Beton: es kommt drauf an, was man draus macht. Märchenstunde in Knossos

Von Iraklio ist Knossos, etwa 15 Kilometer südlich in den langsam vom Meer aufsteigenden Hügeln gelegen, bequem zu erreichen. Die „Erfindung“ des Palastes von Knossos geht einerseits auf Griechische Mythologie (Labyrinth, Minotauros) zurück , andererseits auf die phantasievollen Interpretation seiner Ausgrabungen, die der Archäologen Sir Arthur Evans seit 1900 auf dem Hügel von Knossos vornahm. Er hatte bei seinen Grabungen umfangreiche Reste von Grundmauern frei gelegt, die Befunde enthhielten reichlich Amphoren mit Lebensmittelresten, Gerätschaften Schmuck, Skulpturen und Freskenfragmente, von letzteren lagen jedoch die wenigsten in Situ vor, waren also bereits in kleinen Putzstückchen von den Wänden gefallen, als sie gefunden wurden. Heute wissen wir, dass die Anlage, ob man sie nun als Palast oder große, wohlhabende Siedlung bezeichnen möchte, überwiegend zwei Bauphasen angehört. Eine ersten, so genannten „ersten Palastzeit“, zwischen 1900-1750 Ch, und einer zweiten Wiederaufbauphase („zweite Palastzeit“), nach einem verheerenden Erdbeben aus der Zeit um 1700 v. Ch.

Beton gewordene  Theorie: Rekonstruktionen auf dem Palasthügel von Knossos

Beton gewordene Theorie: Rekonstruktionen auf dem Palasthügel von Knossos

Evans war beseelt von der Idee einer bronzezeitlichen Hochkultur, die er vorgefunden haben will – was unbestritten richtig ist, doch er projezierte Paläste nach seinen neuzeitlichen Vorstellungen, die wohl eher  barocken Schlössern angelehnt waren, als dem tatsächlichen – aufgrund Feuer und Erdbeben mit damaligen Methoden schwer zu interpretierenden Befunden entsprachen. Hinzu kam, dass Evans viele tragende Teile der Architektur gar nicht mehr vorfand, da sie einst aus Holz bestanden hatten. Leider hat Evans sich nicht nur an zeichnerische Rekonstruktionen gewagt, sondern ab den 1920er Jahren beschlossen, seine bis zu fünfstöckigen Phantasiebauten auf den originalen Befunden zu errichten, teils unter Verwendung originaler Spolien, die er den Grabungsbefunden entnahm.

Knossos, so genanntes Treppenhaus

Knossos, so genanntes Treppenhaus. Die Spielwarenabteilung befindet sich in der 5. Etage.

Beton. Es kommt drauf an, was man draus macht.

Die vermuteten Holzteile, wie etwa Säulen und Gebälk,  ließ er, nach anfänglichen Versuchen mit skandinavischem Kiefernholz, in Beton nachbauen, den  man damals für ein unverwüstliches Baumaterial hielt.  Der Beton wurde anschließend plastisch und malerisch auf Holz getrimmt, die Säulen in Pompejanisch-Rottönen, Schwarz und weiß gefasst, was teils malerischen Überlieferungen der erhaltene Freskenfragmenten, teils sogar überlieferten, kleinen, minoischen Hausmodellen aus Ton entsprach. Zudem entsprachen Stil und Farbigkeit dem Geschmack der Zeit. Die  phantasievolle Rekonstruktion der Fresken, die heute im archäologischen Nationalmuseum zu sehen sind, teils als Kopie in den Palastrekonstruktionen in Knossos, scheinen geradezu vom späten Jugendstil und Art Deco inspiriert zu sein. Dabei sind immerhin die wenigen originalen Fragmente halbwegs nachvollziehbar in die freizügigen, Rekonstruktionen eingegliedert. Während letzteres Vorgehen  noch legitim erscheint, weil reversibel, sind die massiven Betonüberbauungen ein Problem für die antiken Restbefunde, unter dessen Gewicht  sie förmlich zerdrückt werden. Die Fachwelt ist sich heute weitgehend einig, dass vieles des originalen Materials unwiederbringlich verloren gegangen ist. Aber auch die Evansschen Betonmassen haben sich nicht als so unverwüstlich erwiesen, wie man einst dachte. Sie sind heute selbst Gegenstand von Restaurierungsartbeiten geworden.

Wie die „Palast“anlage nun tatsächlich ausgesehen haben könnte, ist bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Wir wollen das an dieser Stelle nicht weiter ausführen, dies hier ist ein Reisebericht, der allenfalls neugierig machen soll, Fachliteratur gibt es genug. Vorstellungen einer Rekonstruktion ergeben sich aber beim Besuchen in den kretischen archäologischen Museen, wo man bronzezeitliche Hausmodelle aus Ton sehen kann (also Modelle, die die Minoer wohl in weiser Vorahnung der Nachwelt selbst hinterließen) , die offenbar mehr oder weniger idealisiere, kleine „Privatvillen“ zeigen.

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Minoisches tönernes Hausmodell aus dem archäologischen Museum Iraklio

Reiht man derer einige locker in Gestalt eines wohlgeordneten Dörfchens um einen zentralen Platz herum, und lässt dabei schmale Wege frei, die oft, um dem Gelände zu folgen, mit Treppchen versehen sind, so erhält man ein griechisches Dorf, meinetwegen eine kleine Stadt, oder eben, wenn man mag, auch einen ganzen Palast. Evans hat mit seinen Palastphantasien jedenfalls maßgeblich unser Geschichtsbild optisch geprägt. Es gibt kaum ein Schulbuch, das nicht die großen Loggien abbildet, mit ihren sich nach oben erweiternden roten Säulen mächtigen Wulstkapitellen und Gebälken. Malerisch öffnen sie sich in die weit offene Hügellandschaft mit ihren Olivenbäumen. Der Ausblick auf das Meer in der Ferne dürfte wohl den damaligen Verhältnissen nahe kommen, während aber beispielsweise die merkwürdigen Treppenhäuser eher an Werke von M.C. Escher erinnern. Egal. Ein Spaziergang über die Anlage lohnt sich, und mittlerweile darf man, nach Lösung des Eintritts, auch ohne Führer über die halbwegs gut gepflegte Anlage laufen. Die durchwegs zweisprachigen Erläuterungstafeln sind knapp gehalten, und neuerdings, modernen wissenschaftlichen Einsichten folgend, fast durchweg im Konjunktiv verfasst, und bezeichnen die in Beton gestampften Theorien des Artur Evans als das, was sie sind: unhaltbare Phantasie.

Wer jedoch eine „fachkundige“ Führung haben will, muss tief in die Tasche greifen, und erhält in der Regel von älteren griechischen Damen, eine noch von griechisch-nationalen Begeisterung geprägte eigene Interpretation. So zum Beispiel die Führerin, die uns in der mit blühenden Bougainvillien bedeckten Laube vor dem Kasseneingang aufschnappte. Sie nannte sich Stella (Name geändert), sprach uns nur mit „meine lieben Schätzchen“ an, und hatte in Wien Archäologie studiert (wahrscheinlich noch in der jüngeren Palastzeit). Zu drei Personen sollten wir für die Führung 60 Euro berappen, oder wenn sich sechs Personen fänden, zahle jeder aus der Gruppe nur 10 Euro. Wir wollten aber nicht, aber irgendwann einigten wir uns auf dreißig. Ein Erlebnis der Sonderklasse, wenn man für Esoterik offen ist. Der Palast berge ganz große Geheimnisse, wurde uns offenbart, und dass unter den Minoern perfekte Demokratie herrschte, außederm die totale geschlechtliche Gleichberechtigung. Im selben Atemzug erfuhren wir von dem mächtigen König Minos berichtet, der eine Stadt mit einer Million Einwohnern, die sich um den Palast erstreckt habe,  beherrschte (auf ganz Kreta leben heute 700.000 Menschen). Wir erfahren von einem umgedrehten Epsilon (dem heutigen griechischen „E“, (€ ), das in irgend einen Stein geritzt sei, und damals schon für Griechenland („Ellas“) gestanden habe. „Ein Epsilon in Linar A ?“, war meine erste und letzte kritische Frage, wir „Schätzchen“ erfuhren daraufhin, dass natürlich auch der berühmte Diskos von Phaistos viele wichtige und geheime Botschaften enthalte (der wahrscheinlich eine Fälschung ist, aber das bleibt unter uns hier).  Man kann (und sollte sich) dann höflich von einer solchen Dame trennen, aus Rücksicht auf ihr hohes Alter. Denn der Weg über das Gelände ist lang, und wenn die Sonne knallt, möchte man der Führerin, die ihr wohlverdientes Geld ohne weitere Belege bereits eingesteckt hat, auch ihren Ruhestand gönnen. Auch wenn der „wissenschaftliche Erkenntnisgewinn“ dürftig ist, beeindruckt der Betonpalast schon als Gesamtkunstwerk, etwa der Baderaum mit dem Tauchbecken (den Evans für den Thronsaal hielt) an der „Plateia“, die Zisternenanlagen, die zeigen, wie effektiv auch die  Minoer auf dem wasserarmen Hügel noch den letzten Tropfen Regenwasser sorgsam aufsammelten. Hinfahren lohnt sich, weiterfahren auch. Beispielsweise in Richtung der Ortschaft Archanes.

Der Aquaedukt von Spili

Auf halben Wege dorthin trifft man, etwa auf der Höhe der Ortschaft Spili, auf ein wirklich reales Bauwerk, im Original erhalten. Ein Aquaedukt, der beachtlich jungen Datums ist: 1840 n.Ch. errichteten Osmanen, römisch-byzantinischer, aber auch osmanischer Tradition folgend, eine gewaltigen Leitungsbrücke aus Kalksteinmauerwerk mit imposanten, weit gespannten Bögen. Die Wasserleitung führt von den Quellen bei Archanes und versorgte die Stadt Iraklion / Candia mit Wasser. Um Bauhöhe zu sparen, hat man den Aquädukt bereits als Druckleitung errichtet. Von der Anhöhe fällt das Wasser etwa 30 Meter in einer Leitung ins Tal, wo es einen Druck aufbaute, der mit den damaligen Bleirohren gerade noch zu halten war, um dann über das Brückenbauwerk geleitet zu werden, von wo es dann wieder die andere Talseite aufstieg. „Düker“ nennt man solche Bauwerke heute, die, dank druckresistenterer Materialien, ganz ohne Brückenbauten auskommen.

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Der osmanische Aquaedukt von Spili

In den Bögen über dem schwindelerregend tiefen Tal im Kiefernwald ließ sich gerade ein Hochzeitspaar von einem Profifotorafen in der Abendsonne fotografieren. Was macht man eigentlich mit solchen Bildern?

Ankunft in Archanes

Als Anlaufpunkt für Übernachtungen, oder  um Abende ausklingen zu lassen, empfiehlt sich die Ortschaft Archanes. Der ältere Stadtkern (Ano Archanes, oberes Archanes) ist eine mit ihren qualitätvollen Bauten des 19. und 18. Jahrhunderts gut erhaltenen kleine Stadt, die durch die Vielzahl von Läden, Tavernen, Schulen und Kultureinrichtungen ein sehr lebendiges, und gleichzeitig traditionelles, unverfälschtes Bild kretischen Lebens abgibt.

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Archanes by night

In der Nachsaison sind hier Appartements und Unterkünfte zu günstigen Preisen zu finden. Eine Vorabsuche im Internet ist nicht nötig. Wir fanden zufällig ein „Appartment“ in der „Villa Oresti“, einem Altstadthaus am oberen Ende der Altstadt, das uns bekannt vorkam: wir waren vor Jahren schon mal hier, stellten wir fest, als wir den blumenbestandenen Innenhof, der von einer Weinpergola überdeckt, betraten. Der Besitz ist mittlerweile an die nächste Generation übergegangen, das dreistöckige Appartment ist nun etwas modernisert, hat freies WLan und seinen geringen Preis von vor sieben Jahren behalten.

 

 

 

 

 

 

Spinalonga, die Insel der Aussätzigen

Nach Ende des 30-Jährigen Krieges in Mitteleuropa waren noch viele Söldner übrig – die Fürstenhäuser verkauften sie an die Venetianer, und so gerieten sie von einem Vernichtungskrieg in den Nächsten. Venedigt befand sich mit den Osmanen einem Dauerkonflikt um die Vorherrschaft im mediterranen Raum, und Kreta war hier der Dreh- und Angelpunkt.  Im Krieg hatten neue Methoden der Kriegsführung Einzug gehaten, die in ihrer Art sowohl grausam als auch mühevoll waren. Heftige Stellungskriege tobten um die Festung Iraklio, wo man sich gegenseitig mit „Minen“ und Gegenminen umbrachte. Diese Minen waren Tunnels, die man unter die feindlichen Stellungen grub,  um dort gewaltige Pulverladungen zu zünden. Iraklio fiel 1669 nach sagenhaften 21 Jahren brutalen Stellungskrieges, der auf venetianischer Seite an die 30.000 Menschen das Leben kostete, auf osmanischer Seite sogar über 100.000. Damit war ganz Kreta osmanisch geworden. Ganz Kreta? Nein, würde man in Anspielung auf Asterix sagen.

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Die kleine Insel im Vordergrund ist Spina Longa, rechts davon, am Land, liegt der Ort Plaka

Denn auf einem kleinen Inselchen, keine 8 Hektar groß hielt sich eine Venetianische Festung. Sie wurde Spina Longa  genannt („langer Dorn“), eine Verballhornung der griechischen Bezeichnung („is Elounda“ = nach Elounda). Elounda war eine kleine Hafenstadt, die, seit sich die Küste im Osten Kretas immer mehr senkte hatte, in der Spätantike ihre einstige Bedeutung verloren hatte. Die Felseninsel, auf der die Venetianer ihr letztes Bollwerk ausbauten, lag nur einen knappen Kilometer vor der Küste, dem heutigen Ferienort Plaka. 1715 gelang es den Osmanen jedoch mit viel Pulverdampf die Venetianer auch von dort zu vertreiben.

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Venetianische Festungsbauten von Spina Longa

Die Waffenstillstandsverhandlungen hatten vorgesehen, dass die verblieben Soldaten sowie die Zivilbevölkerung friedlich abziehen durften. Was letztere betraf, hielten sich die Osmanen nicht an die Vereinbarung. Die Zivilsten wurden als Sklaven verkauft. In der Folge siedelten türkische Familien, insgesamt etwa 250 Einwohner, in den venetianischen Festungsbauten an, zwischen denen sie Wohnhäuser, Läden und sogar eine Moschee errichteten. 1898 wurde Kreta selbstständig, unter Schutz sowohl der Hohen Pforte in Konstantinopel als auch des europäischen Protektorates, bevor es 1913 endgültig Griechenland zugeschlagen wurde. In der Folge verließen die meisten Muslime Spinalonga, und die Häuser verfielen langsam.  Neben Kriegen kämpfte Europa noch gegen weiteres Unheil, das man heute schon weit aus den Augen verloren hat: tödliche Seuchen, vor allem auch die Lepra, allgemein als „Aussatz“ bezeichnet. Die hochinfiziöse Krankheit (der Erreger ist ein Mykobakterium)  ließ sich nur eindämmen, indem man die Betroffenen sprichwörtlich „wie Aussätzige behandelte“: sie wurden in Kolonien oder Lagern unter teils unwürdigen Bedingungen isoliert. Dies war praktisch überall in Europa, bis zur Entdeckung der Antibiotika, gängige Praxis. 1903 trat das Gesetz zur Bekämpfung der Leprakrankheit in Kraft, es legte Spinalonga als Verbannungsort kretischer Erkrankter fest, nach 1913 kamen auch Betroffene vom griechischen Festland hinzu.

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Die Reste der türkischen Wohnhäuser auf Spinalonga heute.

Die Versorgung der Erkrankten erfolgte nur notdürftig.  Abgesehen von wenigen Ärzten, Wachpersonal und Bediensteten durfte niemand die Insel betreten oder verlassen. Im Umkreis von 200 Metern war, um Ansteckungen vorzubeugen, nicht einmal der Fischfang untersagt. Etwa 1000 Menschen wurden im Laufe der Zeit nach Spinalonga verbannt. Die Kranken richteten sich in den zurück gelassenen Häusern der osmanischen Bevölkerung ein, es entwickelte sich hier eine abgeschiedene, eigentümliche Gesellschaft nach eigenen Regeln. Erst in den 1930er Jahren änderten sich die unwürdigen Zustände langsam. Der griechische Staat errichtete auf der Insel einfache Krankenstationen, die medizinische Versorgung verbesserte sich etwas. Die Verbannten gründeten einen Interessensverein, die „Bruderschaft der Leprakranken von Spinalonga“. Auch ihre Aktivität führte langsam zu weiteren Verbesserungen, und, als sich die Antibiotika-Therapien durchsetzten, wurde die Leprastation Anfangs der 1950er Jahre geschlossen. Die Gebäude verfielen bis in die 1970er Jahre.  1972 kamen Pläne auf, die Insel in einen eine Marinestützpunkt umzuwandeln. Das konnte verhindert werden, das Gelände wurde statt dessen als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. 1976 erhielten die Gebäudeensemble den Status einer „Archäologischen Stätte“. Seit einigen Jahren ist der Ort eine beliebte Touristenattraktion. Die teils stark verfallenen Gebäude werden behutsam stabilisiert, eine einzelne Zeile hat man sogar rekonstruiert. In vielerlei Hinsicht erinnert die Anlage nun an ein modernes Pompeji, nur dass die erhaltenen Relikte, von den imposanten Resten der venetianischen Bastion, den türkischen Wohnhäusern bis hin zu den Krankenhausbauten der 1930er Jahre, weitaus jüngeren Datums sind.

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Das „moderne“ Krankenhaus aus den 1930er Jahren

Besonders in den Sommermonaten legen halbstündlich Boote von Plaka und Elounda zur Insel ab, und es ergießen sich Touristenströme aller Nationen in die felsige Ruinenlandschaft. Populär geworden ist Spinalonga durch den Roman „The Island“ von Victoria Hislop, der in mehrere Sprachen übersetzt und für das britische Fernsehn verfilmt wurde (Deutsch: Insel der Vergessenen, 2006).

Um die Insel zu besuchen, empfielt es sich, den kleinen Küstenort Plaka anzusteuern. Hier findet man übrigens, trotz des zunehmend touristischen Charakters des Ortes, immer noch gute und preiswerte Unterkünfte, der Strand läd zum Baden ein, und als gastronomische Empfehlung wäre die „Marias Taverne“ von 1930 zu empfehlen, wo es gute, traditionelle kretische Küche geboten wird (ohne lästige „Yesplease“-Anmache).

Es empfielt sich durchaus auch ein Abstecher von Plaka aus in die westlich gelegenen Berglandschaft. Die Felsen sind karg, es gibt nur wenig Vegetation, die Natur hat sich an die hier vorherrschende Trockenheit angepasst. An den steil aufragenden Bergkämmen tobt meistens ein recht heftiger Wind, was im Sommer durchaus erfrischend ist. Den Wind machen sich heute moderne Windkraftanlagen zu nutze, bei denen man sich fragt, wie die riesigen Masten und Turbinen wohl auf den Berg hinauf transportiert worden sind, denn die Straßen sind eng und kurvenreich. Bei dem Ort Vrouchas kann man noch gut erhaltene Windkraftanlagen des 19. Jahrhunderts bewundern. Die in Wind richting runden, nachhinten sich verbreiternden Türmchen stehen in einem Spalier nebeneinander, sie tragen hölzerne Flügelräder, die bei Bedarf mit Segeltuch bespannt werden konnten. Neben Getreide (das die Bewohner hier nicht anbauen konnten, sondern importierten), produzierten die Mühlen hier das einzigen Agrarerzeugniss her, das man dem Land abringen konnte: Olivenöl.

Überfahrt nach Kreta

21. September 2018

Die nächtliche Überfahrt von Piräus nach Iraklion auf Krteta dauerte 9 Stunden und verlief ohne Zwischenfälle. Das ist durchaus bemerkenswert, weil vor drei Wochen an Bord des Schwesterschiffes der ANEK-Linie ein Großbrand ausgebrochen war.  Glücklicherweise befand das Schiff sich noch nicht auf hoher See, so dass es schnell zurückfahren konnte, und die Passagiere im Hafen von Piräus in Sicherheit gebracht werden konnten. Ursache des Brandes war eine defekte Kühleinrichtung in einem LKW im Parkdeck.

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Ausfahrt aus dem Hafen von Piräus

Archäologisches Museum Heraklion

Über (Iraklio / Heraklion) hatte ich schon letztes Jahr geschrieben, nun bleibt nur noch das archäologische Museum. Es ist seit 2014 wiedereröffnet, nach siebenjähriger Schließzeit. Umgebaut worden ist offenbar wenig, das Gebäude selbst stammt im wesentlichen aus seiner Eröffnungszeit in den 1930er Jahren. Es ist bis heute einer der wichtigsten Vertreter der „griechischen Moderne“, entworfen von Patroklos Karantinos. Das Museum enthält die  nach dem Nationalmuseum von Athen  bedeutendste archäologische Sammlung. Unter anderem viele „Ikonen“ der griechischen Archäologie, so die Funde aus den minoischen und mykenischen Palastgrabungen, aber auch Funde aus der klassischen und der Spätantike. Das Museum folgt einem bewährten, klassischen wie auch mittlerweile langweiligem Konzept, was aber nicht stört, denn zumindest für Interessierte sprechen die Objekte für sich.

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Minoisches Tonmodell eines Wohnhauses. Solche Funde sind deshalb wichtig, da sie weitaus mehr als die phantasievollen, aber vollkommen spinnerten Palast-Rekonstruktionen von Evans vermitteln können, wie die minoische Architektur  tatsächlich aussah.

 

Mykenischer Suvlaki-Grill

Mykenischer Souvlaki-Grill

In seiner Bedeutung sollte man auch nicht den Museumskater  unterschätzen, der den Wachmeistern vor einem Jahr zugelaufen ist, und jeden Besucher ausgiebigst begrüßt.

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Der Museumskater von Iraklio

Und ob ich schon wanderte im trockenen Tal: Pouri, ein typischer Chimaros

„Chimaros“ nennt sich in Griechenland ein wesentlicher Landschaftsbestandteil, den man in Mitteleuropa vergeblich suchen würde. Es sind Flussbetten, oft gewaltigen Ausmaßes, die im Sommer trocken daliegen. Sie prägen die Landschaft, und zeigen mit ihren rundgeschliffenen Kieseln und gewaltigen, kahlpolierten Felsbrocken, dass hier  alle Jahre wieder Großes passiert: „Chimaros“bedeutet, frei übersetzt, „Winterfluss“. In der regenreichen Zeit, besonders nach der Schneeschmelze, wälzen sich hier gewaltige Wassermassen durch das Tal, verschlingen oft sogar Brücken, Straßen und ganze Ortschaften.

Der Chimaros "Pouri" kurz vor seinem wohlverdientem Ruhestand an der Meeresmündung

Der Chimaros „Pouri“ kurz vor seinem wohlverdientem Ruhestand an der Meeresmündung

Ihre natürlichen Begleiter sind Platanen, und zwar von der Art „Platanus orientalis“. Die mächtigen, wasserliebenden Bäume vermögen es, auch im Sommer, wenn der Chimaros scheinbar ausgetrocknet ist, aus dem Grundwasser, das tief unten im Schotterbett weiter vor sich her rieselt, Wasser zu trinken. Was findet man sonst im Bett des Chimaros? Ziegenherden und Reifenspuren von Geländewagen, die dieses Flussbett, wie einst im Altertum, als natürliche Straße nutzen. Gelegentlich trifft man auf Viehherden, auch auf Viehställe, und oft sieht man hier – fernab aller Straßen – Landwirtschaft, insbesondere Obstplantagen. Und leider, immer wieder, Müllhaufen. Was daran liegt, dass die einheimische Bevölkerung sich merkwürdigerweise fasst nie an diesen merkwürdigen, eigentlich im Sommer erfrischend kühlen Orten blicken lässt, es sei denn, man hat Vieh zur Tränke zu führen, oder sich um die Obstplantage zu kümmern (oder mal eben eine Kleinbus voller Bauschutt heimlich zu entsorgen). Zwischen den Badeorten Velika und Agiolampos mündet der Chimaros „Pouri“ ins Meer, seine Mündung wird überspannt von der vollkommen überdimensionierten Schrägseilbrücke „Calatrava“, (über die ich mal auf irgendwelchen dieser seiten etwas verzapft habe, aber gerade selbst nicht wiederfinde). Ihren Namen hat sie – als Spottbezeichnung – vom gleichnamigen spanischen Architekten, der ähnliche Bauwerke, allerdings sinnvollere, errichtet hatte. Unsere Brücke hier ist das Ergebnis üppiger EU-Fördermittel und dem Ehrgeiz des des einstigen Ortsbürgermeisters in den 2000er Jahren. Hier beginnen wir unsere Tour durch das Tal des Pouri, der übrigens das Mavrovouni-Gebirge vom Ossa-Massiv trennt. Hier, in seinen letzten zwei Kilometer, scheint der Fluss einen ziemlich breiten Auslauf zu haben, in den selbst aufgeschütteten Geröllmassen scheint er sich geradezu zu räkeln und wohl zu fühlen, nach seiner anstrengenden Bergtour. Reifenspuren führen mitten hindurch, und Hinweisschilder verweisen immer darauf, hier bitte keinen Müll, besonders keinen Bauschutt, abzuladen, versehen mit der Strafandrohung einer „hohen Geldsumme“.

Schuld abladen verboten: Warnschilder sollen vor empfindlichen Strafen schützen

Schutt abladen verboten: Warnschilder sollen vor empfindlichen Strafen schützen.

Da, wo sich das Tal langsam verengt, hat ein Betonwerk seine Niederlassung. Immer wieder scheint man zuviel Beton, als benötigt, angerührt zu haben, und bevor die bestellte, angerührte, aber nicht abgeholte Masse im Mischwerk zu erstarren drohte, hat man einen rettenden Einfall gehabt: ab damit, in den Fluss. Lavaströmen gleich, erreichte immer wieder der Ausstoß der steinigen Massen den Fluss, der es, im Winter, genau so zum Fraße mitnahm, wie Asphaltreste, umgestürzte Platanen und das Erdreich der Plantagenbesitzer, die respektlos zu nahe am Flussbett abgebaut hatten.  Oberhalb des Wasserwerkes, das die Firma TEDRA hier in das Geröll gesetzt hat, wird das Tal enger, schattiger, denn die Kronen der Bäume schließen nun ihre Kronen über dem Flussbett. Von allen Seiten führen nun kleine Schotterbetten, von den Bergen kommend, in die Hauptader des Pouri, der nun sichtlich schmaler wird.

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Der Pouri scheint sich immer tiefer in das Tal einzugraben. Nach der letzten Betonentsorgung einen knappen halben Meter. So versteht man Geologie.

Wildschweinchen grunzen im Dickicht, bevor man eine Hüttensiedlung aus Brettern gewahr nimmt – Schweinchenhausen. Bislang war uns keine Menschenseele begegnet, bis uns nach einer Biegung ein Mann mit einem Ziegenbock am Strick entgegen kommt.

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Schweinchen. Süüüss!

Er macht die in Griechenland typische Handbewegung: alle Finger der geöffneten Hand recken sich gen Himmel, und vollführen eine Kreisbewegung um die Achse des Arms:  „was?“ bedeutet es.  Einsilbig die Antwort: „Volta“, Ausflug. Der endet dann bald nach Schweinchenhausen: nun sind weder Weg, Schotterpiste und grüne Hölle klar zu unterscheiden. Nicht einmal die Quellen des Nil sind rätselhafter als der Ursprung des Pouri im Grenzland zwischen Mavrovouni und Ossa.

 

Damit verlassen wir Thessalien. Viel wäre noch zu berichten, so etwa über den obligaten Besuch in Schwiegervaters Heimatort Potamia, dem unscheinbaren Ort im Zentrum  einer der traumhaftesten und begnadetsten Landschaften Griechenlands.

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Morgen wenden wir uns Richtung Athen, es liegen knapp 400 Kilometer Autobahn vor uns, „Pferdewechsel“, dann nehmen wir das Schiff von Piräus  mit Kurs auf Iraklio (Heraklion), Kreta.

Giftige Mesedes? Gebratene Farnschösslinge

Veneto – der Besuch am Fuße des unzugänglichen Pilion war einen zweiten Besuch wert – um die Kochkünste des Tavernenwirtes weiter auf die Probe zu stellen, und sich noch einmal der guten Qualität des Tsipuro zu vergewissern.

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Neben Souvlakia vom Lamm und einer Vielzahl von Mesedes stellt er einen Teller mit bräunlich frittierten Stücken hin, die ausgesprochen wohlschmeckend sind, wir wissen nicht, was es ist, die Richtung, der Biss ist fest, sensorisch geht es in Richtung Pilze. Das seine „Fteres“ (Φτέρες), also Farn. Ungläubig schauen wir drein, denken, er mache Spaß. Doch, es sind junge Schösslinge von Farn, genau gesagt, vom Adlerfarn (Pteridium aquilinum). Es ist die Art von Farn, der auf dem Pilion ebenso vorkommt wie auch in Deutschland, und hier wie dort in den Wäldern ziemlich häufig ist – weil er von kaum einem Tier verbissen wird. Die Tiere wissen auch, warum. Adlerfarn gehört zu den giftigsten Farnarten überhaupt, stellen wir später bei einer Recherche fest – nachdem wir mit Genuss den ganzen Teller aufgegessen haben.

„Fteres“ (Adlerfarnschösslinge). Paniert und gebraten, serviert mit Knoblauch. Sehr lecker !

Der Wirt berichtet uns, dass dies eine Spezialität des Pilion sei, und man den schon seit Generationen esse. In der Tat: eingelegte Farnschösslinge werden auch in vielen Orten am Pilion als regionale Spezialität verkauft: (Bitte sehr, 460 Gramm für 5 €) Seltsames Gebirge, dieser Pilion – hier wird offenbar seit Jahrhunderten das Grünzeug aus den Wäldern gegessen, was die Tiere verschmähen (vgl. auch „Tsitsiravla“). Möglicherweise ist es die Zubereitungsart, mit der der Mensch die jungen die Triebe unschädlich und bekömmlich macht. Es werden nur im Frühjahr die ganz jungen Farntriebe gepflückt, wenn sie gerade aus dem Boden kommen und noch eingerollt sind. Dann werden sie in Salzlake eingelegt, wo sie dann eine Milchsäuregärung durchmachen, ähnlich wie Sauerkraut. Zur Zubereitung hat unser Wirt die Triebe dann in Ei und Mehl paniert und gebraten. Das Ergebnis köstlich, aber es bleibt ein mulmiges Gefühl. Man kann nachlesen, dass die Pilioten nicht die Einzigen auf der Welt sind, die Adlerfarn zubereiten.  „In einigen Gebieten der USA, in Japan und Neuseeland wird trotz alledem der Adlerfarn von Menschen jung als Wildsalat gegessen. Ein verstärktes Auftreten von Tumoren der Speiseröhre und Magenkarzinomen in diesen Gegenden wird damit in Verbindung gebracht“, sagt die schlaue Wikipedia. In den jungen Trieben sei eine hohe Konzentration von Blausäureglykosiden enthalten, heißt es, außerdem Thiaminase, die das lebenswichtige Vitamin B1 zerstöre.

Adlerfarn (ausgewachsen)

Adlerfarn (ausgewachsen)

Was es nicht alles gibt. Es gilt wahrscheinlich auch hier der Lehrsatz des alten Paracelsus, wonach nur die Dosis allen das Gift mache. Der Wirt selbst ist um die 80  – und scheint sich bester Gesundheit zu erfreuen. Und wir leben auch noch.

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Adlerfarn: junger Schössling. In dieser Form kann er weiterverarbeitet und dann gegessen werden.

 

Der Grüne Punkt

"Grüner Punkt: Grünschnitt, Bauschutt, Matratzen, Metall, Elektrogeräte"

„Grüner Punkt: Grünschnitt, Bauschutt, Matratzen, Metall, Elektrogeräte“. Hinweisschild der Gemeinde Agia

Kurz vor dem Ortseingang von Agiokampos findet man ein großes Schild, das in einen kleinen Waldweg weist. „Prasino simio“ (Πράσινο Σημείο) steht dort, was soviel bedeutet wie „grüner Punkt“. Als hätte diese Gegend nicht ohnehin viele grüne Punkte – aber einen grünen Punkt, auf den extra Schilder aufmerksam machen, wollen wir uns doch ansehen. zwischen Platanen schlängelt sich der staubige Weg durch die herbstliche Natur, auf der rechten Seite ein Bachlauf zwischen mit rundgeschliffenen Felsbrocken – in der Tat sehr malerisch.Wieder kommt man an einer Tafel mit dem Grünen-Punkt-Logo vorbei, das irgendjemand an den Stamm einer ehrwürdigen alten Platane genagelt hat. Nun fällt auch das Logo des grünen Punktes auf: es erinnert mit seinen drei Pfeilen, die einen Kreis formen, etwas an das deutsche Logo des „Dualen Systems“.  Ein weiteres Schild führt allerlei Dinglichkeiten auf: „Alte Matratzen, Bauschutt, Grünschnitt, Elektrogeräte“. Und diese Dinge tauchen tatsächlich nach der nächsten Biegung des Weges auf: und zwar in gewaltigen, von einer Planierraupe notdürftig zusammengeschobenen Haufen, mitten im Wald, teils am und im Flussbett. Das halbe Tal ist übersät von Müll. Es gibt ein Nest, an dem vorwiegend zebrochene Flaschen im Gras liegen, aber wirklich getrennt wird hier offenbar gar nichts. Der Müll bleibt einfach liegen, und so manches wird beim nächsten Hochwasser vom anschwellenden Fluss ins Meer gerissen.  Warum eine solche Müllkippe mitten im Grünen? weil normale Menschen nicht im Wald spazieren gehen, hier stört es offenbar niemanden. Hätte die Gemeinde Agia den Müll statt dessen an den Strand gekippt, wären sicher schnell Proteste laut geworden, und der Bürgermeister hätte seinen Hut nehmen können.
Derartige „Grüne Punkte“ sind in Griechenland verbreitet, aber es handelt sich in aller Regel nicht um solche wilden Müllkippen – vielmehr sind es Abfallsammelstellen, an denen der Müll separiert abgegeben werden muss – nicht anders als in einer deutschen Stadtwirtschaft.

 

 

 

Über den Berg: eine Reise durch das Ossa-Gebirge.

Agia-Megalovriso-Anatoli- Ossagebirge -Karitsa

Der Berg ruft. Einer der höchsten Gebirge der Region – Nach dem Olymp – ist das Ossa-Massiv, dessen kahler, pyramidenförmige Gipfel von weit her zu sehen ist. Er ragt steil über den dicht bewaldeten Tochterberge seines Massivs heraus. Wir wagen, wie schon oft, eine Fahrt „aufs Blaue“ hinaus, in der Hoffnung einerseits, irgendwann einmal den Weg auf den Gipfel hinauf zu finden, ohne sich in den dichten Waldwegen zu verzetteln (was auch jetzt wieder nicht gelang).

Der Weg ist das Ziel, und es gibt neben dem Weg als solchem nicht unattraktive Nebenziele: vor allem, jetzt im beginnenden Herbst, Essbares oder sonstwie Verwertbares der Natur aus den Händen zu reißen. Dazu stehen die Chancen prinzipiell schon mal nicht schlecht, als wir, von Agia über Megalovriso uns Richtung Anatoli begeben.

kastanienOberhalb von Megalovrisso finden wir die ersten Kastanienbäume, einige haben schon einen Teil ihrer braunen Maronenfracht auf die Straße entladen, man braucht nur aufzusammeln, bald ist der Sack voll… Eine große Kastanie konnte zu Notzeiten eine ganze Familie ernähren, und wenn man die Unmengen der schmackhaften, Stärke- und Fetthaltigen Früchte an den Bäumen hängen sieht, glaubt man das sofort. Kurz nach dem Ort Anatoli gibt es einen kleinen Wegweiser, der zur Spitze des Ossa hinauf weist.

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Wacholderbüsche im Ossa-Massiv. Im Hintergrund der Gipfel

Ab hier schraubt sich eine felsige Buckelpiste den Berg hinauf. Auf halber Höhe wachsen zwischen Felsen und Kühen stattliche Wacholderbüsche. Die blauen Beeren sammeln wir auf, was eine stachlige Angelegenheit ist, aber um Sauerkraut genießbar zu machen, ist jede Mühe wert.

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Wachholder (Juniperus communis)

Der weitere Weg ist schwer zu beschreiben, es ist etwas Zufall, man sollte sich aber streng in nördliche Richtung halten, viele verschieden Holzwege führen am Gipfel des Ossa vorbei, mal gerät man ins Dickicht, dann wieder auf offenen Geröllfelder um Fuße des Gipfels, dann wieder in den Wald hinein. Die Wege lassen sich kaum beschreiben, da Google kein Kartenmaterial ins Gebirge sendet, auch wenn GPS selbst noch funktioniert (Man weiß also erst, wenn die Bilder „entwickelt“ sind, also deren GPS-Daten sich mit Google-Maps verknüpft sind, wo man wirklich war). Beim Unhetrirren stösst man auch so auf manche Überraschungen. Beispielsweise eine kleine Kapelle („Ekklissaki“), errichtet vom Jagdverei. An der Vorderfront kann man Ikonen der Jungfrau Maria anbeten, und die Rückseite ist sehr praktisch als Jägeransitz (mit Klappstuhl) ausgearbeitet worden. Selten sieht man Gottesfurcht und Mordlust so sinnfällig vereint.

Der Sommer war hier oben in den Bergen nicht so trocken, wie in Deutschland, aber eine üppige Pilzernte, so wie oft im September in dieser Gegend, ist dieses Jahr nicht zu erwarten. Bis auf einen einzelnen Parasol finden wir nichts. Dafür sind die Wege hinwiederum üppig mit wilden Mirabellen gepflastert. Der Weg durch den Wald ist lang, und irgendwann, nach längerem Abstieg (und knackenden Ohren) erreicht man wieder die Küstenstraße zwischen Stomio und Kokkino Nero.

 

Veneto: Sternengastronomie in der Sackgasse des Pilion

Von Keramidi weisen Schilder nach Kanalia, und etwa an der Stelle, an der wir auf der letzten Fahrt die Schweinchen entdeckt haben, zeigt ein verrosteter Wegweiser links ab nach „Veneto“ (Βενετο). Veneto – das klingt verheißungsvoll: liegt hier eine versunkene venetianische Stadt? Die Neugier führt uns auf Serpentinen durch einen herbstlichen Eichenwald, wieder parkähnlich gestaltet von unzähligen Weidetieren, grunzend grüßen die Sauenfamilien aus dem grünen Dickicht, während Herden von Kühen vor uns her dackeln, und die schmale Asphaltstraße mit ihrer braunen Pracht verzieren.

13 Kilometer sind es nach Veneto, und etwa auf halbem Wege erscheinen uns die marmornen Reste einer imposanten Palastanlage – die sich dann aus der Nähe, als Marmorsteinbruch offenbart. Hier wurden bis Ende der 1980er Jahre das wertvolle Baumaterial gewonnen.  Der Ausdruck „Steinbruch“ ist eigentlich hier falsch, denn man hat peinlichst vermieden, dass beim Abbau irgend etwas „bricht“. Marmor wird seit der Antike nicht gesprengt oder gebrochen, sondern direkt aus dem Felsen gesägt. Bis zu 4 Meter hoch waren die Würfel, die man sorgfältig maschinell mit Stahlseilen aus der Wand gesägt hat. Die Spuren der Seile, mittels derer und viel Sand und Wasser, das Material herausgelöst wurden, sind immer noch in den glatten Felswänden zu sehen, erstaunlich unverwittert, nach nun immerhin bald 30 Jahren, seit die Marmorgewinnung hier still liegt.  Der Marmor hat feine graue Aderung, und ist gelegentlich sogar von dunkelgrünen Bändern durchzogen. Aber leider machten gerade diese dunkelgrünen Adern, die weicher sind als das übrige Kalkgestein, ebenso wie die feinen Risslinien, die die meterhohen Blöcke durchziehen, den Abbau des dekorativen Materials unwirtschaftlich. Die Marmorsägen, derer es heute noch viele bei Volos und Larissa gibt, beklagten sich über zu hohen Ausschuss, da man allenfalls Platten bis etwa einem Quadratmeter Größe sägen konnte, ohne dass etwas brach. Und so liegt das Monument der Technik brach, wird die Ewigkeiten überdauern wie so mancher  Steinbruch der antike, deren technische Spuren heute noch Archäologen und Laien beeindrucken. Heute dient der Steinbruch der Aufstellung von hölzernen Bienenkästen, die man auch sonst an jeder Straßenbiegung am Waldrand vorfindet. Der Pilion ist einer der Hauptproduzenten griechischen Honigs.

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Marmorbruch bei Veneto (Pilion)

 

In Veneto endet die Straße, weiter führt sie nicht. Über einen gut ausgeschilderten Fußwanderweg könnte man den Ort „Pouri“ auf der anderen Seite des Pilion erreichen. Den weiteren straßenmäßigen Ausbau hat die Kirche verhindert – nicht durch fromme Gebete und Bürgerproteste, sondern kraft ihres Grundbesitzes: oberhalb von Veneto gehören ihr 18 Quadratkilometer Land.  Und so bleibt der bescheidene Ort Veneto in den Bergen von Toruristenströmen, die sonst viele Dörfer des Pilion in eine gruselige Kitschflecken verwandelt haben, weitgehend verschont.

Das Kirchlein am Eingang des Dorfes ist eine schliche Basilika, mit einer äußeren, umlaufenden Vorhalle und drei kleinen Apsiden. Das seitliche (leider verschlossene) Eingangsportal zeigt die bäuerlich-naive Umsetzung teils osmanischen Barocks, teils byzantinischer Tradition, so etwa die herzallerliebst anzusehenden Vasenmotive und „byzantinischen“ Vögelchen. Die Inschrift auf dem Kragstein datiert das Bauwerk in die Zeit um 1765. Über dem Portal befinden sich bauzeitliche Ikonen als Wandmalerei. Die mittlere zeigt  die Darstellung Jesu im Tempel, links ist Prophet Jeremia dargestellt, rechts Jesaja. Ypapanti (Υπαπαντή, Darstellung des Herrn) ist auch das Patrozinium der Kirche.

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Von links nach rechts: Jeremiah (Ο ΠΟΦΗΤΗΣ ΙΕΡΕΜΙΑΣ), Darstellung des Herrn (ΥΠΑΠΑΝΤΗ ΤΟΥ ΘΕΟΥ), Prophet Jesaia (Ο ΠΟΦΗΤΗΣ ΗΣΑΙΑΣ)

Von hier führt ein Weg zwischen den Häusern zur obligatorischen Plateia, von der man einen Ausblick über die Hausdächer und Wälder auf das 270 Meter unterhalb liegende Meer hat. Die Taverne wird von einem Mitte 70-jährigem Rentner betrieben, wenige Besucher sitzen hier auf dem Platz. Der Wirt wird bei unserem Verlangen nach Tsipuro redseelig. Zunächst belehrt er uns, dass man hier Tsipuro nicht nach 14:00 Uhr trinke – andere Gegend, andere Sitten. Und wir mögen ihn keinesfalls mit Wasser verdünnen (wie man das in Larissa immer macht).

Der Grund offenbart sich, als er das Elixier in kleinen Fläschchen serviert: es ist mit großem Abstand der beste Tsipuro, und wohl das beste Destillat, das ich im gesamten Griechenland gekostet habe. Weich im Abgang, den kratzigen Geschmack billigen Sternanises vermisst man nicht, und es gibt auch keine Fuselnote im Hintergrund. 15 verschiedene Zutaten hat er, der den feinen Brand selbst herstellt, vor der zweiten Destillation hinzugetan, sorgfältig abgestimmt. Er lässt uns raten, was drin ist, wir kommen auf eine Spur von Anis, und auch etwas Orange schmecken wir heraus. Er erläutert: Unter anderem sind es Anis, Korianderkörner, Orangenschalen, Mastixharz, Muskat, Nelken, Zimt, Piment, Apfelschalen, und: Zwiebeln.  „Zwiebeln“? Ja, sagt er: die Zwiebeln geben eine süßliche Note, das sei doch genau so, wie beim Kochen, da verleihen die Zwiebeln dem Gericht ja auch keine Schärfe, sondern machen das Gericht rund und süß. Alle 15 Zutaten scheint er uns nicht verraten zu wollen, doch nur noch eine, die einem Chemiker sinnlos erscheint: Salz – auch das gibt er vor der Destillation zu. Unser Wirt scheint ein wahrer Alchemist zu sein. Und die Basis der alkoholischen Gärung? Nicht etwa Weintrester, wie es üblich ist, sondern eine Maische aus Korinthen und Wasser.  Eine Zeremonie sind auch die Mesedes, deren Geschmack bezaubernd ist, und nicht unbedingt „klassisch-Griechisch“. Beeindruckend: ein roter, säuerliche Salat in etwas Olivenöl, auch hier sollen wir die Zutaten herausfinden. Die gerieben Rote Beete verrät sich schon durch ihre Farbe, auch die Karotten und den Sellerie finden wir heraus. Bei den Gewürzen müssen wir aufgeben:  Koriander, Knoblauch (Hauch) und: Curry (!). Letzteres erwartet man nicht in der klassischen einheimischen Küche. Es habe was mit seinen internationalen Erfahrungen zu tun, die halbe Welt habe er bereist, vor allem Argentinien, Deutschland Russland usw. und von Überall Ideen und Geschmäcker aufgegriffen. Einen gewissen Einfluss habe auch seine vierte Frau, die aus Russland stammt (Von dort scheint auch das letzte Geheimnis seines Salates zu stammen, das er uns nicht verraten will: wodurch das Zeug seine pikante Säure habe. Es sind weder die mediterranen Klassiker Essig oder Zitrone (Wahrscheinlich hat er das Material einer Milchsäuregärung unterzogen). Eine interessante Fusion-Küche halt, wobei der griechische Charakter trotz aller Experimente deutlich erhalten bleibt. Sehr zu empfehlen, dafür gibt es sechs Sterne.

 

 

Eine Runde um Mavrovouni: Rätsel am Wegesrand

Mavrovouni (Thessalien), 6.September 2018. Agiokambos-Rakopotamos-Isiomata-Kamari-Keramidi-KarlaSee-Agia-Agiokampos

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Das Bergmassiv, an dessen Füßen wir, am Strand von Agiokampos, unsere Zelte aufgeschlagen haben, heißt Mavrovouni, was etwa so viel wie „schwarzer Berg“ bedeutet, und ein Höhenzug ist, der von dichten, teils dunklen Wäldern bestanden ist. Er liegt zwischen dem Bergmassiv Ossa, das sich in Richtung Norden auftürmt, und dem Pilion im Süden. Gen Osten grenzt er an die Ägäis, und im Westen fällt er in die Thessalische Ebene Richtung Larissa ab. Die Trennung zwischen dem Ossa-Massiv und Mavrovouni erfolgt durch ein Tal, das zwischen der Thessalischen Ebene zum Meer hin abfällt, dazwischen liegt die Ortschaft Agia als faktisches Mittelzentrum der Region. Von hier gelangt man zu den beliebten Ferienorten Velika und Sotiritsa, die am Strand am Fuße der Ossa-Ausläufer liegen, und Agiokampos. Wir wollen heute das gesamte Mavrovouni-Gebirge umrunden, was schwierig, aber um so interessanter ist, weil man durch Gegenden kommt, die noch viel Unerwartetes bergen, allerdings straßenmäßig kaum erschlossen sind.

Ein halbwegs geländegängiges Fahrzeug ist für Teilstrecken erforderlich, auch muss man für die Strecke einiges an Zeit einplanen. Das erste Teilstück nach Keramidi, einem Ort, der bereits zum Pilion gehört, hatten wir letztes Jahr bereits beschrieben, man biegt gen Norden, nach der Ortschaft Rakopotamos an einem unscheinbaren Schild Richtung „Keramidi / Volou“ links in einen holperigen Waldweg ab, und befindet sich in dicken Mackien, und teils kühlen Wäldern mit hohen Bäumen. Auch im Hochsommer noch rauschen die Bäche, die von den steilen Hängen herunterpurzeln, und zeigen, dass diese Seite des beginnenden Pilion sehr wasserreich ist – das Gebirge wirkt wie ein Wolkenstau. Während Deutschland dieses Jahr unter extremer Trockenheit litt, sind auf der Ostseite des Pilion lokal begrenzt bis zu 1500 mm Regen heruntergekommen.  Unser erstes Ziel sind merkwürdige Ruinen, die weit unten am Ufer der Steilküste in einer Bucht am Meeresufer liegen. Es soll der letzte „Strand“ des Nomos Larissa sein, weiter südlich verläuft die „Grenze“ zur Provinz Magnesia. Auf verschiedensten Internetseiten werden die Ruinen als Reste eines historischen Bergwerkes beschrieben, das in die Venezianische Zeit datieren soll. Von oben ist davon kaum etwas zu sehen, es sieht aus, wie eine archaische Stufenpryramide.

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Das Bergwerk, das wir suchen, liegt hinten, an der vorspringenden Klippe

Auch darüber, was dort abgebaut wurde, äußern sich verschiedene journalistische Lokalseiten nur wage, es ist von Porzellanerde die Rede, gar einer Porzellanfabrik. Auch die Wegbeschreibungen, wie man in die geheimnisvolle Bucht mit dem merkwürdigen Bergwerk gelangen könnte, sind mehr als unklar. Nach einer längerer Zeit des Suchens finden wir die Streusiedlung (die nur aus wenigen Häusern besteht), und sich „Isiomata“ nennt. Dort gibt es einen kleinen Feldweg, der von der Holperpiste, die weiter nach Keramidi führen soll, links abzweigt, zwischen reichlich verwilderten Olivenbäumen hindurch. Steil geht es nun abwärts durch das Gebüsch, vorbei an ein paar wenigen, kleinen Häuschen, hinunter an eine Bucht, die aus Kieselsteinen und Felsbrocken besteht, und in deren Mitte eine phallusartige Felsformation aus dem Wasser aufsteigt. Malerisch liegt diese Bucht da, zum Baden aufgrund der Steine und einer Menge Seeigeln wohl aber nicht zu empfehlen. Das rätselhafte „venezianische“ Bergwerk finden wir dort.

Unterhalb eines im Bau befindlichen kleinen Ferienhauses stehen einige Reste von aus Beton gestampften Kranfundamenten, dahinter erhebt sich die Ruine des Bergwerkes, aus Feldsteinen errichtet, aber unter Verwendung von Stahlstützen und auch armiertem Betonstreben. Das ist sicher nicht venezianisch. Das Rätsel löst sich, nach weiteren Recherchen, in Gestalt eines sehr fundiert geschriebenen Artikels in der Online-Zeιtung LarissaNet.gr – sozusagen dem großen Bruder von Hallespektrum.de. Dort wird erläutert, dass das Bergwerk anfangs der 1920er Jahre von einer deutschen Gesellschaft eröffnet wurde, und bis zu seiner Schließung 1929 Talkum förderte. Talkum, ein sehr weiches Magnesiumsilikat (Speckstein) wurde nicht nur für die Herstellung von Babypuder benötigt, dazu hätte man nicht in dieser schwer erschließbaren Gegend Bergwerke erschlossen. Talkum wurde als Füllstoff für Gummireifen, aber auch für Farben, Lacke und keramische Rohstoffe benötigt. Das Bergwerk verfügte über eine eigene Kaianlage, von der aus die die weiße, weiche Gesteinsfracht per Schiff zur großen Hafenstadt Volos gebracht wurde. Bis zu 300 Arbeiter aus den umliegenden Bergdörfern (Elaphos und Sklithro) waren hier beschäftigt, bei merhreren schweren Unfällen sind zwei Arbeiter aus Sklithro sogar tödlich verunglückt. (Die Seite verfügt übrigens über eine Reihe guter Bilder, man kann offenbar, wenn man mutiger ist, und sich über die glitschigen Steine traut, auch in den Ruinen herumklettern).

Hutbürger

Ein Hutbürger

Ein Grafitikünstler hat – offenbar schon vor einiger Zeit – aus einem der Kransockel einen Hutbürger geschaffen. Welch prophetische Begabung.

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Wir begeben uns nun weiter auf der Rumpelpiste in Richtung Keramidi, vorbei an merkwürdigen weißen  Felsen, die aber nicht aus Talkum bestehen, sondern irgendwas anderem, was jedenfalls die Wege aussehen lässt, als habe es gerade frisch geschneit. Kurz vor Keramidi erreicht man eine Asphaltstraße, sie führt zu einer der schönsten Badebuchten der Region, Kamari genannt. Ein halbes Dutzend Häuschen und eine platanenbestandene Plateia schmiegen sich in die Bucht, die ansonsten aus überwiegend feinem Kies besteht. Die Ecke ist kaum besucht, es wirkt sehr intim, und in einer improvisierten Strandbar gibt es dringend benötigte Erfrischungen. Zwei zahme Brieftauben und ein Wellensittich picken hier schon einmal Knabbereien von den Tellern der Gäste.

Serpentinen führen nach Keramidi hinauf, das hatten wir letztes Jahr besucht, aber damals zur falschen Tageszeit, mittags war alles zu. Heute sind wir später dran, gegen 18:00 beginnt langsam beschauliches Leben auf der Plateia, das Kafeneion serviert den landesüblichen Tsipouro (der ziemlich stark ausgefallen ist) und Mesedes, wie es sich gehört.

Darunter befindet sich ein merkwürdiges, eingelegtes Kraut. Es schmeckt erfrischend sauer, aber im Abgang etwas nach Lösungsmittel, genauer eingegrenzt, nach Terpentin. Nicht unangenehm, aber leicht schon sehr irritierend. Dieses merkwürdige Kraut, das sich dort neben den üblichen Fischlein, haben wir nie gesehen, und auch eine eingehendere Untersuchung auf der Papierserviette ergibt keinen Erkenntnisgewinn.

Tsitsiravla (rechts)

Tsitsiravla (rechts)

Die Wirtin sagte, das seien eben „Tsitsiravla“ (Τσιτσιραβλα). Nie gehört. Längeres Nachgoogeln brachte es an den Tag: der Terpentingeschmack hatte nicht getrogen. Es handelt sich um die sauer eingelegten, im zeitigen Frühjahr gesammelten Sprossen von Pistacia terebinthus, der Terpentin-Pistazie, die in der Gegend sehr häufig vorkommt. Der bis zu 5 Meter hohe Strauch mit seinen roten Beeren diente einst zur Herstellung von Terpentinharz und eben auch dem daraus destillierten Terpentinöl (was einst wertvolle Rohstoffe in der Malerei und in der Medizin waren, ähnlich wie der verwandte Mastix).

Da es bald zu dämmern beginnt, nehmen wir nicht den Weg durch die Schotterpiste im Wald zurück, sondern begeben uns „hintenrum“, um den Mavrovouni. Wir fahren nun über den Bergkamm zwischen dem Pilion auf der Linken in Richtung der Thessalischen Ebene. Die Landschaft hat sich hier völlig verändert, sie sieht aus, wie von Niederländern zur Barockzeit gemalt. In der von Weidetieren gestalteten Parklandschaft stehen vereinzelte hohe Eichen und Kastanien, darunter lümmeln sich Kühe und … Wildschweine? Jedenfalls sehen die so aus, verhalten sich aber zahm und friedlich, es ist beim genaueren Hinsehn eine Familie einer besonderen, dunkelbraun behaarten Hausschweinart, die sich an den ersten, herabgefallenen Maronen und Eicheln satt fressen.

Vor uns liegt nun, in der Ferne unter der untergehenden Abendsonne, der „Limi Karla“ in der Ebene. Es ist ein halbkünstlicher See. Einst befand sich hier ein natürlicher See, gespeist von den abfließenden Wässern des Gebirges. In den 1950er Jahren wurde er, um die Malaria zu bekämpfen, trockengelegt. Nun hat man ihn, versehen mit kilometerlangen Dämmen, wieder aufgestaut. Wie das nun mit der Malaria ist? Keine Ahnung.

Limni Karla (Karla-See)

Limni Karla (Karla-See)

Entlang des Karla-Sees, dann am Fuße des Mavrovouni weiter, durchfährt man in der Dunkelheit Ortschaften wie Amygdali (Mandeldorf), die Gegend ist tatsächlich von Mandelplantagen geprägt, die sich bis nach Agia hinziehen, wo diese Ausflugsbeschreibung in der Dunkelheit (gerade noch rechtzeitig  vor Schließung des dortigen Supermarktes um 22.00 h) endet.

 

 

 

 

Ankommen

In Larissa werden wir morgens von schreienden Vögeln geweckt. An den engen Hinterhof des etwas in die Jahre gekommenen, mehrstöckigen Stadthaus im Viertel Aghios Nikolaos drängen sich die Rückfronten weitere Mietshäuser. Über die Balkone hinweg hört man lautstark sich unterhaltende Frauen, hier wohnen viele ältere Familien, aber auch Zuwanderer aus Albanien, Syrien, Rumänien usw. Der Maulbeerbaum, der den kleinen Hinterhof komplett ausfüllt, reckt seine Zweige noch über die höchsten Dächer in der stickigen Luft, die mit Wäscheleinen und Warmwasserkollektoren angefüllt sind. Die Vögel, es sind wohl Spatzen, sind einige Hundert an der Zahl,  streiten sich um die reifen Maulbeeren, und wenn sie am späten Morgen verstummen, übernehmen Türkentauben (Streptopelia decaocto) mit  lauten Balzgesängen das akustische Regiment. Über die Dächer klingt Verkehrslärm in die Maulbeerschlucht hinunter, und durch die Lamellen der an diesen heißen Tagen fast ganztägig geschlossenen Schlagläden der Schlafzimmer. Im Wohnzimmer vorneheraus ist es heller, hier summt eine bescheidene Klimaanlage, davor, zur Straße hinaus, liegt eine Terrasse, die die Schwiegermutter mit einer Armada von Topfpflanzen in einen dichten Wald verwandelt hat. Tief unten tobt der Verkehr. Es wird gehupt, man streitet sich um die immer weniger werdenden Parkplätze in dem immer mehr verdichteten Stadtviertel, seit einigen Jahren schon sich immer mehr zu einem Geschäftsviertel gewandelt hat, mit hoher Fluktuation.  Unser Auto, das gestern Nacht in der Straße einen der seltenen Parkplätze gefunden hat, haben morgens angerückte Bauarbeiter mit einer Plane überdeckt – sie sind damit beschäftigt, die Fassade darüber zu verputzen. Nett von ihnen, denn es staubt und spritzt mächtig.

Palastküche in Larissa: Kasandibi

Palastküche in Larissa: Kasandibi

Gestern Abend waren wir angekommen, und gleich mit alten Freunden in einem Restaurant verabredet. Haben draußen auf einer Platia in der Vorstadt gesessen, es gab einfache, durchaus traditionelle Kost, wie man sie halt abends verzehrt, kleine Souvlakia, schlichte Mesedes, dazu einiges an Wein. Ankunftsrituale. Wie immer fragen die Freunde nach unserem Ergehen, und nach Deutschland, wie es da gerade so ist.  Was auffällt: die Fragethemen wechseln. Einst ging es darum, was beliebte Automarken in Deutschland kosten, was wir meistens nicht beantworten konnten, und bei den Fragenden war immer eine gewisse Bewunderung über das Land im Norden dabei, in dem ja auch Viele Ihres Gleichen ihr Glück gefunden hatten. Die letzten Jahre war natürlich die Griechenland-Krise das Thema Nr. 1, also Varoufakis, später Tzipras, und immer vs. Schäuble. Gestern Abend war alles anders. Besorgte Blicke richteten sich auf uns. Wie weit Chemnitz von Halle entfernt sei. Die Antwort, „hundert Kilometer, ganz weit weg“ konnte die Sorgen kaum entschärfen. Das griechische Fernsehen hatte nämlich in aller Ausführlichkeit über die Chemnitzer Kravalle berichtet, und die Hitler-Grüße waren zur besten Sendezeit immer wieder in allen griechischen Kanälen zu sehen.  Das spülte kollektive Erinnerungen hoch, an ein Deutschland, das einst Griechenland brutal überfallen hatte, Juden und Dissidenten in die seine Todeslager deportierte, Städte und Infrastruktur zerstört hatte, um  dann das Land dann nahezu entschädigungs- und hilflos dem darauf folgenden Bürgerkrieg zu überlassen, worauf das Land einer weiteren Katastrophe anheim fiel. Derweil durften sich die Bundesbürger  dem Wirtschaftswunder widmen. So etwas sitzt tief.  Deutschland habe in dem europäischen Rechtsruck eine besondere Verantwortung, hier dürfe man weniger durchgehen lassen, war Tenor.

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Internationale Diskussion unter dem Roten Stern

Zum Abschluss, mit der Rechnung,  hatte der Kellner die üblichen „Glyka“, also Süßspeisen, gebracht. Scheiben einer Art sehr feinen Puddings, übergossen mit Sirup, mann nennt es wohl Kasan Tibi ( Καζαν Τιπι), es stammt aus dem Türkischen Kazandibi, einem Gericht, das über die osmanische Palastküche seine Wurzeln in der griechisch-antiken Küche hat. Jedenfalls hat es den Abend versüßt. Heute verkauft Dr. Öttker auf dem Balkan Fertigmischungen dafür.

Wenn wir schon von der griechischen Küche reden: heute morgen bekamen wir das klassische neugriechische Frühstück. Das gibt es überall: Man nennt es hier einfach „Toast“, und die klassischste Variante, die überall gereicht wird, ist „Tiri-Sambon“ oder „Tiri-Parisa“.  Dazu hat nahezu jeder Haushalt und jede Taverne einen elektrischen Doppelgrill, also das, was man so kennt. Zwischen zwei konventionellen Toastscheiben legt man eine Scheibe Käse (Gouda, Holländer,da ist man nicht wählerisch) und eine Scheibe „Sambon “ (Kochschinken, Lehnwort aus dem französischen „Jambon“). Oder, noch beliebter, „Parisa“ (Παριζα). Das ist wiederum nichts anderes als Mortadella, die es, in auf die Toastscheiben normgerecht gepresst, geschnitten und foliert, in jedem Supermarkt zu kaufen gibt. Dazu gibt es – zumindest im Sommer – Frappe. Man bereitet ihn aus Neskaffepulver zu (die Firma Nestle ist auf dem ganzen Balkan präsent und schaufelt ungeheure Gewinne), Eiswürfeln und Wasser.