Samentausch zwischen Nonnen, Kleinbauern und Bürgerbewegten. Die 4. thessalische Saatgut-Tauschbörse in Dimitra.

(7. September 2013)

Das kleine Dörfchen Dimitra liegt links, nicht weitab von der Strasse zwischen Larissa und Aghia, etwa auf halbem Wege. Der rasterförmige Grundriß erinnert, von den Hängen des Ossa-Gebirges aus gesehen, an das Modell einer antiken römischen Kleinstadt. Aber nur von dort. Es liegt zwischen Baumwollfeldern und hat mit seinen langweiligen flachen Häusern aus den 1950 und 60er Jahren, umherknatternden alten Treckern und abgestellten Baumwolllastern rein gar nichts zu bieten. Hier möchte man nicht einmal tot über dem Zaun hängen.

Der Ort Dimitra in der Thessalischen Ebene, vom Hang des Ossa-Gebirges aus gesehen.

Dennoch pulsiert heute, am 7. September, auf der Plateia von Dimitra das Leben. Zum 4. Mal haben mehrere Organisatoren zum Thessalischen Samentauschtreffen eingeladen. Dahinter stecken Organisationen, wie sie eigentlich verschiedenartiger nicht sein können: Die Initiative «Engagierte Bürger Larissas“ (ενεργοι πολιτες λαρισας), das Nonnenkloster St. Johannes der Täufer mit Sitz bei dem weiter oberhalb gelegenen Ort Anatoli (Ιερα Μονη Τιμιου Προδρομου), die Gemeinde Aghia, die alternative Ökobewegung PELETI (Εναλλακτικι Κοινοτιτα ΠΕΛΙΤΙ) und viele weitere kleine Gruppen und Verbände. Mit der Tauschbörse bezweckt man nicht nur, untereinander selbst geerntetes Saatgut zu verteilen. Vielmehr ist dies Teil einer – auch sonst in Europa – zunehmenden, starken Bewegung, die der Politik internationaler Saatgutkonzerne ebenso entgegentreten will, wie dem Europäischen Gesetzgeber, der in den letzten Jahren mehrfach versucht hat, das Saatgutgesetz zu Gunsten großer Saatgutkonzerne zu ändern. Über die gesamteuropäische Bewegung, die insbesondere auch in Deutschland so stark geworden ist, kann man sich im Netz gut informieren. So läuft zur Zeit eine europaweite Unterschriftenaktion gegen die geplante neue Saatgutverordnung der EU: https://www.openpetition.de/petition/online/saatgutvielfalt-in-gefahr-gegen-eine-eu-saatgutverordnung-zum-nutzen-der-saatgut-industrie

Die Befürchtung der Bewegung besteht darin, dass mit dem Verbot – auch privat – nicht zertifiziertes und zugelassenes Saatgut zu vertreiben, die reichhaltige Vielfalt europäischer Kulturpflanzen, insbesondere historischer und alter Landsorten, sterben könnte. Bauern und Kleingärtner würden so von den Interessen der Saatgutkonzerne abhängig gemacht, weil sie nicht mehr lizenzfreies „open Source“- Saatgut ausbringen könnten.Während solche guerillahaften Samentauschaktionen in Deutschland vorwiegend  – und auch sehr erfolgreich – über das Internet abgewickelt werden,  trifft man sich hier, in Dimitra, vor Ort.

Die 4. Thessalische Samentauschbörse in Dimitra

Das subversive Treiben ist gut organisiert, und mutet von außen zunächst wie ein kleines Volksfest an. Um die eigentliche, streng nichtkommerzielle  Tauschbörse herum haben Verkäufer alternativer Produkte versammelt, die Nonnen des Johannesklosters verkaufen selbst hergestellten Käse, Honig, Liköre und Tsipouro, andere Biobauern sind mit Hülsenfrüchten, Kartoffeln, mehreren Soten Trachanas (einer Art fermentierter und getrockneter Grütze, aus Weizen und Milch bereitet, etwas weit verwand mit Couscous), Nudeln und Marmeladen vertreten.

Der Verkaufsstand der Nonnen vom Johanneskloster.

 

 

 

Auch die „Gyfti“ (eine Sinti-Roma-Gruppe), die bei keiner Menschenansammlung fehlen dürfen, sind mit einem klapprigen Pickup angereist und verkaufen bunt schillernde Luftballons. Die eigentliche „Tauschbörse“ besteht aus einer Reihe von etwa 15 Tapeziertischen, hinter denen die einzelnen Veranstalter Mühe haben, die Unmengen in liebevoller Kleinarbeit abgefüllter und beschrifteter Samentüten gegen allzu gieriges Publikum zu verteilen.

Diese Samenbank ist schon bald bankrott 🙂

Die Schlangen entlang der Tische sind enorm, das Angebot selbstgeernteten Saatgutes auch. Verschiedenste alte Tomatensorten, Auberginen, Mangold, Kürbissamen, Kräuter, Gurken, Melonen und Sonnenblumen sind der Renner. An semiprofessionelle Biobauern wird aber auch Getreide verteilt – so etwa Hart- und Weichweizen verschiedener Provenienz. Natürlich darf auch Stevia, das modische Süßkraut, im Sortiment nicht fehlen. Stevia rebaudiana ist mittlerweile Symbolpflanze im Kampf gegen die Großkonzerne geworden – weil die EU – angeblich wegen Kumpelei mit der Süßstoff und Zuckerindustrie – dem harmlosen Pflänzchen über lange Zeit die Zulassung als Nahrungszutat nach der „Novel-Food-Verordnung“ verweigert hat.

Eine Tauschbörse im engeren Sinne findet hier in Dimitra eigentlich nicht statt – denn das Saatgut wird an das sich um die Tische drängende Publikum kostenlos in kleinen Portionen verteilt. Der Tauschcharakter besteht denn auch mehr in der Erwartung, dass die Samenempfänger ihr geerntetes Saatgut beim Treffen im nächsten Jahr wieder der Börse zur Verfügung zu stellen.

Wo etwas kostenlos ist, da schart sich das Volk, doch einzelne besonders gierige „Absahner“ werden dann auch schon einmal höflich hinwegkomplimentiert. „Sie haben nun wirklich genug von uns bekommen, gehen Sie doch mal bitte an einen anderen Tisch“, ist dann auch schon mal von den frommen Schwestern an Tisch eins zu hören. Nach etwa zwei Stunden sind die Samentütchen dann auch schon weitgehend an die etwa 300 Leute, die zu dem Basar gekommen sind, verteilt. Jetzt erschallt vom Gemeindezentrum neben der Plateia das Megafon, um das Ende der Tauscherei zu verkünden, und die Leute nur zur Versammlung im Gemeindesaal einzuladen. Keine Veranstaltung kommt in Griechenland ohne Versammlung und Omilies“, Reden, aus. Eine kleinere gruppe der Teilnehmer bewegt sich nun auch dort hin, der Rest stärkt sich lieber mit Tsipuro und Mesedes in der Mittagshitze unter den Platanen.

Hart- und Weichweizen

Im Gemeindezentrum von Dimitra stellen die Initiativen sich und ihre Projekte vor.

Im stilvoll eingerichtetem Raum des Gemeindezentrums sieht es ein bisschen aus wie bei einer evangelischen Erntedankfeier, der Rednertisch ist dürftig mit ein paar Kürbissen und Tomaten dekoriert. Hauptredner gibt es in der basisdemokratisch angelegten Veranstaltung nicht, und so wird jeder Initiative eine kurze Vorstellung ihrer Arbeit und ihrer Motivation zur Teilnahme an der Tauschbörse eingeräumt. Das Nonnenkloster stellt sich vor – es scheint eine recht fortschrittliche Truppe innerhalb der ziemlich strengen, reaktionären orthodoxen Kirche zu sein. Die Schwesterngemeinschaft ist international zusammen gesetzt. Eine Nonne, die aus Deutschland stammt, haben wir später noch näher kennen gelernt, wir werden sie übernächste Wiche im Kloster besuchen. Die Nonnen, die aus allen Herren Ländern dieser Welt stammen, haben sich neben ihrem Dienst an Jesus Christus der traditionellen und ökologischen Landwirtschaft verschrieben. Anders, als es in vielen orthodoxen Klöstern Griechenlands üblich ist, erledigen sie die anstehenden Arbeiten selbst. Sie verfügen über Kuh- und Schafställe, eine Käserei und betreiben auf ihren Feldern den arbeitsintensiven Anbau von Biogemüsen per Hand.

Die engagierten Bürger von Larissa

 

Zum ersten Mal beteiligt sich die „Initiative der engagierten Bürger von Larissa“.  Dieser lockere Zusammenschluß von Bürgern aus Larissa und Umgebung sieht seine Kernaufgabe darin, die durch die Wirtschaftskrise entstandene soziale Not zu lindern. So hat man eine Art „Tafel“ organisiert, man verteilt Lebensmittel, die von landwirtschaftlichen Betrieben hergestellt werden, oder aber von Restaurants geliefert werden. Motto: „Es darf nichts übrigbleiben, nichts wird weggeworfen“. Die Initiative ist halt sehr basisdemokratisch, es gibt weder einen Vorstand, noch eine Kasse. Es werden nur Sachspenden angenommen. Geldverkehr hat man untersagt.

Gegen Abend treffen wir uns noch mit Freunden, die auch als aktive Mitglieder der Initiative an der Aktion beteiligt waren. Unter der Hand erfahren wir denn auch, dass es durchaus zu Reibungsverlusten kommt, in der mittlerweile auch über 200 Aktive mitwirken (bei einer noch größeren Zahl inaktiver Mitglieder). Auch bei der Vorbereitung der Saatgutaktion gab es schon mal Schwierigkeiten. So hätten einige der Mitglieder – allesamt nicht gerade erfahrene Saatgutzüchter, teils nicht einmal Gartenbesitzer  – auch schon einmal unreifes und taubes  Material in Tüten verpackt.

Und ob das wohl wirklich alles freie, ungeschützte Landsorten sind, nur weil sie bei Oma schon seit zwei Jahren im Garten wachsen? Letztlich ist es auch egal. Es geht, neben allem Spaß und praktischem Nutzen, um ein politisches Signal.

Einige Redner im Gemeindesaal betonten auch den pädagogischen Anspruch der Saatgutaktion: dass die Menschen sich endlich einmal mit der Herkunft ihrer Nahrung und deren politischen Funktion beschäftigen sollen.
Und ein lustiges Fest ist es allemal. Der örtliche Rundfunk berichtet darüber, schließlich mag das einen ähnlich ernst zu nehmenden Effekt erreichen wie einige tausend Online-Unterschriften.

Die Larissäer Gruppe hat derweil auch andere Probleme. Denn, wie auch bei richtig hierarchischen Organisationen, gibt es schon mal Unstimmigkeiten hinsichtlich der ideologischen Ausrichtung. Gerade hatte eine heftige Diskussion stattgefunden, ob man als überparteiliche Initiative auch Mitglieder politischer Parteien aufnehmen könne.  Irgendwoher kennen wir das alle.