Linksversiffte Volksmusik

Sonntag, 23. September 2018

Am Abend kommen wir an dem alten Kafenion vorbei, das tagsüber geschlossen war, und das der Reiseführer rühmte, weil es noch in seiner Ausstattung aus den 20er Jahren stamme. Von Ferne hatten wir die Klänge von Lifemusik gehört. Sie kamen aus eben dieser Taverne, die nun voller Gäste war, überwiegend junge Leute, typisches „linksalternatives Spektrum“. Es hätte eine Vollversammlung der „Hasis“ sein können, was sich da, dicht gedrängt, an Tischen, in der Taverne bei den typischen Mesedes an Tischen und vielen Getränken und Rauch versammelte. Wir lugten neugierig durch die offen stehenden Terrassentüren hinein, und sahen zwei Musiker, die die klassische kretische Lyra (eine Art Streichinstrument) und Baglamas (Zupfinstrument, ähnlich der Bouzouki) spielten. Dazu sangen sie kretische Volkslieder, teils sogar „akademische Klassiker“ mit Texten aus der Renaissancezeit, etwa von Vincenco Cornaro. Gäste machten uns hilfsbereit Platz, rückten zusammen, man überließ uns Platz an einem kleinen Tischchen. Die nächsten drei bis vier Stunden, bis weit nach Mitternacht, erlebten  wir eine Kulturveranstaltung, wie man sie auch auf Kreta nur selten erlebt. Immer wieder lösten sich von den Tischen Gäste, tanzten traditionelle kretische Reihentänze, und das teils textfeste Publikum an den Tischen sang begeistert mit. Gerade auf Kreta werden klassische Volksmusik und Tänze nicht als Ausdruck des Spießertums verstanden, sie sind bis heute -auch unter „linksversifften“ ein Ausdruck von Freiheit, Lebenswillen und sicher auch lokaler Identität.

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Manolis Manoussakis und Charis Panajotakis, Lyramusik im „Ploumi“, Archanes (Kreta)

Die Musiker übrigens sind in Kreta keine unbekannten: Manolis Manoussakis und Charis Panajotakis treten sogar des öfteren in den beliebten Musikkanälen des griechischen Fernsehen auf, sie sind prominente Vertreter der kretischen „Lyramusik“.

Hier ein Video, allerdings nur instrumental:

Und hier in einer Kultursendung im griechischen Staatsfernsehen:

Hier das Duo Manoussakis/ Panajotakis bei Studioaufnahmen:

 

Dieses Video vom Auftritt am vergangen Sonntag hab ich selbst bei Youtube reingestellt. Ist doch gut geworden, mein erstes öffentliches Meisterwerk der Filmkunst. Man beachte die subtile Kameraführung, es waren ja schon einige Raki im Spiel, also bei den Darstellern 🙂

Betrieben wird das Lokal, das sich „Ploumi“ nennt, übrigens von einer Genossenschaft. Neben dem Tavernenbetrieb veranstalten sie ziemlich regelmäßige Kulturveranstaltung, zu denen das zumeist studentische Publikum aus der nahe gelegenen Universitätsstadt Iraklio regelmäßig anreist.

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Ankündigung des Konzertes an der Scheibe der Taverne „Ploumi“

 

Spinalonga, die Insel der Aussätzigen

Nach Ende des 30-Jährigen Krieges in Mitteleuropa waren noch viele Söldner übrig – die Fürstenhäuser verkauften sie an die Venetianer, und so gerieten sie von einem Vernichtungskrieg in den Nächsten. Venedigt befand sich mit den Osmanen einem Dauerkonflikt um die Vorherrschaft im mediterranen Raum, und Kreta war hier der Dreh- und Angelpunkt.  Im Krieg hatten neue Methoden der Kriegsführung Einzug gehaten, die in ihrer Art sowohl grausam als auch mühevoll waren. Heftige Stellungskriege tobten um die Festung Iraklio, wo man sich gegenseitig mit „Minen“ und Gegenminen umbrachte. Diese Minen waren Tunnels, die man unter die feindlichen Stellungen grub,  um dort gewaltige Pulverladungen zu zünden. Iraklio fiel 1669 nach sagenhaften 21 Jahren brutalen Stellungskrieges, der auf venetianischer Seite an die 30.000 Menschen das Leben kostete, auf osmanischer Seite sogar über 100.000. Damit war ganz Kreta osmanisch geworden. Ganz Kreta? Nein, würde man in Anspielung auf Asterix sagen.

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Die kleine Insel im Vordergrund ist Spina Longa, rechts davon, am Land, liegt der Ort Plaka

Denn auf einem kleinen Inselchen, keine 8 Hektar groß hielt sich eine Venetianische Festung. Sie wurde Spina Longa  genannt („langer Dorn“), eine Verballhornung der griechischen Bezeichnung („is Elounda“ = nach Elounda). Elounda war eine kleine Hafenstadt, die, seit sich die Küste im Osten Kretas immer mehr senkte hatte, in der Spätantike ihre einstige Bedeutung verloren hatte. Die Felseninsel, auf der die Venetianer ihr letztes Bollwerk ausbauten, lag nur einen knappen Kilometer vor der Küste, dem heutigen Ferienort Plaka. 1715 gelang es den Osmanen jedoch mit viel Pulverdampf die Venetianer auch von dort zu vertreiben.

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Venetianische Festungsbauten von Spina Longa

Die Waffenstillstandsverhandlungen hatten vorgesehen, dass die verblieben Soldaten sowie die Zivilbevölkerung friedlich abziehen durften. Was letztere betraf, hielten sich die Osmanen nicht an die Vereinbarung. Die Zivilsten wurden als Sklaven verkauft. In der Folge siedelten türkische Familien, insgesamt etwa 250 Einwohner, in den venetianischen Festungsbauten an, zwischen denen sie Wohnhäuser, Läden und sogar eine Moschee errichteten. 1898 wurde Kreta selbstständig, unter Schutz sowohl der Hohen Pforte in Konstantinopel als auch des europäischen Protektorates, bevor es 1913 endgültig Griechenland zugeschlagen wurde. In der Folge verließen die meisten Muslime Spinalonga, und die Häuser verfielen langsam.  Neben Kriegen kämpfte Europa noch gegen weiteres Unheil, das man heute schon weit aus den Augen verloren hat: tödliche Seuchen, vor allem auch die Lepra, allgemein als „Aussatz“ bezeichnet. Die hochinfiziöse Krankheit (der Erreger ist ein Mykobakterium)  ließ sich nur eindämmen, indem man die Betroffenen sprichwörtlich „wie Aussätzige behandelte“: sie wurden in Kolonien oder Lagern unter teils unwürdigen Bedingungen isoliert. Dies war praktisch überall in Europa, bis zur Entdeckung der Antibiotika, gängige Praxis. 1903 trat das Gesetz zur Bekämpfung der Leprakrankheit in Kraft, es legte Spinalonga als Verbannungsort kretischer Erkrankter fest, nach 1913 kamen auch Betroffene vom griechischen Festland hinzu.

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Die Reste der türkischen Wohnhäuser auf Spinalonga heute.

Die Versorgung der Erkrankten erfolgte nur notdürftig.  Abgesehen von wenigen Ärzten, Wachpersonal und Bediensteten durfte niemand die Insel betreten oder verlassen. Im Umkreis von 200 Metern war, um Ansteckungen vorzubeugen, nicht einmal der Fischfang untersagt. Etwa 1000 Menschen wurden im Laufe der Zeit nach Spinalonga verbannt. Die Kranken richteten sich in den zurück gelassenen Häusern der osmanischen Bevölkerung ein, es entwickelte sich hier eine abgeschiedene, eigentümliche Gesellschaft nach eigenen Regeln. Erst in den 1930er Jahren änderten sich die unwürdigen Zustände langsam. Der griechische Staat errichtete auf der Insel einfache Krankenstationen, die medizinische Versorgung verbesserte sich etwas. Die Verbannten gründeten einen Interessensverein, die „Bruderschaft der Leprakranken von Spinalonga“. Auch ihre Aktivität führte langsam zu weiteren Verbesserungen, und, als sich die Antibiotika-Therapien durchsetzten, wurde die Leprastation Anfangs der 1950er Jahre geschlossen. Die Gebäude verfielen bis in die 1970er Jahre.  1972 kamen Pläne auf, die Insel in einen eine Marinestützpunkt umzuwandeln. Das konnte verhindert werden, das Gelände wurde statt dessen als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. 1976 erhielten die Gebäudeensemble den Status einer „Archäologischen Stätte“. Seit einigen Jahren ist der Ort eine beliebte Touristenattraktion. Die teils stark verfallenen Gebäude werden behutsam stabilisiert, eine einzelne Zeile hat man sogar rekonstruiert. In vielerlei Hinsicht erinnert die Anlage nun an ein modernes Pompeji, nur dass die erhaltenen Relikte, von den imposanten Resten der venetianischen Bastion, den türkischen Wohnhäusern bis hin zu den Krankenhausbauten der 1930er Jahre, weitaus jüngeren Datums sind.

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Das „moderne“ Krankenhaus aus den 1930er Jahren

Besonders in den Sommermonaten legen halbstündlich Boote von Plaka und Elounda zur Insel ab, und es ergießen sich Touristenströme aller Nationen in die felsige Ruinenlandschaft. Populär geworden ist Spinalonga durch den Roman „The Island“ von Victoria Hislop, der in mehrere Sprachen übersetzt und für das britische Fernsehn verfilmt wurde (Deutsch: Insel der Vergessenen, 2006).

Um die Insel zu besuchen, empfielt es sich, den kleinen Küstenort Plaka anzusteuern. Hier findet man übrigens, trotz des zunehmend touristischen Charakters des Ortes, immer noch gute und preiswerte Unterkünfte, der Strand läd zum Baden ein, und als gastronomische Empfehlung wäre die „Marias Taverne“ von 1930 zu empfehlen, wo es gute, traditionelle kretische Küche geboten wird (ohne lästige „Yesplease“-Anmache).

Es empfielt sich durchaus auch ein Abstecher von Plaka aus in die westlich gelegenen Berglandschaft. Die Felsen sind karg, es gibt nur wenig Vegetation, die Natur hat sich an die hier vorherrschende Trockenheit angepasst. An den steil aufragenden Bergkämmen tobt meistens ein recht heftiger Wind, was im Sommer durchaus erfrischend ist. Den Wind machen sich heute moderne Windkraftanlagen zu nutze, bei denen man sich fragt, wie die riesigen Masten und Turbinen wohl auf den Berg hinauf transportiert worden sind, denn die Straßen sind eng und kurvenreich. Bei dem Ort Vrouchas kann man noch gut erhaltene Windkraftanlagen des 19. Jahrhunderts bewundern. Die in Wind richting runden, nachhinten sich verbreiternden Türmchen stehen in einem Spalier nebeneinander, sie tragen hölzerne Flügelräder, die bei Bedarf mit Segeltuch bespannt werden konnten. Neben Getreide (das die Bewohner hier nicht anbauen konnten, sondern importierten), produzierten die Mühlen hier das einzigen Agrarerzeugniss her, das man dem Land abringen konnte: Olivenöl.

Überfahrt nach Kreta

21. September 2018

Die nächtliche Überfahrt von Piräus nach Iraklion auf Krteta dauerte 9 Stunden und verlief ohne Zwischenfälle. Das ist durchaus bemerkenswert, weil vor drei Wochen an Bord des Schwesterschiffes der ANEK-Linie ein Großbrand ausgebrochen war.  Glücklicherweise befand das Schiff sich noch nicht auf hoher See, so dass es schnell zurückfahren konnte, und die Passagiere im Hafen von Piräus in Sicherheit gebracht werden konnten. Ursache des Brandes war eine defekte Kühleinrichtung in einem LKW im Parkdeck.

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Ausfahrt aus dem Hafen von Piräus

Archäologisches Museum Heraklion

Über (Iraklio / Heraklion) hatte ich schon letztes Jahr geschrieben, nun bleibt nur noch das archäologische Museum. Es ist seit 2014 wiedereröffnet, nach siebenjähriger Schließzeit. Umgebaut worden ist offenbar wenig, das Gebäude selbst stammt im wesentlichen aus seiner Eröffnungszeit in den 1930er Jahren. Es ist bis heute einer der wichtigsten Vertreter der „griechischen Moderne“, entworfen von Patroklos Karantinos. Das Museum enthält die  nach dem Nationalmuseum von Athen  bedeutendste archäologische Sammlung. Unter anderem viele „Ikonen“ der griechischen Archäologie, so die Funde aus den minoischen und mykenischen Palastgrabungen, aber auch Funde aus der klassischen und der Spätantike. Das Museum folgt einem bewährten, klassischen wie auch mittlerweile langweiligem Konzept, was aber nicht stört, denn zumindest für Interessierte sprechen die Objekte für sich.

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Minoisches Tonmodell eines Wohnhauses. Solche Funde sind deshalb wichtig, da sie weitaus mehr als die phantasievollen, aber vollkommen spinnerten Palast-Rekonstruktionen von Evans vermitteln können, wie die minoische Architektur  tatsächlich aussah.

 

Mykenischer Suvlaki-Grill

Mykenischer Souvlaki-Grill

In seiner Bedeutung sollte man auch nicht den Museumskater  unterschätzen, der den Wachmeistern vor einem Jahr zugelaufen ist, und jeden Besucher ausgiebigst begrüßt.

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Der Museumskater von Iraklio

Von Rethymno durch die Berge an die Südküste nach Plakias und Preveli. Auf der Suche nach dem legendären Myrtios.

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Auch gedruckte Reiseführer können den Menschen in die Irre leiten.  Myrtios, so stand es in einem angesehenen Führer (Dumont), sei ein malerisches Dorf, von von Rethymno aus in einer knappen Stunde zu erreichen. Neben ansprechenden Unterkünften mit Blick auf das Meer gäbe es zahllose Tavernen, in denen man raffinierte kretische Küche genießen könne. Zudem liege es in der Gegend von Preveli, dahin wollten wir ja ohnehin. Auch der elektronische Beifahrer findet den Ort sofort, und stammelt uns in ihrer gewohnten Art auch dort hin. Der Weg führt tatsächlich durch spannende Landschaften, hohe Berge, tiefe Täler, Schluchten, und so weiter, wie man das von Kreta halt kennt.

Blick von der Straße nach Myrthios in Richtung Norden auf die Talsperre von Amoudia

Blick von der Straße nach Myrthios in Richtung Norden auf die Talsperre von Amari

Ferula communis, im Hintergrund der Ort

Riesenfenchel (Ferula communis) , im Hintergrund der Ort Myrthios

Die Ohren beginnen langsam zu knacken. Kurve für Kurve geht es immer steiler in hinauf. Noch wenige Kilometer bis Myrthios, das wird auch langsam Zeit, denn Durst und Hunger melden sich. Wir sehnen uns nach den versprochenen Köstlichkeiten und Erfrischungen.

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Landschaft auf dem Weg nach Myrthios: Blick in die Schlucht von Prassianos

Die Strasse wird von beeindruckenden, hochgewachsenen Stängeln von Riesenfenchel (Ferula communis) begleitet, und dann erscheint das sagenumwobene Myrthios. Ein paar Opas sitzen vor den schlichten Häusern, sehen uns etwas verwundert nach, das „was wollen die denn hier“ steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Denn hier will offenbar selten jemand etwas, die wenigen, engen Gassen sind unbelebt, es gibt keine Taverne, und auch kein Hotel. Nur etwas Aussicht, aber nicht aufs Meer. Gar nix. Herr Dumont war sicher nicht hier, Fake-Guide, vielen Dank auch.

Kourtaliotiko-Schlucht

Kourtaliotiko-Schlucht

Also weiter, die Berge hoch, nach einiger Strecke auf Schotterpisten erreichen wir einen Pass, dann geht es hinunter, über Selli, Pale und Koxare durch die ziemlich tief eingeschnittene, felsige Schlucht von Kourtaliotiko  hindurch, bis sie sich wie ein Fenster in die Ebene um Levkoja öffnet, die wie ein fruchtbares Delta sanft zum Meer hin abfällt.

Die Ebene um Levkoja

Die Ebene um Levkoja

Preiswerte und angenehme Unterkünfte gibt es hier eine ganze Reihe, freistehende Bungalowanlagen zumeist, preislich ähnlich günstig wie zuvor beschrieben (Empfohlen z. B. dieses) Bei der Suche nach Unterkunft und Erkundung der Gegend finden wir dann auch noch ein anderes Myrtios. Es ist ganz in der Nähe, liegt 2 Kilometer oberhalb der Küstenstadt Plakias, und man hat hier tatsächlich einen recht schönen Ausblick über die Bucht.  „Taverna Dionysos“ klingt erst einmal nicht vielversprechend, der Name klingt halt nach den mittelmäßigen hellenischen Abfertigungsanstalten in mittelmäßigen deutschen Provinzstädten. Doch hier lauern nicht der Zorbas-Teller oder die Zeus-Platte, und auch kein Gyros auf einem Haufen Pommes mit Krautsalat. Was der Wirt hier serviert, hat die übliche, gute kretische Qualität: Schnecken (Chochlious), Hackfleichbällchen (Keftedes), Kartoffeln mit Graviera- Käse, gefüllte Zuchiniblüten (Anthous) und Würste Loukarnika (die sind auf Kreta meistens nicht so gut wie auf dem Festland, die Pelle hart, und ansonsten sehr fettig).

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„Myrtios Nr. 2,“ oberhalb von Plakias,  Taverna Dionysos.

 

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Weniger appetitlich, aber eine kretische Nationalmacke: An Zäunen aufgespießte Köpfe von Schlachtvieh, die langsam vor sich hinwittern, bis die Sonne die Knochen komplett ausgebleicht hat. Es ist offenbar ein antiker Abwehrzauber (Apotropaion), die sich bis in die Gegenwart gehalten hat (Hier gesehen in Schinaria, findet man aber  in ländlichen Gegenden auf Kreta oft).

Manolis, der beste Koch

Den Beschreibungen des Hotelwirtes folgend,  finden wir das Lokal von Manolis ohne Schwierigkeiten, es befindet sich nach der in Dunkel gehüllten Tankstelle am Ortsausgang. „Niemand isst hier“, sagt meine allerbeste Reisebegleiterin von allen, und will mich überreden, lieber das „Kronos“ aufzusuchen. „Kommt gar nicht in Frage.“ Wir setzen uns an einen der wenigen freien Tische, beobachten die Gruppen, die an den Tischen sitzen, nichts zu Essen haben, an einem „Frappe“ nippen oder einfach nur Karten spielen. Schräg hinter uns hat eine Familie an einem blitzeblanken Tisch Platzt genommen, rechts gegenüber eine Gruppe ziemlich junger Studenten. Meine beste Begleiterin von allen will gehen. Da kommt der junge Wirt Manolis, breitet eine flatternde Plastedecke über unseren Tisch aus, befestigt sie mit den üblichen Stahlfederklammern am Tisch. „Wollt Ihr eher Wein oder Raki?“, fragt er. „Beides!“ sagen wir, woraufhin er wortlos verschwindet. Die sonst übliche Nachfrage, nach „rot oder weiß“  unterbleibt, und lässt auch nicht die übliche Gegenfrage zu, was es denn an Weißwein so geben, wie trocken, ob von hier, man mal erstmal probieren könne usw. Derweil sehen wir, wie sich Manolis am Nachbartisch niederlässt, ein längeres Gespräch mit der Familie führt, die immer noch auf dem Trockenen sitzt, dann ist er weg, nein, er sitzt bei einem anderen Tisch in der Tiefe des Lokals, dann ist er tatsächlich weg. „Gibt es hier überhaupt Essen?“, fragt meine Begleiterin, „offenbar schon, sieh mal dahinten, in der Küche wird etwas umgerührt“. Es erscheint eine blonde Dame, stellt uns etwas Weißwein, ein Fläschchen Raki und eine nicht unbeträchtliche Menge an Vorspeisen hin, alles vegetarisch, sehr lecker, beispielsweise Anthous jemistous (gefüllte Zucchiniblüten mit Reis und Kräutern). Haben wir nicht bestellt, aber das gehört in vielen Gegenden zum Programm, zum bestellte Wein/Schnaps werden Mesedes serviert, irgendwelche. Das ist alles total OK, das sollte man auch kennen, aber wenn in der gefühlten folgenden Stunde weiter nichts passiert, wir auf dem Trockenen sitzen, Winke an das Personal derart ignoriert werden, als seien wir Marsmännchen, dann stimmt etwas nicht. „Die sind Gesundheitsapostel, Fleisch gibt es hier nicht, und Alkohol wird hier rationiert“ bekomme ich zu hören, und die Studentengruppe, die schräg gegenüber geduldig sich zwei Flaschen Bier teilt, macht eben den selben Eindruck. Eine Gesundheitssekte? Wir versuchen, die blonde Kellnerin mit der markanten Figur einer jungsteinzeitlichen Kykladenskulptur (dieses Modell flacher Geigenkasten mit breiten Hüften) zu kontaktieren. Es ist unmöglich. Sie ignoriert uns, während wir Manolis immer wieder einmal fröhlich schwatzend am Tisch anderer Gäste ausmachen können. Wir machen ein Experiment, es dient vor allem dazu, uns unserer Existenz in dieser Welt zu versichern. Behutsam und unauffällig schieben wir einen Stuhl in den Kellnergang, den die Kykladenskulptur nehmen muss. Behende schwingt sie mit ihren Hüften den Stuhl zur Seite, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Ein gekonntes Zirkusstück. Nun wollen wir es wissen. Die dunkelhaarige Dame, die in den Töpfen gerührt hat, ist Ziel eines Direktangriffs. Ich bitte sie um Nachschub. Nickend nimmt sie die Bestellung entgegen. Es stehen auf einmal diverse Leckereien auf dem Tisch. Wunderbar gekochte und gewürzte Fleichstücke, Mesedes, Wein, Raki. Alles so fein und ein Träumchen, wie der Hallenser zu sagen pflegt. Dann passiert wieder  nichts. Auf dem Gang zur Toilette passiere ich einen der Tische, an denen sich  Manolis gerade niedergelassen hat. Freudig begrüßt er mich mit Handschlag. Ob alles klar sei? Ja, wunderbar, ein paar Früchte noch, dann würden wir gerne zahlen. Nachdem wir die allerhand wirklichen Köstlichkeiten, die nach und nach unseren Tisch passiert haben, genossen haben, erscheint Manolis, stellt eine große Karaffe Wasser auf unseren Tisch, deren Inhalt sich dann als hochprozentigen (und ziemlich guten) Raki  entpuppt, einen guten Liter Wein, und eine merkwürdig gestaltete Wurst.

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Die Wurst des Manolis

Wir unterhalten uns über dies und das, die Wurst ist ein Gedicht (etwas aus Innereien, wirklich wunderbar) und, auf die Frage, ob er uns die Rechnung machen könne, sieht er uns mit wunderschönen großen Augen an. „Rechnung? Wollt Ihr was zahlen?“ Nun ja, schon, wir loben seine Küche, den Raki, Tsermiado als Ort und Kreta im Allgemeinen, aber er  kann zu so später Stunde damit nichts anfangen. Wir schlagen ihm einen runden Preis vor, „nun ja, wenn ihr wollt“ sagt er.

Unser Hotelwirt hat uns wenigstens am nächsten Morgen aufgeklärt. Das stumme Personal kann kein Griechisch, es stammt aus Prag, mit Ausnahme Manolis.  Aber unter seiner  Aufsicht – wenn er sie denn hat – entsteht das beste Essen von Kreta. Das können wir bestätigen.

 

 

Die Hochebene von Lassithi – Agrotourismus im Schreberkrater

Die Hochebene von Lassithi ist eine geologische Besonderheit. Auch wenn man an ihrem Rand stehend den Eindruck haben mag, die von einem hohen Ring von Bergen umschlossene, rundovale Ebene könnte durch einen Meteoriteneinschlag entstanden, oder vulkanischen Ursprungs sein, so täuscht das. Es handelt sich um einen Kessel, der in langen geologischen Zeiträumen ohne Abfluss war. Die fruchtbare Ebene zwischen den Bergen ergab sich durch Geröll- und Sedimentablagerungen, die das in großen Mengen von den Kalksteinbergen abfließende Wasser mit sich brachte. Auch heute noch entwässert sich die Gegend vornehmlich durch Karsthöhlen im Untergrund. Mehrfach in der Geschichte waren diese Abflüsse verstopft, so dass das Land im Sumpf und Hochwasser unterging. Seit der Jungsteinzeit ist die für Landwirtschaft attraktive Gegend besiedelt, wenn auch immer wieder mit erheblichen Unterbrechungen, als in regenreichen Jahren die eintretenden Hochwässer die Ernten vernichteten, wie dies aus venetianischer und osmanischer Zeit mehrfach berichtet wurde.

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Apfelbäume, Windmühlen: am Eingang der Lassithi-Hochebene

Starke Erosion, die wohl auch durch intensive Abholzungen der umliegenden Gebirgshänge begünstigt wurde, sorgte dafür, dass der Geländeboden in historischer Zeit um mehrere Meter anwuchs – verbunden mit dem Vorteil, dass immer wieder neuer phosphathaltiger Mineralboden der Landwirtschaft zur Verfügung stand. Heutzutage ist der unregelmäßige Wasserhaushalt technisch reguliert, sowohl durch Kanalsysteme, die den Wasserüberfluss in Speicherbecken abführen, als auch durch ein Pumpensystem, das zu Trockenzeiten das in Kavernen versickerte Wasser wieder aus der Tiefe hervorholt – teils aus über 15 Meter tiefen Pumpenschächten. Im Mittelalter wurde dies vorwiegend von handbetriebenen Ziehbrunnen bewerkstelligt. In den
1920-er Jahren kamen unzählige kleine Windmühlen auf, die auf schmiedeeisernen Ständern ruhend, das Wasser mittels der fast ständig zur Verfügung stehenden Windkraft emporhoben. Mit einem Kolbenhub von ca. 100 Millilitern war die Leistung zwar spärlich, für einen Kubikmeter Wasser mussten sich die kleinen segeltuchbespannten Flügelräder 10.000 mal drehen. Aber die Menge machte es, es gibt Bilder aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, die die Ebene mit einer Unmenge an kleinen, weißen Windrädern zeigen. Heute sind diese Räder größtenteils durch Elektropumpen ausgetauscht, zu einem großen Teil verfallen, teils auch abtransportiert, und als Touristengarnitur an unmöglichen und sinnlosen Stellen wieder aufgebaut. Einige wenige sind aber noch in Betrieb, und erfüllen ihre Funktion in der Landwirtschaft, die auch noch immer die Haupteinnahmequelle der hier auf 800 bis 900 Metern Höhe lebenden Menschen darstellt. Der Tourismus führt, bis auf wenige Ausnahmen (Psychros-Höhle) ein Schattendasein.

Es empfiehlt sich daher, bei Ankunft sich rechtzeitig nach einer geeigneten Unterkunft umzusehen. Beschaulich aber extrem rustikal ist der Ort Agios Georgios, das Hotel Maria befindet sich mitten im Dorf, die Wirtsleute sind etwas unbeholfen, dafür wird man aber morgens von Treckergeräuschen, gackernden Hühner und einem schreienden Hahn geweckt. Es gibt dann noch oberhalb des Ortes eine schicki-micki-Hotelanlage, die aus merkwürdig steril anmutenden Bungalows am Hang besteht, und einem „Eco-Park“, der nach reichlich EU-Förderung aussieht, mit ein paar eingepferchten Tieren griechischen Mittelstandskindern Natur vermitteln soll, und ihren Müttern Gelegenheit bietet, die Kunst des Töpferns und anderer Handarbeiten zu erlernen, während die Väter in Gruppen auf „Safari“ in kleinen Minijeeps in die Landschaft entlassen werden. Wirklich empfehlen kann man eigentlich nur den Hauptort der Lassithi- Ebene, Tsermiado. Es ist ein vollkommen normaler Siedlung, mit Struktur.  Unaufgeregt, kein „Yes-Please“, schwarzgekleidete Omas sitzende vor den Hauseingängen, Jugendliche  basteln an ihren  Motorrädern herum, unter den Autos verhuschen sich wunderschöne Katzen.

Tsermiado, Straßenbild

Tsermiado, Straßenbild

Und hier unsere Empfehlung: Xenonas Argoulias (www.argoulias.gr), etwas oberhalb am Ortsrand gelegen.  Hier gibt es sehr geschmackvolle, traditionell eingerichtete und geräumige  „Studios“, die zudem noch ausgesprochen preisgünstig (45,- €/Nacht mit Frühstück) angeboten werden. Der Blick von der ausladenden Schlafzimmerterrasse über den von der Abendsonne beschiedenen Ort und die grüne Ebene mit ihren grauen Bergen dahinter ist traumhaft schön.

Und was macht man dann hier oben? OK, man kann sich ins Bett legen, bei geöffnetem Fenster die Höhenluft genießen, den aus dem Dorf leise heraufklingenden Alltagsklängen lauschen.

Oder eine Fahrt rund um die ca. 20 Dörfer unternehmen, die den großen Gemüsegarten der Ebene wie eine Ring umschließen. Schon die Venetianer hatten es untersagt, die fruchtbare (aber auch überschwemmungsgefährdete) Ebene zu bebauen, und daran hält man sich aus ökonomischen Gründen bis heute.

Bei Marmaketo ist gerade die Tomatenernte in vollem Gange.

Tomatenernte

Tomatenernte

Die beiden Wsserreservoirs, die aus der Ferne mit ihrem blauen, kristallklaren Wasser zum Baden einladen, erscheinen aus der Nähe als  drahtzaunumwehrte technische Anlagen.

Wasserreservoir auf der Lassithi-Hochebene

Wasserreservoir auf der Lassithi-Hochebene

Bei Arvakontes kann man Schäfchen zählen…

Arvakontes

Arvakontes

Bei Kaminaki haben sie die wohl größten Paprika zu stehen, irgendwoher müssen sie ja stammen, die man dann im „greek traditional salad“ wiederfindet..

 

Paprikafeld bei Kaminaki

Paprikafeld bei Kaminaki

Bei Magoulas, in den eher trockenen Feldern, passen Menschen auf ihre Schafe auf   und wedeln mit ihren Stöcken, weil sie unbedingt aufs Bild wollen.

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Schafherde bei Magoulas

Und malerisch heben sich die Silouetten der Windmühlenruinen aus den 1920er Jahren gegen den azurblauen Himmel ab.

Windmühlenruinen bei Magoula

Windmühlenruinen bei Magoulas

Bei Psychro konzentriert sich der Tourismus auf die dortigen Höhlen. Derweil bereiten sich die Bewohner des Ortes auf den Winter vor: es wird  Kohl gepflanzt. Beispielsweise für die Lachanodolmades, der griechischen Entsprechung unserer Kohlrouladen.

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Kohlpflanzung bei Psychro. Im Vordergrund: Fenchel (Marathos). Das Wildkraut umsäumt Felder und Straßenränder. Seine grünen Blattfedern sind ein unverzichtbares Würzkraut der kretischen Küche. Im übrigen Griechenland benutzt man es kaum.

Trockener ist es wiederum bei Kato Metochi. Die Schafe ziehen erwartungsvoll hinter dem Agrotiko ihres Herrn hinterher. Er hat Wasser und frisch geschnittenes Grünzeug als Abendmahlzeit mitgebracht.

Kato Metochi

Kato Metochi: bukolische Szene mit Toyota-Pritschenwagen

Wie sehen eigendich die Dörfer hier aus: die meisten etwa so, wie hier, Pinakiano:

Pinak

Pinakiano.

Die Abendsonne sinkt. Letzter Halt, bevor wir wieder von unserer Rundreise zurück sind. Da haben wir den Salat:

Gemüsefelder mit Salat bei Lago

Gemüsefelder mit Salat bei Lagou

Nun sind wir einmal rum, um die Gemüsefelder der Lassithi-Hochebene, dem wahrscheinlich größten Schrebergarten Europas. Dass sich dabei Hunger einstellt, ist selbstverständlich.

Die Mutter des Hotelwirtes ist möglicherweise mit der Empfehlung ihres Sohnes nicht einverstanden.

Die Mutter des Hotelwirtes ist möglicherweise mit der Empfehlung ihres Sohnes nicht einverstanden.

Der Hotelwirt betreibt auch ein Restaurant, empfiehlt aber sein Essen nicht. „Wenn Ihr wirklich vernünftig und typische Speisen der Region haben wollt, geht besser hinunter in den Ort, entweder zum „Kronos“ – oder besser, also, wenn Ihr mehr auf Mesedes und Raki steht, geht zu Manolis. Der Weg ist einfach. Durch den Ort, das seht Ihr von hier oben, hinter dem Haus mit den grünen Fensterläden, am Hotel „Kronos“ vorbei, da kommt erst die Tankstelle, dann ist der auf der rechten Seite. Müsste heute eigentlich auf haben“

(Fortsetzung folgt: Manolis, der beste Koch)

Im Zickzack durch Kreta über Ierapetra und Aghios Nikolaos auf die Lassithi-Hochebene.

Auffahr von Xerokampos in Serpentinen

Auffahrt von Xerokampos in Serpentinen

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Von Xerokampos über Ierapetra und Aghios Nikolaos nach Mesa Lasithi

In  Schangenlinien windet sich die Straße von Xerokampos hinauf ins Landesinnere. Noch einmal beim Blick hinab wird klar, dass dern Ort Xerokampos seinen Namen zu recht trägt. Wir verlassen nun diese unwirtliche Stätte, durchqueren die Insel im Zick-Zack-Kurs in die Berge hinein, dann wieder hinunter an die Südküste nach Ierapetra, wieder quer durch das land Richtung Aghios Nikolaos, um dann wieder in die Berge hinauf zu fahren, Ziel ist die Hochebene von Lassithi, die wir erst nach mehreren Stunden erreichen werden.Der Routenplaner gibt diesen Kurs als kürzeste und schnellste Verbindung an, was man zunächst nicht glauben mag. Es ist aber tatsächlich so, dass man auf Kreta wegen der engen kurvenreichen Straßen nicht mehr als 30-40 Kilometer pro Stunde zurücklegt, Muttipanzer brauchen dazu noch einiges länger, während die „Agrotika“, die verbeulten Toyota-Pritschenwagen der Hirten und Landwirte, mit Schaf und Heuballen auf der Ladefläche, durchaus zügiger unterwegs sein können. Immer wieder ändert sich nun die Landschaft, man erreicht Bergdörfer von geradezu charmanter Langeweile,  die in durchaus grünen, fruchtbaren Tälern oder Hochebenen liegen. Hier gibt es keine Verkaufsstände, die Honig oder „landestypische“ Produkte wie etwa mit Windmühlen bemalte Kieselsteine anpreisen, keine „Traditional Greek Tavern „, gar nichts. In den graulaubigen Olivenfeldern liefern sich die Zikaden wieder einen akustischen Wettstreit mit den Motorpumpen, hin und wieder rumpelt ein Lastwagen durch. An und wann ist auch Fotografierverbot – da, wo das Militär ganz geheime Radarstationen als Landmarken auf den Berggipfeln aufgebaut hat. Die Fotoverbote sind rührend und in Form rostiger Schilder an den Weidezäunen angebracht, sie stammen noch aus Zeiten, da jedermann wusste, wie die Kamera eines professionellen Spions aussehen muss: mit einem richtig langen Balgen und einem fetten Objektiv.  Dann führt die Straße wieder unten an der Küste entlang – links blaues Meer, rechts Häuser, Strandpromenaden, Touries in Badelatschen, die unvorsichtig über die stark befahrene Straße schlappen, bis hin nach der Großstadt und der Betonhotelhochburg Ierapetra ändert sich das etwas langweilige Bild nicht. Die lassen wir links liegen. Am Abend erfuhren wir dann auch, dass das keine falsche Entscheidung war. Unsere griechischen Freunde, die mit uns die letzten paar Tage in Xerokampos verbracht hatten,waren am selben Tage nach Ierapetra aufgebrochen, wo sie eine Unterkunft gebucht hatten. Sie waren aus vielen Gründen derart entsetzt, dass sie am selben Tag umbuchten und sich zurück nach Xerokampos begaben.  Doofes Hotel, doofer Strand, langweilige Stadt. Sagten sie. Wir können das nicht beurteilen, aber der erste Eindruck, den man von dem Ort hat, könnte dem entsprechen. Dazu muss man wissen, dass Ierapetra relativ neu auf der Bühne des Tourismus erschienen ist. Immerhin die viertgrößte Stadt auf Kreta, die Wirtschaft war bislang eher auf die Vermarktung des in den umliegenden Dörfern angebauten Gemüses ausgerichtet. Seit 2012 bemüht man sich um „nachhaltigen Tourismus“, was aber offenbar nur sehr zögerlich von statten geht.

Ierapetra (In der Ferne)

Ierapetra (In der Ferne)

 

In Ierapetra biegen wir also rechts ab, hinauf wieder in die Berge. Das ist ein interessantes Stück Landschaft. Die Hügel bestehen aus einem schneeweißem, immer wieder auch in Form kleiner Lawinen auf die Straße rutschendem Stoff, einer Mineralerde, die bis heute den Namen der Insel in sich trägt: Kreide, lateinisch „Terra cretae“ oder ebene einfach nur „creta“. Man gerät hier sprichwörtlich in die Kreide, und an manchen Ecken sollte man, wollte man in den gleißenden, sonnenbeschienenen Hügeln verweilen, besser eine Schneebrille tragen.

Kreide

Kreidelandschaft oberhalb von Ierapetra bei Kentri

Nach einer landschaftlich anmutigen Berg- und Talfahrt – die Hänge sind hier vielerorts grün, man merkt, dass man auf der wasserreicheren Nordseite Kretas angelangt ist, erblickt man die Bucht von Aghios Nikolaus, und von dort suchen wir uns den Eingang in den „heimlichen Grund“. Der ist in den Wirren der Umgehungsstraßen von Aghios Nikolaus nicht einfach zu finden, auch nicht mit Navi. An dieser Stelle ein Tip im Umgamg mit deutschsprachigen Navis: unbedingt den Ton abschalten. Wenn die Computerstimme versucht, griechische Ortsnamen oder Landstraßen nachzusprechen, erkennt man gar nichts. Die Bezeichnung „Eparchiaki odos“ (επαρχιακη οδος, Landstraße) ist schon ohnehin schwer, es folgen dann meistens die Name der Orte, die sie verbindet, beispielsweise  „Eparchiaki Odos Neapolis – Chersonisou (Landstraße zwischen Neapoli und Chersonisos“. Das Navi haspelt dann die langen Buchstabenfolge herunter..: “ dem Straßenverlauf auf Eparchia kiodos Nea Polistschertschonisio zwei Kilometer folgen, bei odos kappa punkt konstantinou abbiegen“.  Das versteht kein Mensch. Ohnehin führt auch die lateinische Umschreibung der Ortsnamen nicht nur bei Navidamen zu Verwirrungen. Viele Ortsnamen beginnen mit „Αγιος“, das bedeutet schlichtweg „Heiliger“, und gesprochen wird es Ajos“. Umschrieben wird es aber, je nach beliebig angewendeter Umschriftkonvention, mit „Aghiaos“, Ayos, Agios, Ajos“. St. Pauli wäre dann Αγιος Παυλος, gesprochen „Ajos Pavlos“, umschriftlich: alles ist möglich.  Da mag man das Gerät beschimpfen, wenn es in den Häuser- oder Gebirgsschluchten schon mal den totalen Bodenkontakt verliert, oder den / die BeifahrerIn, weil sie das Ding nicht richtig hält. Im Höhepunkt im Wortgefecht mit dem Kopiloten meldet die inzwischen totgeschimpft geglaubte, verstummte Computerstimme plötzlich wieder zu Wort: “ Wenn du etwas gesagt haben solltest, dann habe ich es nicht gehört“. Der folgende Lachkrampf auf diese Loriotade vereint die streitenden Menschen, wir finden den Weg zur Hochebene von Lassithi auch so, sie führt durch felsige Schluchten, und bevor wir das Ziel (Eingabeempfehlung: „Mesa Lassithi“), erreichen, wird uns klar, wir brauchen eine Erfrischung. Mittlerweile ist das Handy samt Navi ausgefallen, es meldet:  „Apps mussten wegen Überhitzung des Gerätes beendet werden“.  Das liegt daran, dass wir die Klimaanlage ausgeschaltet haben, denn immer, wenn man das Gaspedal des ächzend stotternden Leihwagens hier richtig durchdrückt, um die teils heftigen Steigungen zu nehmen, bläst die Lüftung lauwarme Benzindämpfe ins Wageninnere. Abgesehen möglicher Gesundheitsgefährdungen ist das  ist eine ziemliche Verschwendung, der  Tankanzeiger neigt sich langsam einer bedrohlichen Untergrenze, und wir sind bislang nur an stillgelegten Tankstellen vorbei gekommen. Wasser wäre nicht schlecht, endlich taucht nach einer Biegung wie eine Fata Morgana eine Oase auf.

Die vordem genannten Freunde sagten neulich, dass man griechische Faschisten daran erkenne, dass sie überall ihre Nationalflaggen hissen. „Sind wir etwa keine Griechen, wenn wir  das nicht tun?

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Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein

Griechische Fähnchen schmücken eine Kitschburg, die sich in der Straßenböschung auf rechter Seite unter einen Felsvorsprung schmiegt. Die Fähnchen scheinen hier jedenfalls keine griechische Ordensburg zu markieren, hier erfüllen sie den Zweck, Reisende darauf hinzuweisen, dass hier das Erwartungsbild bedient wird,  das sie aus der Heimat mitgebracht haben, und gefälligst unbeschadet wieder so zurückkehren soll.  Wir halten bei der unbeschreiblichen Hölle aus Souvenierbuden an, werden vom Betreiber  Manolis Moutsounas  auf die besonderen Vorzüge seines Angebotes hingewiesen: auf dem vom Opa geerbten, engen Landstreifen zwischen Straße und Felsen betreibt er eine Gemäldegalerie mit selbstgemalten Bildern (mit dem Handfeger gemalt, viel blaues Meer, weiße Häuser, Windmühlen), eine Glyptothek (mundgebissenes Olivenholz), einen Verkaufsstand für Wunderheilmitteln (Raki mit Honig (Rakomelo).  „No Doktor!“ verheißt das Pappschild darüber), es gibt einen kostenlosen Fernrohrstand, die alten Feldstecher sind starr auf die gegenüberliegenden Felsen gerichtet. Wir suchen Erfrischung, die besteht aus viel Wasser und dem üblichen Frappe metrio (kalter, aufgeschäumter Nesskaffe), Langsam geht es uns besser, der Benzingestank ist verflogen . Nach der üblichen Herkunftsabfrage seiner Gäste präsentiert er stolz mehrere Reiseführer – tatsächlich hat es der Imbissstand nicht nur in den Guide Michelin, sondern auch in den DuMont und etliche nicht gerade für Pauschaltourismus relevante Printmedien geschafft. Und natürlich haben viele begeisterte Touries samt Bildern ihre Spuren hinterlassen.

Das verdammte T-Stück

Google Maps sagt, dass sich Menschen hier in diese Straßenkurve durchschnittlich zwei Stunden aufhalten. Die Erklärung dafür liefert Manolis Moutsounas, indem er uns ein paar zackig gesägte Holzstücke auf den Tisch wirft. Wir sollen daraus ein „T“ zusammensetzen. Das dauert, verbissen schieben wir zwischen Wassergläsern, kaltem Kaffeschaumgläsern und einer sehr opulenten Früchteplatte die Teile hin und her. Es will nicht gelingen, Herr Moutsounas  sagt, es fehle vielleicht auch ein Teil, nimmt uns eines weg, holt ein gleiches von Nachbartisch herüber, wo sich ein paar Franzosen schon verzweifelt seit Stunden mit den Holzklötzchen bemühen. Nichts geht. Wir überlassen unseren Lesern den Versuch einer Lösung. Moutsounas löst uns das Rätsel mit den von vielen verschwitzten Touristenhänden abgegriffenen Holzbrettchen auch nach weiteren Bestellungen nicht auf – er meint, wir könnten es dich erst ein mal mit etwas Leichterem probieren, „nehmt doch erst mal das Alpha“.

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Verdammtes T-Stück. Nein, mehr teile gibt es nicht ! Vielleicht sind unsere Leser schlauer, und bekommen das zusammen.

Dankend lehnen wir ab, machen uns auf den Weg in Richtung Mesa Lassithi. Wir haben unser Ziel erreicht. Nach der letzten Anhöhe liegt das vorläufige Ziel der Reise unter uns. Das gelobte Land, ein gewaltiger grüner Paradiesgarten, inmitten der schroffen unwirtlichen Berge Ostkretas. Das Land , das sich unter unseren Augen in der Abendsonne ausbreitet, liegt auf frischen, kühlen 800 Höhenmetern. Umrandet wird es in der Ferne von graublauen, wolkenumspielten Bergen, die diesen heimlichen Grund in einem Radius von etwa einem Dutzend Kilometern zu einem der großen landschaftlichen Mysterien Kretas machen. Dieses gelobte Land, das uns hier, inmitten der kretischen Hochwüste, zu Füßen liegt,  ist unser vorläufiges Ziel.

Lassithi

Lassithi: Blick hinab in das Kanaan Kretas

(Fortsetzung folgt)

 

Zwischenbericht – weil das Netz hakt

Plakias bei Preseli, 23.08.2017

Es wird noch viele Berichte geben. Allerdings hakt das Internet gerade, und so muss die weitere Erzählungen aus Kreta warten. Die folgenden Kapitel:

Im Zickzack durch Kreta über Ierapetra, Aghios Nikolaus auf die Lassithi-Hochebene. Rund um das Paradies Kretas auf 800 Meter Höhe.
Geschichte der Windkraft seit dem Altertume bis heute
Tsermiado. Bei Manolis: Das merkwürdigste Lokal von Kreta und seine Besatzung.
Über Rethymno durch die Berge gen Süden.
Merkwürdiges Myrthios.
Preveli: Kloster, Strand, Katzen und Natur.
Die kriegerischen Mönche von Preveli.20170823_084810

Bis dahin müssen Katzenbilder reichen.

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Anreise nach Iraklion (Kreta): Urlaub auf dem Pizzastein

Xerokampos, 18. August 2017

Die Anreise gestaltet sich dieses mal einfach – es gibt einen Direktflug von Leipzig nach Iraklion (Heraklion (Kreta). Astra ist eine griechische Fluggesellschaft mit Sitz in Thessaloniki. Es ist ein kleines Flugzeug, spielt in der Kategorie der Billigflieger, die Sitzreihen sind eng, was aber nichts ausmacht. Ärgerlicher schon, dass die Fluggesellschaft zwei Tage vorher ankündigt, dass der Flug drei Stunden später abhebt. Also landen wir erst kurz vor 24:00h Ortszeit am kleinen Flughafen von Iraklion. Der Ton an Bord ist harsch, Essen gibt es wenigstens keines, was bei der Qualität von Verpflegung, die größere Fluggesellschaften anbieten, kein Verlust ist. Der Ton an Bord ist etwas rauh – Passagiere werden ständig kontrolliert, ob sie auch wirklich richtig angeschnallt sind. Egal. Auch die Hotelbuchung über Booking.com im Vorfeld war eine Katastrophe. Gebucht, bestätigung erhalten, dann kommt die Absage, das Hotel ist doch belegt. Die Vermittlungsgesellschaft bietet das nächste Hotel aan – die selbe Geschichte. Beim dritten  Hotel dann den Vertrag storniert, mit HRS.com klappte dann alles auf Anhieb.  Hotel „Castello“ oberhalb der Altstadt sehr passabel, das erste „Mythos“ am Abend, ein paar Biftekia und Patates in einem „Schnellimbiss“ bringt die Versöhnung.  Nächsten Tag die Mietwagenfirma aufgesucht, vorbestellten Wagen übernommen, alles reibungslos.  Mittags brechen wir in glühender Mittagshitze auf, Richtung Sitia im Osten Kretas, dann durch die Berge über die Orte sitanos hinunter nach Zakros (das hatten wir schon beschrieben, hier gibt es eine minoische „Palastanlage). Von dort aus erreichen wir den kleinen Ferienort Xerokampos.

Marslandschaft mit Windkraftanlagen am Horizont

Marslandschaft mit Windkraftanlagen am Horizont

Die Fahrt durch diesen Teil Kretas offenbart eine ausgesprochene Karstlandschaft. Das schroffe Gebirge ist aus kalkigen Felsen aufgetürmt, hier wächst fast nichts, möchte man meinen, und an etlichen Stellen fühlt man sich an die Bilder erinnert, die „Couriosity“ vom Mars funkt. Wenn die Farben nicht anders wären, weil hin und wieder grau-blaues Meer auftaucht. Aber die Felsen sind sehr marsianisch, rote Erde bröckelt zwischen grauen, im steifen Wind hier oben rundgeschliffenen Kalkbrocken hervor. Doch, es gibt Leben. Die merkwürdigen, runden, schwammartigen Gebilde, die die Felsen überziehen, entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Pflanzen, und wenn man auf sie tritt, ist man plötzlich umgeben von einer Duftwolke, die an Pizza, Leberwurst und würziger Bohnensuppe erinnert. Setzt man die Brille auf, so entdeckt man, dass die kratzigen Pflanzenbüschel mit kleinen lila Blüten übersät sind, in denen sich hunderte von Bienen tummeln. Es ist eine Art Bergbohnenkraut (kopfiger Thymian, Thymbra capitata), das die gesamte Landschaft überzieht – wie eine gewaltige Pizza.

Thymbra capitata

Thymbra capitata

Jetzt versteht man auch, warum in dieser merkwürdig toten Landschaft überall Bienenkästen aufgestellt sind.  Diese Teil Kretas ist ein einziger, glühender, duftender Pizzastein zu dieser Jahreszeit.  Die wenigen, armseligen Dörfer sind großenteils verlassen, lediglich Kapellen mit marmornen, weiß gleißenden Friedhöfen künden von menschlichem Leben. Und die großen Windparks natürlich, die auf den Bergkämmen ebenso Überreste menschlicher Zivilisation sind als auch die Solaranlagen mit ihren großen, sich von Geisterhhand in die Sonne verstellenden Sonnensegeln.

Solaranlagen

Solaranlagen

Mit ihren hohen Stacheldrahtzäunen sehen sie wie gespenstische Militäranlagen aus – aber kein Mensch ist schwingt hier den Schraubenschlüssel, alles geht vollautomatisch. Das Brummen der Transformatoren bildet mit dem Gekrächze der Zikaden und dem Brummen der Bienen einen merkwürdigen Dreiklang. Gelangt man nun abwärts Richtung Zakros, wird die Landschaft etwas milder, Olivenhaine tauchen auf, und entlang eines schroffen Canyons gelangt man ans Meer, wo man dann weiter östlich nach Xerokampos an der Küste gelangt. Xerokampos bedeutet „trockenes Feld“, die Herkunft des Namens bedarf sicher keiner Erläuterung. Die Strandlandschaft ist dagegen bilderbuchmäßig, das Wasser ist brühwarm, das Apartmenthotel (40 € für ein bescheidenes „Studio“) liegt direkt am Strand, sauber, gepflegt, die Wirtsleute herzlich. Der Ort ist kaum überlaufen, Geheimtip.

Strand von Xerokampos in der Abendsonne

Strand von Xerokampos in der Abendsonne