Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal: die Patsos- oder Aghios-Antonius-Schlucht

Patsos-Schlucht: Kartenausschnitt mit Wanderweg durch die Schlucht (dunlkelblau) und nicht empfohlener Weg (hellblau). : Auf der Karte ist Norden links, Süden rechts.

Patsos-Schlucht: Kartenausschnitt mit Wanderweg durch die Schlucht (dunlkelblau) und nicht empfohlener Weg (hellblau). : Auf der Karte ist Norden links, Süden rechts.

Schluchtenwanderungen sind auf Kreta außerordentlich beliebt. Berühmt ist sicherlich die Schlucht von Samaria, aber es gibt außer ihr, deren Durchwanderung schon seit Jahrzehnten fester Bestandteil des Massentourismus ist, noch weitaus mehr Täler in Kreta von ähnlicher Schönheit, die noch nicht dieses Ausmaß von Heimsuchung erfahren haben wie das Samaria-Tal. Zu nennen wäre hier etwa die Schlucht des Todes bei Zakros, die wir schon einmal vorgestellt hatten (derzeit nicht online) die Schucht von Aghia Irini oder die Schlucht von Patsos, auch St. (Aghios) Antonios-Schlucht genannt, die wir dieses Jahr durchquert haben.

Ihr Eingang befindet sich in der Nähe der Ortschaft Patsos, die Schlucht erstreckt sich etwa 3-4 Kilometer in Richtung Norden, wo sie am Amari-Staudamm endet.

Beschreibungen der Tour gibt es in mehreren Reiseführern, sind aber – mit vielen Erfahrungsberichten – online Verfügbar. Leider sind sie alle sehr widersprüchlich und oft auch ungenau.  Da gibt es etwa die Seiten von „Radio Kreta“:“Radio Kreta„: http://radio-kreta.de/ausflugtipp-die-patsos-oder-sankt-antonius-schlucht/ wo ein gewisser Jörg die Schlucht anpreist. Leider bleibt da vieles im Unklaren  – mal ist von einem „lockeren Familienausflug“ die Rede, dann wieder von „Indiana Jones“.  Der Hinweg zum Eingang der Schlucht ist jedenfalls gut beschrieben – bei dem Rest fragt man sich, ob hier nicht die  Ausführungen aus dritter Hand kompiliert wurden. Im deutschsprachigen Kretaforum (so etwas gibt es tatsächlich!) trifft man auf die unterschiedlichsten Erfahrungen, die irgendwo von“Sonntagsspaziergang“ bis „gut, dass wir heil durchgekommen sind“ reichen.  (http://www.kretaforum.info/archive/index.php/t-20298.html)

Leider schweigen sich alle Seiten darüber aus, wie man – nach dem nicht unbeschwehrlichen Abstieg – wieder zurück kommt. Es gibt am unteren Ausgang der Schlucht nämlich keinen Bus- oder Taxitransfer, wie beispielsweise bei der beliebten Samaria-Schlucht. Gar nichts.

Doch der Reihe nach: Der Eingang der Schlucht ist tatsächlich einfach zu finden, wie obiger „Jörg“ es beschreibt. Die Ausflugstaverne „Drymos“ ist in der Tat gewaltig groß, morgens ist hier noch nicht viel los, was sich nachmittags schlagartig ändern wird.

Die Großtaverne "Drymos"

Die Großtaverne „Drymos“

Empfangen werden wir von heftigem, geradezu hysterischem Geschrei, das aus der Ferne klingt wie das einer älteren lauten  Dame. Das pausenlose Gequatsche kommt von einem Papagei – er ahmt hier vorzugsweise das aufgeregte, banale Dauergeschwätz giechischer älterer Damen nach, die hier Nachmittags in beachtlichen Scharen einfliegen. Was der Vogel hier anstellt, ist unfreiwillige Satire erster Güte. Vereinzelt hört man Wörter und beliebte Phrasen heraus, leider verstummt der Vogel sofort, wenn man sich in die Nähe seines Käfigs begibt, um Tonaufnahmen zu machen.

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Nach einem kurzen Kaffee nehmen wir den Eingang der dicht bewaldeten Schlucht, Pfade und kleine Brückchen führen die ersten 100 Meter oberhalb des zwischen dem Grün und Felsklumpen friedlich dahinplätschernden Bachs hin zur St. Antonius-Kapelle, die in einen Höhle unter einem Felsvorsprung eingebaut ist. Hier haben unzählige Pilger ihre Votivgaben abgelegt: Wunschzettelchen, Metallplaketten mit eingeprägten Symbolen der zu heilen Körperteile (Herzen, Augen, Kopf, Beine), sie hängen teils in dichten Trauben an Schnüren von der Höhlendecke und Baumzweigen herab.

Eine Felsnische ist voll von Krücken gestellt – das erscheint verständlich, denn bei dem nun folgenden Abstieg wären die ohnehin kaum mehr hilfreich. Denn langsam steigert sich der Schwierigkeitsgrad: gibt es erst noch wackelige Holzbrücken, die über den Bach führen, der sich immer tiefer unter uns in den Felsen sägt, sind es dann später nur noch wacklige Leitern, dann führt der nicht immer klar ausgezeichnete Weg über vollkommen ungesicherte Felsvorsprünge in der dutzent Meter tief steil abfallenden Wand, manchmal gibt es Halteseile, denen man nicht immer ganz vertrauen sollte – hin und wieder ist schon mal eines an einer spitzen Felskante zur Hälfte durchgescheuert.

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Aufpassen sollte man hier schon, und für Menschen mit Höhenangst ist das hier nichts.
Stabile, gebirgstaugliche Wanderstiefel sind ein absolutes Muss! Im Sommer, wenn der Bach kaum Wasser führt, braucht man wenigstens bei einem Fehltritt nicht befürchten, von der reißenden Strömung fortgespült zu werden, dann aber ist die Passage ohnehin kaum möglich, denn, wie die Wassermarken an den Felsen und monströsen, rundgeschliffenen Steinbrocken zeigen, steht das Wasser im Winter und Frühjahr in den Strudeltöpfen bis zu 5 Meter hoch. So tasten wir uns nun langsam nach unten, teils durch dunkle Schächte, über denen in bis zu hundert Metern Höhe über den Felswänden die Baumwipfel ihr Dach ausbreiten, dann wieder Lichtungen, in denen blühende Oleanderbüsche, nein geradezu Oleanderbäume stehen.

Antonios-Schlucht auf halber Strecke

Farangi Antoniou (Patsos-Schlucht, Antonios-Schlucht)

Farangi Antoniou (Patsos-Schlucht, Antonios-Schlucht)

Man rutscht und zerrt sich zwischen und über die Felsen hindurch, auf dem Hosenboden glatt polierte Rutschen durch nadelöhrbreite Spalten hindurch ins Ungewisse, um dann festzustellen, dass man vielleicht doch besser über den Felsbrocken nebenan geklettert wäre, weil es da, wo man angekommen ist, nicht weitergeht.

Ausgeblichene menschliche Gebeine verschollener Wanderer findet man hier jedoch nicht. Nach etwa weniger als anderthalb Stunden, je nach Kondition, wird die Schlucht wieder flacher und heller und mitten im Dickicht steht man vor dem Loch einer banalen Straßenunterführung, der Bach fließt da durch und am anderen Ende erreicht man das Ufer des Stausees. Hier ist der Weg dann zu Ende.

Hier ist die Schlucht zuende: am Amari Stausee

Hier ist die Schlucht zuende: am Amari Stausee

Wie kommt man zurück? Den gleichen Weg hinauf wollten wir nicht machen – und das war ein großer Fehler. Die Alternativroute zurück, zu Fuß, führt entlang einer heißen, staubigen, in praller Sonne dahin flimmernden Straße, die nach ca. 6,5 km über große Umwege und unnötige Höhenkämme wieder zum Ausgangspunkt führt. (Der Rückweg über die Strasse ist die in unserer Karte hellblau gepunktete Linie). Nicht nachmachen !

Empfehlung: entweder doch den Weg durch die Schlucht zurück klettern, was geht, wie uns Mitwanderer berichteten,  die sich beim Abstieg eigentlich nicht sonderlich wohl fühlten. Alternative: Es gibt in der Gegend durchaus Funktaxis, die muss man einfach nur rechtzeitig bestellen.

Ist man dann, egal wie, wieder zum Ausgangspunkt an der Taverne „Drymos“ angelangt, empfielt sich: Wasser auftanken und essen, wenn man hier überhaupt noch Platz findet, denn mittlerweile sind etliche Ausflügler in Bussen eingefallen. Es sind vorzugsweise griechische Großfamilien und Gesellschaften (Parea), vornehmlich älteren Datums, die diesen Ort natürlich nicht zur Schluchtenwanderung ausgewählt haben. Es sind Paradeausflüge von Durchschnittsgriechen der umliegenden Orte und so stolziert man , die Damen laut vorneweg schnatternd (der Papagei hört nun begierig zu) durch das Lokal, die Herren oft breitbeinig, nicht anders, als käme man von der Einschulungsfeier im Vereinsheim einer Gartensparte in Halle. Dennoch: Hier zu speisen lohnt sich, denn die Größe des Lokals lässt zu, hier Gerichte produzieren zu können, die für kleinere Etablissements nicht wirtschaftlich wären. Eine kretische Zubereitungsart für Fleisch, insbesondere für große Teile vom Lamm, ist das so genannte „Ofto“. Über einem großen, offenen Feuer  hängen die Fleischstücke und werden neben der direkten Flamme gegart, nicht etwa gegrillt. Mehrere Gestelle sind im Einsatz, und für den Restaurantbetrieb müssen  täglich mehrere Lämmer das Leben lassen. Die üblichen Mesedes sind ebenfalls nicht zu verachten, geschweige der Raki, den man sich nach den Strapazen der Wanderung redlich verdient hat.

Lammteile in offener Flamme: "ofto"

Lammteile an offener Flamme: „ofto“