Veneto: Sternengastronomie in der Sackgasse des Pilion

Von Keramidi weisen Schilder nach Kanalia, und etwa an der Stelle, an der wir auf der letzten Fahrt die Schweinchen entdeckt haben, zeigt ein verrosteter Wegweiser links ab nach „Veneto“ (Βενετο). Veneto – das klingt verheißungsvoll: liegt hier eine versunkene venetianische Stadt? Die Neugier führt uns auf Serpentinen durch einen herbstlichen Eichenwald, wieder parkähnlich gestaltet von unzähligen Weidetieren, grunzend grüßen die Sauenfamilien aus dem grünen Dickicht, während Herden von Kühen vor uns her dackeln, und die schmale Asphaltstraße mit ihrer braunen Pracht verzieren.

13 Kilometer sind es nach Veneto, und etwa auf halbem Wege erscheinen uns die marmornen Reste einer imposanten Palastanlage – die sich dann aus der Nähe, als Marmorsteinbruch offenbart. Hier wurden bis Ende der 1980er Jahre das wertvolle Baumaterial gewonnen.  Der Ausdruck „Steinbruch“ ist eigentlich hier falsch, denn man hat peinlichst vermieden, dass beim Abbau irgend etwas „bricht“. Marmor wird seit der Antike nicht gesprengt oder gebrochen, sondern direkt aus dem Felsen gesägt. Bis zu 4 Meter hoch waren die Würfel, die man sorgfältig maschinell mit Stahlseilen aus der Wand gesägt hat. Die Spuren der Seile, mittels derer und viel Sand und Wasser, das Material herausgelöst wurden, sind immer noch in den glatten Felswänden zu sehen, erstaunlich unverwittert, nach nun immerhin bald 30 Jahren, seit die Marmorgewinnung hier still liegt.  Der Marmor hat feine graue Aderung, und ist gelegentlich sogar von dunkelgrünen Bändern durchzogen. Aber leider machten gerade diese dunkelgrünen Adern, die weicher sind als das übrige Kalkgestein, ebenso wie die feinen Risslinien, die die meterhohen Blöcke durchziehen, den Abbau des dekorativen Materials unwirtschaftlich. Die Marmorsägen, derer es heute noch viele bei Volos und Larissa gibt, beklagten sich über zu hohen Ausschuss, da man allenfalls Platten bis etwa einem Quadratmeter Größe sägen konnte, ohne dass etwas brach. Und so liegt das Monument der Technik brach, wird die Ewigkeiten überdauern wie so mancher  Steinbruch der antike, deren technische Spuren heute noch Archäologen und Laien beeindrucken. Heute dient der Steinbruch der Aufstellung von hölzernen Bienenkästen, die man auch sonst an jeder Straßenbiegung am Waldrand vorfindet. Der Pilion ist einer der Hauptproduzenten griechischen Honigs.

marmorbruch bei veneto pilion

Marmorbruch bei Veneto (Pilion)

 

In Veneto endet die Straße, weiter führt sie nicht. Über einen gut ausgeschilderten Fußwanderweg könnte man den Ort „Pouri“ auf der anderen Seite des Pilion erreichen. Den weiteren straßenmäßigen Ausbau hat die Kirche verhindert – nicht durch fromme Gebete und Bürgerproteste, sondern kraft ihres Grundbesitzes: oberhalb von Veneto gehören ihr 18 Quadratkilometer Land.  Und so bleibt der bescheidene Ort Veneto in den Bergen von Toruristenströmen, die sonst viele Dörfer des Pilion in eine gruselige Kitschflecken verwandelt haben, weitgehend verschont.

Das Kirchlein am Eingang des Dorfes ist eine schliche Basilika, mit einer äußeren, umlaufenden Vorhalle und drei kleinen Apsiden. Das seitliche (leider verschlossene) Eingangsportal zeigt die bäuerlich-naive Umsetzung teils osmanischen Barocks, teils byzantinischer Tradition, so etwa die herzallerliebst anzusehenden Vasenmotive und „byzantinischen“ Vögelchen. Die Inschrift auf dem Kragstein datiert das Bauwerk in die Zeit um 1765. Über dem Portal befinden sich bauzeitliche Ikonen als Wandmalerei. Die mittlere zeigt  die Darstellung Jesu im Tempel, links ist Prophet Jeremia dargestellt, rechts Jesaja. Ypapanti (Υπαπαντή, Darstellung des Herrn) ist auch das Patrozinium der Kirche.

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Von links nach rechts: Jeremiah (Ο ΠΟΦΗΤΗΣ ΙΕΡΕΜΙΑΣ), Darstellung des Herrn (ΥΠΑΠΑΝΤΗ ΤΟΥ ΘΕΟΥ), Prophet Jesaia (Ο ΠΟΦΗΤΗΣ ΗΣΑΙΑΣ)

Von hier führt ein Weg zwischen den Häusern zur obligatorischen Plateia, von der man einen Ausblick über die Hausdächer und Wälder auf das 270 Meter unterhalb liegende Meer hat. Die Taverne wird von einem Mitte 70-jährigem Rentner betrieben, wenige Besucher sitzen hier auf dem Platz. Der Wirt wird bei unserem Verlangen nach Tsipuro redseelig. Zunächst belehrt er uns, dass man hier Tsipuro nicht nach 14:00 Uhr trinke – andere Gegend, andere Sitten. Und wir mögen ihn keinesfalls mit Wasser verdünnen (wie man das in Larissa immer macht).

Der Grund offenbart sich, als er das Elixier in kleinen Fläschchen serviert: es ist mit großem Abstand der beste Tsipuro, und wohl das beste Destillat, das ich im gesamten Griechenland gekostet habe. Weich im Abgang, den kratzigen Geschmack billigen Sternanises vermisst man nicht, und es gibt auch keine Fuselnote im Hintergrund. 15 verschiedene Zutaten hat er, der den feinen Brand selbst herstellt, vor der zweiten Destillation hinzugetan, sorgfältig abgestimmt. Er lässt uns raten, was drin ist, wir kommen auf eine Spur von Anis, und auch etwas Orange schmecken wir heraus. Er erläutert: Unter anderem sind es Anis, Korianderkörner, Orangenschalen, Mastixharz, Muskat, Nelken, Zimt, Piment, Apfelschalen, und: Zwiebeln.  „Zwiebeln“? Ja, sagt er: die Zwiebeln geben eine süßliche Note, das sei doch genau so, wie beim Kochen, da verleihen die Zwiebeln dem Gericht ja auch keine Schärfe, sondern machen das Gericht rund und süß. Alle 15 Zutaten scheint er uns nicht verraten zu wollen, doch nur noch eine, die einem Chemiker sinnlos erscheint: Salz – auch das gibt er vor der Destillation zu. Unser Wirt scheint ein wahrer Alchemist zu sein. Und die Basis der alkoholischen Gärung? Nicht etwa Weintrester, wie es üblich ist, sondern eine Maische aus Korinthen und Wasser.  Eine Zeremonie sind auch die Mesedes, deren Geschmack bezaubernd ist, und nicht unbedingt „klassisch-Griechisch“. Beeindruckend: ein roter, säuerliche Salat in etwas Olivenöl, auch hier sollen wir die Zutaten herausfinden. Die gerieben Rote Beete verrät sich schon durch ihre Farbe, auch die Karotten und den Sellerie finden wir heraus. Bei den Gewürzen müssen wir aufgeben:  Koriander, Knoblauch (Hauch) und: Curry (!). Letzteres erwartet man nicht in der klassischen einheimischen Küche. Es habe was mit seinen internationalen Erfahrungen zu tun, die halbe Welt habe er bereist, vor allem Argentinien, Deutschland Russland usw. und von Überall Ideen und Geschmäcker aufgegriffen. Einen gewissen Einfluss habe auch seine vierte Frau, die aus Russland stammt (Von dort scheint auch das letzte Geheimnis seines Salates zu stammen, das er uns nicht verraten will: wodurch das Zeug seine pikante Säure habe. Es sind weder die mediterranen Klassiker Essig oder Zitrone (Wahrscheinlich hat er das Material einer Milchsäuregärung unterzogen). Eine interessante Fusion-Küche halt, wobei der griechische Charakter trotz aller Experimente deutlich erhalten bleibt. Sehr zu empfehlen, dafür gibt es sechs Sterne.