Das Muschelhaus von Opa Sotiris

Einer der kleine Orte im Pinios-Delta trägt einen vielversprechenden Namen: Paläopyrgos, „alte Burg“.  Doch hier steht keine niederrheinische Wasserburg. Nur ein paar flache Häuser, ein Schule, ein Kindergarten, eine eigentlich ziemlich triste Siedlung. Kaum eine Menschenseele sichtbar, nur ein paar Hunde, die sich auf dem warmen Asphalt fläzen und aufgeregt jedem der selten Autofahrer hinterherjagen. Der unerwartete bizarre Anblick eines seltsamen Gebildes verleitet uns hier zur Vollbremsung.

Ein bizarres buntes „Etwas“, offensichtlich von Menschenhand gestaltetes Werk.  Langsam löst es sich auf, ein Haus, eine Gartenmauer, viele Türmchen, Tore, merkwürdige Gegenstände, die hier mit viel Farbe zusammengefügt wurden. Und überall Muscheln. Jemand hat sein kleines Haus, dann die Gartenmauer, dann alles, was sich drumherum nicht wehren konnte, mit Draht, viel Zement und ganz vielen Muscheln übersät. Wie eine überdimensionierte Strandburg. Die Muscheln sind zu Formen zusammengesetzt, mit Farbe umrandet, dreidimensionale Mosaike. Wir sehen Olympische Symbole, die Flaggen und Wahrzeichen vieler  Nationen, und immer wieder Hinweise auf ein „Vereintes Europa“, Motive aus aller Welt, aus Beton und Muscheln geformt. Der Hof, der Grill, alles ist ein Gesamtkunstwerk, dazwischen muschelgerahmte alte Fotos. Verwirrt, neugierig, aber auch respektvoll gegenüber diesem von naiver Gestaltungslust beseelten Schöpfers tasten wir uns heran, machen verstohlen Fotos. Im Hof sitzt ein bärtiger, betagter Mann, wie ein Schmuck-Eremit. Er nimmt uns wahr, und wir nehmen allen Mut zusammen, und fragen, was das sei, ob er das gemacht habe. Sicher sind wir nicht die ersten, und er taut erst langsam auf. All das habe er, mittlerweile 87 Jahre alt, er nennt sich Opa Sotiris, in den letzten Jahren geschaffen. Er interessiert sich für die Olympische Idee, für Europa, für Griechenland, und überhaupt für alles, und er habe irgendwann angefangen, seine Bilder im Kopf umzusetzen. In Muscheln, die er in Beton und Fliesenkleber drückt, auf selbst geflochtene Eisengeflechte. Es sei im Laufe der Zeit halt immer mehr geworden. Die Muscheln hat er im Laufe der Jahre selber gesammelt . Wie ein alter Mann so viele Muscheln zusammenbekommt, ist schon an sich bewundernswert, dann dieser Gestaltungswille. Das, was er geschaffen hat, erinnert in vieler Hinsicht an den – posthum berühmt gewordenen Ruhrgebietskünstler Erich Bödecker.  Meister Sotiris erläutert uns Einzelheiten seins Bildprogramms. So seine Griechenlandkarte. Eindeutig zu erkennen sind die Finger der Chalkidiki, dann drängt sich doch alles weitere sehr reduziert, bedingt durch den Platz, der auf der Mauer zur Verfügung steht, doch etwas auseinander. Kreta musste er dann nebenan „malen“ („malen“ nennt er den Prozess des polychromen Muschelsetzens).  Für einen Schöpfer wie Sotiris ist Plattentektonik kein Tabu. Neben Olympia faszinieren ihn als Motiv der der Völkerverständigung auch Brücken, von denen er sehr viele, besonders Europäische, in sein Kunstwerk eingebaut hat. Er werde weiter arbeiten, sagt er, solange seine „Maschine“, und dabei zeigt er auf sein Herz, noch funktioniere. Er möchte etwas schaffen, sagt er, was bleibt, wenn er einmal nicht mehr ist. Das könne ja jederzeit sein.  Hinter ihm her trottet sein orange-weißer Kater, der offenbar auch schon viel durchgemacht hat, er verfolgt unser Interview mit würdigem Blick, auch er schon sehr betagt. Dabei hat Sotiris viel vor. Gerade hat er den Rohbau eines Baumhauses fertig gestellt. Und was für eines: Auf Stahlrohren und den schweren Stämmen mehrerer Bäume seines Gartens hat er ca. 20 Quadratmeter Wohnfläche geschaffen, ein wirklicher „Pyrgos“, eine Burg. „Beide Zimmer mit umlaufenden Balkon“, sagt er stolz, und führt und die wirklich massive Leiter vor. Entschuldigend, angesichts der noch rohen Iso-Platten sagt er: „das bleibt nicht so, das werde ich auch noch ausmalen“.

Wenn er mal nicht mehr sei : Griechenland werde bleiben. Vielleicht bekommen es andere Machthaber. Vielleicht auch die Türken, wie schon einmal. Das sei ihm egal. Denn Griechenland wird immer fortbestehen: „Alle wollen es haben, weil sie es lieben“.

Was wir erst im Nachhinein bei der Netz-Recherche erfahren: Sotiris hatte schon einmal einen schweren Rückschlag mit seinem Muschelhaus erfahren: im Jahr 2016 brannte es ab, wie Larissa-net.gr damals berichtete. Der überwiegende Teil seines Muschelwerkes überstand aber die Hitze des Brandes, und Tags darauf verkündete Sotiris, nicht aufgeben zu wollen, und baute es wieder auf.  Der Kater hatte das Feuer auch überlebt, auf Larissa.net  sieht man ihn, wie er unversehrt in den Trümmern sitzt.