Ankommen

In Larissa werden wir morgens von schreienden Vögeln geweckt. An den engen Hinterhof des etwas in die Jahre gekommenen, mehrstöckigen Stadthaus im Viertel Aghios Nikolaos drängen sich die Rückfronten weitere Mietshäuser. Über die Balkone hinweg hört man lautstark sich unterhaltende Frauen, hier wohnen viele ältere Familien, aber auch Zuwanderer aus Albanien, Syrien, Rumänien usw. Der Maulbeerbaum, der den kleinen Hinterhof komplett ausfüllt, reckt seine Zweige noch über die höchsten Dächer in der stickigen Luft, die mit Wäscheleinen und Warmwasserkollektoren angefüllt sind. Die Vögel, es sind wohl Spatzen, sind einige Hundert an der Zahl,  streiten sich um die reifen Maulbeeren, und wenn sie am späten Morgen verstummen, übernehmen Türkentauben (Streptopelia decaocto) mit  lauten Balzgesängen das akustische Regiment. Über die Dächer klingt Verkehrslärm in die Maulbeerschlucht hinunter, und durch die Lamellen der an diesen heißen Tagen fast ganztägig geschlossenen Schlagläden der Schlafzimmer. Im Wohnzimmer vorneheraus ist es heller, hier summt eine bescheidene Klimaanlage, davor, zur Straße hinaus, liegt eine Terrasse, die die Schwiegermutter mit einer Armada von Topfpflanzen in einen dichten Wald verwandelt hat. Tief unten tobt der Verkehr. Es wird gehupt, man streitet sich um die immer weniger werdenden Parkplätze in dem immer mehr verdichteten Stadtviertel, seit einigen Jahren schon sich immer mehr zu einem Geschäftsviertel gewandelt hat, mit hoher Fluktuation.  Unser Auto, das gestern Nacht in der Straße einen der seltenen Parkplätze gefunden hat, haben morgens angerückte Bauarbeiter mit einer Plane überdeckt – sie sind damit beschäftigt, die Fassade darüber zu verputzen. Nett von ihnen, denn es staubt und spritzt mächtig.

Palastküche in Larissa: Kasandibi

Palastküche in Larissa: Kasandibi

Gestern Abend waren wir angekommen, und gleich mit alten Freunden in einem Restaurant verabredet. Haben draußen auf einer Platia in der Vorstadt gesessen, es gab einfache, durchaus traditionelle Kost, wie man sie halt abends verzehrt, kleine Souvlakia, schlichte Mesedes, dazu einiges an Wein. Ankunftsrituale. Wie immer fragen die Freunde nach unserem Ergehen, und nach Deutschland, wie es da gerade so ist.  Was auffällt: die Fragethemen wechseln. Einst ging es darum, was beliebte Automarken in Deutschland kosten, was wir meistens nicht beantworten konnten, und bei den Fragenden war immer eine gewisse Bewunderung über das Land im Norden dabei, in dem ja auch Viele Ihres Gleichen ihr Glück gefunden hatten. Die letzten Jahre war natürlich die Griechenland-Krise das Thema Nr. 1, also Varoufakis, später Tzipras, und immer vs. Schäuble. Gestern Abend war alles anders. Besorgte Blicke richteten sich auf uns. Wie weit Chemnitz von Halle entfernt sei. Die Antwort, „hundert Kilometer, ganz weit weg“ konnte die Sorgen kaum entschärfen. Das griechische Fernsehen hatte nämlich in aller Ausführlichkeit über die Chemnitzer Kravalle berichtet, und die Hitler-Grüße waren zur besten Sendezeit immer wieder in allen griechischen Kanälen zu sehen.  Das spülte kollektive Erinnerungen hoch, an ein Deutschland, das einst Griechenland brutal überfallen hatte, Juden und Dissidenten in die seine Todeslager deportierte, Städte und Infrastruktur zerstört hatte, um  dann das Land dann nahezu entschädigungs- und hilflos dem darauf folgenden Bürgerkrieg zu überlassen, worauf das Land einer weiteren Katastrophe anheim fiel. Derweil durften sich die Bundesbürger  dem Wirtschaftswunder widmen. So etwas sitzt tief.  Deutschland habe in dem europäischen Rechtsruck eine besondere Verantwortung, hier dürfe man weniger durchgehen lassen, war Tenor.

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Internationale Diskussion unter dem Roten Stern

Zum Abschluss, mit der Rechnung,  hatte der Kellner die üblichen „Glyka“, also Süßspeisen, gebracht. Scheiben einer Art sehr feinen Puddings, übergossen mit Sirup, mann nennt es wohl Kasan Tibi ( Καζαν Τιπι), es stammt aus dem Türkischen Kazandibi, einem Gericht, das über die osmanische Palastküche seine Wurzeln in der griechisch-antiken Küche hat. Jedenfalls hat es den Abend versüßt. Heute verkauft Dr. Öttker auf dem Balkan Fertigmischungen dafür.

Wenn wir schon von der griechischen Küche reden: heute morgen bekamen wir das klassische neugriechische Frühstück. Das gibt es überall: Man nennt es hier einfach „Toast“, und die klassischste Variante, die überall gereicht wird, ist „Tiri-Sambon“ oder „Tiri-Parisa“.  Dazu hat nahezu jeder Haushalt und jede Taverne einen elektrischen Doppelgrill, also das, was man so kennt. Zwischen zwei konventionellen Toastscheiben legt man eine Scheibe Käse (Gouda, Holländer,da ist man nicht wählerisch) und eine Scheibe „Sambon “ (Kochschinken, Lehnwort aus dem französischen „Jambon“). Oder, noch beliebter, „Parisa“ (Παριζα). Das ist wiederum nichts anderes als Mortadella, die es, in auf die Toastscheiben normgerecht gepresst, geschnitten und foliert, in jedem Supermarkt zu kaufen gibt. Dazu gibt es – zumindest im Sommer – Frappe. Man bereitet ihn aus Neskaffepulver zu (die Firma Nestle ist auf dem ganzen Balkan präsent und schaufelt ungeheure Gewinne), Eiswürfeln und Wasser.