Die letzten Tage in Thessalien

18. September 2019, Agiokampos.

Der diesjährige Aufenthalt geht dem Ende zu. Die letzten Tage haben wir ausführlich die Gegend um Mavrovouni und den Ossa erkundet und genossen. Für einen zusammenhängenden Bericht reicht das nicht, deshalb folgen in loser Reihenfolge einfach Bilder der letzen Tage. Der Sommer neigt sich erkennbar dem Ende zu, auch wenn es noch deutlich warm ist. Der sonst trubelnde Ferienort Agiokampos hat sich geleert. Wie immer haben Hunde und manchmal auch Angler Besitz von dem breiten Strand genommen. „Kalo Chimona“, einen „guten Winter“, wünscht man sich jetzt wieder, wenn es darum geht, Abschied zu nehmen. Die untergehende Sonne und das Abendrot taucht die Berge in eine feurige Glut, in der die langsam gelb werdenden Bäume noch einmal richtig aufleuchten.  Langsam beginnt die Apfelernte, die Bauern fahren leere blaue Obstkisten hinauf in die Berge. Der kleine Ort Agia hat sich mit Erntehelfern aus allen Ländern, vor allem aus Albanien gefüllt, ihnen steht eine harte und entbehrungsreiche Arbeit bevor. Die Apfelbäume an den teils hoch gelegenen, steilen Plantagen müssen von Hand einzeln abgeerntet werden und anschließend in die Kühlhäuser gebracht werden.

Wir verabschieden uns langsam von unseren Freunden, versprechen, uns spätestens im nächsten Jahr wiederzusehen. Halle ruft aus der Ferne. Der Ernst des Lebens hat auch die Kinder nach dem langen Sommer wieder eingeholt: seit einer Woche haben die Schulen wieder angefangen.

Eine besonders harte Zeit erwartet jetzt die Abiturienten.  Sie müssen nicht nur das Gymnasium erfolgreich absolvieren und damit  (theoretisch) die Hochschulreife mit dem Abitur erlangen, sondern auch die Universitätseingangsprüfung bestehen. Denn vor der Aufnahme an die Universitäten hat der Staat Eingangsprüfungen gesetzt: die sind hart, und im europäischen Maßstab eine der Härtesten überhaupt. Das Niveau des griechischen Abiturs ist etwa mit dem des deutschen Abiturs vergleichbar – doch die universitären Eingangsprüfungen verlangen weitaus mehr. In unserem Kreise bekommen wir Einblick auf das, was beispielsweise für eine Eingangsprüfung für das Fach Medizin verlangt wird: Es ist das Niveau des Stoffes, das in Physik und Chemie beispielsweise im 1. und 2. Semester an der Uni gelernt wird, oder in den gymnasialen Leistungskursen. Um die Prüfungen zu schaffen, gibt es in Griechenland so genannte „Frontistiria“. Das sind private „Aufbauschulen“, vielleicht am ehesten mit einem amerikanischen „College“ vergleichbar, die die Kinder parallel zur Schule besuchen. Hier werden die jungen Leute auf die Prüfungen, die im Mai stattfinden werden, gepaukt. Neben dem Stress kostet das Ganze auch noch eine enorme Stange Geld, monatlich um die 1500,- Euro. Das müssen die Angehörigen privat aufbringen: im Ergebnis führt das zu einer ungeheuren sozialen Selektion im Bildungswesen.  20190829_183037

 

Klimawandel: die Rückseite des Ossa

karteNein, hier geht es nicht um den Klimawandel, sondern das Wandeln durch sehr unterschiedliche Klimazonen, die der große Heimatberg Thessaliens, der Ossa oder auch Kissavos genannt, bietet. Der Ossa ist der kleine Bruder des benachbarten Olymp. Im Osten fällt er zum Meer hin ab, im Süden liegt an seinem Fuße die Provinzstadt Agia, nach Südwesten erstreckt sich die Thessalische Ebene mit Larissa als größter Stadt dort. Nach Westen ist er durch das Tempi-Tal begrenzt, das ihn vom Olymp trennt, dazwischen fließt der Pinios. Der Gipfel des Ossa liegt 1978 Meter über dem Meeresspiegel, sagt Wikipedia, die ansonsten den gewaltigen Berg kaum eines weiteren Wortes würdigt.  Was sehr ungerecht ist, wo doch schon in der Antike der Ossa als der kleine, zankhafte Bruder des großen Olymp aufgefasst wurde. Während der höhere Olymp vor allem durch seine schneebedeckten Gipfel imponierte, beeindruckt der Ossa mit seine erheblichen Regen-Niederschlägen, die seine der Küste zugewandte Seite empfängt. Hier gedeihen hohe Buchen- Eichen- und Kastanienwälder, die wir auf der Suche nach Pilzen – schon so oft beschrieben haben.

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Vor dem kahlen, markanten Bergrücken – einem Ausläufer des Ossa – biegen wir rechts ab in Richtung Sykourio

Wo Licht ist, ist auch Schatten – und heute wollen wir die Regenschattenseite des Berges erkunden. Die Seite, wo Trockenheit und Vegetationsarmut vorherrschen, die Westseite des Berges. Startpunkt ist Agia, von wo wir bis Elevtherio (Richtung Larissa) westlich fahren. Dann biegen wir rechts ab, in Richtung eines markanten, kleinen Bergrückens, der keinen Namen trägt. Schon hier bemerkt man den Regenschatten, den der Ossa wirft: es ist alles karg und vertrocknet, in der Ebene wird zwar Landwirtschaft betrieben, die aber ohne dauernde künstliche Bewässerung nicht auskommt. Zwischenziel ist die kleine Provinzstadt Sykourio, von wo ein Straßenschild Richtung Spilia weist. „Spilia“ ist ein Bergdorf am Westhang des Ossa und liegt in 850 Meter Höhe. Die Fahrt über Serpentinen führt durch verkarstetes Gelände und oberhalb einer mit Kiefern bestandenen Schlucht entlang. Der Ort selbst war lange Zeit ein Hort der Armut, heute lebt er anscheinend gut vom aufkommenden Bergtourismus, auch fallen schon einmal Reisebusse hier ein.

Sichtbar beherrscht wird der Ort durch den kahlen Gipfel des Ossa, der nun deutlich herangerückt, aber nur scheinbar zum Greifen nah ist. Oberhalb von Spilia gibt es eine Kapelle, wie immer benannt nach dem Heiligen Elias, dem Bergpatron schlechthin. Von hier oben hat mein eine gewaltige Aussicht auf das Tal des Pinios, der seinen Weg zwischen Ossa und Olymp zum Meer hin sucht. Von Spilia aus kann man noch weiter hinauf in Richtung Gipfel fahren, und zwar erstaunlich „bequem“.

Ohne ersichtlichen Grund, der griechische Staat schwamm seinerzeit offenbar im Geld – hat man durch die verkarstete, trockene Berglandschaft eine breit ausgebaute Serpentinenstraße hinauf in Richtung Gipfel gebaut. Am Ende der ca. 20 km langen Asphaltpiste befindet sich: eine kleine Berghütte. Die die meiste Zeit geschlossen ist, und nach Bekunden der Betreiber, einer Art „Alpenverein“, auch selbst zu Öffnungszeiten keine Gastronomie zu bieten hat. Den Wendeplatz der Straße vor der „Alpenhütte“ haben Kühe zugeschissen, etwas oberhalb befinden sich Viehtränken. Wir befinden uns hier auf 1604 Höhenmetern, und die kahle Spitze des Ossa, um die herum stachliges Kraut wächst, lädt nicht unbedingt zum Wandern ein.  Den Zaun vor der Hütte hat man mit ein Skiern dekoriert, aber nichts deutet auf irgendeine Skipiste hin. Schnee gibt es hier oben im Winter natürlich genügend, denn schon die Straße hinauf nach Spilia war  mit zwei Meter hohen „Schneestangen“ markiert. Die Straße hier hinauf soll uns ein Rätsel bleiben, zumal auf der gesamten Strecke uns niemand begegnet.

Den Weg hinab nehmen wir dann gen Westen, den Hinweisschildern nach Karitsa folgend. Zwischendurch immer wieder Aussichten, so bis hinunter nach Stomio, wo der Pinios sich in einem breiten Delta ins Meer hinein ergießt. Auf dem Weg nach Karitsa erlebt man drastischen Klimawandel: nach der kargen, verkarsteten Bergvegetation des Westens taucht man plötzlich in den Regenwald ein:  auf einmal ist die Straße von hohen Buchen gesäumt, es wird schattig und zuweilen richtig dunkel.

So geht Klimawandel: Rechts ist das Ossamassiv ziemlich Kahl, links dicht bewaldet.

So geht Klimawandel: Rechts ist das Ossamassiv ziemlich kahl, links dicht bewaldet.

Weiter unten macht der Buchenwald ausgedehnten Kastanienplantagen Platz, und kurz vor Karitsa wiederum tauchen die ersten Feigenbäume auf.  Hier endet die Wegbeschreibung, den Weg von Karitsa über Kokkino Nero nach Agiokampos entlang der Küste haben wir anderweitig schon beschrieben.

 

Olymp und stomio 20190904_172347

Aussicht auf Meer und Olymp mit Nationalflagge

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Abfahrt nach Karitsa

Karitsa

Karitsa

 

Über den Berg: eine Reise durch das Ossa-Gebirge.

Agia-Megalovriso-Anatoli- Ossagebirge -Karitsa

Der Berg ruft. Einer der höchsten Gebirge der Region – Nach dem Olymp – ist das Ossa-Massiv, dessen kahler, pyramidenförmige Gipfel von weit her zu sehen ist. Er ragt steil über den dicht bewaldeten Tochterberge seines Massivs heraus. Wir wagen, wie schon oft, eine Fahrt „aufs Blaue“ hinaus, in der Hoffnung einerseits, irgendwann einmal den Weg auf den Gipfel hinauf zu finden, ohne sich in den dichten Waldwegen zu verzetteln (was auch jetzt wieder nicht gelang).

Der Weg ist das Ziel, und es gibt neben dem Weg als solchem nicht unattraktive Nebenziele: vor allem, jetzt im beginnenden Herbst, Essbares oder sonstwie Verwertbares der Natur aus den Händen zu reißen. Dazu stehen die Chancen prinzipiell schon mal nicht schlecht, als wir, von Agia über Megalovriso uns Richtung Anatoli begeben.

kastanienOberhalb von Megalovrisso finden wir die ersten Kastanienbäume, einige haben schon einen Teil ihrer braunen Maronenfracht auf die Straße entladen, man braucht nur aufzusammeln, bald ist der Sack voll… Eine große Kastanie konnte zu Notzeiten eine ganze Familie ernähren, und wenn man die Unmengen der schmackhaften, Stärke- und Fetthaltigen Früchte an den Bäumen hängen sieht, glaubt man das sofort. Kurz nach dem Ort Anatoli gibt es einen kleinen Wegweiser, der zur Spitze des Ossa hinauf weist.

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Wacholderbüsche im Ossa-Massiv. Im Hintergrund der Gipfel

Ab hier schraubt sich eine felsige Buckelpiste den Berg hinauf. Auf halber Höhe wachsen zwischen Felsen und Kühen stattliche Wacholderbüsche. Die blauen Beeren sammeln wir auf, was eine stachlige Angelegenheit ist, aber um Sauerkraut genießbar zu machen, ist jede Mühe wert.

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Wachholder (Juniperus communis)

Der weitere Weg ist schwer zu beschreiben, es ist etwas Zufall, man sollte sich aber streng in nördliche Richtung halten, viele verschieden Holzwege führen am Gipfel des Ossa vorbei, mal gerät man ins Dickicht, dann wieder auf offenen Geröllfelder um Fuße des Gipfels, dann wieder in den Wald hinein. Die Wege lassen sich kaum beschreiben, da Google kein Kartenmaterial ins Gebirge sendet, auch wenn GPS selbst noch funktioniert (Man weiß also erst, wenn die Bilder „entwickelt“ sind, also deren GPS-Daten sich mit Google-Maps verknüpft sind, wo man wirklich war). Beim Unhetrirren stösst man auch so auf manche Überraschungen. Beispielsweise eine kleine Kapelle („Ekklissaki“), errichtet vom Jagdverei. An der Vorderfront kann man Ikonen der Jungfrau Maria anbeten, und die Rückseite ist sehr praktisch als Jägeransitz (mit Klappstuhl) ausgearbeitet worden. Selten sieht man Gottesfurcht und Mordlust so sinnfällig vereint.

Der Sommer war hier oben in den Bergen nicht so trocken, wie in Deutschland, aber eine üppige Pilzernte, so wie oft im September in dieser Gegend, ist dieses Jahr nicht zu erwarten. Bis auf einen einzelnen Parasol finden wir nichts. Dafür sind die Wege hinwiederum üppig mit wilden Mirabellen gepflastert. Der Weg durch den Wald ist lang, und irgendwann, nach längerem Abstieg (und knackenden Ohren) erreicht man wieder die Küstenstraße zwischen Stomio und Kokkino Nero.