Das jüdische Museum in Thessaloniki

Eingangsportal des Museums

Die ersten Juden sollen befreits im 2. Jahrhundert vor Christus sich in Thessaloniki angesiedelt haben. 250 Jahre später soll der christliche Apostel Paulus auch hier in der Synagoge seine Missionspredigt gehalten haben. Während des Mittelalters bleib der Anteil jüdischer Einwohner in der überwiegend christlich-orthodoxen Stadt zunächst niedrig, ab dem 14. Jahrhundert sollen jedoch schon verstärkt aschkenasische Juden aus Ungarn und sephardische  Juden aus Spanien nach Thessaloniki eingewandert sein. 1430 wurde Thessaloniki von den Osmanen erobert, vorherrschend war nun der Islam, der neben dem Christentum die Hauptreligion in der wachsenden Stadt wurde. Viele christlich – orthodoxe Kirchen wurden in Moscheen umgewidmet. Gerade in dieser Zeit aber wuchs die jüdische Bevölkerung plötzlich sprunghaft an: Grund war die Einwanderungspolitik des türkischen Sultan Bayezid II. Ab 1492 hatte er den aus Spanien von der katholische Kirche vertriebenen Juden die Möglichkeit eröffnet, sich sich im Osmanischen Reich anzusiedeln. Neben Istanbul und Smyrna wurde Thessaloniki neue Heimat vieler sephardischer Juden. Aber auch aus anderen Gegenden Europas siedelten sich Juden in Thessaloniki an, gründeten eigene Gemeinden, die lange Zeit ihre Herkunftskultur und Sprachen pflegten. Schon um 1520 sollen mehr mehr als die Hälfte der Einwohner Juden gewesen sein. Hintergrund der Einwanderungspolitik war wohl weniger religiöse Toleranz der muslimischen Herrscher, sondern kühle Berechnung: das Prinzip der Dhimma garantierte Juden (und auch Christen, also allen „Konkurrenzreligionen“, die im Besitz der alten heiligen Schriften waren) Schutz gegen eine finanzielle Gebühr.

Um 1900 zählte Thessaloniki 173.000 Einwohner, etwa 80.000 von ihnen, also fast die Hälfte, waren Juden. Neben zumeist christlichen Griechen leben hier unter anderem auch Bulgaren und überwiegend muslimische Türken. Noch gehört Thessaloniki zum osmanischen Reich. In der Stadt entwickelte sich eine reges kulturelles und wissenschaftliches Leben – es gibt nicht nur eine Vielzahl von Synagogen, sondern auch Jüdische Schulen, Bibliotheken und Zeitungen und Verlagshäuser. Thessaloniki war ein der bedeutendsten Metropolen jüdischen Lebens geworden. Zwar stellte auch der neue christliche Staat alle Ethnien und Religionsgemeinschaften gleich, aber 1917 wurden insbesondere Juden von einer Katastrophe getroffen, von der sich die Gemeinden lange nicht erholten: vom 18. bis zum 19. August tobte in der Stadt ein Großbrand, dem ein großer Teil der Altstadt, besonders aber die jüdischen Viertel, zum Opfer fiel. Ewa 9500 Häuser wurden zerstört und mehr als 70.000 Menschen obdachlos, besonders betroffen waren Juden.


Auch der zügige Wiederaufbau der Stadt führte dazu, dass etliche Juden die Stadt verfließen: unter dem französischen Architekten Stadtplaner und Archäologen Ernest Hebrard sollte die Stadt auf überwiegend modernem Grundriss wieder aufgebaut werden. Dazu wurden die alten Grundstücksbesitzer enteignet und mit einem komplizierten Gutscheinsystem auf neue Grundstücke entschädigt. Diese Optionsscheine waren aber frei verhandelbar, viele mittel- und erwerbslos gewordene Einwohner versetzten die Scheine gegen Geld und Lebensmittel, und waren so um ihre Grundstücke und Lebensperspektiven in der Stadt gebracht.

Stadtplan von Thessaloniki heute. Rot eingezeichnet die Lage der Grundstücke vor 1917 (Jüdisches Museum). Schwarze Punkte geben die Lage der Synagogen an, die vor 1567 gegründet wurden, weiße Punkte diejenigen nach 1567

Dennoch zählte die jüdische Gemeinde bald vor dem II. Weltkrieg wieder 53.000 Mitglieder. Das unfassbare Grauen geschah dann 1941 mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Griechenland . Nur wenige Juden – das italienische Konsulat schätzte ihre Zahl auf etwa 1200 – schafften es, aus der Stadt vor dem Überfall Nazi-Deutschlands zu flüchten. Die anschließenden Gräueltaten und Verbrechen Nazi-Deutschlands an den in Thessaloniki verbleiben Juden sind eines der bekannten Kapitel der Shoah, der Massenvernichtung der Juden durch Hitler-Deutschland, ausgeführt durch SS und Wehrmacht. Nur etwa etwa 1950 von ursprünglich 51000 jüdischen Einwohnern überlebten Zwangsarbeit, Deportation und Konzentrationslage. Noch heute wird auch die Beteiligung des damaligen Wehrmachtsoffiziers späteren österreichischen Bundeskanzlers Kurt Waldheim an diesen Verbrechen diskutiert.

Jüdisches Museum als Stadtmuseum

Das Jüdische Museum im Hafenviertel besteht in seiner jetzigen Form seit 2001. Es liegt in einem einem ehemaligen Bürogebäude der Banque of Athens. Es ist Teil eines längeren zweigeschossigen Komplexes, der 1904 errichtet wurde. Nur etwa die Hälfte dieses Gebäudes mit einer neoklassischen, Fassade mit neobarock-französische Stileinflüssen ist renoviert und beherbergt das Museum, die linksseitige Hälfte ist nach wie vor dem Verfall preisgegeben. Vor dem Gebäude ist in einem Wachhäuschen die Polizei postiert, aus verständlichen Gründen erreicht man die Rezeption nur durch eine Sicherheitsschleuse.

Im Erdgeschoss ist ein Gedenkrum eingerichtet, ähnlich wie in Yad Vashem, lediglich in kleinerem Format erinnern hier auf schwarzem Marmor eingravierte Namen an die bekannten Opfer des Holocausts – ein Teil der letzten Tafel ist frei gehalten, er wird laufend ergänzt. Während unseres Besuches versuchte eine Familie aus Israel gerade, ihnen bekannte Familiennamen auf den Tafeln zu entziffern. In einem Video läuft das ergreifendes Interview mit einem Überlebenden, in dem Dokumentarfilm (Ivrit mit griechischen Untertiteln) berichtet Owadjah Baruch (Hier gibt es den Film auch mit deutschen Untertiteln bei Youtube, produziert von der Gedenkstätte Yad Vashem) über seine Kindheit in Thessaloniki, seine Verhaftung 1943, die Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik der Organisation Todt, wie seine gesamte Familie in den Gaskammern der Nazis getötet wurde, sein Überleben im KZ Auschwitz und sein weiters Leben in Israel. Berührend: im KZ traf Owadjah seine spätere Frau Alisa Zarfati, ebenfalls aus Thessaloniki deportiert. Trotz der furchtbare Umstände entstand eine Liebesbeziehung, in Israel heirateten sie und begannen ein neues Leben.

Stanzmaschine zur Herstellung von „Judensternen“

Das jüdische Museum ist viel mehr als eine Holokaust-Gedenkstäte.

Die Ausstellungsmacher haben das Museum nicht auf eine Gedenkstätte jüdischen Schicksaals und des Holocausts reduziert. Vielmehr wird die jüdische Geschichte als selbstverständlicher und elementarer Teil der Stadtgeschichte Thessalonikis präsentiert., das jüdische Museum wurde so zum eigentlichen stadthistorischen Museum.

Schade ist das das etwas altbackene Design der Ausstellung. Dass man, um Geschichte zu erzählen, auf Flachware (gedruckte Texte, alte Fotos) angewiesen ist, mag dem Mangel an Exponaten geschuldet sein. Leider wird auch dort, wo Realien gezeigt werden, nach einem Schema verfahren, das eben in europäischen Museen traurigerweise zu oft zu beklagen ist: Objekte in die Vitrine, Glaswürfel mit Nummer daneben, irgendwo gibt es dann einen Text zur Nummer. Das ist bedauerlich, aber in fast allen Museen in Griechenland so.

Produkte jüdischer Firmen aus Thessaloniki