Streifzüge durch Larissa

Lagekarte Larissa

Wenn das Gespräch auf Larissa kommt, werden viele ältere Griechenlandreisende berichten, sie „seien da schon einmal durchgefahren“. Heute vermutlich seltenen, denn die Stadt umgibt heute ein Ring von Umgehungsstraßen und einen Autobahnring, so dass man ungeplant selten in den Genuss kommt, in den zu Stoßzeiten hoffnungslos verstopften Innenstadtbereich zu geraten. Heute hat die Stadt  etwa 165.000 Einwohner und damit die größte Stadt Thessaliens. Sie ist die Hauptstadt der gleichnamigen Präfektur. Larissa verdankt ihre Bedeutung seit der Antike zwei Faktoren: zum einen besetzt die Stadt „strategisch“ einen wichtigen Verkehrsknoten am Ausgang des Tembi-Tals, einem Durchbruch zwischen den Bergmassiven von Olymp und dem Ossa-Gebirge.

Wer Griechenland an der Küste von Thessaloniki Richtung Athen wollte, musste hier durch: das gilt bis heute. Auch das Land vom Ionischen Meer kommend, das Pindos-Gebirge durch die Passage von Pyli durchquerend, die Thessalische Ebene erreichte, wird sich auf dem weiteren Wege durch die sich nun öffnende grüne Landschaft des thessalischen Beckens in Larissa am Fluss Pinios wiedergefunden haben. Die fruchtbare weite Ebene, schon in der Antike die Kornkammer Griechenlands schlechthin, ist der zweite Pfeiler, der der Stadt Larissa schon in der Antike zu Wohlstand verhalf. Landwirtschaft und Handel prägten seitdem die Wirtschaft der Stadt: bis heute.

Silberstater (Münze) aus Larissa, 4. Jhdt v. Ch.

Besiedelt ist Larissa bereits in de Jungsteinzeit. Zu einer größeren Stadt von Bedeutung geriet sie im in der Zeit der klassischen Antike im 5. Jahrhundert. In Larissa geprägte Silberdrachmen zeigen oft ein Pferd – wohl ein Hinweis auf einen ausgedehnten Handel und Zucht dieser Tiere in der Region. Aus dem 3. Jahrhundert vor Christus sind noch eindrucksvolle Reste eines Theaters erhalten, die in den 1980er Jahren nahezu vollständig ausgegraben sind und heute auch zu öffentlichen Kulturveranstaltungen genutzt werden.

Das antike Theater in Larissa, 3. Jhdt v. Ch.

Aus der Zeit des frühen Christentums hat die Stadt einen Heiligen aufzubieten, der heute Patron der Hauptkirche (Metropolie) der Stadt ist. Achillios war Metropolit (Erzbischoff) von Larissa und soll sich um die Orthodoxie während des Konzils von Nicäa mit einem Wunder verdient gemacht haben (Kritiker um die strittige Frage nach der ursächlichen Abfolge von Vater und Sohn hat er mit Öl überzeugt, das er aus einem Stein fließen ließ).

Zeitweise schon in den 1390er Jahren, endgültig ab 1421 kam Larissa unter osmanische Herrschaft, lange schon vor dem endgültigen Fall des byzantinischen Reiches 1453. In der Folgezeit war die Stadt stark islamisch geprägt, neben Christen gab es jedoch auch eine starke jüdische Minderheit. Bekannt war sie für die Vielzahl reich gestalteter Moscheen und Bäder.

Larissa. Stich von Coronelli Vicenco 1688. Die Ansicht zeigt schematisch die Moschee sowie die Brücke über den Pinios

Die osmanische Herrschaft endete endgültig nach den Türkenkriegen 1898. Im Fortgang wurden viele Reste osmanische Herrschaft in der Stadt geschleift. 1908 wurde die – aus heutiger Sicht baukünstlerisch bedeutende Hassan Bey Moschee aus dem 16. Jahrhundert geschleift. Sie hatte das Stadtbild auf der antiken Akropolis an der Pinios-Brücke über 300 Jahre geprägt und wurde nun ab 1909 durch einen neuen Kirchenbau (Aghios Achillios) ersetzt. In neobyzantinischem Stil, unter Verwendung von viel Stahlbeton und Marmor.
Das Schicksal der Umbenennung nach der Re-Hellenisierung, das viele kleinere Orte Thessaliens erlitten, erfuhr Larissa nicht: ihren antiken Namen hatte die Stadt durch alle Zeiten, auch während der Herrschaft der Osmanen, behalten.

Skizze aus dem Judenviertel von Larissa, Bertholdy, 18. Jhdt


Nach der weitgehenden Auslöschung der osmanischen Architektur erfolgte die Zerstörung der Stadt im 2. Weltkrieg. Im März 1941 war die Stadt von einem Erdbeben heimgesucht worden, wenige Tage darauf bombardierte die italienische Luftwaffe die Stadt. Deutsche Truppen besetzten die Stadt 1941-44, in der Folge wurden von hier über 1800 Juden nach Auschwitz deportiert.

Was Erdbeben und zweiter Weltkrieg nicht vernichteten, verschwand im Zuge der Modernisierung und Neubebauung. Noch in den 1980er-1990er Jahren verschwanden fast alle der noch übrig geblieben Bauten aus der neoklassizistischen Bauten des 19. Jahrhunderts und bis auf wenige Ausnahmen alle verbliebenden Gebäude aus osmanischer Zeit.

Heute ist Larissa eine pulsierende, moderne Stadt; ein Streifzug lohnt sich dennoch allemal, keineswegs nur zum flanieren und Shopping in den großzügig angelegten Fußgängerzonen oder dem ausgedehnten Park Alkazar am Ufer des Pinios, der die Stadt durchfließt. Und wer genau hinsieht, stößt auch noch hinter modern Geschäftsfassaden auf das ein oder andere vormoderne Relikt.

Wer sich für die Geschichte Thessaliens interessiert, kommt an einem Besuch im „Diachronen Museum Larissa“ nicht vorbei. Hier werden archäologische Funde von der Jungsteinzeit bis in die osmanische Zeit ausgestellt. Außerdem werden regelmäßig Sonderausstellungen zu ausgewählten Kapiteln der Regionalgeschichte gezeigt.

Reste des alten türkischen Hamam – umbaut mit Läden vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Aber auch sie wurden später abermals zur Unkenntlichkeit „modernisiert“.
Spuren eines Obst-und Gemüseladens aus den 1970er Jahren
Larissa: Moderner Bioladen für Obst und Gemüse
Tsipuro-Zeit in der Mittagspause
Ein noch erhaltenes neoklassizistisches Wohnhaus zwischen Hochhäusern vom Ende des 20. Jahrhunderts
Pinios-Brücke mit der Kirche Aghios Achillios auf der ehemaligen Akropolis. Bis 1907 stand hier die Hassan Bey Moschee aus dem 16. Jahrhundert
Aghios Achillios mit dem bronzenen Pferdedenkmal (1980er Jahre?)
Auch die jüngsten Zeiten – (Wirtschaftskrise, Corona-Krise) – haben im Straßenbild Spuren hinterlassen
Restauriertes Geschäftshaus aus dem 19. Jahrhundert
Zahlreiche Geschäfte in der Fußgängerzone laden zum Einkaufen ein
Straßencafes in großer Zahl erfüllen die ausgedehnten Fußgängerzonen

Graffiti unter der Pinios-Brücke

Neue Schnellstraße soll die letzten unberührten Wälder durchschneiden: „um die Schönheit des Landes zu zeigen“

Beginn eines merkwürdigen Bauprojetes durch Mavrovouni und Pilion

Die letzten Jahre berichtete ich über eine schönen, verwunschenen Feldweg, der unterhalb des Ortes Sklithro durch Berghänge und Felsen entlang der Küste bis zum Ort Keramidi in den Pilion führt. Ein holperiger unbefestigter Feldweg, der an wenigen Häusern, kleinen Olivenhainen und einem verlassenen Bergwerk entlang führt. Am Ende des Weges liegt das Bergdorf Keramidi, das seinerseits eine gute Straßenanbindung in die thessalische Ebene bei Kanalia und weiternach Volos oder Larissa verfügt.

Keramidi selbst ist ein hübsches, verschlafenes Nest, malerisch in den Bergen gelegen, darunter am Meer befindet sich eine kleinen Badebucht, Kamari genannt, drei Häuser, ein Strandcafe.

Dieser Anblick gehört bald der Vergangenheit an: weiße Quarzsansteinfelsen in den Bewaldeten Berghängen zwischen Keramidi und Skiti im Nordteil des Pilion. Bald wird hier eine Schnellstraße die Landschaft durchschneiden

Von Keramidi aus führt dann noch eine etwa 15 Kilometer lange, einfache Straße zum nächsten Ort , Veneto genannt. Auch hier leben in den Sommermonaten vielleicht 100 Menschen, in den Wintermonaten kaum jemand.

Ein kleiner Reisebericht von 2018 – zwischen Mavrovouni und dem Pilion

Halbinsel Pilion (unten/mitte) und Bergland Mavrovouni (oben)

Sieht man sich die Gegend auf der Karte an, so stellt man fest, dass die stark von Tourismus frequentierte Halbinsel Pilion jedoch eine Sackgasse darstellt. Bis heute ist sie eigentlich nur von Volos aus erschlossen, am Ort Zagora enden die Verkehrsverbindungen. Besonders im Sommer und Herbst schlängeln sich horrende Autokolonnen von Volos kommend in die Bergdörfer des Pilion, verpesten die Luft und verursachen einen höllischen Lärm. Die Folge für die einst einmal romantischen Bergdörfer mit ihren bis in die 1980er Jahre nicht gut erhaltenen Steinarchitektur des 18. und 19. Jahrhunderts: sie wurden mit einer Vielzahl von Neubauten in Form von Hotels überzogen, protzigen Privathäusern (errichtet aus Beton, verkleidet mit Natursteinen und kitschigen Accessoires, die sie („traditionell“ aussehen lassen sollen), eine Skipiste ergießt sich vom höchsten Ort Chania in die Wälder hinab, Andenkenläden und Cafes säumen die sich hinauf schlängelnde Straße, auf der sich Reisebusse in die einst naturbelassene Landschaft hinaufwälzen.

Ein Bild, das bald der Vergangenheit angehört: Ziegenherde auf dem Feldweg Weg zwischen Sklithro (Mavrovouni) und Keramidi (Pilion)

Etwas zum Pilion gab es hier schon einmal zu lesen:

Sieht man sich die Luftbildkarte weiter an, so bemerkt man, dass die Berggegend des Pilion, und vor allem die von Mavrovouni, nahezu durchweg dunkelgrün ist. Es sind Wälder, eine der letzten geschlossenen Laubwaldgebiete Mittelgriechenlands. In der Karte findet man eine blaue Linie. Das ist die von „Google-Maps“ vorgeschlagene Fahrt auf den Pilon, alle Orte am Hang der bewaldeten Halbinsel werden nur von Volos aus erschlossen. Dann sieht man auf der Karte oben an der Küste eine Rote Linie. Dort hat gerade der Bau einer gewaltigen Schneise durch den Wald begonnen. Hier soll in den nächsten Jahren schon eine breit ausgebaute Schnellstraße durch die Wälder führen – versehen mit hohen Stütz- und Begrenzungsmauern, Rastplätzen, Tankstellen und Brücken und autobahnähnlich ausgebauten Anschlussstellen. Auch angrenzende Feldwege sollen asphaltiert und ausgebaut werden. Jahrhunderte alte Baume und Vergetationsräume werden abgeräumt.

Noch mehr Autoverkehr wird sich auf den Pilion ergießen, noch mehr Beton in den einst noch malerischen Ofrten vergossen, Siedlungen werden zu Hotelburgen, ehemals allenfalls forstlich oder landwirtschaftlich genutzte Grundstücke werden zu Bauland: die Begehrlichkeiten sind enorm. Bisher waren der Pilion und Mavrovouni kaum von Waldbränden betroffen: man darf hoffen, dass das nur daran liegt, dass hier an den Nordosthängen der Berge bislang verhältnismäßig viel Regen fiel. Straßen durch unberührte NAtur verboinden nicht nur Ortschaften miteinander, sie sind Magneten für weitere Zersiedelung. Man darf nur hoffen, dass sich nicht das Schlimmste bewahrheitet. Griechenland könnte eines seiner letzten Naturräume an Wirtschaft und Tourismus verlieren.

Die Bauarbeiten haben bereits in diesem Sommer auf den ersten Kilometern zwischen begonnen. Das, was man bereits erkennen kann, lässt die Ausmaße erahnen.

Die folgenden Aufnahmen entstanden in der ersten Septemberwoche 2021. Das erste Teilstück der neuen Straße verläuft genau dort, wo zwei bis drei Jahre vorher die Bilder aus der obigen Galerie auf dieser Seite entstanden.

-einfügen Bilder Straßenbau-

Träger der Baumaßnahmen ist die Regionalregierung der beiden thessalischen Präfekturen Larissa und Magnesia. Man erhofft sich mit dem Projekt, die Region für den Tourismus weiter zu erschließen, um dabei die besondere Schönheit der Landschaft zu zeigen (sic!). „Der Hauptzweck dieser (touristischen) Reiserouten besteht darin, die natürliche und vom Menschen geschaffene Umwelt hervorzuheben „. Quelle: elektronisches Nachrichtenblatt e-thessalia.gr)

Genehmigt und im Bau befindlich ist jetzt das erste Teilstück mit einer Länge von 12,1 Kilometer zwischen Rakopotamos/Sklithro und Keramidi/Kamari. Die Kosten für dieses erste Teilstück belaufen sich auf ca. 15 Millionen Euro. Die Fortsetzung ist in Planung, nämlich von dort weiter durch den nahezu unbewohnten Teil des Pilion bis Zagora, Gesamtlange etwa 43 km.

Berichte über die Gegend hatte ich bereits in den vergangen Jahren im Blog beschrieben:

Ein Reisebericht von 2017 – holprige Wege nach Keramidi

Larissa: Hitze und Lärm – Flucht ins Diachrone Museum

Larissa, 30. August

Seit Mittwoch Abend sind wir nun wieder in Griechenland, förmlich der schwülen Hitze aus Deutschland entflohen. Bei der abendlichen Ankunft in Athen ist so heiß wie in Deutschland, allerdings kommt ein kräftiger Wind hinzu, der die Gärten in dem Vorort Kifisia verdorren lässt, Gießen ist hier vollkommen vergeblich. Schlimmer ist es nur noch in Larissa, wo wir am nächsten Tag eintreffen: Hier steht die Luft, und auch abends wird es nicht kühler. Natürlich bestimmt die Hitze den Lebensrhythmus und das Freizeitverhalten der Menschen. Wir hatten dieses Thema am Beispiel August-Bebel-Platz in Halle angeschnitten, und unser Freund „Farbi “ hatte dabei die These aufgestellt, dass er nachts lärmende Jugendliche bei seinen Aufenthalten in Griechenland nicht bemerkt habe. Diese Behauptung habe ich mit im Gepäck, und sie lässt sich innerhalb eines Tages in einer durchschnittlichen Kleinstadt wie Larissa (Größe und Einwohnerstruktur sind durchaus mit Halle zu vergleichen) leicht überprüfen.  Die Geschäfte schließen gegen 21:00 h, gegen 22:00 h geht das Leben auf den Plätzen und in den Straßen richtig los. In die Wohnquartiere sind immer wieder Restaurants, Schnellimbisse und Tavernen eingestreut, es gibt kleine Plätze, mit Bäumen, teils parkähnlich gestaltet, oft versehen mit Kinderspielplätzen. Hier trifft man sich nach der Abend, um noch im freien zu essen oder zu Trinken, Jung und Alt, ganze Familien. Kinder toben auf dem Spielgeräten, Jugendliche posen mit ihren Mopeds, laute Unterhaltungen gehören einfach dazu.  Mitten in den Wohnvierteln.  Das geht locker bis spät in die Nacht hinein, weil erst jetzt wegen der nun geringfügig milderen Temperaturen ein angenehmes Leben möglich ist.

Wer in den trotz verschlossener Fensterläden (eine griechische Wohnung ist in der Regel tagsüber im Sommer ziemlich finster)  aufgeheizten Häusern keine Klimaanlage hat, wird kaum schlafen können. So wachen wir am nächsten Tag ziemlich gerädert auf, nochmal Umdrehen ist sinnlos. Die Etagenwohnung geht zu einem kleinen Hinterhof hinaus, um das sich weitere Etagenwohnhäuser gruppieren. Presslufthammergetöse aus einem der Nachbarhäuser dröhnt seit morgens um acht. Natürlich lassen die Bauarbeiter, die irgendwelche Kacheln in einem Ladengeschäft von der Wand stemmen, die Fenster auf, wegen der Hitze. Auch die übrigen Mitbewohner entlassen Schall aus ihren Wohnungen in den Hof, Musik, Fernseher, Streitereien. Typischer Stadtsound, angereichert durch das Gebrumm vieler kleiner und großer Klimaanlagen. Dazu mischen sich dann die Verkehrsgeräusche , und wohlgemerkt: wir reden hier von ganz normaler Wohnbebauung. Eine Möglichkeit, dem Triggerspiel Hitze und Lärm zu entkommen: ein Museumsbesuch:

Das Diachrone Museum von Larissa

Am Stadtrand von Larissa (Thessalien), auf dem mit Kiefern bestandenen Hügel „Mesurlo“, befindet sich das seit 2015 eröffnete „Diachrone Museum“. Die Museumsarchitektur ist durchaus mutigen Gestalltungswillen, auch wenn die Außengestaltung teils an eine Pinguinanlage im Zoo erinnert.

Das diachrone Museum von Larissa

Das diachrone Museum von Larissa

Es ist ein kulturhistorisches Museum mit dem Schwerpunkt einer reichhaltigen archäologischen Sammlung. Die Archäologische Sammlung enthält Funde von der Altsteinzeit bis in die frühe Neuzeit, ihr Schwerpunkt sind Funde aus der Bronzezeit und des Hellenismus. Highlights sind hier umfangreiche Grabausstattungen, ein hellenistischer Silberschatz des 3. Jh vor Christus, sowie mehrere Goldblattkronen (Stephania) hellenistischer Zeit.

Stephania

Hellenistische Stephania im Diachronen Museum

Auch einige sehr gut erhaltene späthellenistische und frühbyzantinische Mosaiken aus reichen Bürgerhäusern des 3.-5 Jahrhunderts n.Ch. sind unbedingt sehenswert. Auch die jüngere Geschichte mit ihrer „multikulturellen Vielfalt wird überzeugend dargestellt, so wird auch der osmanischen Herrschaft und der islamischen Vergangenheit ausreichend Raum gegeben, und das zumeist friedliche Koexistenz der verschiedene Religionen  in Larissa vom 14.-19. Jahrhundert Raum gegeben.

museum diachron silberschatz 3 jhdt 31082019 Das ist für griechische Verhältnisse lobenswert, zumal dies sowohl durch historische Abbildung und archäologische Funde anschaulich belegt ist. Leider wirkt die Dauerausstellung insgesamt etwas vom Design her schon altbacken, und könnte ein Re-Design vertragen, auch wenn die Eröffnung nur vier Jahre zurück liegt.

Spannend: die Sonderausstellung „Choro-Grafies“ (weiterlesen nächste Seite)

osmanisches Kapitell31082019

Osmanisches Kapitell

 

 

 

Ankommen

In Larissa werden wir morgens von schreienden Vögeln geweckt. An den engen Hinterhof des etwas in die Jahre gekommenen, mehrstöckigen Stadthaus im Viertel Aghios Nikolaos drängen sich die Rückfronten weitere Mietshäuser. Über die Balkone hinweg hört man lautstark sich unterhaltende Frauen, hier wohnen viele ältere Familien, aber auch Zuwanderer aus Albanien, Syrien, Rumänien usw. Der Maulbeerbaum, der den kleinen Hinterhof komplett ausfüllt, reckt seine Zweige noch über die höchsten Dächer in der stickigen Luft, die mit Wäscheleinen und Warmwasserkollektoren angefüllt sind. Die Vögel, es sind wohl Spatzen, sind einige Hundert an der Zahl,  streiten sich um die reifen Maulbeeren, und wenn sie am späten Morgen verstummen, übernehmen Türkentauben (Streptopelia decaocto) mit  lauten Balzgesängen das akustische Regiment. Über die Dächer klingt Verkehrslärm in die Maulbeerschlucht hinunter, und durch die Lamellen der an diesen heißen Tagen fast ganztägig geschlossenen Schlagläden der Schlafzimmer. Im Wohnzimmer vorneheraus ist es heller, hier summt eine bescheidene Klimaanlage, davor, zur Straße hinaus, liegt eine Terrasse, die die Schwiegermutter mit einer Armada von Topfpflanzen in einen dichten Wald verwandelt hat. Tief unten tobt der Verkehr. Es wird gehupt, man streitet sich um die immer weniger werdenden Parkplätze in dem immer mehr verdichteten Stadtviertel, seit einigen Jahren schon sich immer mehr zu einem Geschäftsviertel gewandelt hat, mit hoher Fluktuation.  Unser Auto, das gestern Nacht in der Straße einen der seltenen Parkplätze gefunden hat, haben morgens angerückte Bauarbeiter mit einer Plane überdeckt – sie sind damit beschäftigt, die Fassade darüber zu verputzen. Nett von ihnen, denn es staubt und spritzt mächtig.

Palastküche in Larissa: Kasandibi

Palastküche in Larissa: Kasandibi

Gestern Abend waren wir angekommen, und gleich mit alten Freunden in einem Restaurant verabredet. Haben draußen auf einer Platia in der Vorstadt gesessen, es gab einfache, durchaus traditionelle Kost, wie man sie halt abends verzehrt, kleine Souvlakia, schlichte Mesedes, dazu einiges an Wein. Ankunftsrituale. Wie immer fragen die Freunde nach unserem Ergehen, und nach Deutschland, wie es da gerade so ist.  Was auffällt: die Fragethemen wechseln. Einst ging es darum, was beliebte Automarken in Deutschland kosten, was wir meistens nicht beantworten konnten, und bei den Fragenden war immer eine gewisse Bewunderung über das Land im Norden dabei, in dem ja auch Viele Ihres Gleichen ihr Glück gefunden hatten. Die letzten Jahre war natürlich die Griechenland-Krise das Thema Nr. 1, also Varoufakis, später Tzipras, und immer vs. Schäuble. Gestern Abend war alles anders. Besorgte Blicke richteten sich auf uns. Wie weit Chemnitz von Halle entfernt sei. Die Antwort, „hundert Kilometer, ganz weit weg“ konnte die Sorgen kaum entschärfen. Das griechische Fernsehen hatte nämlich in aller Ausführlichkeit über die Chemnitzer Kravalle berichtet, und die Hitler-Grüße waren zur besten Sendezeit immer wieder in allen griechischen Kanälen zu sehen.  Das spülte kollektive Erinnerungen hoch, an ein Deutschland, das einst Griechenland brutal überfallen hatte, Juden und Dissidenten in die seine Todeslager deportierte, Städte und Infrastruktur zerstört hatte, um  dann das Land dann nahezu entschädigungs- und hilflos dem darauf folgenden Bürgerkrieg zu überlassen, worauf das Land einer weiteren Katastrophe anheim fiel. Derweil durften sich die Bundesbürger  dem Wirtschaftswunder widmen. So etwas sitzt tief.  Deutschland habe in dem europäischen Rechtsruck eine besondere Verantwortung, hier dürfe man weniger durchgehen lassen, war Tenor.

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Internationale Diskussion unter dem Roten Stern

Zum Abschluss, mit der Rechnung,  hatte der Kellner die üblichen „Glyka“, also Süßspeisen, gebracht. Scheiben einer Art sehr feinen Puddings, übergossen mit Sirup, mann nennt es wohl Kasan Tibi ( Καζαν Τιπι), es stammt aus dem Türkischen Kazandibi, einem Gericht, das über die osmanische Palastküche seine Wurzeln in der griechisch-antiken Küche hat. Jedenfalls hat es den Abend versüßt. Heute verkauft Dr. Öttker auf dem Balkan Fertigmischungen dafür.

Wenn wir schon von der griechischen Küche reden: heute morgen bekamen wir das klassische neugriechische Frühstück. Das gibt es überall: Man nennt es hier einfach „Toast“, und die klassischste Variante, die überall gereicht wird, ist „Tiri-Sambon“ oder „Tiri-Parisa“.  Dazu hat nahezu jeder Haushalt und jede Taverne einen elektrischen Doppelgrill, also das, was man so kennt. Zwischen zwei konventionellen Toastscheiben legt man eine Scheibe Käse (Gouda, Holländer,da ist man nicht wählerisch) und eine Scheibe „Sambon “ (Kochschinken, Lehnwort aus dem französischen „Jambon“). Oder, noch beliebter, „Parisa“ (Παριζα). Das ist wiederum nichts anderes als Mortadella, die es, in auf die Toastscheiben normgerecht gepresst, geschnitten und foliert, in jedem Supermarkt zu kaufen gibt. Dazu gibt es – zumindest im Sommer – Frappe. Man bereitet ihn aus Neskaffepulver zu (die Firma Nestle ist auf dem ganzen Balkan präsent und schaufelt ungeheure Gewinne), Eiswürfeln und Wasser.

Grillen

26-27. August. Von Kifisia über Larissa und Platikampos nach Aghiokampos.

Von Kifisia nehmen wir den ewig lang wirkenden Weg zur Autobahnauffahrt. Nobelschlitten parken die Hauptstraße in Kifisia zu, halten mit Warnblinkanlage in zweiter und dritter Reihe vor den überteuerten Boutiken der Reichen und Schönen. Der erfrischende Wind hat nachgelassen, die Sonne knallt erbarmungslos auf das Autodach und die Straße. Man passiert den kaum weniger feinen Ort Ekali, dann erreichen wir irgendwann die „Ethniki Odos“ E75, eine Autobahn, die über Lamia nach Larissa führt (und von dort weiter nach Thessaloniki). Es ist die wichtigste Nord-Süd- Verbindung Griechenlands, und wie schon letztes Jahr beschrieben, kaum noch befahren. Das liegt an den Mautstationen, zu denen sich seit letztem Jahr einige weitere gesellten, und die sich kaum ein Einheimischer noch leisten kann. Das erste Mal geht die Autobahn jetzt ganz durch, das letze Teilstück bei Stylida ist gerade fertig geworden, verziert mit großen Hinweisschildern des Verkehrsministeriums, die erzählen, dass dieser Abschnitt mit Mitteln der EU maßgeblich finanziert wurde. Davor hat man eine weitere Phalanx von Kassenhäuschen errichtet.

Nach einem Zwischenstopp bei Verwandten in Larissa wird der örtliche Supermarkt angesteuert. Er gehört zur Kette des ist in Deutschland bekannten Discounters „Lidl“. Das Angebot überrascht: es ist den hiesigen Ernährungsgewohnheiten angepasst. Neben Meeresfrüchten (tiefgefroren) gibt es eine Obst- und Gemüseabteilung, mit der es nicht einmal Feinkostabteilungen deutscher  Edelketten aufnehmen könnten.

Nach einem Plünderungszug durch den Laden fahren wir weiter, Ziel sind unsere Freunde in Platykampos.

Platykampos 

User Wolli bemerkte zurecht: hier sieht man viele grüne Felder auf dem Luftbild, dazwischen kleine Häuser verstreut. Der Ort liegt in der sich um Larissa herum ausbreitenden thessalischen Tiefebene. Der beschauliche Ort lebt vorwiegend von der Landwirtschaft, die meisten Häuser stammen aus den 1960ern bis 1970er Jahren, Traktoren mit Wassertanks und Spritzgeräten kreuzen die Ortsdurchfahrt, manchmal auch große Erntemaschinen mit Anhängern, in deren Gittern Reste von Wattebällchen kleben. Auf den Feldern ringsum wird vorwiegend Baumwolle angebaut. Als „Topuzlar“ war der Ort Anfangs des 19. Jahrhundert ein kaum bedeutender Weiler [J.C. Hinrichs, Guillaume de Vaudoncourt, Schilderung des heutigen Griechenlands und seiner Einwohner, 1821, erwähnt werden aber der umfangreiche Baumwollanbau und die große Zahl von Maulbeerbäumen zur Seidenzucht (Topuzlar, türk: Haarknoten)] Mit der  nach der Regräcisierung 1927 der Ortsnamen in Thessalien   erhielt das Dorf  seinen heutigen Namen („flaches Feld“).

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Platykampos, auf der „Plateia“, dem Dorfplatz, irgendwann im Herbst 2014

Der Anbau von Baumwolle ist wasserintensiv und eigentlich ein ökologischer und ökonomischer Unsinn. Zwar ist die thessalische Tiefebene im Vergleich zum übrigen Land noch relativ reich an Wasser, schon in der Antike war das Land deshalb die Kornkammer Griechenlands schlechthin, aber das Wasser reicht nicht für den intensiven Anbau von Baumwolle. Es wird aus dem Grund gepumpt und mit gewaltigen Wasserkanonen wieder über die Felder verteilt. Gemeinsam mit den Düngemitteln und Pestiziden sickert es wieder zurück ins Grundwasser, um dann erneut hoch gepumpt zu werden. So konzentriert sich die Chose allmählich immer mehr auf. Man hat etliche Stauseen und Wassersammler errichtet, und es gab auch einen  Plan, das Wasser aus dem entfernten Pindos-Gebirge zu holen, indem man die Laufrichtung des Flusses Acheloos von West nach Ost umlenken wollte. Die „Deichverhinderer“ von Sykia haben das Projekt 2005 gerichtlich gestoppt – ob endgültig, steht in den Sternen. Unsere Freunde in Platykampos sind keine Landwirte, nach der Krise versuchen sie, ihren Lebensunterhalt mit ihrem kleinen Garten aufzubessern, das Thema „Selbstversorgung“ wird groß geschrieben, einen Brunnen wollten sie bohren, sie haben eine Wasseranalyse in Auftrag gegeben: Ergebnis: Zur Gartenbewässerung hervorragend geeignet, Düngemittel sind genug drin. An dem Abend bei reichlich Mesedes und Früchten aus dem Garten gibt es ein Thema: Roundup, wie gefährlich ist es wirklich, was darf man spritzen was nicht, was tun gegen Pilze und Insekten an Gurken, Tomaten und Mandeln. Wir essen frische Pistazien, für den nächsten Tag sind wir in Aghiokampos verabredet, zum Grillen.

26.08.2016-fistikia

Pistazien haben eine Fruchthülle, die wird verworfen, wie bei Mandeln. Darunter kommt eine harte Schale, die knibbelt man ab, dann kommt erst der schmackhafte Kern.

Aghiokampos, 27.August: ein bescheidenes Grillfest

Wenn es etwas gibt, das Menschen aller Kulturnationen verbindet, dann das Ritual das Grillens unter freiem Himmel. Griechische Lokale werben mit „olla sta karvouna – alles auf der  Kohle“. Selber grillen ist aber geselliger, und es gibt heute etwas zu feiern. Im schmalen Vorgarten wird der Grill aufgebaut (ein einfacher Rost, das reicht), eine Nachttischlampe installiert, denn jetzt, Ende August,  wird es schon gegen 19.30 h schlagartig dunkel. Was wahrscheinlich der deutschen und griechischen Grillkultur gemeinsam ist: die Betätigung des Grills ist Sache der XY-Chromosomenträger, die anderen steuern den botanischen Teil bei, der nicht fehlen darf. Über Art und Menge der Kohle wird gefachsimpelt, über die richtige Dauer des Garvorgangs, und ohne Bier kann niemand auf dieser Welt einen Grill überwachen. Hier verlieren sich dann aber die Gemeinsamkeiten. Männer, die mit einer nagelneuen Grillschürze am Webergrill auf einem grünen, frisch ondolierten Rasen hektisch Würstchen wenden (und von der Feier dann kaum etwas haben), findet man vielleicht in Kifisia. Uns mangelt es schon an den Würstchen (es gibt hier auch Würstchen, die man vorzüglich grillen kann – das macht man im Winter).

28.08.2016-chtapodia

Auf den Rost über den scharf brennenden Kohlen kommen zunächst die „Chtapodia“, große Kraken, die einer der Freunde Tags zuvor von Hand aus dem Meer vor Aghiokampos hochgetaucht hat. Der spezifisch scharfe Duft dieser Teile – (es hat was von angebrannten Haaren oder Hühnerfedern) legt sich in die Nase – aber das Ergebnis ist unvergleichlich lecker. Noch während die noppigen Tentakeln in Scheiben geschnitten und mit Zitrone beträufelt werden, reißen gierige Kinderhände die Leckereien vom Schneidbrett. Dann kommt die Sfyrida (Σφυριδα), ein etwa drei Kilo schwerer Meeresfisch, auf den Rost über die nun halbwegs niedergebrannte Kohlen. Eine Übersetzung für dieses große Tier habe ich nicht gefunden, wahrscheinlich ist es „Epinephelus aeneu“, der „weiße Zackenbarsch“.  Ein Freund eines Freundes hatte ihn aus dem Meer gefischt und uns vermacht. Eine knappe Stunde schmort das Tier nun vor sich hin, gelegentlich ganz vorsichtig gewendet, während wir bei Bier und Zigaretten um den hierzu provisorisch  errichteten Altar für Poseidon und Hephaistos sitzen, und über Gott, die Welt und die richtige Glut diskutieren. Derweil werden in der Küche die Mesedes (Vorpeisen) zubereitet: Miesmuscheln in Öl, frischem Lorbeer und ganz wenig Wein gedünstet, Chorta (etwas davon wird mal Pflanze der Woche, irgendwann, deshalb keine Details hier), Tomatensalat-Gurkensalat und gegrillten, halbscharfen Parika aus Platykampos, und so weiter und was-auch-immer. In der Dunkelheit schreien die Kinder am Strand umher, ihre Rufe mischen sich unter das Rauschen des Meeres, die wummernden Klängen einer Strandbar und die aufheulenden Motoren der Autos und Motorräder auf der Uferstraße vor dem Haus.