.

Was den Tsipouro betrifft: später erfahren wir, dass in vielen Rezepten mit Krabben ein Schuss des Anisschnapses dran kommt (oder wahlweise Ouzo). Kann man sich also merken.