Türkischrot aus Abelakia: Aufstieg und Fall einer internationalen Handelsmetropole in den Gebirgen des Ossa.

Nur 15 Kilometer sind es bis zur Mautstation, die man auf der Autobahn von Larissa in Richtung Katerini und Thessaloniki passieren muß. Man entrichtet hier nur 1,40 Euro, dann darf man die enge Passsage durch das einst romantische Tempi-Tal-passieren. Wir biegen jedoch gleich rechts ab, folgen den Schildern nach Ambelaki, das man nach 5 Kilometern steiler Serpentinenstrecke erreiht. (Man kann sich auch die Maut sparen, fährt dann über Ajokampos-Velika-Kokkino Nero, Stomio nach Ampelakia).

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Auf halber Höhe, Blick über das Tal des Pinios, in Richtung Larissa. Im Vordergrund ist die Serpentoinenstraße nach Ambelakia zu erkennen. Unten rechts beginnt das Tempi-Tal ( und wer eine Lupe hat, sieht sogar die Mautstation).

In der Gegend um das Tempi-Tal wächst heute noch eine Pflanze, die man für eine Art mutierten, zu groß geratenen Waldmeister halten würde. Es ist der sogenannte Krapp, Rubia tinctoria, aus der Familie der Rötegewächse. Das unkrautartige Gewächs ist  ein Relikt eines agrarisch-und vorindustriellen wirtschaftlichen Zweig Thessaliens, hier ist es ausgewildert, und bedürtfe eigentlich strengster Unterschutzstellung. Selbst die chemische Industrie Deutschlands wäre ohne dieses Kraut, und ohne seine einstige regionale Bedeutung,möglicherweise weniger denkbar. Der Lauf der Geschichte, der Bayer, Höchst und BASF möglich machte, passierte hier in Ampelakia und im Tempi-Tal gewissermassen eine historische Mautstation, die wohl nur schwer zu umfahren gewesen wäre.

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Krapp oder Färberröte, Rubia tinctoria L.

Die Wurzeln der Pflanze enthalten einen leuchtend gelben Farbstoff, das Alizarin. Schon in der Antike hatte man heraus gefunden, dass dieser gelbe Farbstoff in ein leuchtendes Rot umschlägt, wenn man ihn mit Aluminiumsalzen zusammenbringt. Mit aluminiumreicher Tonerde gekocht, erhielt man pinkfarbene Farbpulver, mit denen man beispielsweise die hellenistischen Tanagra-Figuren bemalen konnte, damit die dann aussahen, wie heutige Barbiepuppen. Man hatte auch herausgefunden, dass man damit Wolle und Seide färben kann, indem man die Aluminiumsalze auf Wolle aufziehen ließ, wo sie sich chemisch fest mit der Faser verbanden. Dann wurde die Wolle mit einem Absud aus Krappwurzeln behandelt, das Alizarin und verwandte Farbstoffe banden dann wieder an dem Aluminium, und das Ergebnis war ein rotes Garn von guter Lichtechtheit, und die feste chemische Bindung sorgte für eine „waschechte“ Färbung. Eine der ältesten Nachweise für Textilfärbungen mit Krapp finden sich sogar schon an Mumientextilien aus chinesischen Provinz Xinjiang (Nordwestchina, Turfan-Becken) aus der späten Bronzezeit, Ende des 2. Jahrtausend v. Ch.

Auch in Mitteldeutschland lässt sich die Kenntnis dieses Farbstoffs – wohl als importierte römische Technologie –  nachweisen, schon in Textilien des 3. Jahrhunderts nach Christus finden sich Farbstoffspuren der Krapppflanze  in mitteldeutschen und norddeutschen Gräbern. In der Gegend um Halle und Leipzig  wurde Krapp noch im 18. Jahrhundert in großem Umfange angebaut, um damit Wolle und  andere tierische Fasern zu färben.

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Traditionell werden in Griechenland auch Ostereier mit Krapp gefärbt. Andere Eierfarben als rot gelten als westliche-moderner Einfall.

Abertrotzdem bleiben bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts nach Christus blieben farbige Textilien, insbesondere brillant rote, ein Statussymbol, das nur höheren Klassen der Gesellschaft vorbehalten war. Die aufwändigen Verfahren und die teuren Rohstoffe waren der Grund dafür. In der frühen Neuzeit gewann Baumwolle als Faserstoff an Bedeutung – ein vergleichsweise günstiges Material, und Baumwolle wird bis heute in der thessalischen Tiefebene mit großem ökonomischen Gewinn (und hohen Verlusten für die Umwelt) angebaut. Leider ließ sie sich mit den damaligen Methoden nicht färben. Das Aluminium haftete nicht so einfach an Pflanzenfasern, im Gegensatz zu tierischen Fasern wie Wolle oder Seide. Wo und wann genau die Technik der „Türkischrotfärberei“ erfunden wurde, liegt im Dunkeln, es muß aber im 17 und frühen 18. Jahrhundert gewesen sein. Möglicherweise hier in Ampelaki, jenem kleinen Dörfchen 800 Meter oberhalb des Tempi-Tals, schwer erreichbar, gut versteckt.

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Das gewaltige „Archontikon“ (Herrenhaus) des Färbers Georgios Mavros alias „Swarts“ in Ambelakia ist kaum zu übersehen.

Die Genossenschaft von Ambelaki verstand sich jedenfalls auf die Kunst, das Unmögliche möglich zu machen, und eben auch das Aluminium auf der Cellulosefaser Baumwolle zu fixieren. Das Verfahren hielten sie streng geheim. Heute weiß man, wie das ging, Haftvermittler waren Aluminium-Fettseifen, die auf der Faser kleben blieben. Von Chemie verstanden die Leute von Ampelaki nicht viel, denn auch in Westeuropa entwickelte sich die moderne Chemie erst Ende des 18. Jahrhundert langsam aus der Alchemie.

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Im Tresorraum der Genossenschaft Swarts verwahrte hier nicht nur sein Privatvermögen, sondern treuhänderisch auch das der Genossenschaft. Die Doppeltür ist erst durch einen als „Kartoffelkeller“ getarnten Raum zu erreichen.

Die Alchemie ging bislang davon aus, dass man Eigenschaften auf fremde Substanzen „übertragen“ könnte, so etwa Silber durch „Tinctur“ die Eigenschaft „golden und unverwüstlich“ zu verleihen, es also in Gold zu transmutieren. Übertragen auf die Pflanzenfasern hieß das, man müsste diese erst einmal animalisieren, um auf sie die Eigenschaft der färbbaren,tierischen Fasern zu übertragen.So experimentierte man mit allerlei tierischen Produkten herum, behandelte Pflanzenfasern unter anderem mit Schafsmist und tierischen Fetten. Letztere sorgten dann, unter den vielen unsinnigen Schritten,  für den Erfolg. Die „türkisch rot“ gefärbten Baumwollgarne aus Ambelaki wurden der Exportschlager schlechthin. Handelspartner war vor allem Deutschland, aber auch Briten und Franzosen begehrten den trotz langer Exportwege günstigen, roten Stoff. „Türkischrot“ hieß das Verfahren deshalb, weil Thessalien – wie auch nahezu ganz Griechenland damals zum osmanischen Reich gehörte. Man gründete in Ambelaki eine Art Genossenschaft der Färber, deren Zeil einerseits die Vermarktung war, andererseits die Hütung des Geheimnisses. Dioe Genossenschaft der Färber von Ambelakia, gegründet 1785, galt seinerzeit als sensationell. Sie gilt als Vorläufer der späteren Agrargenossenschaften, aber auch des griechischen landwirtschaftlichen Genossenschaftsbankwesens heutiger Zeit [Karl Kienitz, Existenzfragen des griechischen Bauerntums. Agrarverfassung, Kreditversorgung und Genossenschaftswesen. Berlin 1960, S.66]; weiterführende Literatur mit umfangreichen Recherchen auch hier: Ulrich Bernhard: Ambelakia – eine europäische Utopie: „Vor 200 Jahren lebten hier 6000 Menschen und es gab eine reiche kulturelle Vielfalt, die in ihren verwirklichten Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in dieser Form nirgendwo im übrigen damaligen Europa Ihresgleichen fand“ . Organisiert war (lt. Bernhard) nicht nur das Finanzwesen, das es Nicht-Ambelakioten verbot, in die Finanzgeschäfte der Syntrophia (der Genossenschaft) zu investieren: sondern es waren verfaßt: „das Recht auf Ausbildung,
eine Altersrente, eine Kranken- und Armenfürsorge, die ökonomische Teilhabe aller
in Form von Aktien, am erarbeiteten Mehrwert und die damit verbundene Mitentscheidung
für alle- Mann, Frau, ja selbst Kind. Die Regeln der Teilhaber sind streng. Nur Angehörige
aus Ambelakia können Anteile zeichnen und nur eigenes Kapital darf verzinst
werden. Kein fremdes Kapital darf aufgenommen werden.“(Bernhard, s. O.)

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Das Untergeschoß ist aus meterdicken Bruchsteinmauern entstanden. Dort befindet sich auch der „Tresor. Die beiden Obergeschgosse, nach osmanischer Art orkragend, bestehen aus einer Holz-Lehm-Konstruktion, die überputzt und neben dekorativer Malerei auch mit vorgetäuschtem Mauerwerk versehen ist. So verging den „rohen Muselmännern aus Larissa“ wohl schon vom Anblick der Mut.

So machte man sich unabhängig von fremden Krediten und Zahlungsverpflichtungen. Eine traumhafte Vorstellung angesichts der jüngsten Bankenkrise in Griechenland.

Und man wehrte sich verhältnismäßig erfolgreich gegen türkische Steuereintreiber (das Dorf ließ sich aufgrund seiner strategisch guten Lage und der Festungsartig ausgebauten Häuser gut verteidigen) als auch gegen ausländische Spione. Es existieren mehrere Reiseberichte aus dieser Zeit, die immer wieder in der westeuropäischen Encyclopädischen Literatur erscheinen. So lesen wir im Jahre 1813 in Diesbachs Neuester Länder- und Völkerkunde: Ein geographisches Lesebuch für alle Stände (Prag 1813, Band 14, S. 262-264, über die „Europäische Türkei“:Das Dorf Ambelakia liegt auf dem Abhang des Ossa, und auf dem rechten Ufer des Peneus, zwischen Larissa» und dem Meere. Es gleicht durch die lebhafte Thätigkeit, die darin herrscht, mehr einem holländischen Flecken, als einem türkischen Dorfe. Es verbreitet durch seine Industrie Leben und Bewegung in der ganzen Gegend umher, und durch seinen Fleiß tritt Teutschland mit Griechenland in eng, Verhältnisse. Seit funfzehn Jahren ist seine  Bevölkerung auf das dreifache gestiegen, und betragt gegenwärtig viertausend Seelen. Alle Einwohner leben in und von Färbereien, und man kennt unter ihnen den Müßiggang nicht. Auch ist die Sklaverei, die rings um sie in. den Ebenen, die der Peneus bewässert, ihre Geißel schwingt, nie bis zu ihnen vorgedrungen; sie dulden gar keine Türken unter sich, und werden nach der Weise ihrer Vorfahren durch selbst gewählte  Obrigkeiten regiert. Zweimal haben die rohen Muselmänner von Larissa aus den Versuch gewagt, ihre Berge zu ersteigen und ihre Hauser zu plündern, aber beide Male sind sie von den Einwohnern, die schnell den Weberstuhl verließen, um die Musquete zu ergreifen, zurück geschlagen worden.

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Schlafgemächer im Haus des Genossenschaftsdirketors. Hier wurden auch die Handlungsreisenden als Gäste der Syntrophia aufgenommen.

Jedermann, auch sogar die Kinder, sind hier mit der Färberei beschäftigt, und während die Männer das Garn färben, spinnen und bereiten es die Weiber. Alle Einwohner leben von, dem Ertrag ihrer Fabriken, und bilden sammtlich nur eine Familie von Brüdern und Freunden. Die schöne Verfassung, die von den Jesuiten in den Wäldern von Paraguay gestiftet werden sollte» findet man hier auf dem beschneiten, felsigten Ossa wirklich eingeführt. Es scheint Zauberei zu  seyn, wenn man auf einmal in den Griechen ganz andere Menschen findet; sie sind fleißig und nachdenkend, an die Stelle der National=Eitelkeit sind großmüthige Gesinnungen getreten, und hohe Ideen von Freiheit keimen auf einem Boden, den seit zwanzig Jahrhunderten Sklaverei entehrt. Der ganze Charakter der alten Griechen zeigt-sich wieder mit seiner vorigen Energie, und alle Talente, alle Tugenden des alten Griechenlandes erwachen wieder in diesem wilden, entlegenen Winckel des neuern.

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Osmanischer Barock in Reinkultur – und dazu bester Erhaltung. Das ist sowohl in Griechenland als auch in der Türkei extrem selten.

Man findet in Ämbelakia vier und zwanzig Fabriken, in denen,jährlich 2500 Ballen türkisch Garn, jeder Balle von hundert Oken, gefärbt werden. Diese 2500 Ballen gehen sämtlich nach Teutschland, und zwar über Pest und Wien nach Leipzig, Dresden, Ansbach, Bayreuth u. s. w. In den meisten dieser Städte haben die Kaufleute von Ambellakia eigene Comptore, worin sie das türkische Garn unmittelbar  an die teutschen Manufacturen absetzen. .

Man hat auch im übrigen Europa vielfältige Versuche gemacht, das Baumwollengarn roth zu färben, und sogar haben sich griechische Färber in der Mitte des vorigen Iahrhunderts in Montpellier niedergelassen, und solche Fabriken auf griechischen Fuß errichtet. Die franzosischen Färber lernten ihnen ba!d ihre Handgriffe ab, und jetzt wird in Languedoc, Bearn, Rouen ,Mayenne  u. s. w. eine Menge Garn auf levantinische Art roth gefärbt. Auch die Oesterreicher haben glückliche Versuche hierüber angestellt. Dessen ungeachtet hat man die rothe Farbe, die dem türkischen Garn, das aus der Levante kommt, eigenthümlich ist, noch nicht nachmachen können; sie behält immer eine: Glanz und eine Lebhaftigkeit, die von der unsrigen nicht erreicht wird. Es fragt sich aber, woher denn dieser Verzug eigentlich kommt ? Viel» Färber behaupten, der Schafmist  trage am meisten dazu bei; andere sagen, das türkische Roth erhalte hauptsachlich daher seine Schönheit, daß man das Garn jedes Mal, wenn es aus einem Bade kommt, wieder sorgfältig ausspühlt,  indem die Farbe dadurch desto leichter eindringe und sich inniger milt dem Garn vermische. Auch scheint das vollkommene Austrocknen nach jedem Bade ein wesentliches Erfordernis zu seyn, es mag geschehen, auf welche Art es wolle, im Schatten oder in der Sonne.

In vielen Fabriken wird auch Urin anstatt des Wassers genommen, allein im Sommer geht dieser zu bald in Faulniß über. Anstatt der Gallapfel wird in manchen Orten Sumach oder ein anderes gemeineres zusammenziehendes Mittel genommen, wie z. B. Granatenrinde, oder Wurzeln von Nußbäumen, Erlen und Eichen.

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hier ist auch das Komplexe (oder wie wir vor zweihundert Jahren gesagt hätten: „zusammnengesetzte“ Lichtregime eines osmanischen Herrenhauses zu verstehen. Die von Stuckrahmen (häufig zweischalig ausgeführten) Schmuck-Oberlichter liegen über den Hauptfenstern, die im Sommer, zur Vermeidung großer Hitze, mit Holzläden („Patsouria“) geschlossen werden.

Ueberhaupt ist das Verfahren der Griechen äußerst zusammengesetzt (komplex): sie brauchen zu ihrer Farbe über fünfzehn verschiedene Ingredienzen, und jede Quantität Garn, die gefärbt wird, kostet über einen Monat Arbeit.“

Schon wenige Jahre später war es mit dem Glanz von Ampelakia vorbei. Ausländische Textilfärber waren den Färbern auf die Schliche gekommen, und nun nimmt der Niedergang seinen Lauf:1837 liest man dann schon in  Friedrich Brans „90. Band der „Miszellen aus der neuesten ausländischen Literatur“  (Jena,S.433 434)

„Ambelakia heißt ein Ort, von dem herab man in das Tempethal blickt. Seine Geschichte giebt den schlagendsten Beweis für alle Behauptungen, welche ich hinsichtlich der Türkei aufgestellt habe. Unter den vielen merkwürdigen Puncten, an denen Thessalien so reich ist, hat mich keiner lebhafter interessiert, als Ambelakia. Sein Handel, seine Thatigkeit und seine Bevölkerung sind verschwunden, aber noch schauen seine Paläste stolz herab auf den staunenden Wanderer, und bescheinigen die Wahrheit von den Erzählungen seines ehemaligen Ueberflusses, der sonst wohl fabelhaft erscheinen möchte“

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Hinten auf der Tribüne, saßen zu festlichen Anlässen die Musiker. Sicher spielte man dort keinen Sirtaki 8gabs damals nocht nicht), sondern eher höfische Osmanische Musik, wie sie sich einst Mozart sogar als Anregung zu seinem „al la Turka“ vorgenommen hat –> Pera-Ensemble)

In Frankreich befand sich nun auch das Hauptanbaugebiet des Krapps, bis die deutschen Chemiker Graebe und Liebermann 1868 nach der Strukturaufklärung des Alizarins auch einen Weg fanden, den Naturstoff billig aus Steinkohlederivaten zu synthetisieren.

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So stellten sich die Maler des 18.Jahrhunderts die ideale Stadt vor: Istanbul könnte gemeint gewesen sein, aber auch Thessaloniki, Bremen… Hauptsache: Häuser, Schiffe, Hafenbecken… und viel Platz zum Handeln.

Das war dann der Beginn der deutschen Farbenindustrie, insbesondere der Firma Bayer in Wuppertal und später Leverkusen, die den europäischen Markt, auch Griechenland, mit billigen, bunten Farben überschütteten. Nicht nur mit Alizarin, sondern auch mit synthetischem Ultramarin, einer wunderschönen himmelblauen Farbe, mit der die Griechen seit der Mitte des 19.Jahrhunderts ihre Häuser blau streichen konnten. Nicht nur in Ampelaki, sondern überall. Was wir für traditionelle griechische Farben, insbesondere auf den Inseln, halten, ist ein der Triumph der deutschen Farbenindustrie. Schon lange sind bunte Farben kein Distinktionsmittel der Reichen mehr, im Gegenteil. Die chemische Substanzbezeichung Alizarin markiert dabei eine lange Kulturgeschichte. „Riza“ ist griechisch und bedeutet „Wurzel“. Die Krappwurzel nannte man dann „Rizari“, und die Türken, denen Konsonanten am Wortanfang unausprechlich erscheinen, nannten sie dann „Irizari“, oder Izari. Ein Arabisches „Al“ davor, und so ist der Weg frei zum Trivialnamen Alizarin, dem leider die internationale Nomenklatur ein jähes Ende bereitet hat: 1,2-Dihydroxyanthrachinon.

Zurück nach Ampelaki. Das bedeutendste und größte der erhaltenen „Archontika“, Herrenhäuser, ist heute Museum. Eines der wenigen heute erhaltenen Herrenhäuser im osmanisch-griechischen Stil in Griechenland überhaupt. Um die Bezeichnung „osmanische“ oder gar „türkische“ Architektur druckst man sich in offiziellen griechischen Denkmalführern etwas herum, insbesondere, wenn sie von der staatlichen Denkmalpflege herausgegeben werden. Da wird dann das Byzantinische heraufbeschworen, was auch nicht ganz falsch sein muß, da natürlich auch die mittelalterliche byzantinische Architektur eine der Grundlagen osmanischer Architektur darstellte. Sogar weitaus der Grenzen Griechenlands.

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Europäisches Common Sense im Design des 18.jahrhunderts: Form vor Funktion. Dieser Kamin hat sicher nie gebrannt. Sonst hätte die ;Malerei nicht überlebt.

Der Besitzer des Herrenhauses: Georgios Schwarz. Er war der Vorsitzende der griechischen Genossenschaft von Ambelaki. Sein ursprünglicher Familienname war „Mavros“, später hat er sich wegen seiner langen Vertreteraufenthalte in Österreich und Wien seinen Namen auf Deutsch übersetzt. Einst ließ sich in der Renaissancezeit unser Freund und Reformator von Schwarzer auf „Melanchthon“ umbenennen, und nur ca 300 Jahre später tut Herr Mavros das Gleiche, nur umgekehrt. Distinktionsmittel der Upperclass haben eine geringe Halbwertszeit. Seien es bunte Farben, Baustile, Automarken, Turkizismen, Gallizismen, Anglizismen: sie durchtröpfeln die gesellschaftlichen Schichten von oben herab wie die Kiesschichten in einer Kläranlage, bevor sie unten als bunte Fallschirmseide am Getränkestand wieder heraus sickern.

Das Haus des Herrn Schwarz diente auch der Genossenschaft als Versammlungsort. Es ist Denkmal türkischen, herrschaftlichen Lebensstils. Orientierte man sich auch handelspolitisch an Westeuropa (nicht anders, als seinerzeit in Istanbul/Konstantinoupoli), so war der Mainstream gehobener Wohnkultur von Istanbul bestimmt. Ein massives Sockelgeschoß aus Bruchstein mit Holzverstärkung, wo Vorräte aufbewahrt wurden, im Halbgeschoss darunter befand sich die Schatzkammer in einem überwölbten, feuersicheren Raum. Im ersten Obergeschoss die Winterwohnungen, darüber, in Fachwerktechnik errichtet, die Sommerwohnungen in reichster Ausstattung nach türkischem Vorbild. Die Ornamentik ist die damals angesagteste des osmanischen Reiches: Naiv nachempfundene Roccaillen türkischer Umprägung, idealisierte Landschaften, rührend naiv gemalt, zeigen das, wie man sich die Hauptstadt Konstantinopel vorstellte. Von den Zentren hehrer Kunst war er weit entfernt, der Maler, der sich in der Inschrift über dem Kamin als „niemand geringerer als L.L.“ bezeichnet. „Turkobarock“ vom Feinsten, und Fallmerayer hätte sicherlich angesichts dieser Kunst die türkische Lebensart gerade mal anerkannt, aber mit Häme  den Niedergang der griechischen Kunst beklagt. Beliebt waren auch die Oberlichter in den vorspringenden Erkern aus buntem Glas, zusammengehalten von geschwungene Stegen aus Stuck. Im Gegensatz zu heutigen griechischen Haushalten standen nicht viele Möbel herum – sie waren vorzugsweise eingebaut, und zum Sitzen wie auch zum Schlafen begab man sich auf den „Sofas“, eine um den Raum herum laufende, niedrige Holzbank. Von hier aus hatte man, wenn die Luken der tief herunter gezogenen Fenster geöffnet waren, einen wunderbaren Blick auf die Landschaft und die Gärten mit ihren Feigenbäumen, Quitten und Granatäpfeln. Im Winter konnte man diese an den Wänden als Ornament gemalt, bewundern.

Im Ort Ampelaki sind noch drei bis fünf weitere Herrenhäuser dieser Zeit erhalten, teils restaurierungsbedürftig, teils im Stadium der Rettung. Der Rest ist neu, etliche Hotels und Privathäuser imitieren den Stil der Archontika in Beton – zum Davonlaufen. Nett ist die Plateia, der Dorfplatz, wo wir zum Tsipouro auch die ordentliche Portion Mesedes bekommen.