Mehr aus Zagora: Knochenarbeit und rote Äpfel. (27-30. August 2013)

Jedes Jahr wieder wieder führen unsere Wege die steilen Serpentinen hinauf, über Chania nach Zagora, einer Kleinstadt auf der Halbinsel Pilion.

Darüber habe ich die letzen Jahre schon geschrieben, doch ist dieser in aller Hinsicht bemerkenswerte Flecken Griechenlands kaum mit einem einzelnen Beitrag abzuhandeln:.

http://hallespektrum.de/heiwu/2012/08/18/20-08-2012-bilder-aus-zagora-einem-dorf-auf-dem-pilion/

http://hallespektrum.de/heiwu/2012/08/15/15-08-2012-zagora-und-chorevto-das-fest-der-maria/

Auch jetzt, Ende August 2013, ist das Wetter wieder schwülheiß, die blauen Kisten, mit denen die Äpfel der Marke „Zagorin“ in die Genossenschaft transportiert werden sollen, stehen wieder in den Plantagen bereit.

Die großen, glockenformigen roten Äpfel, die an den Hängen in großer Zahl schwer in den Bäumen hängen, sind keine traditionelle Sorte. „Firikia“, die ursprünglichen kleinen, aromatischen, aber kaum mehr zu vermarktenden Äpfel werden nur noch von Liebhabern angebaut. Die Hänge des Pilion, vor allem des Apfelzentrums Zagora, dominiert die Sorte  „Red Delicious“, in der Varietät „starking delicious“, die weltweit einen der größten Marktanteile unter den Äpfeln behauptet. Marktstudien haben gezeigt, dass der Verbraucher immer wieder im Sortiment zu den rotesten Äpfeln überhaupt greift. So hat diese Züchtung auch an den steilen Hängen des Pilion alle einheimischen Sorten weitgehend verdrängt.

Der Geschmack der wunderschönen Früchte ist durchschnittlich, die harte, aber glänzend rote Schale sollte man vor dem Verzehr entfernen – nicht nur wegen der ausreichend angewandten Spritzmittel, sondern auch, weil die feste Schale unangenehmen zwischen den Zähnen hängen bleibt.

„Zum reinbeißen, diese herrlich knackigen Äpfel…. doch solche Ernten reifen nicht von allein…. Chemie. Auf Ihrer Seite.“ So (ähnlich warb einst die Chemieindustrie (West) in den 80er Jahren für Verständnis ihrer Produkte. Wie wahr !) . Äpfel in einer Plantage am Strassenrand bei Zagora.

Die Landwirtschaftskooperative „Zagorin“. Hier landen die gefüllten Apfelkisten, von wo sie europaweit in den Handel gebracht werden.

Der Markt will es nicht anders. Wer schöne rote Äpfel will, muß leiden. Die Anwendung deutlich sichtbarer Spritzmittel (die weißen Flecken sind wohl Kupferkalkbrühe) dient wohl nicht nur dazu, Pilzerkrankungen zu verhindern, sondern wirkt effektiv gegen die Dezimierung durch zweibeinige Schädlinge. Der reichhaltige Obstanbau auf dem Pilion liegt in den besonderen  klimatischen Verhältnissen begründet. Steil ragen die Hänge der gebirgigen Halbinsel an der Küste der Ägäis auf. Hier stauen sich zunächst alle vom Meer andriftenden Wolken – während Mittelgriechenland ansonsten trocken bleibt, gehen hier – im Spätsommer oft täglich- Gewittergüsse nieder.

Das macht den Pilion zu einer der grünsten Landschaften des Landes überhaupt. In Meereshöhe gedeihen Oliven, danach wechseln sich Apfel-und Kiwiplantagen ab. Oberhalb von 700 Metern gedeihen noch Kastanien, weiter oberhalb schließen sich dichte Eichen- und Buchenwälder an. Die letzten 200 Meter bis zur Spitze bei über 1600 m über NN ist von Nadelbäumen dominiert.

Industrie gibt es auf der gesamten Halbinsel in der verkehrstechnisch kaum erschlossenen Gegend nicht. Dominierender Wirtschaftszweig ist der Obstbau – gefolgt vom Bauwesen, was zunächst erstaunen mag. Während internationaler Tourismus trotz der einzigartigen Landschaft, die von Bergwandern bis zu Strandurlaub alle Möglichkeiten bietet, kaum eine Rolle spielt, ist der Pilion seit Jahrzehnten schon beliebtes Ferienziel wohlhabender Griechen, die hierher selbst aus dem 300 km entfernten Athen anreisen. Der Ausbau der einstigen Steinbauten der Ortschaften zu Ferienhäusern hat vielen Bauarbeitern – vor allem Einwanderern aus Albanien – gute Arbeitsmöglichkeiten geschaffen. Diesem Umstand ist zu verdanken, dass wenigstens einige Orte noch ihren ursprünglichen Charakter behalten haben, wenngleich auch hier die üblichen Bausünden – insbesondere durch Verkitschung und Übertraditionalisierung – zu verzeichnen sind. Dennoch reihen sich auch in dem attraktiven Ort Zagora gut sanierte Bruchsteinhäuser  aneinander. Durch die Wirtschaftskrise sind viele Bauarbeiten in den denkmalwerten Ortschaften zum Erliegen gekommen, viele der Häuser stehen zum Verkauf.

Behutsam sanierte Wohnhäuser vom Ende des 19. Jahrhunderts….

.. und romantischer Verfall wecheln in Zagora einander ab.

In der Nachbarschaft arbeitet eine Gruppe albanischer Brüder an der Instandsetzung eines Gebäudes. Die Fundamente des einst als Lagerraum genutzten Steinhauses müssen gegen die vom Hang eindringende Feuchtigkeit isoliert werden. Die Grundmauern werden mit Spitzhacke in einer Tiefe von zwei Metern freigelegt. Handarbeit. Minibagger schaffen den Weg hier hoch nicht.

Mittagspause: Albanische Maurer in Zagora.

Dränagerohre werden gelegt, Horizontalsperren angelegt, der Graben mit Dicken Steinbrocken, die man aus dem Tal herangeschafft hat, aufgefüllt. Bruchsteinmauern werden errichtet, Wände angeputzt. Neben einer Betonmischmaschine hat man noch eine Schubkarre, mit der das Geröll den Hang hinaufgeschafft wird. Das Ganze bei Gluthitze. Fast überall, wo in Griechenland mit Bruchstein gearbeitet wird, sind Albaner am Werk.

Stein auf Stein….

Man sagt, sie beherrschten das traditionelle Handwerk noch aus ihrer Heimat, während diese Kunst in Westeuropa längst verloren gegangen sei. Schon im 19. Jahrhundert war der Ruf albanischer Maurer bis hin nach Amerika bekannt. Doch es sind nicht nur die gefragten Handwerkskünste, die diese Menschen nach Griechenland drängen lassen, sondern das buchstäbliche Elend und Perspektivlosigkeit, die sie aus ihrem Heimatland vertreiben. Griechisch sprechen sie leidlich gut, einer der Handwerker, die wir kennen gelernt haben, fiel durch seine Deutschkenntnisse auf. Er hat sie in Thüringen erworben, im Aufnahmelager Mühlhausen, dann im Asylbewerberheim Gera. Dort verbrachte er sechs Jahre seines Lebens – vergeblich. Keine Arbeit, und dann „habe er Scheiße gebaut“. Nun schleppen er und seine Brüder Steine, erledigen die Arbeiten, die sich in den Nischen trotz der hohen Arbeitslosigkeit in Griechenland finden lassen – bei natürlich geringer Bezahlung. Überraschend schnell wachsen unter der Hand der vierköpfigen Gruppe perfekte Bruchsteinwände, in einer Geschwindigkeit, in der andernortes nicht einmal die Verschalung einer Betonwand entstehen würde.

Wem nicht gerade Baustellentourismus am Herzen liegt, dem sei eine Reise in den Pilion trotzdem wärmstens empfohlen. Anreisepunkt ist die Großstadt Volos am Fuße des Pilion, von dort leiht man sich entweder ein Auto oder nimmt einen der wenigen Busse. Die Fahrt über die langen Serpentinen bis Zagora verläuft über den Pass am Skigebiet bei Chania in 1200 metern Höhe, für die 62 Kilometer lange Strecke muß man mit eineinhalb bis zwei Stunden rechnen.

Touristinfo auf deutsch: http://www.pilion.de/

Bei „Petros“ in Chorevto am Strand.

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