Grillen

26-27. August. Von Kifisia über Larissa und Platikampos nach Aghiokampos.

Von Kifisia nehmen wir den ewig lang wirkenden Weg zur Autobahnauffahrt. Nobelschlitten parken die Hauptstraße in Kifisia zu, halten mit Warnblinkanlage in zweiter und dritter Reihe vor den überteuerten Boutiken der Reichen und Schönen. Der erfrischende Wind hat nachgelassen, die Sonne knallt erbarmungslos auf das Autodach und die Straße. Man passiert den kaum weniger feinen Ort Ekali, dann erreichen wir irgendwann die „Ethniki Odos“ E75, eine Autobahn, die über Lamia nach Larissa führt (und von dort weiter nach Thessaloniki). Es ist die wichtigste Nord-Süd- Verbindung Griechenlands, und wie schon letztes Jahr beschrieben, kaum noch befahren. Das liegt an den Mautstationen, zu denen sich seit letztem Jahr einige weitere gesellten, und die sich kaum ein Einheimischer noch leisten kann. Das erste Mal geht die Autobahn jetzt ganz durch, das letze Teilstück bei Stylida ist gerade fertig geworden, verziert mit großen Hinweisschildern des Verkehrsministeriums, die erzählen, dass dieser Abschnitt mit Mitteln der EU maßgeblich finanziert wurde. Davor hat man eine weitere Phalanx von Kassenhäuschen errichtet.

Nach einem Zwischenstopp bei Verwandten in Larissa wird der örtliche Supermarkt angesteuert. Er gehört zur Kette des ist in Deutschland bekannten Discounters „Lidl“. Das Angebot überrascht: es ist den hiesigen Ernährungsgewohnheiten angepasst. Neben Meeresfrüchten (tiefgefroren) gibt es eine Obst- und Gemüseabteilung, mit der es nicht einmal Feinkostabteilungen deutscher  Edelketten aufnehmen könnten.

Nach einem Plünderungszug durch den Laden fahren wir weiter, Ziel sind unsere Freunde in Platykampos.

Platykampos 

User Wolli bemerkte zurecht: hier sieht man viele grüne Felder auf dem Luftbild, dazwischen kleine Häuser verstreut. Der Ort liegt in der sich um Larissa herum ausbreitenden thessalischen Tiefebene. Der beschauliche Ort lebt vorwiegend von der Landwirtschaft, die meisten Häuser stammen aus den 1960ern bis 1970er Jahren, Traktoren mit Wassertanks und Spritzgeräten kreuzen die Ortsdurchfahrt, manchmal auch große Erntemaschinen mit Anhängern, in deren Gittern Reste von Wattebällchen kleben. Auf den Feldern ringsum wird vorwiegend Baumwolle angebaut. Als „Topuzlar“ war der Ort Anfangs des 19. Jahrhundert ein kaum bedeutender Weiler [J.C. Hinrichs, Guillaume de Vaudoncourt, Schilderung des heutigen Griechenlands und seiner Einwohner, 1821, erwähnt werden aber der umfangreiche Baumwollanbau und die große Zahl von Maulbeerbäumen zur Seidenzucht (Topuzlar, türk: Haarknoten)] Mit der  nach der Regräcisierung 1927 der Ortsnamen in Thessalien   erhielt das Dorf  seinen heutigen Namen („flaches Feld“).

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Platykampos, auf der „Plateia“, dem Dorfplatz, irgendwann im Herbst 2014

Der Anbau von Baumwolle ist wasserintensiv und eigentlich ein ökologischer und ökonomischer Unsinn. Zwar ist die thessalische Tiefebene im Vergleich zum übrigen Land noch relativ reich an Wasser, schon in der Antike war das Land deshalb die Kornkammer Griechenlands schlechthin, aber das Wasser reicht nicht für den intensiven Anbau von Baumwolle. Es wird aus dem Grund gepumpt und mit gewaltigen Wasserkanonen wieder über die Felder verteilt. Gemeinsam mit den Düngemitteln und Pestiziden sickert es wieder zurück ins Grundwasser, um dann erneut hoch gepumpt zu werden. So konzentriert sich die Chose allmählich immer mehr auf. Man hat etliche Stauseen und Wassersammler errichtet, und es gab auch einen  Plan, das Wasser aus dem entfernten Pindos-Gebirge zu holen, indem man die Laufrichtung des Flusses Acheloos von West nach Ost umlenken wollte. Die „Deichverhinderer“ von Sykia haben das Projekt 2005 gerichtlich gestoppt – ob endgültig, steht in den Sternen. Unsere Freunde in Platykampos sind keine Landwirte, nach der Krise versuchen sie, ihren Lebensunterhalt mit ihrem kleinen Garten aufzubessern, das Thema „Selbstversorgung“ wird groß geschrieben, einen Brunnen wollten sie bohren, sie haben eine Wasseranalyse in Auftrag gegeben: Ergebnis: Zur Gartenbewässerung hervorragend geeignet, Düngemittel sind genug drin. An dem Abend bei reichlich Mesedes und Früchten aus dem Garten gibt es ein Thema: Roundup, wie gefährlich ist es wirklich, was darf man spritzen was nicht, was tun gegen Pilze und Insekten an Gurken, Tomaten und Mandeln. Wir essen frische Pistazien, für den nächsten Tag sind wir in Aghiokampos verabredet, zum Grillen.

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Pistazien haben eine Fruchthülle, die wird verworfen, wie bei Mandeln. Darunter kommt eine harte Schale, die knibbelt man ab, dann kommt erst der schmackhafte Kern.

Aghiokampos, 27.August: ein bescheidenes Grillfest

Wenn es etwas gibt, das Menschen aller Kulturnationen verbindet, dann das Ritual das Grillens unter freiem Himmel. Griechische Lokale werben mit „olla sta karvouna – alles auf der  Kohle“. Selber grillen ist aber geselliger, und es gibt heute etwas zu feiern. Im schmalen Vorgarten wird der Grill aufgebaut (ein einfacher Rost, das reicht), eine Nachttischlampe installiert, denn jetzt, Ende August,  wird es schon gegen 19.30 h schlagartig dunkel. Was wahrscheinlich der deutschen und griechischen Grillkultur gemeinsam ist: die Betätigung des Grills ist Sache der XY-Chromosomenträger, die anderen steuern den botanischen Teil bei, der nicht fehlen darf. Über Art und Menge der Kohle wird gefachsimpelt, über die richtige Dauer des Garvorgangs, und ohne Bier kann niemand auf dieser Welt einen Grill überwachen. Hier verlieren sich dann aber die Gemeinsamkeiten. Männer, die mit einer nagelneuen Grillschürze am Webergrill auf einem grünen, frisch ondolierten Rasen hektisch Würstchen wenden (und von der Feier dann kaum etwas haben), findet man vielleicht in Kifisia. Uns mangelt es schon an den Würstchen (es gibt hier auch Würstchen, die man vorzüglich grillen kann – das macht man im Winter).

28.08.2016-chtapodia

Auf den Rost über den scharf brennenden Kohlen kommen zunächst die „Chtapodia“, große Kraken, die einer der Freunde Tags zuvor von Hand aus dem Meer vor Aghiokampos hochgetaucht hat. Der spezifisch scharfe Duft dieser Teile – (es hat was von angebrannten Haaren oder Hühnerfedern) legt sich in die Nase – aber das Ergebnis ist unvergleichlich lecker. Noch während die noppigen Tentakeln in Scheiben geschnitten und mit Zitrone beträufelt werden, reißen gierige Kinderhände die Leckereien vom Schneidbrett. Dann kommt die Sfyrida (Σφυριδα), ein etwa drei Kilo schwerer Meeresfisch, auf den Rost über die nun halbwegs niedergebrannte Kohlen. Eine Übersetzung für dieses große Tier habe ich nicht gefunden, wahrscheinlich ist es „Epinephelus aeneu“, der „weiße Zackenbarsch“.  Ein Freund eines Freundes hatte ihn aus dem Meer gefischt und uns vermacht. Eine knappe Stunde schmort das Tier nun vor sich hin, gelegentlich ganz vorsichtig gewendet, während wir bei Bier und Zigaretten um den hierzu provisorisch  errichteten Altar für Poseidon und Hephaistos sitzen, und über Gott, die Welt und die richtige Glut diskutieren. Derweil werden in der Küche die Mesedes (Vorpeisen) zubereitet: Miesmuscheln in Öl, frischem Lorbeer und ganz wenig Wein gedünstet, Chorta (etwas davon wird mal Pflanze der Woche, irgendwann, deshalb keine Details hier), Tomatensalat-Gurkensalat und gegrillten, halbscharfen Parika aus Platykampos, und so weiter und was-auch-immer. In der Dunkelheit schreien die Kinder am Strand umher, ihre Rufe mischen sich unter das Rauschen des Meeres, die wummernden Klängen einer Strandbar und die aufheulenden Motoren der Autos und Motorräder auf der Uferstraße vor dem Haus.