Im Pinios-Delta: niederländische Landschaft mit Sandstrand vor Hochgebirgskulisse

Nur  Modelleisenbahner kommen auf die Idee, vollkommen widersprüchliche Landschaftselemente zu einem Bild zusammenzufügen. Was sie zuweilen zusammenbringen, existiert in Griechenland vollkommen real: dazu muss man lediglich ins Pinios-Delta fahren, dorthin, wo der Fluss Pinios sich, nachdem er durch die Tempi-Schlucht zwischen dem Ossa-und dem Olymp – Massiv hindurchgezwängt hat, sich in einem breiten und flachen Flussdelta erleichtert, bevor er sich, nun vollkommen ausgeruht, ins Meer ergießt.

Jedoch nur dann, wenn er nach langen Regenfällen so viel Wasser führt, dass seine dann trüben Fluten tatsächlich das Meer erreichen. Jetzt, im Spätsommer, führt er nur wenig Wasser, das dafür aber verhältnismäßig sauber und türkisfarben erscheint.

Ganz ruhig bildet er verzweigte, ruhige, fast stehende Arme aus, wie eine Krake, deren blaugrüne Finger durch ein grünes Flussdelta in Richtung Meer ausmäandrieren. Aus den Bergen hat d Fluss kostbare Fracht mitgebracht: fruchtbaren Schlamm hat er in dem Flachland ausgebreitet, wo heute Kühe und Schafe weiden.

Baumbestanden sind die unzähligen Nebenarme, zwischen denen sich die  liebliche flache Landschaft ausbreitet. Sie erinnert an niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts, es fehlen nur noch die Windmühlen. Der gut 20 Kilometer breite Schwemmlandfächer bildet dort, wo er in einem erosiven Dialog mit der Meeresbrandung eintritt, einen – für Griechenland seltenen Sandstrand, teils sogar unter Ausbildung schmaler Dünenfelder. Der Sand ist weiß und weich, doch leider nicht so sauber, wie man es von der Nord- und Ostseeküste erwarten kann.

Der leider immer wieder anzutreffende Plastikmüll zwischen den Dünenkräutern trübt das Auge ein wenig, das aber sogleich wieder entschädigt wird, wendet man sich vom Meer ab, und wirft den Blick hinter sich: dort türmt sich eine eindrucksvolle „Alpenkulisse“ auf, das Massiv des Ossa zur linken, das des Olymp zur rechten, davor die türkisfarbenen, schilfbestandenen, stehenden Gewässer des Pinios. Stomio, der größte der Orte hier, dessen Häuser, halb im Berghang des Ossa, halb sich zum Strand an der Südecke des Deltas verteilen, ist ein beschauliches Kleinstädtchen mit gut 500 Einwohnern, einer 200 Meter langen Fußgängerzone im Ortskern und einer etwa ein Kilometer langen Strandpromenade. Die Gemeinde wirbt für Fahrradstraßen, deren Netz zu Ausflügen durch „Griechisch-Flandern“ einlädt.  Touristisch ist die Gegend dennoch glücklicherweise eher gering entwickelt. Noch bescheidener nimmt sich der kleine Ort Alexandrini aus, eine „Strandkolonie“, die mit ihren bescheiden Häuschen streckenweise an eine bessere DDR-Feriensiedlung erinnert. Prunk und Protz vermisst man hier wohltuend. Dabei gibt es hier sogar noch Grundstücke, die sich sowohl Flussufer als auch Meeresstrand teilen. Bevölkert wird der Ort hier vornehmlich von älteren Herrschaften, die sich hier ein bezahlbares Idyll mit viel Eigenleistung und Idealismus geschaffen haben. Kein Strandcafe, keine Disko. Hier will man gerne unter sich bleiben. Hoffentlich bleibt das auch so. Der Strand wie auch die Flussufer sind bei Anglern beliebt, die , wie man verzweifelt von privater Hand aufgestellten Schildern entnehmen darf, ihre Freunde bitten, doch wenigstens den Müll wieder mitzunehmen. Am Ufer der Flüsse dümpeln Ruderboote und kleine Fischerhütten. Und allen ist anzumerken: bitte, stört uns hier nicht, lasst uns ein wenig unentdeckt…

Von einer Entdeckung müssen wir denn doch noch berichten, das darf man nicht geheim halten : Opa Sotiris Muschelhaus (Nächste Seite)

Übersicht über das Pinios-Delta (Google-Maps)

Übersicht über das Pinios-Delta (Google-Maps)

Trago Bock und andere wilde Geschichten aus dem Pilion

Der Pilion ist der Nachbarberg südlich von Ossa und Mavrovouni. Sein Gebirge türmt sich bis 1600 Meter hinauf, darüber wurde hier schon berichtet, es soll nicht wiederholt werden. (https://minoan.wordpress.com/2011/08/29/hei-wu-abermals-im-land-der-griechen/ )

Mehr aus Zagora: Knochenarbeit und rote Äpfel. (27-30. August 2013)

Der Weg von Mavrovouni zu den Orten des Pilion ist weit, obwohl beide Berge aneinander grenzen. Das liegt an unüberwindbaren Bergriegeln  und einem großen Jagd- und Naturschutzgebiet, das sich an den nördlichen Hängen des Pilion ausdehnt. Also muss man zuerst zur Hafenstadt Volos fahren, das Pilion-Massiv halb umrunden, sich bis zum Skigebiet Chania hinaufschrauben, um dann wieder hinab zu gelangen, durch dichte Buchen- und Eichenwälder, bis man dann in die Apfeldörfer gelangt, die sich ober- und unterhalb der Serpentinenstraßen an den Hang zwängen. Ziel: Zagora.

Der Pilion ist als Reiseziel beliebt, insbesondere bei einheimischen, „naturverbundenen“ Touristen, die die Ursprünglichkeit Griechenlands suchen. Einst war Pilion mit seinem dichten, regenreichen Wäldern  Zuflucht- und Wirtschaftsraum seiner vorwiegend slavischstämmigen Bevölkerung, die Dörfer und Kleinstädte in den Bergen waren weder für Piraten noch die osmanischen Besatzer beherrschbar. Ortsnamen der wichtigsten Siedlungen wie Tsangarada (Zarograd, Königsstadt) oder Zagora künden noch heute davon. Heute leben die Ortschaften von Land-  Forstwirtschaft und Tourismus. Die historische Bausubstanz der meisten Ortschaften ist mittlerweile durch noch „authentischere“ Bauten ersetzt und erweitert worden. Leider. Dabei  bediente  man sich der Klischees über „authentische“ Architektur, die in den späten 1980-er Jahren entstanden. Sie orientierten sich an den damals hier noch vorhandenen Bauten Osmanischer Zeit des 18. und frühen 19. Jahrhunderts.  Zusammen mit den (heute noch existierenden) grünen dichten Wäldern entstand das Klischee eines alternativen „unser Griechenland“.

Während die Wälder auch heute noch weitgehend intakt sind, wurden die meisten der historischen Bauten in den Touri-Dörfern ein Opfer dieses Klischees. Aufsteigend von Volos wurde das erste Opfer Makrinitza, dann folgten Portaria, Tsangarada und Kissos. Romantisch mit Steinmauerwerk verkleidete Betonburgen und Hotelanlagen säumen die gut ausgebaute Bergstraßen, Busladungen ergießen sich in „Dörfer“, die „Yes-Please“ traditionellen Honig bis hin zu Apfelessig anbieten. Und jedes Haus ist eine Taverne mit Bergflair.  Dass wir wieder in den Pilion fahren, hat etwas mit der Verwandtschaft zu tun, die da ein Ferienhaus hat, glücklicherweise in einem der letzten Orte, die noch nicht ganz heimgesucht worden sind (hier liest ja keiner mit, also Finger weg): Zagora.

In Zagora lebt man vorwiegend von der Landwirtschaft, um nicht zu sagen: einer Monokultur von Äpfeln. Monokultur ist wiederum übertrieben, denn es werden zu 90% rote Äpfel („Zagorin“) angebaut, aber gelegentlich auch gelbgrüne Äpfel.

Unten im Dorf treffen wir uns bei Niki, der Taverne schlechthin. Unser albanischer Kumpel Leftheris freut sich, seit über zehn Jahren treffen wir uns immer hier.  Wir sind „Shok“ wie er immer betont, was auf Albanisch einen guten Freund meint. Langes Drücken ob des Wiedersehens. Jedes Jahr das selbe Ritual. Er sitzt vor der Taverne an der Straße, zusammen mit seinen Landsleuten,  die seit gefühlt ewiger Zeit mit ihrer Hände Arbeit und teils mit  merkantilem Geschick – den Wohlstand des Ortes mehren. Anfangs mit Hilfsarbeiten in der Apfelernte, dann mit Bauarbeiten, heute auch mit Geschäften und Handwerk. Unser Lieblingskellner entstammt schon aus der 2. Generation. Ein pfiffiger Typ, der perfekt Griechisch spricht, und Witz und Humor auf seiner Seite hat. Geboren in Albanien, seit 17 Jahren hier, Lehre zur Elektrotechnik gerade abgeschlossen. Er will nach oben: eine Zusatzausbildung zum Aufzugsmonteur  ist gerade sein Thema. Zurück zu Levtheris: beide verständigen wir uns auf schlechtem Griechisch, wobei Levtheris allerdings die wundervolle Gabe hat, einfach fehlende Worte durch phantasievolle Neubildungen zu ersetzen, die zuweilen mit Stirnrunzeln, zumeist aber mit großer Erheiterung quittiert werden. Den Rest gestaltet er mit ausdrucksstarken Grimassen, wie man sie seit Ende der Stummfilmzeit kaum noch kennt. Ein genialer Dadaist auf jeden Fall, seine Erzählungen sind absurd, ihr Wahrheitsgehalt niemals überprüfbar, aber witzig und bizarr. Und immer wieder heißt es: „Bisur !“ (Albanisch: Prost), und es folgt die gegenseitige Bestätigung, dass wir eben „Shok“ sind.

Niki ist  berühmt für ihre Fleischgerichte. Wir fragen, ob es Katziki (Ziecklein ) gibt, die sind gerade aus, aber es gebe „Trago“. Das sei der Vater von Katziki, der junge Kellner sagt, nein, es sei der ältere Bruder, nein, der Schwager,  usw. Immer mehr verdrehen sich im Spaß die Verwandtschaftsverhältnisse des Tieres, der Kellner bekommt Kicher- und Lachanfälle, verschluckt sich, muss nochmal reingehen, um sich zu beruhigen. Kommt wieder raus, bekommt Lachanfälle, wir liegen ohnehin halb unter dem Tisch, und bald lacht die halbe Taverne, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht. Später kommt ein älterer Herr zu uns an den Tisch. Er wollte sich bedanken. Selten habe er so fröhliche, lachende Leute erlebt, das habe sein Herz geöffnet. Und wir hatten schon Angst, wir hätten uns daneben benommen.

Bei Niki in Zagora

Bei Niki in Zagora

Wir nehmen also den Trago. „Tragos“ bedeutet nämlich „Ziegenbock“. Trago, Bock, mundet übrigens köstlich. Das hatte ich nicht erwartet, denn man sagt gemeinhin, Ziegenfleisch würde nur in Form junger Milchziegen schmecken, Böcke wie unser Trago hingegen seien zäh, und das Fleisch würde stinken. Niki erklärt uns das Geheimnis: Man lässt das Fleisch sehr lange bei kleiner Flamme simmern, 5 Stunden lang, manchmal stünde das Fleisch auch den ganzen Tag im Ofen. So verliert es den Bocksgeruch und wird butterzart, es wird anschließend in einem zwiebelhaltigen Sud gewürzt, typisch sind neben Oregano und Thymian, vor allem Zimt und Koriander. Auch Zitrone gibt man hinzu, es gibt auch die Variante „Kokinisto“ auf der Basis von Tomaten.

 

Zu späterer Stunde, wenn fast ausschließlich Stammgäste im Saale sind, dreht die Stimmung noch einmal auf. Nun geht die Unterhaltung quer durch den Saal. Der eine neckt und provoziert den anderen, es gibt kaum Hemmungen, Jung und Alt ziehen sich gegenseitig mit ironischen Bemerkungen hoch, jeder kennt ohnehin jeden. An der Wand  blubbert der Fernseher vor sich hin, in einer Ecke sitzt die Wirtin über einem Berg Zettel, sie soll eine Hochzeit im Lokal organisieren, jetzt soll sie über das Handy skypen, ruft den jungen Kellner, „komm, drück doch nochmal den Knopf, damit ich sehen und sprechen kann“. Die Musikanlage spielt derweil alte Rembetiko-Musik aus den 20-er Jahren.  Natürlich werden ausreichend Mesedes konsumiert, wichtige Grundlage für die üblichen Getränke, vor allem Tsipuro (Tresterschnaps), Wein und diverse Biere. Natürlich redet man auch über ernste Dinge: beispielsweise die Apfelernte. Die fällt wohl dieses Jahr schlecht aus – im Frühjahr war es lange zu kalt und feucht, viele Blüten sind abgestorben. Für die Bauern und ihre zahllosen Erntehelfer ein herber Schlag.  Man kann für sie nur hoffen, dass sie an der Preisschraube drehen können. Immerhin sind sie schon seit Jahrzehnten in einer Genossenschaft organisiert, so dass sie gegen Großhändler und  Lebensmittelindustrie  mit einer Stimme sprechen können.
Den nächsten Tag durchstreifen wir den Pilion, seine Orte, das erklären die folgenden Bilder.

Kulinarisches Highlight an einem der folgenden Abende ist dann aber nicht Trago Bock, sondern ein Fisch namens Synagrida (Συναγριδα, Zahnbarsch). Am Vortag im Lokal „Sevach“ (Σεβαχ) in Chorefto (unterhalb von Zagora, am Meer) bestellt, wurde er von einem Fischer mittags vor der Nahe gelegenen Insel Skiathos gefangen und angelandet, dazu gemeinsam mit einem Haufen „Karavides“ (Kaisergranaten). Am Abend durften wir die Tiere noch einmal bestaunen, dann kamen sie in die Küche und auf den Grill. Wenige Zeit später das Ergebnis: Synagrida dürfte mit Abstand der beste Mittelmeerfisch  sein. Festes, weißes Fleisch, zartes Aroma, einfach Klasse. Die Kaisergranate als Vorspeise, dazu Vlita (gedünsteter Gemüseamaranth mit Zitrone in Öl)  und Salat:  ein Gesamtkunstwerk.  Die Preise sind am Ende  (Fisch ist grundsätzlich teuer) nicht einmal so gesalzen, wie befürchtet – sehr zu empfehlen jedenfalls, denn an anderen Orten im Pilion zahlt man für Tiefkühlfisch schnell mal das Doppelte.  Wichtig ist, dass man den Fisch vorbestellt – denn kein Wirt kann es sich leisten, solche Fische auf Verdacht „auf Lager“ vorzuhalten.

 

Klimawandel: die Rückseite des Ossa

karteNein, hier geht es nicht um den Klimawandel, sondern das Wandeln durch sehr unterschiedliche Klimazonen, die der große Heimatberg Thessaliens, der Ossa oder auch Kissavos genannt, bietet. Der Ossa ist der kleine Bruder des benachbarten Olymp. Im Osten fällt er zum Meer hin ab, im Süden liegt an seinem Fuße die Provinzstadt Agia, nach Südwesten erstreckt sich die Thessalische Ebene mit Larissa als größter Stadt dort. Nach Westen ist er durch das Tempi-Tal begrenzt, das ihn vom Olymp trennt, dazwischen fließt der Pinios. Der Gipfel des Ossa liegt 1978 Meter über dem Meeresspiegel, sagt Wikipedia, die ansonsten den gewaltigen Berg kaum eines weiteren Wortes würdigt.  Was sehr ungerecht ist, wo doch schon in der Antike der Ossa als der kleine, zankhafte Bruder des großen Olymp aufgefasst wurde. Während der höhere Olymp vor allem durch seine schneebedeckten Gipfel imponierte, beeindruckt der Ossa mit seine erheblichen Regen-Niederschlägen, die seine der Küste zugewandte Seite empfängt. Hier gedeihen hohe Buchen- Eichen- und Kastanienwälder, die wir auf der Suche nach Pilzen – schon so oft beschrieben haben.

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Vor dem kahlen, markanten Bergrücken – einem Ausläufer des Ossa – biegen wir rechts ab in Richtung Sykourio

Wo Licht ist, ist auch Schatten – und heute wollen wir die Regenschattenseite des Berges erkunden. Die Seite, wo Trockenheit und Vegetationsarmut vorherrschen, die Westseite des Berges. Startpunkt ist Agia, von wo wir bis Elevtherio (Richtung Larissa) westlich fahren. Dann biegen wir rechts ab, in Richtung eines markanten, kleinen Bergrückens, der keinen Namen trägt. Schon hier bemerkt man den Regenschatten, den der Ossa wirft: es ist alles karg und vertrocknet, in der Ebene wird zwar Landwirtschaft betrieben, die aber ohne dauernde künstliche Bewässerung nicht auskommt. Zwischenziel ist die kleine Provinzstadt Sykourio, von wo ein Straßenschild Richtung Spilia weist. „Spilia“ ist ein Bergdorf am Westhang des Ossa und liegt in 850 Meter Höhe. Die Fahrt über Serpentinen führt durch verkarstetes Gelände und oberhalb einer mit Kiefern bestandenen Schlucht entlang. Der Ort selbst war lange Zeit ein Hort der Armut, heute lebt er anscheinend gut vom aufkommenden Bergtourismus, auch fallen schon einmal Reisebusse hier ein.

Sichtbar beherrscht wird der Ort durch den kahlen Gipfel des Ossa, der nun deutlich herangerückt, aber nur scheinbar zum Greifen nah ist. Oberhalb von Spilia gibt es eine Kapelle, wie immer benannt nach dem Heiligen Elias, dem Bergpatron schlechthin. Von hier oben hat mein eine gewaltige Aussicht auf das Tal des Pinios, der seinen Weg zwischen Ossa und Olymp zum Meer hin sucht. Von Spilia aus kann man noch weiter hinauf in Richtung Gipfel fahren, und zwar erstaunlich „bequem“.

Ohne ersichtlichen Grund, der griechische Staat schwamm seinerzeit offenbar im Geld – hat man durch die verkarstete, trockene Berglandschaft eine breit ausgebaute Serpentinenstraße hinauf in Richtung Gipfel gebaut. Am Ende der ca. 20 km langen Asphaltpiste befindet sich: eine kleine Berghütte. Die die meiste Zeit geschlossen ist, und nach Bekunden der Betreiber, einer Art „Alpenverein“, auch selbst zu Öffnungszeiten keine Gastronomie zu bieten hat. Den Wendeplatz der Straße vor der „Alpenhütte“ haben Kühe zugeschissen, etwas oberhalb befinden sich Viehtränken. Wir befinden uns hier auf 1604 Höhenmetern, und die kahle Spitze des Ossa, um die herum stachliges Kraut wächst, lädt nicht unbedingt zum Wandern ein.  Den Zaun vor der Hütte hat man mit ein Skiern dekoriert, aber nichts deutet auf irgendeine Skipiste hin. Schnee gibt es hier oben im Winter natürlich genügend, denn schon die Straße hinauf nach Spilia war  mit zwei Meter hohen „Schneestangen“ markiert. Die Straße hier hinauf soll uns ein Rätsel bleiben, zumal auf der gesamten Strecke uns niemand begegnet.

Den Weg hinab nehmen wir dann gen Westen, den Hinweisschildern nach Karitsa folgend. Zwischendurch immer wieder Aussichten, so bis hinunter nach Stomio, wo der Pinios sich in einem breiten Delta ins Meer hinein ergießt. Auf dem Weg nach Karitsa erlebt man drastischen Klimawandel: nach der kargen, verkarsteten Bergvegetation des Westens taucht man plötzlich in den Regenwald ein:  auf einmal ist die Straße von hohen Buchen gesäumt, es wird schattig und zuweilen richtig dunkel.

So geht Klimawandel: Rechts ist das Ossamassiv ziemlich Kahl, links dicht bewaldet.

So geht Klimawandel: Rechts ist das Ossamassiv ziemlich kahl, links dicht bewaldet.

Weiter unten macht der Buchenwald ausgedehnten Kastanienplantagen Platz, und kurz vor Karitsa wiederum tauchen die ersten Feigenbäume auf.  Hier endet die Wegbeschreibung, den Weg von Karitsa über Kokkino Nero nach Agiokampos entlang der Küste haben wir anderweitig schon beschrieben.

 

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Aussicht auf Meer und Olymp mit Nationalflagge

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Abfahrt nach Karitsa

Karitsa

Karitsa

 

Europäische Boheme im Osmanenreich in der thessalischen Provinz: das dekadente Leben eines illustren Schweizer Ehepaars in einem griechischen Dorf

 Eine besondere Entdeckung im Diachronen Museum Larissa ist die  Sonderausstellung, die wir noch am letzten Eröffnungstag erleben konnten. Titel der Ausstellung: „Choro-Grafies: die malerische Ausschmückung des Herrenhauses der Favres in Metaxochori bei Aghia“.

„Choro-Grafies“ ist dabei ein Wortspiel: es erinnert einerseits an die Choreographie, meint aber „Raum-Malerei“, gemeint ist die malerische Ausstattung von Innenräumen eines stark verfallenen ehemaligen Herrenhauses aus dem vorletzten Jahrhundert, dessen sterbliche Hülle sich im Eingang des kleinen, malerischen Ortes Metaxochori, oberhalb von Aghia, etwa 40 km östlich Larissa, befindet. 1872, noch immer gehörte Thessalien zum Osmanischen Reich, erhielt der kleine Ort, dessen Bewohner in erster Linie von der Seidenzucht lebten (Metaxochori bedeutet „Seidendorf“) illustren Zuzug: Der wohlhabende schweizer Bankier, Baron Eugene Favre und seine französische Frau Stefania, eine ehemalige Tänzerin aus dem Pariser Moulin Rouge, gaben sich die Ehre. Die gute Luft, die bezaubernde Hanglage des Ortes mit dem weiten Blick über die Thessalische Ebene gaben wohl den Ausschlag, sich hier niederzulassen, ferner winkten Geschäfte mit Wolle und Seide. Mindestens vier Manufakturen errichteten sie im Ort: für Seide, für Kerzen, Seife und eine für Nudeln. Sie brachten kosmopolitisch westliche-mondäne Kultur in den noch stark orientalisch geprägten Südosten Europas. Mit ihrer Lebensart dürften sie einen merkwürdigen Eindruck unter der Landbevölkerung hinterlassen haben: Insbesondere Stefania, die fortan nur mit „Madama“ angeredet wurde und mit extravaganter Kleidung im Ort Furore machte. 1876 erteilten sie den Auftrag zum Bau eines Herrensitzes („Archontiko“) mit einem im Ort ungesehenen Ausmaß: drei Etagen hoch, jede Etage mit 300 Quadratmetern Wohnfläche. Äußerlich verhältnismäßig schmucklos, traditionell aus lehmgebundenen Steinen und Holzbindern errichtet, entfaltete das gewinkelt zweiflügelig errichtete Gebäude seine Pracht im Inneren. Während repräsentative Wohnbauten jener Zeit noch in eher traditionellem osmanischen Stil ausgestattet wurden („Turkobarock“), sollte das Herrenhaus der Favres europäische, historistische Pracht neuesten Stiles entfalten, oder so etwas in der Richtung: Denn offensichtlich fanden sich keine in westeuropäischer Manier erfahrene Maler in der Provinz. Das Ergebnis, was Meister Argyropoulos und seine Helfer ablieferten, ist in seiner bäuerlich-naiven Art dafür um so herzerfrischender.

Im Schlafzimmer sollten Putten und Eroten schweben, Im Treppenhaus „fliegende Gruppen“ in Pompejanischer Manier die Wände beseelen, und Jagdszenen wie auch spielende Kindergruppen die repräsentativen Wohnräume Wände bereichern

Allerdings gingen die Maler aus den umliegenden Provinzen so vor, wie sie sonst in der Ikonenmalerei arbeiteten: mit perforiertem Pergament wurden die Umrisse von Vorlagen aus irgendwelchen westlichen Katalogen auf die Wand übertragen. Hatte man einmal eine hübsche Vorlage mit einem Putto, wurde er einfach mehrfach per „copy&past“ auf die Wände fabriziert, und ihm dann  mal ein Bogen, mal ein Blumenkranz in die Ärmchen gedrückt. Die Umrisse wurden liebevoll, aber etwas doch unbeholfen naiv ausgemalt, und so erfreuen uns heute die Malereien, im Museum. Denn sie konnten in letzter Minute in den vergangen beiden Jahren gerettet werden.

Was es damit auf sich hatte: das ausschweifende Leben der Favres endet tragisch. Sie betrog ihren Mann mit dem italienischen Hausdiener, der betrogene Gatte beging vor Kummer Selbstmord im Fluss Pinios. Was aus „Madama“ wurde, wissen wir nicht, sie blieb  jedenfalls kinderlos, ohne Erben. Das Haus ist dann wohl an die Gemeinde Aghia gefallen (der es zumindest noch gehört) stand zuletzt leer. Bei solchen Häusern führt Leerstand schnell zur Zerstörung: Die tragenden Balken, die nicht nur die Geschosse, sondern ach die Steinmauern zusammenhalten, vermoderten. Fast alle Geschossdecken stürzten ein. Glücklicherweise hat die Gemeinde Aghia wie auch die staatliche Denkmalbehörde in letzer Minute die Bedeutung der Ruine erkannt. Sie erhielt ein Notdach aus Wellblech und die Fensterhöhlen sowie eingebrochene Wandteile wurden mit stützenden Ziegelmauern provisorisch versteift. Die Wandmalereien aber, so man ihrer noch habhaft werden konnte, wurden in einem komplizierten Verfahren abgenommen, auf stabile, transportable Bildträger montiert und aufwändig restauriert. So gelangten sie nun in die Sonderausstellung ins Museum nach Larissa. Was weiter mit dem Gebäude und den Malereien geschieht, ist indes, laut einem Artikel des Onlinemagazins „Larissanet.gr“ (des thessalischen Spiegels des Hallespektrums:) ) von 2017 weiterhin ungewiss, es scheitert, wie immer, am Geld..

 

 

 

 

Larissa: Hitze und Lärm – Flucht ins Diachrone Museum

Larissa, 30. August

Seit Mittwoch Abend sind wir nun wieder in Griechenland, förmlich der schwülen Hitze aus Deutschland entflohen. Bei der abendlichen Ankunft in Athen ist so heiß wie in Deutschland, allerdings kommt ein kräftiger Wind hinzu, der die Gärten in dem Vorort Kifisia verdorren lässt, Gießen ist hier vollkommen vergeblich. Schlimmer ist es nur noch in Larissa, wo wir am nächsten Tag eintreffen: Hier steht die Luft, und auch abends wird es nicht kühler. Natürlich bestimmt die Hitze den Lebensrhythmus und das Freizeitverhalten der Menschen. Wir hatten dieses Thema am Beispiel August-Bebel-Platz in Halle angeschnitten, und unser Freund „Farbi “ hatte dabei die These aufgestellt, dass er nachts lärmende Jugendliche bei seinen Aufenthalten in Griechenland nicht bemerkt habe. Diese Behauptung habe ich mit im Gepäck, und sie lässt sich innerhalb eines Tages in einer durchschnittlichen Kleinstadt wie Larissa (Größe und Einwohnerstruktur sind durchaus mit Halle zu vergleichen) leicht überprüfen.  Die Geschäfte schließen gegen 21:00 h, gegen 22:00 h geht das Leben auf den Plätzen und in den Straßen richtig los. In die Wohnquartiere sind immer wieder Restaurants, Schnellimbisse und Tavernen eingestreut, es gibt kleine Plätze, mit Bäumen, teils parkähnlich gestaltet, oft versehen mit Kinderspielplätzen. Hier trifft man sich nach der Abend, um noch im freien zu essen oder zu Trinken, Jung und Alt, ganze Familien. Kinder toben auf dem Spielgeräten, Jugendliche posen mit ihren Mopeds, laute Unterhaltungen gehören einfach dazu.  Mitten in den Wohnvierteln.  Das geht locker bis spät in die Nacht hinein, weil erst jetzt wegen der nun geringfügig milderen Temperaturen ein angenehmes Leben möglich ist.

Wer in den trotz verschlossener Fensterläden (eine griechische Wohnung ist in der Regel tagsüber im Sommer ziemlich finster)  aufgeheizten Häusern keine Klimaanlage hat, wird kaum schlafen können. So wachen wir am nächsten Tag ziemlich gerädert auf, nochmal Umdrehen ist sinnlos. Die Etagenwohnung geht zu einem kleinen Hinterhof hinaus, um das sich weitere Etagenwohnhäuser gruppieren. Presslufthammergetöse aus einem der Nachbarhäuser dröhnt seit morgens um acht. Natürlich lassen die Bauarbeiter, die irgendwelche Kacheln in einem Ladengeschäft von der Wand stemmen, die Fenster auf, wegen der Hitze. Auch die übrigen Mitbewohner entlassen Schall aus ihren Wohnungen in den Hof, Musik, Fernseher, Streitereien. Typischer Stadtsound, angereichert durch das Gebrumm vieler kleiner und großer Klimaanlagen. Dazu mischen sich dann die Verkehrsgeräusche , und wohlgemerkt: wir reden hier von ganz normaler Wohnbebauung. Eine Möglichkeit, dem Triggerspiel Hitze und Lärm zu entkommen: ein Museumsbesuch:

Das Diachrone Museum von Larissa

Am Stadtrand von Larissa (Thessalien), auf dem mit Kiefern bestandenen Hügel „Mesurlo“, befindet sich das seit 2015 eröffnete „Diachrone Museum“. Die Museumsarchitektur ist durchaus mutigen Gestalltungswillen, auch wenn die Außengestaltung teils an eine Pinguinanlage im Zoo erinnert.

Das diachrone Museum von Larissa

Das diachrone Museum von Larissa

Es ist ein kulturhistorisches Museum mit dem Schwerpunkt einer reichhaltigen archäologischen Sammlung. Die Archäologische Sammlung enthält Funde von der Altsteinzeit bis in die frühe Neuzeit, ihr Schwerpunkt sind Funde aus der Bronzezeit und des Hellenismus. Highlights sind hier umfangreiche Grabausstattungen, ein hellenistischer Silberschatz des 3. Jh vor Christus, sowie mehrere Goldblattkronen (Stephania) hellenistischer Zeit.

Stephania

Hellenistische Stephania im Diachronen Museum

Auch einige sehr gut erhaltene späthellenistische und frühbyzantinische Mosaiken aus reichen Bürgerhäusern des 3.-5 Jahrhunderts n.Ch. sind unbedingt sehenswert. Auch die jüngere Geschichte mit ihrer „multikulturellen Vielfalt wird überzeugend dargestellt, so wird auch der osmanischen Herrschaft und der islamischen Vergangenheit ausreichend Raum gegeben, und das zumeist friedliche Koexistenz der verschiedene Religionen  in Larissa vom 14.-19. Jahrhundert Raum gegeben.

museum diachron silberschatz 3 jhdt 31082019 Das ist für griechische Verhältnisse lobenswert, zumal dies sowohl durch historische Abbildung und archäologische Funde anschaulich belegt ist. Leider wirkt die Dauerausstellung insgesamt etwas vom Design her schon altbacken, und könnte ein Re-Design vertragen, auch wenn die Eröffnung nur vier Jahre zurück liegt.

Spannend: die Sonderausstellung „Choro-Grafies“ (weiterlesen nächste Seite)

osmanisches Kapitell31082019

Osmanisches Kapitell

 

 

 

Aptera und ab gehts, leider…

Es sind nicht einmal mehr 24 Stunden vor unserem Abflug von Iraklion nach Halle, viel Zeit zu Schreiben bleibt nicht mehr. In Aptera, oberhalb eines Steilhangs an der schon in der Antike strategisch wichtigen Suda-Bucht gelegen (unweit von Chania), gab es eine größere antike Stadt, die ihre Blüte in der römischen Zeit erfuhr. Der heutige Ort Aptera besteht aus drei Tavernen, einem Lebensmittel- und Allzweckladen (Pantopolio), einem Denkmal für den Luftwaffenkapitän Kellaidis (an dessen Einweihung wir vor fünf Jahren teilnahmen),  etwa 300 Einwohnern und etwa so vielen Katzen. Aptera haben wir für die letzten vier Tage hier ausgesucht, weil wir die Unterkunft mit ihrem unglaublichen Service, der Größe des Appartements und des unglaublich günstigen Preises und vor allem des freundlichen und hilfsbereiten Vermieters schätzen. Etwas Werbung hat Nectarios Mavromatikis, so sein Name, für sein  Appartementhotel verdient: http://www.aptera-lodge.com/

Kurzum: was man hier machen kann:

Einen Ausflug in die Stadt Chania, was wir vorgestern machten, als das Wesser drohte, umzukippen, kräftige Winde wehten, und mächtige wellen im Hafen aufliefen:

Chania

Chania, die antike Stadt Kydonia, nannte sich nach der arabischen Besetzung Al Hanim, Herberge, woraus sich das heutige Chania herleiten soll. Es existieren alternative Deutungen, für unsere Betrachtungen ist das gleich; denn die Stadt zeigt auch ohne Geschichtslexikon bereitwillig ihre „multikulturellen“ Wurzeln. Das hat sie mit den meisten Metropolen des mediterranen Raums gemein, und diese Erkenntnis bedürfte eigentlich keiner besonderen Würdigung, wenn das Klima nicht so wäre, wie gerade jetzt (Herbst 2018)

Ausflug in die Dörfer: Kokkino Chorio und Gavalochori

Gestern kippte das Wetter erstmalig in diesem Sommer. Einen ganzen Tag Dauerregen. Die geplante Wanderung durch die Irini-Schlucht entfiel, aus verständlichen Gründen, weil wegen der plötzlich einsetzenden Sturzbäche viel zu gefährlich. Statt dessen machten einen Ausflug in die Dörfer, wo wir uns unter anderem mit Rakomelo aufwärmten.

Einen Ausflug quer durch die Berge auf die andere Inselseite, an die Südküste, nach Sougia, was ein schöner Badeort ist, heute nur schön, denn der aufkommende, srarke Wind über dem Mittelmeer hat die Wellen weiter aufgebaut, die mit donnernder Kraft das Meer in eine Waschmaschine verwandelten.

Und:

Katzen füttern.

katzen aptera

Das Markenkatzenfutter in der lila Tüte gibt es im Pantopoleio des Ortes jederzeit in ausreichender Menge. Meistens wird es von Touristen gekauft, erzählt uns der Ladeninhaber.

Auf Kreta gibt es überall Katzen, genauer gesagt, verwilderte Hauskatzen, in allen erdenklichen Farben und Fellzeichnungen, fast ausnahmslos sind sie ziemlich hochbeinig schlank, und ziemlich menschenfreundlich. Anders, als man Hauskatzen (fälschlicherweise) nachsagt, leben sie meistens in kleinern, locker gefügten Gruppen zusammen. Erfreulich ist, dass viele Kreter ausgesprochene  Tierliebhaber sind. Anders als im übrigen Griechenland wird man nicht erleben, dass ein Kellner missmutig ein Kätzchen tritt, viele Kreter haben selber ihre persönlichen Katzen, neben all den wilden und halbwilden Exemplaren, die hier herumlaufen (und sich merkwürdigerweise bestens mit den Hunden im Revier vertragen).

Die Eltern unserer Vermieter sind ein besonderes Beispiel. Seit Jahrzehnten schon scharen sie, gemeinsam mit befreundeten Nachbarn, eine ziemliche Katzenkolonie um sich, in einem leerstehenden Nachbarhaus haben sie so etwas wir eine inoffizielle Katzenfütterungs- und Pflegestation eingerichtet. Nicht nur das. Im gepflegten Haus, wo die beiden älteren Herrschaften wohnen, ist nun noch eine Ziege eingezogen. Der hat ihre dumme Mutter nach der Geburt auf den Kopf getreten, seitdem ist das Tier, das mittlerweile ausgewachsen ist, ein „Pflegefall“, wohl besonders in psychologischer Hinsicht. Nach der Genesung und Tierarztbehandlung wurde das Tier von der übrigen Herde verstoßen, und nun kümmern sich Menschen um sie. Gestern Abend sahen wir den alten Herren mit der Ziege an der Leine spazieren gehen, sie müsse mal Pipi machen, sagte er. Meistens schläft sie in einem extra Raum in der Wohnung, auf einem Sofa. Liebenswürdige Menschen. Kreta halt.

Ungewisse Heimreise

Dass man nicht gerne an die Abreise denkt, geht vielen Urlaubern so. Wir haben nun noch ein spezielles Problem: Im Mittelmeer baut sich, wenn man den Wetterdiensten folgt, ein gewaltiger Wirbelsturm auf, ein so genannter „Medican“. Heute Nacht soll er Griechenland treffen , und hier genau vor zwei Stunden.  Fährverbindungen sind unterbrochen, aber wir wollen/müssen morgen von Iraklio nach Leipzig/Halle aufbrechen.  Es sind Windgeschwindigkeiten bis zu 120 km/h angesagt. Es ist jetzt 1:00 Ortszeit: noch ist alles ruhig, es regt sich kein Lüftchen, und man hört nur das abendliche Gezirpe der Zikaden. Hoffentlich ist es nicht nur die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm.  Das wirtschaftlich geschwächte Griechenland kann keine weiteren Katastrophen gebrauchen.

Kalo Chimona !

 

 

Linksversiffte Volksmusik

Sonntag, 23. September 2018

Am Abend kommen wir an dem alten Kafenion vorbei, das tagsüber geschlossen war, und das der Reiseführer rühmte, weil es noch in seiner Ausstattung aus den 20er Jahren stamme. Von Ferne hatten wir die Klänge von Lifemusik gehört. Sie kamen aus eben dieser Taverne, die nun voller Gäste war, überwiegend junge Leute, typisches „linksalternatives Spektrum“. Es hätte eine Vollversammlung der „Hasis“ sein können, was sich da, dicht gedrängt, an Tischen, in der Taverne bei den typischen Mesedes an Tischen und vielen Getränken und Rauch versammelte. Wir lugten neugierig durch die offen stehenden Terrassentüren hinein, und sahen zwei Musiker, die die klassische kretische Lyra (eine Art Streichinstrument) und Baglamas (Zupfinstrument, ähnlich der Bouzouki) spielten. Dazu sangen sie kretische Volkslieder, teils sogar „akademische Klassiker“ mit Texten aus der Renaissancezeit, etwa von Vincenco Cornaro. Gäste machten uns hilfsbereit Platz, rückten zusammen, man überließ uns Platz an einem kleinen Tischchen. Die nächsten drei bis vier Stunden, bis weit nach Mitternacht, erlebten  wir eine Kulturveranstaltung, wie man sie auch auf Kreta nur selten erlebt. Immer wieder lösten sich von den Tischen Gäste, tanzten traditionelle kretische Reihentänze, und das teils textfeste Publikum an den Tischen sang begeistert mit. Gerade auf Kreta werden klassische Volksmusik und Tänze nicht als Ausdruck des Spießertums verstanden, sie sind bis heute -auch unter „linksversifften“ ein Ausdruck von Freiheit, Lebenswillen und sicher auch lokaler Identität.

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Manolis Manoussakis und Charis Panajotakis, Lyramusik im „Ploumi“, Archanes (Kreta)

Die Musiker übrigens sind in Kreta keine unbekannten: Manolis Manoussakis und Charis Panajotakis treten sogar des öfteren in den beliebten Musikkanälen des griechischen Fernsehen auf, sie sind prominente Vertreter der kretischen „Lyramusik“.

Hier ein Video, allerdings nur instrumental:

Und hier in einer Kultursendung im griechischen Staatsfernsehen:

Hier das Duo Manoussakis/ Panajotakis bei Studioaufnahmen:

 

Dieses Video vom Auftritt am vergangen Sonntag hab ich selbst bei Youtube reingestellt. Ist doch gut geworden, mein erstes öffentliches Meisterwerk der Filmkunst. Man beachte die subtile Kameraführung, es waren ja schon einige Raki im Spiel, also bei den Darstellern 🙂

Betrieben wird das Lokal, das sich „Ploumi“ nennt, übrigens von einer Genossenschaft. Neben dem Tavernenbetrieb veranstalten sie ziemlich regelmäßige Kulturveranstaltung, zu denen das zumeist studentische Publikum aus der nahe gelegenen Universitätsstadt Iraklio regelmäßig anreist.

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Ankündigung des Konzertes an der Scheibe der Taverne „Ploumi“

 

Beton: es kommt drauf an, was man draus macht. Märchenstunde in Knossos

Von Iraklio ist Knossos, etwa 15 Kilometer südlich in den langsam vom Meer aufsteigenden Hügeln gelegen, bequem zu erreichen. Die „Erfindung“ des Palastes von Knossos geht einerseits auf Griechische Mythologie (Labyrinth, Minotauros) zurück , andererseits auf die phantasievollen Interpretation seiner Ausgrabungen, die der Archäologen Sir Arthur Evans seit 1900 auf dem Hügel von Knossos vornahm. Er hatte bei seinen Grabungen umfangreiche Reste von Grundmauern frei gelegt, die Befunde enthhielten reichlich Amphoren mit Lebensmittelresten, Gerätschaften Schmuck, Skulpturen und Freskenfragmente, von letzteren lagen jedoch die wenigsten in Situ vor, waren also bereits in kleinen Putzstückchen von den Wänden gefallen, als sie gefunden wurden. Heute wissen wir, dass die Anlage, ob man sie nun als Palast oder große, wohlhabende Siedlung bezeichnen möchte, überwiegend zwei Bauphasen angehört. Eine ersten, so genannten „ersten Palastzeit“, zwischen 1900-1750 Ch, und einer zweiten Wiederaufbauphase („zweite Palastzeit“), nach einem verheerenden Erdbeben aus der Zeit um 1700 v. Ch.

Beton gewordene  Theorie: Rekonstruktionen auf dem Palasthügel von Knossos

Beton gewordene Theorie: Rekonstruktionen auf dem Palasthügel von Knossos

Evans war beseelt von der Idee einer bronzezeitlichen Hochkultur, die er vorgefunden haben will – was unbestritten richtig ist, doch er projezierte Paläste nach seinen neuzeitlichen Vorstellungen, die wohl eher  barocken Schlössern angelehnt waren, als dem tatsächlichen – aufgrund Feuer und Erdbeben mit damaligen Methoden schwer zu interpretierenden Befunden entsprachen. Hinzu kam, dass Evans viele tragende Teile der Architektur gar nicht mehr vorfand, da sie einst aus Holz bestanden hatten. Leider hat Evans sich nicht nur an zeichnerische Rekonstruktionen gewagt, sondern ab den 1920er Jahren beschlossen, seine bis zu fünfstöckigen Phantasiebauten auf den originalen Befunden zu errichten, teils unter Verwendung originaler Spolien, die er den Grabungsbefunden entnahm.

Knossos, so genanntes Treppenhaus

Knossos, so genanntes Treppenhaus. Die Spielwarenabteilung befindet sich in der 5. Etage.

Beton. Es kommt drauf an, was man draus macht.

Die vermuteten Holzteile, wie etwa Säulen und Gebälk,  ließ er, nach anfänglichen Versuchen mit skandinavischem Kiefernholz, in Beton nachbauen, den  man damals für ein unverwüstliches Baumaterial hielt.  Der Beton wurde anschließend plastisch und malerisch auf Holz getrimmt, die Säulen in Pompejanisch-Rottönen, Schwarz und weiß gefasst, was teils malerischen Überlieferungen der erhaltene Freskenfragmenten, teils sogar überlieferten, kleinen, minoischen Hausmodellen aus Ton entsprach. Zudem entsprachen Stil und Farbigkeit dem Geschmack der Zeit. Die  phantasievolle Rekonstruktion der Fresken, die heute im archäologischen Nationalmuseum zu sehen sind, teils als Kopie in den Palastrekonstruktionen in Knossos, scheinen geradezu vom späten Jugendstil und Art Deco inspiriert zu sein. Dabei sind immerhin die wenigen originalen Fragmente halbwegs nachvollziehbar in die freizügigen, Rekonstruktionen eingegliedert. Während letzteres Vorgehen  noch legitim erscheint, weil reversibel, sind die massiven Betonüberbauungen ein Problem für die antiken Restbefunde, unter dessen Gewicht  sie förmlich zerdrückt werden. Die Fachwelt ist sich heute weitgehend einig, dass vieles des originalen Materials unwiederbringlich verloren gegangen ist. Aber auch die Evansschen Betonmassen haben sich nicht als so unverwüstlich erwiesen, wie man einst dachte. Sie sind heute selbst Gegenstand von Restaurierungsartbeiten geworden.

Wie die „Palast“anlage nun tatsächlich ausgesehen haben könnte, ist bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Wir wollen das an dieser Stelle nicht weiter ausführen, dies hier ist ein Reisebericht, der allenfalls neugierig machen soll, Fachliteratur gibt es genug. Vorstellungen einer Rekonstruktion ergeben sich aber beim Besuchen in den kretischen archäologischen Museen, wo man bronzezeitliche Hausmodelle aus Ton sehen kann (also Modelle, die die Minoer wohl in weiser Vorahnung der Nachwelt selbst hinterließen) , die offenbar mehr oder weniger idealisiere, kleine „Privatvillen“ zeigen.

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Minoisches tönernes Hausmodell aus dem archäologischen Museum Iraklio

Reiht man derer einige locker in Gestalt eines wohlgeordneten Dörfchens um einen zentralen Platz herum, und lässt dabei schmale Wege frei, die oft, um dem Gelände zu folgen, mit Treppchen versehen sind, so erhält man ein griechisches Dorf, meinetwegen eine kleine Stadt, oder eben, wenn man mag, auch einen ganzen Palast. Evans hat mit seinen Palastphantasien jedenfalls maßgeblich unser Geschichtsbild optisch geprägt. Es gibt kaum ein Schulbuch, das nicht die großen Loggien abbildet, mit ihren sich nach oben erweiternden roten Säulen mächtigen Wulstkapitellen und Gebälken. Malerisch öffnen sie sich in die weit offene Hügellandschaft mit ihren Olivenbäumen. Der Ausblick auf das Meer in der Ferne dürfte wohl den damaligen Verhältnissen nahe kommen, während aber beispielsweise die merkwürdigen Treppenhäuser eher an Werke von M.C. Escher erinnern. Egal. Ein Spaziergang über die Anlage lohnt sich, und mittlerweile darf man, nach Lösung des Eintritts, auch ohne Führer über die halbwegs gut gepflegte Anlage laufen. Die durchwegs zweisprachigen Erläuterungstafeln sind knapp gehalten, und neuerdings, modernen wissenschaftlichen Einsichten folgend, fast durchweg im Konjunktiv verfasst, und bezeichnen die in Beton gestampften Theorien des Artur Evans als das, was sie sind: unhaltbare Phantasie.

Wer jedoch eine „fachkundige“ Führung haben will, muss tief in die Tasche greifen, und erhält in der Regel von älteren griechischen Damen, eine noch von griechisch-nationalen Begeisterung geprägte eigene Interpretation. So zum Beispiel die Führerin, die uns in der mit blühenden Bougainvillien bedeckten Laube vor dem Kasseneingang aufschnappte. Sie nannte sich Stella (Name geändert), sprach uns nur mit „meine lieben Schätzchen“ an, und hatte in Wien Archäologie studiert (wahrscheinlich noch in der jüngeren Palastzeit). Zu drei Personen sollten wir für die Führung 60 Euro berappen, oder wenn sich sechs Personen fänden, zahle jeder aus der Gruppe nur 10 Euro. Wir wollten aber nicht, aber irgendwann einigten wir uns auf dreißig. Ein Erlebnis der Sonderklasse, wenn man für Esoterik offen ist. Der Palast berge ganz große Geheimnisse, wurde uns offenbart, und dass unter den Minoern perfekte Demokratie herrschte, außederm die totale geschlechtliche Gleichberechtigung. Im selben Atemzug erfuhren wir von dem mächtigen König Minos berichtet, der eine Stadt mit einer Million Einwohnern, die sich um den Palast erstreckt habe,  beherrschte (auf ganz Kreta leben heute 700.000 Menschen). Wir erfahren von einem umgedrehten Epsilon (dem heutigen griechischen „E“, (€ ), das in irgend einen Stein geritzt sei, und damals schon für Griechenland („Ellas“) gestanden habe. „Ein Epsilon in Linar A ?“, war meine erste und letzte kritische Frage, wir „Schätzchen“ erfuhren daraufhin, dass natürlich auch der berühmte Diskos von Phaistos viele wichtige und geheime Botschaften enthalte (der wahrscheinlich eine Fälschung ist, aber das bleibt unter uns hier).  Man kann (und sollte sich) dann höflich von einer solchen Dame trennen, aus Rücksicht auf ihr hohes Alter. Denn der Weg über das Gelände ist lang, und wenn die Sonne knallt, möchte man der Führerin, die ihr wohlverdientes Geld ohne weitere Belege bereits eingesteckt hat, auch ihren Ruhestand gönnen. Auch wenn der „wissenschaftliche Erkenntnisgewinn“ dürftig ist, beeindruckt der Betonpalast schon als Gesamtkunstwerk, etwa der Baderaum mit dem Tauchbecken (den Evans für den Thronsaal hielt) an der „Plateia“, die Zisternenanlagen, die zeigen, wie effektiv auch die  Minoer auf dem wasserarmen Hügel noch den letzten Tropfen Regenwasser sorgsam aufsammelten. Hinfahren lohnt sich, weiterfahren auch. Beispielsweise in Richtung der Ortschaft Archanes.

Der Aquaedukt von Spili

Auf halben Wege dorthin trifft man, etwa auf der Höhe der Ortschaft Spili, auf ein wirklich reales Bauwerk, im Original erhalten. Ein Aquaedukt, der beachtlich jungen Datums ist: 1840 n.Ch. errichteten Osmanen, römisch-byzantinischer, aber auch osmanischer Tradition folgend, eine gewaltigen Leitungsbrücke aus Kalksteinmauerwerk mit imposanten, weit gespannten Bögen. Die Wasserleitung führt von den Quellen bei Archanes und versorgte die Stadt Iraklion / Candia mit Wasser. Um Bauhöhe zu sparen, hat man den Aquädukt bereits als Druckleitung errichtet. Von der Anhöhe fällt das Wasser etwa 30 Meter in einer Leitung ins Tal, wo es einen Druck aufbaute, der mit den damaligen Bleirohren gerade noch zu halten war, um dann über das Brückenbauwerk geleitet zu werden, von wo es dann wieder die andere Talseite aufstieg. „Düker“ nennt man solche Bauwerke heute, die, dank druckresistenterer Materialien, ganz ohne Brückenbauten auskommen.

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Der osmanische Aquaedukt von Spili

In den Bögen über dem schwindelerregend tiefen Tal im Kiefernwald ließ sich gerade ein Hochzeitspaar von einem Profifotorafen in der Abendsonne fotografieren. Was macht man eigentlich mit solchen Bildern?

Ankunft in Archanes

Als Anlaufpunkt für Übernachtungen, oder  um Abende ausklingen zu lassen, empfiehlt sich die Ortschaft Archanes. Der ältere Stadtkern (Ano Archanes, oberes Archanes) ist eine mit ihren qualitätvollen Bauten des 19. und 18. Jahrhunderts gut erhaltenen kleine Stadt, die durch die Vielzahl von Läden, Tavernen, Schulen und Kultureinrichtungen ein sehr lebendiges, und gleichzeitig traditionelles, unverfälschtes Bild kretischen Lebens abgibt.

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Archanes by night

In der Nachsaison sind hier Appartements und Unterkünfte zu günstigen Preisen zu finden. Eine Vorabsuche im Internet ist nicht nötig. Wir fanden zufällig ein „Appartment“ in der „Villa Oresti“, einem Altstadthaus am oberen Ende der Altstadt, das uns bekannt vorkam: wir waren vor Jahren schon mal hier, stellten wir fest, als wir den blumenbestandenen Innenhof, der von einer Weinpergola überdeckt, betraten. Der Besitz ist mittlerweile an die nächste Generation übergegangen, das dreistöckige Appartment ist nun etwas modernisert, hat freies WLan und seinen geringen Preis von vor sieben Jahren behalten.

 

 

 

 

 

 

Spinalonga, die Insel der Aussätzigen

Nach Ende des 30-Jährigen Krieges in Mitteleuropa waren noch viele Söldner übrig – die Fürstenhäuser verkauften sie an die Venetianer, und so gerieten sie von einem Vernichtungskrieg in den Nächsten. Venedigt befand sich mit den Osmanen einem Dauerkonflikt um die Vorherrschaft im mediterranen Raum, und Kreta war hier der Dreh- und Angelpunkt.  Im Krieg hatten neue Methoden der Kriegsführung Einzug gehaten, die in ihrer Art sowohl grausam als auch mühevoll waren. Heftige Stellungskriege tobten um die Festung Iraklio, wo man sich gegenseitig mit „Minen“ und Gegenminen umbrachte. Diese Minen waren Tunnels, die man unter die feindlichen Stellungen grub,  um dort gewaltige Pulverladungen zu zünden. Iraklio fiel 1669 nach sagenhaften 21 Jahren brutalen Stellungskrieges, der auf venetianischer Seite an die 30.000 Menschen das Leben kostete, auf osmanischer Seite sogar über 100.000. Damit war ganz Kreta osmanisch geworden. Ganz Kreta? Nein, würde man in Anspielung auf Asterix sagen.

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Die kleine Insel im Vordergrund ist Spina Longa, rechts davon, am Land, liegt der Ort Plaka

Denn auf einem kleinen Inselchen, keine 8 Hektar groß hielt sich eine Venetianische Festung. Sie wurde Spina Longa  genannt („langer Dorn“), eine Verballhornung der griechischen Bezeichnung („is Elounda“ = nach Elounda). Elounda war eine kleine Hafenstadt, die, seit sich die Küste im Osten Kretas immer mehr senkte hatte, in der Spätantike ihre einstige Bedeutung verloren hatte. Die Felseninsel, auf der die Venetianer ihr letztes Bollwerk ausbauten, lag nur einen knappen Kilometer vor der Küste, dem heutigen Ferienort Plaka. 1715 gelang es den Osmanen jedoch mit viel Pulverdampf die Venetianer auch von dort zu vertreiben.

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Venetianische Festungsbauten von Spina Longa

Die Waffenstillstandsverhandlungen hatten vorgesehen, dass die verblieben Soldaten sowie die Zivilbevölkerung friedlich abziehen durften. Was letztere betraf, hielten sich die Osmanen nicht an die Vereinbarung. Die Zivilsten wurden als Sklaven verkauft. In der Folge siedelten türkische Familien, insgesamt etwa 250 Einwohner, in den venetianischen Festungsbauten an, zwischen denen sie Wohnhäuser, Läden und sogar eine Moschee errichteten. 1898 wurde Kreta selbstständig, unter Schutz sowohl der Hohen Pforte in Konstantinopel als auch des europäischen Protektorates, bevor es 1913 endgültig Griechenland zugeschlagen wurde. In der Folge verließen die meisten Muslime Spinalonga, und die Häuser verfielen langsam.  Neben Kriegen kämpfte Europa noch gegen weiteres Unheil, das man heute schon weit aus den Augen verloren hat: tödliche Seuchen, vor allem auch die Lepra, allgemein als „Aussatz“ bezeichnet. Die hochinfiziöse Krankheit (der Erreger ist ein Mykobakterium)  ließ sich nur eindämmen, indem man die Betroffenen sprichwörtlich „wie Aussätzige behandelte“: sie wurden in Kolonien oder Lagern unter teils unwürdigen Bedingungen isoliert. Dies war praktisch überall in Europa, bis zur Entdeckung der Antibiotika, gängige Praxis. 1903 trat das Gesetz zur Bekämpfung der Leprakrankheit in Kraft, es legte Spinalonga als Verbannungsort kretischer Erkrankter fest, nach 1913 kamen auch Betroffene vom griechischen Festland hinzu.

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Die Reste der türkischen Wohnhäuser auf Spinalonga heute.

Die Versorgung der Erkrankten erfolgte nur notdürftig.  Abgesehen von wenigen Ärzten, Wachpersonal und Bediensteten durfte niemand die Insel betreten oder verlassen. Im Umkreis von 200 Metern war, um Ansteckungen vorzubeugen, nicht einmal der Fischfang untersagt. Etwa 1000 Menschen wurden im Laufe der Zeit nach Spinalonga verbannt. Die Kranken richteten sich in den zurück gelassenen Häusern der osmanischen Bevölkerung ein, es entwickelte sich hier eine abgeschiedene, eigentümliche Gesellschaft nach eigenen Regeln. Erst in den 1930er Jahren änderten sich die unwürdigen Zustände langsam. Der griechische Staat errichtete auf der Insel einfache Krankenstationen, die medizinische Versorgung verbesserte sich etwas. Die Verbannten gründeten einen Interessensverein, die „Bruderschaft der Leprakranken von Spinalonga“. Auch ihre Aktivität führte langsam zu weiteren Verbesserungen, und, als sich die Antibiotika-Therapien durchsetzten, wurde die Leprastation Anfangs der 1950er Jahre geschlossen. Die Gebäude verfielen bis in die 1970er Jahre.  1972 kamen Pläne auf, die Insel in einen eine Marinestützpunkt umzuwandeln. Das konnte verhindert werden, das Gelände wurde statt dessen als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. 1976 erhielten die Gebäudeensemble den Status einer „Archäologischen Stätte“. Seit einigen Jahren ist der Ort eine beliebte Touristenattraktion. Die teils stark verfallenen Gebäude werden behutsam stabilisiert, eine einzelne Zeile hat man sogar rekonstruiert. In vielerlei Hinsicht erinnert die Anlage nun an ein modernes Pompeji, nur dass die erhaltenen Relikte, von den imposanten Resten der venetianischen Bastion, den türkischen Wohnhäusern bis hin zu den Krankenhausbauten der 1930er Jahre, weitaus jüngeren Datums sind.

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Das „moderne“ Krankenhaus aus den 1930er Jahren

Besonders in den Sommermonaten legen halbstündlich Boote von Plaka und Elounda zur Insel ab, und es ergießen sich Touristenströme aller Nationen in die felsige Ruinenlandschaft. Populär geworden ist Spinalonga durch den Roman „The Island“ von Victoria Hislop, der in mehrere Sprachen übersetzt und für das britische Fernsehn verfilmt wurde (Deutsch: Insel der Vergessenen, 2006).

Um die Insel zu besuchen, empfielt es sich, den kleinen Küstenort Plaka anzusteuern. Hier findet man übrigens, trotz des zunehmend touristischen Charakters des Ortes, immer noch gute und preiswerte Unterkünfte, der Strand läd zum Baden ein, und als gastronomische Empfehlung wäre die „Marias Taverne“ von 1930 zu empfehlen, wo es gute, traditionelle kretische Küche geboten wird (ohne lästige „Yesplease“-Anmache).

Es empfielt sich durchaus auch ein Abstecher von Plaka aus in die westlich gelegenen Berglandschaft. Die Felsen sind karg, es gibt nur wenig Vegetation, die Natur hat sich an die hier vorherrschende Trockenheit angepasst. An den steil aufragenden Bergkämmen tobt meistens ein recht heftiger Wind, was im Sommer durchaus erfrischend ist. Den Wind machen sich heute moderne Windkraftanlagen zu nutze, bei denen man sich fragt, wie die riesigen Masten und Turbinen wohl auf den Berg hinauf transportiert worden sind, denn die Straßen sind eng und kurvenreich. Bei dem Ort Vrouchas kann man noch gut erhaltene Windkraftanlagen des 19. Jahrhunderts bewundern. Die in Wind richting runden, nachhinten sich verbreiternden Türmchen stehen in einem Spalier nebeneinander, sie tragen hölzerne Flügelräder, die bei Bedarf mit Segeltuch bespannt werden konnten. Neben Getreide (das die Bewohner hier nicht anbauen konnten, sondern importierten), produzierten die Mühlen hier das einzigen Agrarerzeugniss her, das man dem Land abringen konnte: Olivenöl.

Überfahrt nach Kreta

21. September 2018

Die nächtliche Überfahrt von Piräus nach Iraklion auf Krteta dauerte 9 Stunden und verlief ohne Zwischenfälle. Das ist durchaus bemerkenswert, weil vor drei Wochen an Bord des Schwesterschiffes der ANEK-Linie ein Großbrand ausgebrochen war.  Glücklicherweise befand das Schiff sich noch nicht auf hoher See, so dass es schnell zurückfahren konnte, und die Passagiere im Hafen von Piräus in Sicherheit gebracht werden konnten. Ursache des Brandes war eine defekte Kühleinrichtung in einem LKW im Parkdeck.

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Ausfahrt aus dem Hafen von Piräus

Archäologisches Museum Heraklion

Über (Iraklio / Heraklion) hatte ich schon letztes Jahr geschrieben, nun bleibt nur noch das archäologische Museum. Es ist seit 2014 wiedereröffnet, nach siebenjähriger Schließzeit. Umgebaut worden ist offenbar wenig, das Gebäude selbst stammt im wesentlichen aus seiner Eröffnungszeit in den 1930er Jahren. Es ist bis heute einer der wichtigsten Vertreter der „griechischen Moderne“, entworfen von Patroklos Karantinos. Das Museum enthält die  nach dem Nationalmuseum von Athen  bedeutendste archäologische Sammlung. Unter anderem viele „Ikonen“ der griechischen Archäologie, so die Funde aus den minoischen und mykenischen Palastgrabungen, aber auch Funde aus der klassischen und der Spätantike. Das Museum folgt einem bewährten, klassischen wie auch mittlerweile langweiligem Konzept, was aber nicht stört, denn zumindest für Interessierte sprechen die Objekte für sich.

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Minoisches Tonmodell eines Wohnhauses. Solche Funde sind deshalb wichtig, da sie weitaus mehr als die phantasievollen, aber vollkommen spinnerten Palast-Rekonstruktionen von Evans vermitteln können, wie die minoische Architektur  tatsächlich aussah.

 

Mykenischer Suvlaki-Grill

Mykenischer Souvlaki-Grill

In seiner Bedeutung sollte man auch nicht den Museumskater  unterschätzen, der den Wachmeistern vor einem Jahr zugelaufen ist, und jeden Besucher ausgiebigst begrüßt.

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Der Museumskater von Iraklio