Iraklio, 25. August 2017
Nun ist eine gute Woche Kreta vorüber, ein letzter Besuch gilt „Heraklion“ (Iraklio), von wo wir abends spät Richtung Athen einschiffen werden. Für einen längeren Stadtausflug ist noch Zeit.
Heraklion hat nie diesen Namen getragen. In dorischer Zeit soll es unterhalb des viel bedeutenderen Knossos, das nur etwa 5 Kilometer entfernt in den Bergen liegt, eine Siedlung namens Ἡρακλεία („Herakleia“) gegeben haben, später nannten die Römer den kleinen Hafen Heracleum. Zur dieser Zeit sprach man jedoch das „H“ im Griechischen nicht mehr, und die ehemaligigen Diphtonge „εί“ sprach man bereits wie „i“ aus. „Iraklia“ also allenfalls. Der Name taucht aber dann aber im Verlauf der weiteren Geschichte ohnehin nicht mehr auf. Zwischen 826–961 herrschten Araber auf Kreta (Emirat von Kreta). Sie bauten den kleinen Hafenvorort von Knossos festungsartig aus, sie sind die eigentlichen Stadtgründer von „Heraklion“. Die neue Stadt benannten sie nach der arabischen Bezeichnung „Ḫandaq“ (Festungsgraben) , die griechische Bevölkerung machte daraus Χάνδαξ (Chándax) bzw. Χάνδακας (Chándakas). Nach dem Abzug der Araber wurde Chandax zunächst wieder byzantinisch, fiel dann aber an die Venetianer, aus Chandakas wurde latinisert „Candia“. Dieser Name ging als italienische Bezeichnung dann auf die gesamte Insel Kreta über) Wer auf alten europäischen Karten Kreta sucht, wird nur „Candia“ finden, wie auch die Peleponnes nur unter „Morea“ geführt wird. 1669 kamen die Osmanen, nun hieß die Stadt Kandiye, während die Griechen auch schon mal von „Megalo Kastro“ (große Burg) sprachen. Erst 1913, mit dem Anschluss Kretas an Griechenland, bekam die Stadt – mit teils unterschiedlicher Schreibweise – den neuhelleniserten Namen Ηράκλειο, gesprochen „Iraklio“, zugewiesen. Alles anderen Bezeichnungen sind mehr oder weniger falsch. Die Stadt ist mit ca. 175.000 Einwohnern die größte Stadt Kretas und die viertgrößte Stadt Griechenlands (Nach Athen, Thessaloniki und Patras).
Leider ist sie während der vielen feindlichen Auseinandersetzung mehrfach stark in ihrer historischen Substanz beschädigt worden, mit Abstand am schlimmsten durch die Bombardierung durch Nazi-Deutschland als Vorbereitung zum Einmarsch von Wehrmacht und SS auf Kreta (14. Mai 1941)
Dennoch sind noch einige Sehenswürdigkeiten in der Stadt erhalten geblieben. Berühmt ist das archäologische Museen (darüber hatte ich vor Jahren schon einmal geschrieben, die Dateien kommen irgendwann wieder hier rein. Allerdings ist es zwischenzeitlich komplett renoviert und umgebaut – ist vorbehalten zur nächsten Reise). Bekannt ist das Museum, das nach dem Athener Nationalmuseum die bedeutendste archäologische Samlung beherbergt, durch den berühmten „Diskos von Phaistos“, einer etwa Pita-großen Tonscheibe, mit rätselhaften, spiralförmig umlaufenden Schriftzeichen, bei denen es sich angeblich um das minoische Linear A handeln soll. Die Scheibe, die 1908 in den Ruinen der minoischen Siedlung von Phaistos gefunden wurden sein soll, wurde bislang in die Zeit des 17. Jahrhindert v. Ch. datiert. Ihre Inschrift wurde, trotz unzähliger, teils ins Esoterische abgleitender Versuche, nie entziffert. Das kann Gründe haben: leider mehren sich immer mehr Anzeichen dafür, dass es sich bei dem berühmten Objekt, das wie ein Nationalheiligtum gehütet wird, um eine Fälschung handelt http://blog.museum-aktuell.de/archives/359-Diskos-von-Phaistos-erneut-unter-Faelschungsverdacht-gestellt.html
Nicht nur für das Museum wäre das eine Katastrophe.
Spannend ist das historische Museum der Stadt. Es befindet sich an der Uferpromenade der Stadt, nicht weit vom ehemaligen venezianischen Hafen. Es ist in einem mehrstöckigen, neoklassizistisches Gebäude nebst behutsam angefügten, modernen Anbau untergebracht. Über drei Etagen bietet es einen Stadt- und regionalgeschichtlichen Überblick über die Stadtgeschichte,von den archäologischen Funden bis in die Moderne.
Neben der Dauerausstellung, die insgesamt vernünftig didaktisch aufbereitet ist, werden auch ständig Wechselausstellungen gezeigt. Ein Highlight für Freunde internationaler Literatur sind natürlich die Räumlichkeiten, die hier einem der größten Söhne der Stadt, dem hier geborenen Nikos Kazantzakis gewidmet sind. Unter anderem findet man hier eine gute Übersicht über sein breites Schaffenswerk, sein rekonstruiertes Arbeitszimmer und mehrsprachige Ausgaben seines Övres, das ja weit über den Klassiker „Alexis Zorbas“ hinaus ging.
Noch anderer großer großer Sohn der Stadt war El Greco („der Grieche“ – so heißen gerne zweitklassike Restaurants in Deutschland) . 1541 hier geboren, gestorben im spanischen Toledo 1614 ; sein eigentlich Domínikos Theotokópoulos. Er machte in seinem künstlerischen Schaffen eine enorme Wende durch. Ausgebildet in Kreta, erlernte er hier die orthodoxen Ikonenmalerei, die zwar, als kretische Schule, westlichen Stilrichtungen nicht vollkommen abgeneigt war, aber doch
nach westlichen Maßstäben sehr handwerklich-starr verhaftet war. In Italien lernten er den Manierismus kennen, sein Stil wandeltes sich, und igendwie gelangte er nach Spanien als erfolgreicher, heute weltberühmter Maler des Manierismus.Nur zwei Werke seines gewaltigen Schaffens existieren noch in seiner Geburtsstadt: gezeigt werden sie im historischen Museum Iraklio.
Zur Stärkung sei unbedingt das in der Nähe liegende Cafe-Restaurant „Bachalogatos“ („Chaotenkater“) empfohlen – nicht nur für Katzenliebhaber, sondern vor allem für Kenner und Liebhaber der kretischen Küche. Das Lokal ist schlicht und geschmackvoll designt, etwas im westeuropäischen Retrostil der 1960er Jahre gehalten (zentrales Thema: witzige Katzenzeichnungen und -Sprüche) . Es biete alles, was die kretische Küche zu bieten hat, allerdings in einer sehr modernen, ansprechenden Form angerichtet. Raki in einer Glühbirnenflasche serviert, auf einem Brettchen mit etwas Konditorware und einem Katzenmotiv aus Puderzucker. Alles etwas mit einem gewissen Augenzwinkern „schickimickimäßig“ angerichtet – das sollte nicht abschrecken, das gehört zum Stil, und die Preise sind trotzdem vollkommen normal. Der Ladenbesitzer ist der El Greco der kretischen Küche: „Wir können auch anders“: In der kretischen Küchentradition verhaftet, aber serviert und gespielt wird auf der italienischen Designerklaviatur. Hoffentlich ist der Laden nicht zu, wenn wir eines Tages wiederkommen.
Empfohlen sei auch ein kurzer Fußmarsch in die historische Innenstadt. Neben schlichten Betonklötzen aus der Wiederaufbauzeit der Stadt findet man immer wieder noch die historistischen Prachtbauten der Zeit um 1900, Neoklassizismus, teils auch mit einem Hauch Jugendstil, Bauhaus, Art Deco. Sehenswert ist die venezianische manieristische Loggia (Architekt Francesco Morosini , erbaut 1626 und 1628 ). Heute sind hier Teile der Stadtverwaltung untergebracht, die offene Halle wird für diverse Veranstaltungen genutzt.
Nicht weit davon entfernt, stößt man auf einen gewaltigen, kuppelüberwölbten Klotz spätosmanischer „Turkobarock“-Architektur“. Es handelt sich um eine ehemalige Moschee, die als Nachfolge mehrerer byzantinischer Kirchen, die dem hl. Titos geweiht waren, nach deren Zerstörung durch Erdbeben (zuletzt 1851) errichtet wurde. Nach dem Abzug der letzten Muslime 1920 wurde die Moschee wiederum in eine christliche Kirche zurück verwandelt, das Minarett abgebrochen. Die Kirche kann ihre Vergangenheit als islamisches Gotteshaus bei aller Nachrüstung mit Ikonostase, Heiligenbildern und viel Weihrauch nicht verbergen, da helfen auch die griechischen und orthodoxen Fähnchengirlanden auf dem Vorplatz nicht.
„Zurück“ in Thessalien
(26. August 2017 ff)
Das war also Kreta 2017, viel ist es nicht geworden, ein kurzer Abriss, mehr Zeit war dieses mal nicht. Abends, nach Abgabe des Leihwagens besteigen wir die restlos ausgebuchte Fähre nach Piräus, von dort Athen, dann Pilion, Larissa, Aghiocampus. Ob ich hierüber nie nächsten Tage schreibe, wird man sehen, denn darüber gibt es bereits so viel, hier habe ich in den letzten Jahren schon fast jeden Baum und jeden Stein umgedreht und beschrieben. Dennoch haben gerade diese Wiederholungen ihren Reiz: Der Schlachter in Aghia freut sich, wenn wir wieder auftauchen, die Bäckersfrau genauso, die streundenden Hunde nehmen langsam wieder Besitz ein vom sich langsam entvölkernden Strand von Aghiokampos, und alle wissen, wieder neigt sich ein Jahr dem Ende entgegen. Von den bewaldeten Berghängen Mavrovounis weht ein lauer Abendwind hinunter ans Meer. Καλο Χιιμονας : einen schönen Winter !