Nur Modelleisenbahner kommen auf die Idee, vollkommen widersprüchliche Landschaftselemente zu einem Bild zusammenzufügen. Was sie zuweilen zusammenbringen, existiert in Griechenland vollkommen real: dazu muss man lediglich ins Pinios-Delta fahren, dorthin, wo der Fluss Pinios sich, nachdem er durch die Tempi-Schlucht zwischen dem Ossa-und dem Olymp – Massiv hindurchgezwängt hat, sich in einem breiten und flachen Flussdelta erleichtert, bevor er sich, nun vollkommen ausgeruht, ins Meer ergießt.
Jedoch nur dann, wenn er nach langen Regenfällen so viel Wasser führt, dass seine dann trüben Fluten tatsächlich das Meer erreichen. Jetzt, im Spätsommer, führt er nur wenig Wasser, das dafür aber verhältnismäßig sauber und türkisfarben erscheint.
Ganz ruhig bildet er verzweigte, ruhige, fast stehende Arme aus, wie eine Krake, deren blaugrüne Finger durch ein grünes Flussdelta in Richtung Meer ausmäandrieren. Aus den Bergen hat d Fluss kostbare Fracht mitgebracht: fruchtbaren Schlamm hat er in dem Flachland ausgebreitet, wo heute Kühe und Schafe weiden.
Baumbestanden sind die unzähligen Nebenarme, zwischen denen sich die liebliche flache Landschaft ausbreitet. Sie erinnert an niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts, es fehlen nur noch die Windmühlen. Der gut 20 Kilometer breite Schwemmlandfächer bildet dort, wo er in einem erosiven Dialog mit der Meeresbrandung eintritt, einen – für Griechenland seltenen Sandstrand, teils sogar unter Ausbildung schmaler Dünenfelder. Der Sand ist weiß und weich, doch leider nicht so sauber, wie man es von der Nord- und Ostseeküste erwarten kann.
Der leider immer wieder anzutreffende Plastikmüll zwischen den Dünenkräutern trübt das Auge ein wenig, das aber sogleich wieder entschädigt wird, wendet man sich vom Meer ab, und wirft den Blick hinter sich: dort türmt sich eine eindrucksvolle „Alpenkulisse“ auf, das Massiv des Ossa zur linken, das des Olymp zur rechten, davor die türkisfarbenen, schilfbestandenen, stehenden Gewässer des Pinios. Stomio, der größte der Orte hier, dessen Häuser, halb im Berghang des Ossa, halb sich zum Strand an der Südecke des Deltas verteilen, ist ein beschauliches Kleinstädtchen mit gut 500 Einwohnern, einer 200 Meter langen Fußgängerzone im Ortskern und einer etwa ein Kilometer langen Strandpromenade. Die Gemeinde wirbt für Fahrradstraßen, deren Netz zu Ausflügen durch „Griechisch-Flandern“ einlädt. Touristisch ist die Gegend dennoch glücklicherweise eher gering entwickelt. Noch bescheidener nimmt sich der kleine Ort Alexandrini aus, eine „Strandkolonie“, die mit ihren bescheiden Häuschen streckenweise an eine bessere DDR-Feriensiedlung erinnert. Prunk und Protz vermisst man hier wohltuend. Dabei gibt es hier sogar noch Grundstücke, die sich sowohl Flussufer als auch Meeresstrand teilen. Bevölkert wird der Ort hier vornehmlich von älteren Herrschaften, die sich hier ein bezahlbares Idyll mit viel Eigenleistung und Idealismus geschaffen haben. Kein Strandcafe, keine Disko. Hier will man gerne unter sich bleiben. Hoffentlich bleibt das auch so. Der Strand wie auch die Flussufer sind bei Anglern beliebt, die , wie man verzweifelt von privater Hand aufgestellten Schildern entnehmen darf, ihre Freunde bitten, doch wenigstens den Müll wieder mitzunehmen. Am Ufer der Flüsse dümpeln Ruderboote und kleine Fischerhütten. Und allen ist anzumerken: bitte, stört uns hier nicht, lasst uns ein wenig unentdeckt…
Von einer Entdeckung müssen wir denn doch noch berichten, das darf man nicht geheim halten : Opa Sotiris Muschelhaus (Nächste Seite)