Manolis, der beste Koch

Den Beschreibungen des Hotelwirtes folgend,  finden wir das Lokal von Manolis ohne Schwierigkeiten, es befindet sich nach der in Dunkel gehüllten Tankstelle am Ortsausgang. „Niemand isst hier“, sagt meine allerbeste Reisebegleiterin von allen, und will mich überreden, lieber das „Kronos“ aufzusuchen. „Kommt gar nicht in Frage.“ Wir setzen uns an einen der wenigen freien Tische, beobachten die Gruppen, die an den Tischen sitzen, nichts zu Essen haben, an einem „Frappe“ nippen oder einfach nur Karten spielen. Schräg hinter uns hat eine Familie an einem blitzeblanken Tisch Platzt genommen, rechts gegenüber eine Gruppe ziemlich junger Studenten. Meine beste Begleiterin von allen will gehen. Da kommt der junge Wirt Manolis, breitet eine flatternde Plastedecke über unseren Tisch aus, befestigt sie mit den üblichen Stahlfederklammern am Tisch. „Wollt Ihr eher Wein oder Raki?“, fragt er. „Beides!“ sagen wir, woraufhin er wortlos verschwindet. Die sonst übliche Nachfrage, nach „rot oder weiß“  unterbleibt, und lässt auch nicht die übliche Gegenfrage zu, was es denn an Weißwein so geben, wie trocken, ob von hier, man mal erstmal probieren könne usw. Derweil sehen wir, wie sich Manolis am Nachbartisch niederlässt, ein längeres Gespräch mit der Familie führt, die immer noch auf dem Trockenen sitzt, dann ist er weg, nein, er sitzt bei einem anderen Tisch in der Tiefe des Lokals, dann ist er tatsächlich weg. „Gibt es hier überhaupt Essen?“, fragt meine Begleiterin, „offenbar schon, sieh mal dahinten, in der Küche wird etwas umgerührt“. Es erscheint eine blonde Dame, stellt uns etwas Weißwein, ein Fläschchen Raki und eine nicht unbeträchtliche Menge an Vorspeisen hin, alles vegetarisch, sehr lecker, beispielsweise Anthous jemistous (gefüllte Zucchiniblüten mit Reis und Kräutern). Haben wir nicht bestellt, aber das gehört in vielen Gegenden zum Programm, zum bestellte Wein/Schnaps werden Mesedes serviert, irgendwelche. Das ist alles total OK, das sollte man auch kennen, aber wenn in der gefühlten folgenden Stunde weiter nichts passiert, wir auf dem Trockenen sitzen, Winke an das Personal derart ignoriert werden, als seien wir Marsmännchen, dann stimmt etwas nicht. „Die sind Gesundheitsapostel, Fleisch gibt es hier nicht, und Alkohol wird hier rationiert“ bekomme ich zu hören, und die Studentengruppe, die schräg gegenüber geduldig sich zwei Flaschen Bier teilt, macht eben den selben Eindruck. Eine Gesundheitssekte? Wir versuchen, die blonde Kellnerin mit der markanten Figur einer jungsteinzeitlichen Kykladenskulptur (dieses Modell flacher Geigenkasten mit breiten Hüften) zu kontaktieren. Es ist unmöglich. Sie ignoriert uns, während wir Manolis immer wieder einmal fröhlich schwatzend am Tisch anderer Gäste ausmachen können. Wir machen ein Experiment, es dient vor allem dazu, uns unserer Existenz in dieser Welt zu versichern. Behutsam und unauffällig schieben wir einen Stuhl in den Kellnergang, den die Kykladenskulptur nehmen muss. Behende schwingt sie mit ihren Hüften den Stuhl zur Seite, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Ein gekonntes Zirkusstück. Nun wollen wir es wissen. Die dunkelhaarige Dame, die in den Töpfen gerührt hat, ist Ziel eines Direktangriffs. Ich bitte sie um Nachschub. Nickend nimmt sie die Bestellung entgegen. Es stehen auf einmal diverse Leckereien auf dem Tisch. Wunderbar gekochte und gewürzte Fleichstücke, Mesedes, Wein, Raki. Alles so fein und ein Träumchen, wie der Hallenser zu sagen pflegt. Dann passiert wieder  nichts. Auf dem Gang zur Toilette passiere ich einen der Tische, an denen sich  Manolis gerade niedergelassen hat. Freudig begrüßt er mich mit Handschlag. Ob alles klar sei? Ja, wunderbar, ein paar Früchte noch, dann würden wir gerne zahlen. Nachdem wir die allerhand wirklichen Köstlichkeiten, die nach und nach unseren Tisch passiert haben, genossen haben, erscheint Manolis, stellt eine große Karaffe Wasser auf unseren Tisch, deren Inhalt sich dann als hochprozentigen (und ziemlich guten) Raki  entpuppt, einen guten Liter Wein, und eine merkwürdig gestaltete Wurst.

InnereienWurst

Die Wurst des Manolis

Wir unterhalten uns über dies und das, die Wurst ist ein Gedicht (etwas aus Innereien, wirklich wunderbar) und, auf die Frage, ob er uns die Rechnung machen könne, sieht er uns mit wunderschönen großen Augen an. „Rechnung? Wollt Ihr was zahlen?“ Nun ja, schon, wir loben seine Küche, den Raki, Tsermiado als Ort und Kreta im Allgemeinen, aber er  kann zu so später Stunde damit nichts anfangen. Wir schlagen ihm einen runden Preis vor, „nun ja, wenn ihr wollt“ sagt er.

Unser Hotelwirt hat uns wenigstens am nächsten Morgen aufgeklärt. Das stumme Personal kann kein Griechisch, es stammt aus Prag, mit Ausnahme Manolis.  Aber unter seiner  Aufsicht – wenn er sie denn hat – entsteht das beste Essen von Kreta. Das können wir bestätigen.

 

 

Die Hochebene von Lassithi – Agrotourismus im Schreberkrater

Die Hochebene von Lassithi ist eine geologische Besonderheit. Auch wenn man an ihrem Rand stehend den Eindruck haben mag, die von einem hohen Ring von Bergen umschlossene, rundovale Ebene könnte durch einen Meteoriteneinschlag entstanden, oder vulkanischen Ursprungs sein, so täuscht das. Es handelt sich um einen Kessel, der in langen geologischen Zeiträumen ohne Abfluss war. Die fruchtbare Ebene zwischen den Bergen ergab sich durch Geröll- und Sedimentablagerungen, die das in großen Mengen von den Kalksteinbergen abfließende Wasser mit sich brachte. Auch heute noch entwässert sich die Gegend vornehmlich durch Karsthöhlen im Untergrund. Mehrfach in der Geschichte waren diese Abflüsse verstopft, so dass das Land im Sumpf und Hochwasser unterging. Seit der Jungsteinzeit ist die für Landwirtschaft attraktive Gegend besiedelt, wenn auch immer wieder mit erheblichen Unterbrechungen, als in regenreichen Jahren die eintretenden Hochwässer die Ernten vernichteten, wie dies aus venetianischer und osmanischer Zeit mehrfach berichtet wurde.

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Apfelbäume, Windmühlen: am Eingang der Lassithi-Hochebene

Starke Erosion, die wohl auch durch intensive Abholzungen der umliegenden Gebirgshänge begünstigt wurde, sorgte dafür, dass der Geländeboden in historischer Zeit um mehrere Meter anwuchs – verbunden mit dem Vorteil, dass immer wieder neuer phosphathaltiger Mineralboden der Landwirtschaft zur Verfügung stand. Heutzutage ist der unregelmäßige Wasserhaushalt technisch reguliert, sowohl durch Kanalsysteme, die den Wasserüberfluss in Speicherbecken abführen, als auch durch ein Pumpensystem, das zu Trockenzeiten das in Kavernen versickerte Wasser wieder aus der Tiefe hervorholt – teils aus über 15 Meter tiefen Pumpenschächten. Im Mittelalter wurde dies vorwiegend von handbetriebenen Ziehbrunnen bewerkstelligt. In den
1920-er Jahren kamen unzählige kleine Windmühlen auf, die auf schmiedeeisernen Ständern ruhend, das Wasser mittels der fast ständig zur Verfügung stehenden Windkraft emporhoben. Mit einem Kolbenhub von ca. 100 Millilitern war die Leistung zwar spärlich, für einen Kubikmeter Wasser mussten sich die kleinen segeltuchbespannten Flügelräder 10.000 mal drehen. Aber die Menge machte es, es gibt Bilder aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, die die Ebene mit einer Unmenge an kleinen, weißen Windrädern zeigen. Heute sind diese Räder größtenteils durch Elektropumpen ausgetauscht, zu einem großen Teil verfallen, teils auch abtransportiert, und als Touristengarnitur an unmöglichen und sinnlosen Stellen wieder aufgebaut. Einige wenige sind aber noch in Betrieb, und erfüllen ihre Funktion in der Landwirtschaft, die auch noch immer die Haupteinnahmequelle der hier auf 800 bis 900 Metern Höhe lebenden Menschen darstellt. Der Tourismus führt, bis auf wenige Ausnahmen (Psychros-Höhle) ein Schattendasein.

Es empfiehlt sich daher, bei Ankunft sich rechtzeitig nach einer geeigneten Unterkunft umzusehen. Beschaulich aber extrem rustikal ist der Ort Agios Georgios, das Hotel Maria befindet sich mitten im Dorf, die Wirtsleute sind etwas unbeholfen, dafür wird man aber morgens von Treckergeräuschen, gackernden Hühner und einem schreienden Hahn geweckt. Es gibt dann noch oberhalb des Ortes eine schicki-micki-Hotelanlage, die aus merkwürdig steril anmutenden Bungalows am Hang besteht, und einem „Eco-Park“, der nach reichlich EU-Förderung aussieht, mit ein paar eingepferchten Tieren griechischen Mittelstandskindern Natur vermitteln soll, und ihren Müttern Gelegenheit bietet, die Kunst des Töpferns und anderer Handarbeiten zu erlernen, während die Väter in Gruppen auf „Safari“ in kleinen Minijeeps in die Landschaft entlassen werden. Wirklich empfehlen kann man eigentlich nur den Hauptort der Lassithi- Ebene, Tsermiado. Es ist ein vollkommen normaler Siedlung, mit Struktur.  Unaufgeregt, kein „Yes-Please“, schwarzgekleidete Omas sitzende vor den Hauseingängen, Jugendliche  basteln an ihren  Motorrädern herum, unter den Autos verhuschen sich wunderschöne Katzen.

Tsermiado, Straßenbild

Tsermiado, Straßenbild

Und hier unsere Empfehlung: Xenonas Argoulias (www.argoulias.gr), etwas oberhalb am Ortsrand gelegen.  Hier gibt es sehr geschmackvolle, traditionell eingerichtete und geräumige  „Studios“, die zudem noch ausgesprochen preisgünstig (45,- €/Nacht mit Frühstück) angeboten werden. Der Blick von der ausladenden Schlafzimmerterrasse über den von der Abendsonne beschiedenen Ort und die grüne Ebene mit ihren grauen Bergen dahinter ist traumhaft schön.

Und was macht man dann hier oben? OK, man kann sich ins Bett legen, bei geöffnetem Fenster die Höhenluft genießen, den aus dem Dorf leise heraufklingenden Alltagsklängen lauschen.

Oder eine Fahrt rund um die ca. 20 Dörfer unternehmen, die den großen Gemüsegarten der Ebene wie eine Ring umschließen. Schon die Venetianer hatten es untersagt, die fruchtbare (aber auch überschwemmungsgefährdete) Ebene zu bebauen, und daran hält man sich aus ökonomischen Gründen bis heute.

Bei Marmaketo ist gerade die Tomatenernte in vollem Gange.

Tomatenernte

Tomatenernte

Die beiden Wsserreservoirs, die aus der Ferne mit ihrem blauen, kristallklaren Wasser zum Baden einladen, erscheinen aus der Nähe als  drahtzaunumwehrte technische Anlagen.

Wasserreservoir auf der Lassithi-Hochebene

Wasserreservoir auf der Lassithi-Hochebene

Bei Arvakontes kann man Schäfchen zählen…

Arvakontes

Arvakontes

Bei Kaminaki haben sie die wohl größten Paprika zu stehen, irgendwoher müssen sie ja stammen, die man dann im „greek traditional salad“ wiederfindet..

 

Paprikafeld bei Kaminaki

Paprikafeld bei Kaminaki

Bei Magoulas, in den eher trockenen Feldern, passen Menschen auf ihre Schafe auf   und wedeln mit ihren Stöcken, weil sie unbedingt aufs Bild wollen.

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Schafherde bei Magoulas

Und malerisch heben sich die Silouetten der Windmühlenruinen aus den 1920er Jahren gegen den azurblauen Himmel ab.

Windmühlenruinen bei Magoula

Windmühlenruinen bei Magoulas

Bei Psychro konzentriert sich der Tourismus auf die dortigen Höhlen. Derweil bereiten sich die Bewohner des Ortes auf den Winter vor: es wird  Kohl gepflanzt. Beispielsweise für die Lachanodolmades, der griechischen Entsprechung unserer Kohlrouladen.

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Kohlpflanzung bei Psychro. Im Vordergrund: Fenchel (Marathos). Das Wildkraut umsäumt Felder und Straßenränder. Seine grünen Blattfedern sind ein unverzichtbares Würzkraut der kretischen Küche. Im übrigen Griechenland benutzt man es kaum.

Trockener ist es wiederum bei Kato Metochi. Die Schafe ziehen erwartungsvoll hinter dem Agrotiko ihres Herrn hinterher. Er hat Wasser und frisch geschnittenes Grünzeug als Abendmahlzeit mitgebracht.

Kato Metochi

Kato Metochi: bukolische Szene mit Toyota-Pritschenwagen

Wie sehen eigendich die Dörfer hier aus: die meisten etwa so, wie hier, Pinakiano:

Pinak

Pinakiano.

Die Abendsonne sinkt. Letzter Halt, bevor wir wieder von unserer Rundreise zurück sind. Da haben wir den Salat:

Gemüsefelder mit Salat bei Lago

Gemüsefelder mit Salat bei Lagou

Nun sind wir einmal rum, um die Gemüsefelder der Lassithi-Hochebene, dem wahrscheinlich größten Schrebergarten Europas. Dass sich dabei Hunger einstellt, ist selbstverständlich.

Die Mutter des Hotelwirtes ist möglicherweise mit der Empfehlung ihres Sohnes nicht einverstanden.

Die Mutter des Hotelwirtes ist möglicherweise mit der Empfehlung ihres Sohnes nicht einverstanden.

Der Hotelwirt betreibt auch ein Restaurant, empfiehlt aber sein Essen nicht. „Wenn Ihr wirklich vernünftig und typische Speisen der Region haben wollt, geht besser hinunter in den Ort, entweder zum „Kronos“ – oder besser, also, wenn Ihr mehr auf Mesedes und Raki steht, geht zu Manolis. Der Weg ist einfach. Durch den Ort, das seht Ihr von hier oben, hinter dem Haus mit den grünen Fensterläden, am Hotel „Kronos“ vorbei, da kommt erst die Tankstelle, dann ist der auf der rechten Seite. Müsste heute eigentlich auf haben“

(Fortsetzung folgt: Manolis, der beste Koch)