Samothraki ist klein, und verfahren kann man sich nicht, das Heiligtum der „Großen Götter“ liegt etwa 3 Kilometer östlich an der Uferstraße von Kamariotissa. Die Topografie entspricht der Vorzugslage antiker Heiligtümer: Im Hintergrund der große Berg, Blick aufs Meer, nicht zu steil hinauf.
Die „alten“ Griechen waren Seefahrer, nicht Bergsteiger. Und man war nicht auf unbequeme religiöse Streitigkeiten erpicht. Die namenlosen „Großen Götter“, die die Thraker einst verehrten, die „Kabiroi“, wurden mit der Hellenisierung Thrakiens einfach uminterpretiert, im Olymp gibt es viel Platz für große Mächte, und erst recht auf dem Saos, an dem sich ständig die Wolken stauen, mühsam den Weg über den Gipfel überwinden, um sich über dem Heiligtum wiederum in wirbelnden Kringeln aufzulösen. Tagtäglich das selbe Spiel.
Zum Heiligtum führt ein schattiger Weg durch krüppelige Olivenbüsche hinauf, nicht weit, dann erreicht man das mit EU-Mitteln neu errichtete Museum auf der rechten Seite, das leider wegen fehlender Folgefinanzierung nicht eingerichtet und geschlossen ist.
Zum Ausgleich für den entgangenen Museumsbesuch erhalten wir am Kassenhäuschen eine wissenschaftliche Broschüre über den Verlauf der Restaurierung der verbliebenen Reste des Heiligtums der großen Götter.
Zwischen den dorischen Säulen des klassisch-griechischen Tempels tummeln sich weiß gewandete Gestalten, die sich mit ausgestreckten Armen der Sonne zuwenden. Es sind offenbar Mitglieder einer amerikanischen Sekte, eine dicke Frau im Gardinengewand bittet uns um Verständnis, die Szene nicht zu stören, allerdings vergeblich.
Auch wenn die Niki in Paris steht: Architektur- und Kunsthistoriker können Samothraki keinesfalls auslassen. Die Frontseite der einst von zwei Säulenreihen gestützte Vorhalle des Tempels der „Großen Götter“ haben Denkmalpfleger theatralisch in Stand gesetzt, die übrigen Hinterlassenschaften hat man im Umfeld sortiert: In Stein gehauene Dachrinnen (Geison), Gebälkteile mit Triglyphen, und die noppenbesetzten Bausteine, die wie übergroße Legosteine herumliegen: es sind die „Guttae“ , eine Reminiszenz der dorischen Säulenordnung aus der Zeit, als man Tempel noch aus Holz baute. Es sind in Stein gehauene Erinnerung an die genagelten Bretter, die einst Teil der Dachkonstruktion waren.