Eine Runde um Mavrovouni: Rätsel am Wegesrand

Mavrovouni (Thessalien), 6.September 2018. Agiokambos-Rakopotamos-Isiomata-Kamari-Keramidi-KarlaSee-Agia-Agiokampos

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Das Bergmassiv, an dessen Füßen wir, am Strand von Agiokampos, unsere Zelte aufgeschlagen haben, heißt Mavrovouni, was etwa so viel wie „schwarzer Berg“ bedeutet, und ein Höhenzug ist, der von dichten, teils dunklen Wäldern bestanden ist. Er liegt zwischen dem Bergmassiv Ossa, das sich in Richtung Norden auftürmt, und dem Pilion im Süden. Gen Osten grenzt er an die Ägäis, und im Westen fällt er in die Thessalische Ebene Richtung Larissa ab. Die Trennung zwischen dem Ossa-Massiv und Mavrovouni erfolgt durch ein Tal, das zwischen der Thessalischen Ebene zum Meer hin abfällt, dazwischen liegt die Ortschaft Agia als faktisches Mittelzentrum der Region. Von hier gelangt man zu den beliebten Ferienorten Velika und Sotiritsa, die am Strand am Fuße der Ossa-Ausläufer liegen, und Agiokampos. Wir wollen heute das gesamte Mavrovouni-Gebirge umrunden, was schwierig, aber um so interessanter ist, weil man durch Gegenden kommt, die noch viel Unerwartetes bergen, allerdings straßenmäßig kaum erschlossen sind.

Ein halbwegs geländegängiges Fahrzeug ist für Teilstrecken erforderlich, auch muss man für die Strecke einiges an Zeit einplanen. Das erste Teilstück nach Keramidi, einem Ort, der bereits zum Pilion gehört, hatten wir letztes Jahr bereits beschrieben, man biegt gen Norden, nach der Ortschaft Rakopotamos an einem unscheinbaren Schild Richtung „Keramidi / Volou“ links in einen holperigen Waldweg ab, und befindet sich in dicken Mackien, und teils kühlen Wäldern mit hohen Bäumen. Auch im Hochsommer noch rauschen die Bäche, die von den steilen Hängen herunterpurzeln, und zeigen, dass diese Seite des beginnenden Pilion sehr wasserreich ist – das Gebirge wirkt wie ein Wolkenstau. Während Deutschland dieses Jahr unter extremer Trockenheit litt, sind auf der Ostseite des Pilion lokal begrenzt bis zu 1500 mm Regen heruntergekommen.  Unser erstes Ziel sind merkwürdige Ruinen, die weit unten am Ufer der Steilküste in einer Bucht am Meeresufer liegen. Es soll der letzte „Strand“ des Nomos Larissa sein, weiter südlich verläuft die „Grenze“ zur Provinz Magnesia. Auf verschiedensten Internetseiten werden die Ruinen als Reste eines historischen Bergwerkes beschrieben, das in die Venezianische Zeit datieren soll. Von oben ist davon kaum etwas zu sehen, es sieht aus, wie eine archaische Stufenpryramide.

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Das Bergwerk, das wir suchen, liegt hinten, an der vorspringenden Klippe

Auch darüber, was dort abgebaut wurde, äußern sich verschiedene journalistische Lokalseiten nur wage, es ist von Porzellanerde die Rede, gar einer Porzellanfabrik. Auch die Wegbeschreibungen, wie man in die geheimnisvolle Bucht mit dem merkwürdigen Bergwerk gelangen könnte, sind mehr als unklar. Nach einer längerer Zeit des Suchens finden wir die Streusiedlung (die nur aus wenigen Häusern besteht), und sich „Isiomata“ nennt. Dort gibt es einen kleinen Feldweg, der von der Holperpiste, die weiter nach Keramidi führen soll, links abzweigt, zwischen reichlich verwilderten Olivenbäumen hindurch. Steil geht es nun abwärts durch das Gebüsch, vorbei an ein paar wenigen, kleinen Häuschen, hinunter an eine Bucht, die aus Kieselsteinen und Felsbrocken besteht, und in deren Mitte eine phallusartige Felsformation aus dem Wasser aufsteigt. Malerisch liegt diese Bucht da, zum Baden aufgrund der Steine und einer Menge Seeigeln wohl aber nicht zu empfehlen. Das rätselhafte „venezianische“ Bergwerk finden wir dort.

Unterhalb eines im Bau befindlichen kleinen Ferienhauses stehen einige Reste von aus Beton gestampften Kranfundamenten, dahinter erhebt sich die Ruine des Bergwerkes, aus Feldsteinen errichtet, aber unter Verwendung von Stahlstützen und auch armiertem Betonstreben. Das ist sicher nicht venezianisch. Das Rätsel löst sich, nach weiteren Recherchen, in Gestalt eines sehr fundiert geschriebenen Artikels in der Online-Zeιtung LarissaNet.gr – sozusagen dem großen Bruder von Hallespektrum.de. Dort wird erläutert, dass das Bergwerk anfangs der 1920er Jahre von einer deutschen Gesellschaft eröffnet wurde, und bis zu seiner Schließung 1929 Talkum förderte. Talkum, ein sehr weiches Magnesiumsilikat (Speckstein) wurde nicht nur für die Herstellung von Babypuder benötigt, dazu hätte man nicht in dieser schwer erschließbaren Gegend Bergwerke erschlossen. Talkum wurde als Füllstoff für Gummireifen, aber auch für Farben, Lacke und keramische Rohstoffe benötigt. Das Bergwerk verfügte über eine eigene Kaianlage, von der aus die die weiße, weiche Gesteinsfracht per Schiff zur großen Hafenstadt Volos gebracht wurde. Bis zu 300 Arbeiter aus den umliegenden Bergdörfern (Elaphos und Sklithro) waren hier beschäftigt, bei merhreren schweren Unfällen sind zwei Arbeiter aus Sklithro sogar tödlich verunglückt. (Die Seite verfügt übrigens über eine Reihe guter Bilder, man kann offenbar, wenn man mutiger ist, und sich über die glitschigen Steine traut, auch in den Ruinen herumklettern).

Hutbürger

Ein Hutbürger

Ein Grafitikünstler hat – offenbar schon vor einiger Zeit – aus einem der Kransockel einen Hutbürger geschaffen. Welch prophetische Begabung.

weiße felsen bei isiomata SDIM2946

Wir begeben uns nun weiter auf der Rumpelpiste in Richtung Keramidi, vorbei an merkwürdigen weißen  Felsen, die aber nicht aus Talkum bestehen, sondern irgendwas anderem, was jedenfalls die Wege aussehen lässt, als habe es gerade frisch geschneit. Kurz vor Keramidi erreicht man eine Asphaltstraße, sie führt zu einer der schönsten Badebuchten der Region, Kamari genannt. Ein halbes Dutzend Häuschen und eine platanenbestandene Plateia schmiegen sich in die Bucht, die ansonsten aus überwiegend feinem Kies besteht. Die Ecke ist kaum besucht, es wirkt sehr intim, und in einer improvisierten Strandbar gibt es dringend benötigte Erfrischungen. Zwei zahme Brieftauben und ein Wellensittich picken hier schon einmal Knabbereien von den Tellern der Gäste.

Serpentinen führen nach Keramidi hinauf, das hatten wir letztes Jahr besucht, aber damals zur falschen Tageszeit, mittags war alles zu. Heute sind wir später dran, gegen 18:00 beginnt langsam beschauliches Leben auf der Plateia, das Kafeneion serviert den landesüblichen Tsipouro (der ziemlich stark ausgefallen ist) und Mesedes, wie es sich gehört.

Darunter befindet sich ein merkwürdiges, eingelegtes Kraut. Es schmeckt erfrischend sauer, aber im Abgang etwas nach Lösungsmittel, genauer eingegrenzt, nach Terpentin. Nicht unangenehm, aber leicht schon sehr irritierend. Dieses merkwürdige Kraut, das sich dort neben den üblichen Fischlein, haben wir nie gesehen, und auch eine eingehendere Untersuchung auf der Papierserviette ergibt keinen Erkenntnisgewinn.

Tsitsiravla (rechts)

Tsitsiravla (rechts)

Die Wirtin sagte, das seien eben „Tsitsiravla“ (Τσιτσιραβλα). Nie gehört. Längeres Nachgoogeln brachte es an den Tag: der Terpentingeschmack hatte nicht getrogen. Es handelt sich um die sauer eingelegten, im zeitigen Frühjahr gesammelten Sprossen von Pistacia terebinthus, der Terpentin-Pistazie, die in der Gegend sehr häufig vorkommt. Der bis zu 5 Meter hohe Strauch mit seinen roten Beeren diente einst zur Herstellung von Terpentinharz und eben auch dem daraus destillierten Terpentinöl (was einst wertvolle Rohstoffe in der Malerei und in der Medizin waren, ähnlich wie der verwandte Mastix).

Da es bald zu dämmern beginnt, nehmen wir nicht den Weg durch die Schotterpiste im Wald zurück, sondern begeben uns „hintenrum“, um den Mavrovouni. Wir fahren nun über den Bergkamm zwischen dem Pilion auf der Linken in Richtung der Thessalischen Ebene. Die Landschaft hat sich hier völlig verändert, sie sieht aus, wie von Niederländern zur Barockzeit gemalt. In der von Weidetieren gestalteten Parklandschaft stehen vereinzelte hohe Eichen und Kastanien, darunter lümmeln sich Kühe und … Wildschweine? Jedenfalls sehen die so aus, verhalten sich aber zahm und friedlich, es ist beim genaueren Hinsehn eine Familie einer besonderen, dunkelbraun behaarten Hausschweinart, die sich an den ersten, herabgefallenen Maronen und Eicheln satt fressen.

Vor uns liegt nun, in der Ferne unter der untergehenden Abendsonne, der „Limi Karla“ in der Ebene. Es ist ein halbkünstlicher See. Einst befand sich hier ein natürlicher See, gespeist von den abfließenden Wässern des Gebirges. In den 1950er Jahren wurde er, um die Malaria zu bekämpfen, trockengelegt. Nun hat man ihn, versehen mit kilometerlangen Dämmen, wieder aufgestaut. Wie das nun mit der Malaria ist? Keine Ahnung.

Limni Karla (Karla-See)

Limni Karla (Karla-See)

Entlang des Karla-Sees, dann am Fuße des Mavrovouni weiter, durchfährt man in der Dunkelheit Ortschaften wie Amygdali (Mandeldorf), die Gegend ist tatsächlich von Mandelplantagen geprägt, die sich bis nach Agia hinziehen, wo diese Ausflugsbeschreibung in der Dunkelheit (gerade noch rechtzeitig  vor Schließung des dortigen Supermarktes um 22.00 h) endet.