Bauen gegen die Hitze.

Aghia, 20.08.2012.

Enricos Seppelts Einwurf aus dem ausnahmsweise extrem heißen Halle, was man denn in Griechenland gegen die Hitze tue, veranlasste mich, auf seine Frage unter besonderer Berücksichtigung der Bauweise der alten und neuen Griechen einzugehen. Vieles ist ja bekannt, und bedarf keiner besonderen Erörterung: Dass selbstverständlich in den heißesten Mittags- bis Nachmittagsstunden Ruhe gehalten wird, und sowohl das Leben als auch die Arbeit(!) erst am späten Nachmittag weitergeht, dafür sich aber bis in die frühe Nacht erstreckt. In weiten Teilen des Geschäftslebens ist immer noch üblich, dass die Arbeit mittags pausiert, um danach in den Büros und kleinen Läden bis 21-22 h weiter zu gehen. Wenn sich die Leute hier Abends zu einem Essen verabreden, dann trifft man sich selten vor 22 oder 23 Uhr. Im Übrigen tut man hier das, was auch Ärzte in den seltenen heißen Monaten empfehlen: viel trinken (in Griechenland ist Wasser das Hauptgetränk Nr. 1). Die Speisen sind leicht, die dem Deutschen so liebe Hauptmahlzeit, das „Mittagessen“, existiert hier praktisch nicht. Zugeschlagen wird abends, und dass die Speisen selten so heiß gegessen werden, wie gekocht, ist eine Selbstverständlichkeit. Der Lebensmittelkonzern Nestle, der in Griechenland – wie nahezu überall auf der Welt – es verstanden hat, seine Fertigprodukte zu unentbehrlichem Kulturgut zu erklären, verdient mit kaltem Kaffee Unsummen: Frappe heißt das Produkt, durch Schütteln aufgeschäumter und mit Eiswürfeln servierter Instantkaffe. Den ursprünglichen, in kleinen Puppentäßchen servierten türkischen oder griechischen Mocca hat dieses Zeug längst verdrängt.

Aber ich wollte eigentlich vom Bauwesen berichten, auf Enricos Einwurf antworten, man streiche einfach nur die Häuser weiß. So einfach ist das nicht. Man hat ja immer diese Postkartenbildchen vor Augen, die weißen Häuschen mit den weiß gestrichenen Flachdächern, aus denen sich als einzige farbliche Akzente blaue Kirchenkuppeln und blaue Fensterrahmen hervorheben. Mykonos oder die südlichen Kykladeninseln sind dafür bestbekannte Beispiele. Dort gibt es so etwas, aber diese Architektur ist in Griechenland nicht die Regel, und erstreckt sich eigentlich nur auf wenige Kykladeninseln. Man ja sofort eine rationale Erklärung parat, dass diese Bauweise damit zu tun habe, dass weiße Dächer und Wände über ein besonders hohes „Albedo“ verfügen, und so die Sonnestrahlung besonders gut zurück werfen. Bewegt man sich jedoch auf dem Festlandgriechenland, besonders in die tatsächlich viel mehr hitzegeplagte Orte wie Athen oder Larissa, passt dieses Bild einfach nicht. Google-Earth verrät, dass die Farbe der Dächer griechischer Großstädte sich von mitteleuropäischen Dachlandschaften kaum unterscheidet. Haben die modernen Griechen also die traditionelle, klimagünstige Bauweise zu Gunsten einer europäischen Einheitsarchitektur in geradezu törichter Weise aufgegeben? Um das zu beantworten, werfen wir zunächst den Blick auf tatsächliche „traditionelle“ Zivilarchitektur auf dem Festland.

Das Archontiko des Färbers und Tuchhändlers „Swarts“ in Abelakia.

Das im Bild gezeigte Haus ist das „Archontiko“, ein Herrenhaus des reichen Färbereibesitzers und Händlers „Swarts“ in Ambelakia, oberhalb des Tempi-Tals bei Larissa. Es ist ein typisches Beispiel spätosmanisch-griechischer, herrschaftlicher Architektur. Über einem massiv aus Feldsteinen und Lehm errichteten Untergeschoß erhebt sich ein aus Lehmfachwerk gebautes, mit vorspringenden Erkern versehenes Obergeschoß.

Untersicht der Erker- und Dachvorsprünge.

Die Wände sind verputzt, gekalkt und farbig, teils dekorativ mit barockisierenden Ornamenten bemalt, das Untergeschoß trägt eine grauweiße, aufgemalte Quadermalerei. Über dem Obergeschoß schattet ein wie eine Schirmmütze ausgebildeter Dachvorsprung die Wände und die Fenster ab. Das Dach: ein flaches Schrägdach, mit gewöhnlichen Roten Ziegeln gedeckt. Andere, übliche Dachbedeckungen sind dunkelgrauen Steinplatten. Der flache Dachstuhl ist gegen die Zimmer durch eine isolierende flache Holzdecke getrennt, so dass der Dachraum eine Art Luftpolster bildet.

Im Obergeschoß des Archontiko. Die untere Fensterreihe ist mit den Läden verschlossen, die abgeschatteten bunten Oberlichter lassen nur wenig Licht in den Raum hinein.

Es gibt zwei Fensterreihen in dem als „Bel Etage“ dienenden Obergeschoß. Zum einen die kleinen, aus farbigen Glastäfelchen mit Gipssprossen gebildeten, dekorativen Oberlichter. Sie sind nicht zu öffnen. Die unteren, großen Fenster sind mit riesigen hölzernen Läden versehen, die sich nach oben hochklappen lassen, und damit dann noch eine Art Sonnensegel darstellen.
Möglichst wenig Sonnenlicht in die Innenräume zu lassen, und mittels vorspringender Vordächer, Loggien und Ladenklappen die Fassade vor direkter Sonneneinstrahlung zu schützen, ist die vorherrschende Methode, die Innenräume tagsüber vor Strahlungswärme zu schützen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde, auch im Zuge des erstarkenden griechischen Nationalismus und der Hinwendung zu Westeuropa, der neoklassizistische Stil französischer Prägung modern. Der osmanische Stil wurde weitgehend aufgegeben, aber das Prinzip, die Wohnungen mit Schlagläden zu verschließen, blieb im Prinzip bestehen.

 

Spät/Neoklassizistische Villa in Aghia, um 1880.

Portiken und Loggien bildeten eine zusätzliche, schattenspendende Einrichtung. Die Farben: hell, aber selten weiß. Ockertöne mit grau abgesetzten Stein- und Putzgliederungen sind die vorherrschenden Farben.

Neben dieser ruinösen Villa residiert die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE). Der Balkon der Villa wäre sicherlich ein geeigneter Ort, eine neue Republik auszurufen.

Griechische Städte und Dörfer sind heute vorwiegend von 08/15-Bauten der 60er,70er und spätere Jahre geprägt. Aber den sonst phatasielosen Bauten ist das Prinzip der Wandabschattung erhalten geblieben. Das typische Straßenbild einer griechischen Stadt ist davon geprägt, dass man eigentlich gar keine Fassaden sieht. Die äußere, feste Hülle der Bauten wird von Balkonen umzogen, die hinter den Brüstungen, Gittern und Topfpflanzen liegenden Fenster mit ihren Schiebeläden sieht man schon kaum, und die Terrassen sind noch durch ausladende, tief heruntergezogene Markiesen bedeckt. An den Außenwänden brummen oft auch noch dicke, wie Wespennester angeklebte Kästen, die Aggregate der Klimaanlagen, die mit erheblichem Energieaufwand die verbliebene Wärme aus den Häusern pumpen. Die die gestiegenen Stromkosten lassen diese aktive Art der Gebäudekühlung immer mehr zu einem anachronistischen Luxus geraten.

08-15-Bebauung, Aghia, 70er Jahre.

Mittags bis nachmittags sehen griechische Kleinstädte wie ihre mitteldeutschen Entsprechungen nach 9 Uhr abends aus: Die Straßen sind leer, und die Rolläden heruntergelassen.

Appartementhaus, 1980er Jahre. Aghiocampus

Nachmittags im Sommer sind die abgedunkelten griechischen Wohnungen für unsere Verhältnisse ungemütlich. Aber um einen Nachmittagsschlaf zu machen, um sfit zu sein für die langen, lauen Abendstunden, sind sie der geeignete Ort.

Gewöhnlicher Strasssenzug in Larissa, Bauten 1980er-1990er Jahre.

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