Im Kloster Panteleimonas bei Agia: Pantaleon mag keine Hosen

Vor sieben Jahren bin ich schon einmal über das Kloster Agios Panteleimonas gestolpert, im wahrsten Sinne des Wortes, denn es lag, etwas oberhalb von Agia, unausgeschildert und folglich unbeachtet rechts abseits der Straße hinauf nach Melivia.Das Kloster hatte auch schon in diesem Blog Erwähnung gefunden.. 2015 lebten dort drei Mönche, einer gab etwas wortkarg Antwort, die anderen beiden waren gerade ausgeflogen. Die Anlage machte einen etwas verwahrlosten Eindruck – obwohl das Katholikon (die Klosterkirche) ein beachtliches Denkmal mittelbyzantinischer Architektur angesehen werden kann, und die nachbyzantinischen Fresken aus der Zeit am 1580 von beachtlicher Qualität und sehr gut erhalten sind. Damals gelang nur kurzer Blick hinein.

Was aus dem Kloster heute geworden ist, wollen wir uns noch einmal ansehen. Geweiht ist das Kloster dem heiligen Panteleimonas, der Heilige entspricht dem lateinischen St. Pantaleon. Mit „Hosen“ (griechisch: Pantelonia) hat der Name nichts zu tun (indirekt schon, das ist eine andere Geschichte), der seit dem frühen Christentum verehrte Heilige leitet seinen Namen von „panta“ und „elein“ her, der „alles Erbarmende“

Im Hinterhof des Kloster Panteleimonas

Der Hinterhof des Klosters wirkt kaum aufgeräumter als vor sieben Jahren, die Holzvorräte sind aber erheblich größer geworden. Vor dem Haus treffen wir einen älteren Mönch, der auf unsere Frage, ob wir kurz hinein sehen dürften, uns bedeutet, man habe gerade einen Besuch eines Abtes eines befreundeten Klosters aus dem Peleponnes zu Besuch, wir könnten uns aber gerne einer Führung anschließen. Die beiden Damen müssen sich allerdings noch schnell einen Pseudo-Rock aus bereitgestelltem Leihfummeln umlegen – mit Hosen kommen sie nicht hinein. Religiöser Kleiderzwang ist halt kein Privileg fundamentalistischer Muslime. Gendermainstreaming? Auch die Mönche tragen die langen Haare hübsch zum Pferdeschwanz gebunden, ihr schwarzer Gehrock reicht züchtig herab bis zu den Knöcheln. Pantaleon mag keine Hosen.

Den größten Raum zwischen den rechteckigen Außenmauern nimmt das Katholikon, also die eigentliche Klosterkirche, ein. Nach Osten und Süden schließt sich ein rechteckiger Hof an, dessen Begrenzung die ehemaligen Umfassungsmauern des nicht mehr existierenden, einstigen Zellentraktes aus der Zeit des 16. Jahrhunderts bilden. Der heutige Zellentrakt ist in den letzten Jahren in traditionellem Stil an der Westflanke neu errichtet worden. Im Hof verströmen Jasmin und Basilikum und viele Zierpflanzen, die in unzähligen Töpfen und Kübeln gehalten werden, einen angenehmen Duft. Dazwischen hat ein frommer Mönch ein Schild gepflanzt, in weißer Schrift auf grünem Grund verkündet es die Botschaft der Demut: „So lange schon lebe ich auf dieser Welt, und noch bin ich keinem schlechten Menschen begegnet. Außer mir selbst.“

Die Nachfahren der roten Katzen, die schon 2015 den Hof bevölkerten, sind natürlich wieder da, wie es sich gehört, sind es die berühmten rot-weißen Ägäische Hauskatzen, der wenige Monate alte Nachwuchs räkelt sich zwischen den Töpfen genießerisch in der der Sonne.

In der Kirche erläutert der junge Klosterbruder der mönchischen Besuchergruppe die Geschichte der Kirche und erzählt auch etwas über die jetzige Situation.

Das Bauwerk selbst stamm wohl aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Das Katholikon ist typisches Beispiel einer klassischen Kreuzkuppelkirche, in einer speziellen Ausprägung, die man besonders auf dem Athos findet. Der Bautypus der Kreuzkuppelkirche ist seit seiner Entstehung im 9. Jahrhundert n. Ch. zu einem der wichtigsten Kirchenformen im gesamten griechisch-orthodoxen Einflussbereich geworden. Im Gegensatz zu den vorwiegend westlichen Basilika-Typen mit Längsorientierung ist es ein Zentralbau. In einen rechteckigen Grundriss wird ein inneres Quadrat aus vier Pfeilern gesetzt, darauf ruht eine erhöhte runde Kuppelkalotte, oft durch einen zylindrischen Tambour aufgestelzt. Die Anräume zwischen Pfeilern und rechteckiger Außenwand werden längs und quer mit Tonnengewölben, in den Ecken mit kleinen Kreuzgewölben geschlossen.

Kompliziert ?: Kann man bei Wikipediea nachlesen.

Grundriss und perspektivischer Anschnitt einer typischen Kreuzkuppelkirche: Die Hagia Sophia, 8. Jhdt n. Ch., Thessaloniki, ist eines der frühesten Beispiele dieses Bautypes. Auf den vier in das äußere Quadrat eingestellten Pfeilern ruht eine zentralen Kuppel. Die sich von hier zur Wand ergebenden kurzen „Querarme“ werden mit Tonnengewölben geschlossen, die in den Ecken des Quadrates entstehenden kleinen Eckräume werden ebenfalls überkuppelt. An den sich so entstandenen, quadratischen Kreuzkuppelraum schließen sich nach Osten hin die Chrorräume an (hier mit drei Apsiden) , westlich vor dem Kirchenraum liegt meist ein Vorraum, der so genannte Narthex. Im vorliegenden Beispiel umfasst dieser Narthex hufeisenförmig den gesamten Kirchenraum.

Die Fresken aus der Zeit um 1580 zeigen in der zentralen Kuppel Christus Pantokrator, den Weltherrscher. Insgesamt folgt die Freskenausstattung dem klassischen Bildprogramm, über dem Ausgang zu Westseite ist die Kimisis, die Entschlafung der Muttergottes, dargestellt.

Nach der griechischen Landreform fielen die Ländereien des Klosters an die Bauern der Umgebung, die verfallenen Klostergebäude gingen an den Staat. In den 1980er Jahren gab es erste Versuche, hier wieder ein Frauenkloster einzurichten, was wohl scheiterte. 2005 startete die Kirche einen neuen Versuch, dieses Mal als Männerkloster. Offenbar mit einem gewissen Erfolg, heute leben hier bereits sieben Mönche, und man gibt sich gegenüber Besuchern weitaus offener. Im ehemaligen Wehrturm des Klosters, der an der Südseite des Klosterhofes erhalten und mittlerweile gut restauriert ist, hat man begonnen, im Erdgeschoss eine Art kleine Ausstellung mit Relikten von Ausstattungsgegenständen des Klosters und umliegender Kirchen aufzubauen. Viel Platz ist hier jedoch nicht, aber es gibt einige sehenswerte Reste des alten „Templon“ (der Chorschranke) aus dem 17. Jahrhundert zu sehen, eine seltene Perlmutt-Ikone und weitere Ikonen des 18. und 19. Jahrhunderts. Unter dem Aufgang zum Obergeschoss findet man einen alten Lautsprecher, Putzgerätschaften, sowie das ionische Kämoferkapitell vermutlich einer frühchristlichen Kirche des 5. Jahrhunderts. „Wurde bei Ausgrabungen hier gefunden“, erklärt uns der hunge Mönch und führt uns hinauf und zeigt uns seinen Arbeitsplatz im Obergeschoss. Hier hat er ein kleines Restaurierungsatelier improvisiert. Gerade bearbeitet er eine Ikone aus dem 18. Jahrhundert. Sie zeigt die Darstellung Jesu im Tempel. Die Holztafel ist mehrfach gerissen, wird fachmännisch von Schraubzwingen zusammengehalten, der Kreidegrund ist an vielen Stellen samt der Malschichten abgesprungen. Nun versucht er, die erhaltene Substanz durch vorsichtige Injektion mit Harzlösungen zu festigen. Die Vorgehensweise ist moderner Standard restauratorischer Praxis: der junge Mönch hat in Thessaloniki das ein Studium der Restaurierung von Kulturgut abgeschlossen. Wir unterhalten uns über historische Maltechniken, über die Möglichkeiten der Materialuntersuchung mit Röntgenfluoreszenz und vieles mehr.

Fische, frühes Christentum, Markthalle und die ältesten Kirchen: an einem Vormittag quer durch Thessaloniki

Thessaloniki, den 1. September

Schon im 7.Jahrhundert nach Christus, wahrscheinlich schon gegen 620 n.Ch, wurde die gewaltige Kirche „Aghia Sophia“ (αγια σοφια) in Thessaloniki errichtet. Wie ihre Namensschwester, die berühmte Kirche in Konstantinopel (Istanbul) ist sie der heiligen Sophia geweiht. Während im Westen in den „dunklen Jahren“ der Völkerwanderung kaum imperiale Architektur entstand – dies auch schon mangels entsprechender staatlicher oder klerikaler Organisation – befinden sich die Metropolen des oströmischen Reiches in einer ersten großen Blütezeit. Hier lebt die Baukunst der Antike bruchlos weiter. Die Aghia Sophia ist ein bemerkenswertes Bauwerk. Byzantinische Kunsthistoriker kommen aus vielen Gründen nicht um diese Kirche herum. Mit der Kirche, deren abweisenden Westfassade wir uns nähern, und vor deren Hof Kinder in der Mittagssonne Bälle bolzen, wurde die „Kreuzkuppelkirche“ erfunden. Dieser Bautyp ist bis heute die am meisten gebaute Form des orthodoxen Gotteshauses. Der Grundtypus lässt sich etwa so erklären: In einen quadratischen Raum werden vier Pfeiler oder Stützen eingestellt, die ein inneres Quadrat markieren. Die Säulen des Inneren Quadrates werden mit vier Bögen überspannt, von ihnen ausgehend erstrecken sich kreuzweise vier Tonnengewölbe zu den Außenwänden. Das innere Quadrat erhält zwischen den Bögen vier sphärische Dreiecksgewölbe (Pendentivs), über den sich nun ergebenden zentralen Kreis errichtet man eine Kuppel. Nun bleiben noch die kleinen Quadrate in den Ecken übrig – die werden mit kleinen Kreuzgewölben überdeckt – das Ganze ergibt dann das Raumprinzip. Im Osten baut man nun eine Apsis an, im Westen einen Vorraum, den „Narthex“. In der Aghia Sophia in Thessaloniki ist dieser Narthex hufeisenförmig um dreiviertel des zentralen Gottesdiensraumes herum gezogen, das ist die einzige Besonderheit. Was dabei entsteht: Ein Raum, der in sich ruht, keine Richtung hat, wenn man von der Apsis absieht, den Chroraum, der aber bald mit einer Schranke abgesperrt wird. Diese Bauweise hat eine besondere Wirkung: Die zentrale Kuppel scheint auf den zarten Pfeilern zu schweben, es bildet sich ein Raum im Raum,wie ein Baldachin, der von den Fenstern der Anräume „magisch“ beleuchtet wird. Das ergibt den Eindruck geradezu transzendenter Leichtigkeit, die Gesetze der Schwerkraft erscheinen aufgehoben. In den meisten späteren byzantinischen Kirchen wird dann im zentralen Kuppelgewölbe der „Pantokrator“, Christus als Herrscher der Welt, dargestelllt. In Thessaloniki folgte man einem sehr frühen Bildprogramm: Hier tragen Engel (erhalten sind die Flügel) den thronenden Christus empor: Es ist die Himmelfahrt. In einem Kranz darunter stehen, radial angeordnet, Maria und die Apostel, die dem Schauspiel beiwohnen. In den Zwickeln der Pendentivs sind Engel dargestellt – möglicherweise eine Anspielung auf alttestamentarische Beschreibungen des alten Tempel Salomons. Wir blicken hier auf die frühesten Mosaiken nach dem Bilderverbot, sie datieren wohl die Mitte des 9. Jahrhunderts.

Während sich in den Kirchen des Westens der Blick gen Osten richtet, in den Chor, orientiert sich der gebaute Raum der Ostkirche auf den über ihr schwebenden Pantokrator, den Weltherrscher, der in dem gebauten Kosmos eine Orientierung vorgibt: da kann der Pfarer noch so sehr vor dem abgeschrankten Altarraum gen Osten Zeremonien abhalten. Byzantinische Zentrallbauten sind ein Abbild des Kosmos, und der ist Oben, kennt nicht Ost und West, nicht Nord und Süd.

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Kuppelmosaik Aghia Sophia Thessaloniki

Für Kunsthistoriker, die sich der spätantiken und byzantinischen Kunst verschrieben haben, ist die Aghia Sophia in Thessaloniki ein „Leitfossil“. Auch im Detail: die Ausformung ihrer Kapitelle zeigt, wie frei man mittlerweile mit dem überlieferten antiken Formenkanon spielt: So gibt es „Windstoßkapitelle“, bei denen die Akanthusblätter des ehrwürdigen korinthischen Kapitells wie von einem Herbststurm zur Seite geweht und umgebogen sind.

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Säule mit Windstoßkapitell

Das  Äußere der Kirche erscheint dagegen unscheinbar. Frühchristliche und byzantinische Architektur ist „introvertiert“, sie entwickelt sich von innen nach außen. So zeigt die Kirche nur das rohe Ziegelmauerwerk, einst war sie wenigstens verputzt, aber es bleibt ein unscheinbarer Klumpen Steine, der Gestaltungswille würde allenfalls einem Weltkriegsbunker zu Ehre gereichen. Prachtentfaltung geschah im Inneren.

Wen Architekturgeschichte nicht anspricht, dem sei in den heißen Tagen dennoch ein Besuch der Kirche zu empfehlen. Die angenehme Frische erkalteten Weihrauchduftes ist  auch ein Argument.

Rings um die Kirche gibt es etliche Straßencafes, wo man frisch gepressten Orangensaft oder selbstgemachte Zitronenlimonade ebenso genießen kann wie kalten Kaffeesorten z.B. „Fredo“ in hunderten Varianten oder den etwa aus der Mode gekommenen Klassiker „Frappe“.
Nicht weit entfernt ist die Rotonda.

Rotonda, Aghios Georgios: Älteste Kirche der Welt.

Der gewaltige römische Rundbau mit seiner zentralen Kuppel wurde ursprünglich kurz nach 300 n. Ch. als Mausoleum für den Tetrarchen Galerius errichtet, oder aber als Tempel des Zeus, oder der kabirischen Götter (zu letzteren später mehr, auf Samothraki). So genau weiß man das nicht. Sicher ist: Schon im Jahre 326 wurde das Gebäude in eine christliche Kirche umgewandelt – es ist damit die älteste, noch funktionierende Kirche der Welt. Auch die Mosaiken, die wahrscheinlich in das frühe 5.Jahrhundert datieren, sind bemerkenswert. Im Zenit der Kuppel thront Christus der Weltherrscher (leider nur als Vorzeichnung erhalten). Er ist von einem Regenbogen umgeben, den wiederum Engel trugen (leider sind davon nur die Flügelspitzen  erhalten).  Darunter stehen Märtyrer in antik anmutenden Gewändern vor phantasievollen Scheinarchitekturen, die eindeutig noch den späthellenistischen Geist und Raumempfinden verkörpern. Gesprengte Giebel, ein räumliches Vor-und Zurück, aber die Landschaft, die man dahinter vermuten würde, ist bereits raumzeitlosem Goldhintergrund gewichen.

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In der Rotonda Thessaloniki: älteste christliche Kirche der Welt.

In den Mosaiken der Rotonda kann man so die Anfangsgründe der  byzantinischer  Kunst schlechthin entdecken. Von hier bis zu den spekulatiusartig ausgewalzten Bildnisersatzvorlagen zum Ausmalen für unbegabte Mönche im 19. Jahrhundert, deren „Malen nach Zahlen mit Eierfarbe“ wenigstens von halbbegabten Goldschmieden günstigstenfalls pietätvoll bis heute überschmiedet wird, ist es noch ein weiter Weg. Den Bildersturm überlebten die Mosaiken unter einer dicken Putzschicht, unter der sie auch überdauerten, als die Kirche um 1590 in eine Moschee umgewandelt wurde. Aus dieser Zeit stammt noch das erhaltene Minarett und die Vorhalle im osmanischen Stil.

Thessaloniki Rotonda

Rotonda mit Minarett

Die Vorliebe der orthodoxen Kirche für die Form des Zentralbaus, im Gegensatz zum Westen, wo eindeutig langgestreckte Kirchen basilikalen Schemas vorherrschen, ist viel diskutiert worden, m. E. nicht abschließend geklärt. Denn auch in Griechenland wurden Kirchen basilikalen Schemas gebaut, hohes Mittelschiff, Seitenschiffe, Trennung durch Säulen oder Pfeiler. Dieser Typ des Zweckbaus folgt der römischen Markthalle – das ist jetzt unsere  Überleitung mit der Brechstange.
Thessaloniki hat so eine typische Markthalle mit basilikalem Schema, nicht römisch, sondern aus der Zeit um 1912, aber dafür hat sie ihre ursprüngliche Funktion behalten: nicht als Kirche, sondern als Konsumtempel. Leider ist sie – im Vergleich zu unseren vorigen Besuchen, die mehr als zehn Jahre zurück liegen, mittlerweile etwas verwahrlost, viele Läden sind verwaist, aber die wenigen verbliebenen atmen dennoch den alten Flair von damals, verbreiten den Duft von Fisch, Krise, frisch geröstetem Kaffee, Gewürzen, Süßigkeiten und Obst.

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Die Markthalle von Thessaloniki: Schon von Außen erkennt man das basilikale Schema, das auch vielen anderen Zweckbauten wie Fabrikhallen oder Kirchen zu eigen ist.