Von Mavrovouni auf den Pilion: holprige Wege nach Keramidi

Wer von Larissa – oder Aghiokampos aus den Pilion erreichen wollte, jene auch unter griechischen Touristen und Ferienhausbesitzern begehrte Berglandschaft, würde, normalerweise einen – zumindest auf der Landkarte – sehr umständlichen Weg fahren, der fast drei Stunden benötigt: Über Larissa die Schnellstraße oder gleich die Autobahn Richtung Volos , Portaria, und dann, beispielsweise Richtung Tangarada oder Zagora fast die Ganze Halbinsel umrunden.

Von Aghiokampos nach Keramidi und Kamari am

Von Aghiokampos nach Keramidi und Kamari am Fuße des Pilion

Es geht auch anders: Knappe 20 Kilometer sind es von Aghiokampos, dem Traumstrandort Larissas, zu einem der Traumstrände des Pilion, Nomos Volos. Den Weg muss man nur kennen. Ein kleines Stück die normal ausgebaute Küstenstraße entlang, und nach etwa 10 Kilometern Weg, wo sich die Straße langsam in die Berge  ansteigt, wenige hundert Meter, nachdem man den Fluss Rakopotamos überquert hat, der hier ins Meer mündet (und wo es einen beliebten Strand mit guten Angelmöglichkeiten gibt) gibt es ein handgemaltes Straßenschild: Keramidi Volou. Das Schild verweist auf einen holprigen Waldweg, 12,6 Kilometer sind es nur, wenn man dem Schild traut. An den Steilhängen entlang schleicht sich der rumplige Schotterweg (mit etwas Mut auch für nicht ganz geländegängige Fahrzeuge durchaus passierbar) durch dichte, dunkle Wälder, dann wieder Macchien, Olivenhaine, und immer wieder liegt das Meer in beängstigender Tiefe ganz tief links unten.

Unterwegs zwischen Mavrovouni nach Keramidi (Pilion). Im Hintergrund unten das ehemalige Bergwerk

Unterwegs zwischen Mavrovouni nach Keramidi (Pilion). Im Hintergrund unten das ehemalige Bergwerk

Auch zu Fuß wäre der Weg zu schaffen – vielleicht eher im Herbst, wenn es nicht ganz so heiß ist, dafür aber die Pilze am Wegesrand locken. Auf der Strecke, die man mit dem rumpelnden Wagen etwa eine Stunde benötigt, weil man auch hin und wieder anhalten muss, um den Blick über die Landschaft schweifen zu lassen, oder um Feigen zu mopsen, glaubt man manches Mal gar,  ganz woanders zu sein, etwa auf Rügen, woran die gleißend weißen Sandsteinfelsen erinnern, die immer wieder am Hang, bekrönt von hohen Buchen und Eichen, auftauchen.

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Weiße Sandsteinfelsen begleiten den Weg

Diese gut 12 Kilometer können da sehr lang werden. Glaubt man, nie wieder aus dieser erstaunlich feuchten Wildnis heraus zu kommen, sieht man rechts oben im Gebirge eine aus Steine gebaute Ortschaft liegen: Keramidi ( oder Keramidion, es gibt zwei Schreibweisen).

Das letzte Stück nach Keramidi hinauf führt nun eine ganz normale Asphaltstraße, und links hinunter geht die Straße nach Kamari.

Dort oben liegt der Ort Keramidi am Fuße des Pilion

Dort oben liegt der Ort Keramidi am Fuße des Pilion

Erst Baden? dann fahren wir erst einmal den Weg hinab. Kamari: Kleine Bucht, ein paar Häuser, eine Taverne, die allerhand Erfrischungen anbietet. Am Strand wenig Betrieb, das Wasser ist glasklar. Beim Schwimmen im lauwarmen, türkisfarbenen Wasser wird man zuweilen kalt erwischt: schuld daran sind die plötzlich am Ufer kalt aufkommenden Strömungen- es sind Quellen, die  unterirdisch aus dem Flussbett münden, das sich hier, aus dem Pilion-Gebirge kommend, kaltes Bergwasser  ins Meer drückt.

Strand von Kamari

Strand von Kamari

Hat man genug vom Strand, dann kann man endlich nach Keramidi fahren. Es ist einer der ganz wenigen, hoch gelegenen Pilion-Orte  (damals, wegen der Piraten, hat man sich im Gebirge versteckt), der noch nicht vom Tourismus entstellt worden ist. Viele der Häuser (die meisten noch aus spätosmanischer Zeit der 1880er Jahre, mit betont christlichen Symboliken in den Türsturzen) sind noch gut erhalten, zwischen ihnen bescheidene Neubauten der 1990er Jahre, das ein oder andere Haus (noch) ruinös, insgesamt ein harmonisches, natürliches Ortsbild. Als wir auf der Plateia ankommen, ist noch späte Mittagszeit, die bescheidenen Kafeneia bereiten sich auf die Öffnung vor, der Ort wirkt fast ausgestorben, denn die meisten Leute schlafen. Ein Mädchen fegt mit einem Reiserbesen den Platz vor dem Laden ihrer Eltern. Die Kirche aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, im inneren im volkstümlichen Stil des osmanischen Barocks gehalten, ist geöffnet. Marmorimitiertende Säulen tragen Rockocko-Kapitelle mit Vögeln (Pelikane) als Skulpturenschmuck. Eie geschnitzte Ikonostase gibt es, und drei Frauen (deshalb ist die Kirche geöffnet, sind mit Putzarbeiten beschäftigt, man streitet sich wortgewaltig und durchaus mit unchristlichen Kraftausdrücken über den Arbeitsablauf, denn es gilt, ein Fest vorzubereiten, Blumen werden ausgelegt, und alle Scheiben vor den Ikonen, die am meisten von den Gläubigern geküsst werden, müssen mit Sidol abgerieben und desinfiziert werden. Beim Spaziergang durch den Ort treffen wir auf einige Opas, die sich langsam von der Mittagspause erhoben haben, zwischen den zahllosen Blumentöpfen, die die schmalen Gässchen zieren, dösen Katzen, Hunde kläffen. Und immer wieder ergeben sich wundervolle Ausblicke über das Meer, das sich dunkelblau tief unten ausbreitet. Hier wären wir gerne geblieben, um das Abendleben auf der Plateia zu genießen – doch morgen ist Aufbruch.


Zu entdecken gibt es in dieser Ecke noch viel: beispielsweise die Überreste eines (angeblich) venezianischen Bergwerkes, dessen Mündungsstollen etwa auf halber Strecke des Rückwegs, unterhalb der Siedlung Ischiomata, mit seinem Mundstollen und den steinernen Stützmauern sich zum Meer hin öffnet. Andernmal.  Nächtes Jahr wieder. Kallo Chimona.

Man muss die Menschen draußen im Lande da abholen, wo sie stehen: Fortbildungsterror auf dem Dorffest

Aghia (Thesslien), 6. September 2017

Aghia (Αγια, Aja) ist der Hauptort der Gemeinde Aja, die mehrere größere und kleinere Orte in der Ebene zwischen den Gebirgen Mavrovouni und Ossa auf der einen Seite, und der Großstadt Larissa auf der anderen Seite umfasst. Die Orte in der fruchtbaren Ebene  ringsum leben fast ausschließlich von der Landwirtschaft. Biegt man hier von der Landstraße aus Larissa kommend, oder von den Bergen Mavrovounis herunter hier ab, so in eine zig Quadratkilometer weite, endlosen Paradiesgartem aus Apfelbäumen.  Nichts als Apfelbäume. 80 % der Äpfel, die Griechenland exportiert, stammen von hier. Das glaubt man, wenn man die Massen an dicken roten,und gelben Äpfeln an den überladenen Bäumen sieht sofort, und fragt sich unweigerlich, wer um alles in der Welt so viele Äpfel essen kann.

Apfelplantage bei Aghia

Apfelplantage bei Aghia

Unendliche lange Reihen von Monokulturen, die Bäume werden an Spalieren gezogen, dazwischen laufen schwarze Plastikschläuche, die oft sogar Rechnergesteuert gezielt die Wasserversorgung steuern. Zig Millionen Apfelbäume, voll mit perfekten, normgerechten Früchten, man kann bedenkenlos hineinbeißen, den Wurmlöcher oder faule stellen gibt es nicht. Immer wieder sieht man  kleine Traktoren, die zwischen den Reihen hindurch fahren, und Nebelfontänen empor stoßen, wie kleine Walfische pflügen sie sich durch das Plantagenmeer. Es sind Spritzmaschinen, mit denen Pflanzenschutzmittel aller Art zerstäubt werden. Das muss sein, denn die Großabnehmer haben klare Erwartungen an das genormte Produkt, meistens sind es dunkelrote Äpfel, es gibt auch noch spitze, gelbliche, die nach gar nichts schmecken. Geerntet werden die Äpfel noch von der Hand, was fast ausschließlich von albanischen Saisonarbeitern und Tagelöhnern erledigt wird.

Panijiri (Jahrmarkt) in Aghi

Panijiri (Jahrmarkt) in Aghia

Jetzt ist Erntezeit, und in Aghia wird das „Jorti ton Milon“, das Apfelfest, gefeiert. Auf den Mäuerchen der Plateia sitzen Scharen der albanischen Saisonarbeiter in der Abenddämmerung, in der Hand halten sie kleine Plastiktüten, in denn sie ihre Verpflegung aufbewahren, manche unterhalten sich, manche streiten, und manche starren auch nur mit leerem Blick auf die Straße, wo immer mal ein verspäteter Lastwagen mit Obstkisten oder eine der Spritzmaschinen vorbei rumpelt. Den Besuch in den zahllosen Tavernen, Tsipouradika und Psistaries (Grillrestaurants) können sie sich nicht leisten. Das Apfelfest ist eine mehrere Tage andauernde „Panijiri“, eine Art Kirmes. An den von LED-Scheinwerfern grell erleuchteten Ständen verkaufen Händler fast nichts anderes als „Chalvas Makedonikos“, ein leicht karamellisierter, fester, gummiartiges Gelee aus Stärkekleister und Zucker, garniert mit Nüssen und Mandeln. Es gibt aber auch ein kleines Karussel für Kinder, Glücksspielgeräte, gewissermaßen die abgespeckte Miniaturversion einer deutschen Provinzkirmes. Aber eine Panijiri ist hier des Volkes wahrer Himmel. Und, was ganz wichtig ist: Auf der Bühne gibt es täglich Lifebelustigung, meistens Musik, griechische Volksmusik der eher schlicht gestrickten Art mit viel Herzschmerz und Klarinettengejaul. Vor der Bühne sitzen nun die griechischen Bauern und Grundbesitzer, aber auch die Besitzer der großen Kühlhäuser, in denen die Ernte gelagert wird, um sie bei guten Tagespreisen auf den internationalen Markt werfen zu können. An den Rand gedrängt auch hier die albanischen Tagelöhner mit ihren Plastiktüten in ihren verschwitzten Arbeitsklamotten. Während wir uns an den Tischen einer Psistaria niedergelassen haben, ganz hervorragende Souvlakia und Kokoretzi zu uns nehmen, beginnt das Programm. Die Ansage kündigt an, dass sogar der stellvertretende Vorsitzende der Bezirksregierung das Fest mit seiner Anwesenheit beehrt, es soll Musik geben, und außerdem: ein Schulungsprogramm. Vorträge der Hochschule Thessaliens (eine Art Fachhochschule) zum Thema: „richtiger Umgang mit Pflanzenschutzmitteln“. Es folgt zunächst die etwas nichtssagende Ansprache eine zweitrangigen Lokalpolitikers, die zwischendurch von lautstarken Rufen aus der albanischen Ecke unterbrochen wird: „Die Tagelohnsätze sind zu niedrig“.  Ja, er werde darauf eingehen, sagt der unterbrochene Redner, was er dann nicht tut. Nun gibt es ein paar Takte Musik, oder sind es Soundchecks? Singen können weder Sänger und  noch Sängerin, und nun geht das Schulungsgprogramm los. So etwas haben wir noch nicht erlebt, Schulung der Landbevölkerung auf einem Dorffest, das klingt nach längst vergangenen Sowjetzeiten, und so warten wir gespannt ab, was passiert. Die ersten Griechen verlassen den Ort, die Albaner starren genau so interessiert wie wir auf den Mittfünfziger, der nun die Bühne betritt.

Vortrag in Aghia zum Thema Pflanzenschutzmittel

Vortrag in Aghia zum Thema Pflanzenschutzmittel

Er ist der für den Bereich Landwirtschaft zuständige Abteilungsleiter des Verwaltungsamtes im „Nomos“ von Larissa, man könnte das etwa mit der Bedeutung unseres Landesverwaltungsamtes vergleichen.

„Wir haben, in Zusammenarbeit mit der Hochschule Thessalien, diese Woche drei Schulungsveranstaltungen angeboten. Dann, noch einmal, heute um 18:00 Uhr, noch eine, weil fast niemand gekommen ist. Auch heute Abend war niemand von Euch erschienen“, begann er, sichtlich wutentbrannt, seine Rede an das versammelte Publikum. Den Grund der Publikumsbeschimpfung schob er gleich nach: „Es geht nicht nur um die Umwelt, die Ihr mit dem unverantwortlichen Einsatz von  Pflanzenschutzmitteln verseucht. Es geht um Euer Geld, das Ihr sinnlos mit diesem Übermaß von Material verschwendet. Es geht um die Qualität eurer Produkte, denn selbstverständlich werden die immer wieder wegen zu hoher Belastung beanstandet. Und es geht um Eure Gesundheit“. Aber Ihr glaubt immer, alles schon alles zu wissen“, ruft er über die Reihen von Plastikstühlen, in denen die stolzen Landwirtsfamilien sich bequem gemacht haben, um dem eigentlich erwarteten Musik- und Belustigungsprogramm bei Bier, Wein und Schnaps zu folgen. „Nein, wir haben beschlossen, Euch nicht in Ruhe zu lassen, so kommt Ihr uns nicht davon !“  Es ist mittlerweile abends um zehn, der Abteilungsleiter redet sich in Rage. “ Ihr solltet wissen, dass die Abnehmer immer stärkere Kontrollen einführen werden, der Ruf einer ganzen Erzeugerregion geht kaputt, wenn Ihr so weiter macht. Stellt Euch vor: In den Niederlanden dürftet Ihr überhaupt nicht mehr Pflanzenschutzmittel anwenden, wenn Ihr keinen Sachkundenachweis vorlegen könnt. Dort wird die Teilnahme an zweijährigen Seminaren verlangt“.

"Zum reinbeißen, diese herrlich knackigen Äpfel.... doch solche Ernten reifen nicht von allein.... Chemie. Auf Ihrer Seite." So (ähnlich warb einst die Chemieindustrie (West) in den 80er Jahren für Verständnis ihrer Produkte. Wie wahr !) . Äpfel in einer Plantage am Strassenrand bei Zagora.

„Zum reinbeißen, diese herrlich knackigen Äpfel…. doch solche Ernten reifen nicht von allein…. Chemie. Auf Ihrer Seite.“ So (ähnlich warb einst die Chemieindustrie (West) in den 80er Jahren für Verständnis ihrer Produkte. Wie wahr !) . .

Erstaunlicherweise verlässt nun kein Bäuerlein mehr den Platz, brav lauschen sie den folgenden Vorträgen über den sicheren Einsatz von Spritzmitteln, das Anlegen von Schutzausrüstung (ich habe noch keine Spritztraktorfahrer mit irgendwelcher solcher Ausrüstung gesehen, es ist allerdings auch eine Drecksarbeit, die man lieber den vorgenannten Tagelöhnern überlässt). Eine Wissenschaftlerin der landwirtschaftliche Fakultät führt nun aus, welche Unfälle (In erster Linie Vergiftung, Nervenschäden, Kollaps) mit entsprechender notfallmedizinischer Behandlung und längerem Krankenhausaufenthalten regelmäßig auftreten ( in erster Linie betroffen sind die Tagelöhner), man habe in der Provinz Aghia den Bestand um zehn Krankenwagen erhöhen müssen, um die Patienten nach solcherart Unfällen in die Kliniken bringen zu können. Langsam wird mir auch schlecht. Habe ich nicht eben noch, bei unseren Streifzügen, Äpfel von den Bäumen gepflückt, hineingebissen, um zu probieren? Au weiha. An Appel per day, keeps the doctor  away? Von wegen. Hier wird gespritzt, bis der Arzt kommt. Ok, wir leben noch. Gefährdet sind wohl weniger die Verbraucher, als die Arbeiter, die teils aus Dummheit, teils wohl auch unter Zwang, sich selbst dem Dauernebel von Pestiziden, Fungizide, Herbiziden tagtäglich aussetzen. Vielleicht ist es auch testosterongesteuerter Heldenmut – Schutzausrüstungen werden möglicherweise als  ein Zeichen von Schwäche gedeutet: unbehelmte Motorradfahrer im T-Shirt gehören ja auch  immer noch zum gewohnten Straßenbild.

20170906_195909 Aghia Taverne Psistaria

 

Iraklio Herakleia Handaq Chándakas Candia Kandiye

Iraklio, 25. August 2017

Nun ist eine gute Woche Kreta vorüber, ein letzter Besuch gilt „Heraklion“ (Iraklio), von wo wir abends spät Richtung Athen einschiffen werden. Für einen längeren Stadtausflug ist noch Zeit.

venezianisches Kartenwerk zu Candia. Historisches Museum Iraklio

Venezianisches Kartenwerk zu Candia (Il regno tutto di candia, das ganze Reich Candia). Historisches Museum Iraklio

Heraklion hat nie diesen Namen getragen. In dorischer Zeit soll es unterhalb des viel bedeutenderen Knossos, das nur etwa 5 Kilometer entfernt in den Bergen liegt, eine Siedlung namens Ἡρακλεία („Herakleia“) gegeben haben, später nannten die Römer den kleinen Hafen Heracleum. Zur dieser Zeit sprach man jedoch das „H“ im Griechischen nicht mehr, und die ehemaligigen Diphtonge „εί“ sprach man bereits wie „i“ aus. „Iraklia“ also allenfalls. Der Name taucht aber dann aber im Verlauf der weiteren Geschichte ohnehin nicht mehr auf. Zwischen 826–961 herrschten Araber auf Kreta (Emirat von Kreta). Sie bauten den kleinen Hafenvorort von Knossos festungsartig aus, sie sind die eigentlichen Stadtgründer von „Heraklion“. Die neue Stadt benannten sie nach der arabischen Bezeichnung  „Ḫandaq“ (Festungsgraben) , die griechische Bevölkerung machte daraus  Χάνδαξ (Chándax) bzw. Χάνδακας (Chándakas). Nach dem Abzug der Araber wurde Chandax zunächst wieder byzantinisch, fiel dann aber an die Venetianer, aus Chandakas wurde latinisert „Candia“. Dieser Name ging als italienische Bezeichnung dann auf die gesamte Insel Kreta über) Wer auf alten europäischen Karten Kreta sucht, wird nur „Candia“ finden, wie auch die Peleponnes nur unter „Morea“ geführt wird.  1669 kamen die Osmanen, nun hieß die Stadt Kandiye, während die Griechen auch schon mal von „Megalo Kastro“ (große Burg) sprachen. Erst 1913, mit dem Anschluss Kretas an Griechenland, bekam die Stadt – mit teils unterschiedlicher Schreibweise – den neuhelleniserten Namen Ηράκλειο, gesprochen „Iraklio“, zugewiesen. Alles anderen Bezeichnungen sind mehr oder weniger falsch. Die Stadt ist mit ca. 175.000 Einwohnern die größte Stadt Kretas und die viertgrößte Stadt Griechenlands (Nach Athen, Thessaloniki und Patras).

Leider ist sie während der vielen feindlichen Auseinandersetzung mehrfach stark in ihrer historischen Substanz beschädigt worden, mit Abstand am schlimmsten durch die Bombardierung durch Nazi-Deutschland als Vorbereitung zum Einmarsch von Wehrmacht und SS auf Kreta (14. Mai 1941)

Dennoch sind noch einige Sehenswürdigkeiten in der Stadt erhalten geblieben.  Berühmt ist das archäologische Museen (darüber hatte ich vor Jahren schon einmal geschrieben, die Dateien kommen irgendwann wieder hier rein. Allerdings ist es zwischenzeitlich komplett renoviert und umgebaut – ist vorbehalten zur nächsten Reise).  Bekannt ist das Museum, das nach dem Athener Nationalmuseum die bedeutendste archäologische Samlung beherbergt, durch den berühmten „Diskos von Phaistos“, einer etwa Pita-großen Tonscheibe, mit rätselhaften, spiralförmig umlaufenden Schriftzeichen, bei denen es sich angeblich um das minoische Linear A handeln soll. Die Scheibe, die 1908 in den Ruinen der minoischen Siedlung von Phaistos gefunden wurden sein soll, wurde bislang in die Zeit des 17. Jahrhindert v. Ch. datiert. Ihre Inschrift wurde, trotz unzähliger, teils ins Esoterische abgleitender Versuche, nie entziffert. Das kann Gründe haben:  leider mehren sich immer mehr Anzeichen dafür, dass es sich bei dem berühmten Objekt, das wie ein Nationalheiligtum gehütet wird, um eine Fälschung handelt http://blog.museum-aktuell.de/archives/359-Diskos-von-Phaistos-erneut-unter-Faelschungsverdacht-gestellt.html
Nicht nur für das Museum wäre das eine Katastrophe.

Diskos von Phaistos: bronzezeitliche Sensation oder Fälsch aus dem letzten Jahrhundert?

Diskos von Phaistos: bronzezeitliche Sensation oder Fälschung aus dem letzten Jahrhundert?

Spannend ist das historische Museum der Stadt. Es befindet sich an der Uferpromenade der Stadt, nicht weit vom ehemaligen venezianischen Hafen. Es ist in einem mehrstöckigen, neoklassizistisches Gebäude nebst behutsam angefügten, modernen Anbau untergebracht. Über drei Etagen bietet es einen Stadt- und regionalgeschichtlichen Überblick über die Stadtgeschichte,von den archäologischen Funden bis in die Moderne.

Historisches Museum von Iraklio

Historisches Museum von Iraklio

Neben der Dauerausstellung, die insgesamt vernünftig didaktisch aufbereitet ist, werden auch ständig Wechselausstellungen gezeigt.  Ein Highlight für Freunde internationaler Literatur sind natürlich die Räumlichkeiten, die hier einem der größten Söhne der Stadt, dem hier geborenen Nikos Kazantzakis gewidmet sind. Unter anderem findet man hier eine gute Übersicht über sein breites Schaffenswerk, sein rekonstruiertes Arbeitszimmer und mehrsprachige Ausgaben seines Övres, das ja weit über den Klassiker „Alexis Zorbas“ hinaus ging.

Noch anderer großer großer Sohn der Stadt war El Greco („der Grieche“ – so heißen gerne zweitklassike Restaurants in Deutschland) .  1541 hier geboren, gestorben im spanischen Toledo 1614 ; sein eigentlich Domínikos Theotokópoulos. Er machte in seinem künstlerischen Schaffen eine enorme Wende durch. Ausgebildet in Kreta, erlernte er hier die orthodoxen Ikonenmalerei, die zwar, als kretische Schule, westlichen Stilrichtungen nicht vollkommen abgeneigt war, aber doch

nach westlichen Maßstäben sehr handwerklich-starr verhaftet war. In Italien lernten er den Manierismus kennen, sein Stil wandeltes sich, und igendwie gelangte er nach Spanien als erfolgreicher, heute weltberühmter Maler des Manierismus.Nur zwei Werke seines gewaltigen Schaffens existieren noch in seiner Geburtsstadt: gezeigt werden sie im historischen Museum Iraklio.

Zur Stärkung sei unbedingt das in der Nähe liegende Cafe-Restaurant „Bachalogatos“ („Chaotenkater“) empfohlen – nicht nur für Katzenliebhaber, sondern vor allem für Kenner und Liebhaber der kretischen Küche. Das Lokal ist schlicht und geschmackvoll designt, etwas im westeuropäischen Retrostil der 1960er Jahre gehalten (zentrales Thema: witzige Katzenzeichnungen und -Sprüche) . Es biete alles, was die kretische Küche zu bieten hat, allerdings in einer sehr modernen, ansprechenden Form angerichtet. Raki in einer Glühbirnenflasche serviert, auf einem Brettchen mit etwas Konditorware und einem Katzenmotiv aus Puderzucker. Alles etwas mit einem gewissen Augenzwinkern „schickimickimäßig“ angerichtet – das sollte nicht abschrecken, das gehört zum Stil, und die Preise sind trotzdem vollkommen normal. Der Ladenbesitzer ist der El Greco der kretischen Küche: „Wir können auch anders“: In der kretischen Küchentradition verhaftet, aber serviert und gespielt wird auf der italienischen Designerklaviatur.  Hoffentlich ist der Laden nicht zu, wenn wir eines Tages wiederkommen.

Empfohlen sei auch ein kurzer Fußmarsch in die historische Innenstadt. Neben schlichten Betonklötzen aus der Wiederaufbauzeit der Stadt findet man immer wieder noch die historistischen Prachtbauten der Zeit um 1900, Neoklassizismus, teils auch mit einem Hauch Jugendstil, Bauhaus, Art Deco. Sehenswert ist die venezianische manieristische Loggia (Architekt Francesco Morosini , erbaut 1626 und 1628 ). Heute sind hier Teile der Stadtverwaltung untergebracht, die offene Halle wird für diverse Veranstaltungen genutzt.

Nicht weit davon entfernt, stößt man auf einen gewaltigen, kuppelüberwölbten  Klotz spätosmanischer „Turkobarock“-Architektur“. Es handelt sich um eine ehemalige Moschee, die als Nachfolge mehrerer byzantinischer Kirchen, die dem hl. Titos geweiht waren, nach deren Zerstörung durch Erdbeben (zuletzt 1851) errichtet wurde.  Nach dem Abzug der letzten Muslime 1920  wurde die Moschee wiederum in eine christliche Kirche zurück verwandelt, das Minarett abgebrochen. Die Kirche kann ihre Vergangenheit als islamisches Gotteshaus bei aller Nachrüstung mit Ikonostase, Heiligenbildern und viel Weihrauch nicht verbergen, da helfen auch die griechischen und orthodoxen Fähnchengirlanden auf dem Vorplatz nicht.

Die "Kirche" Aghios Titos" in Iraklio. Erbaiut als Moschee. Das Minarett wurde 1920 nierdergerissen, das Gebäude als christliche Kirche geweiht.

Die „Kirche“ Aghios Titos in Iraklio. Erbaut als Moschee. Das Minarett wurde 1920 niedergerissen, das Gebäude als christliche Kirche geweiht.

 

„Zurück“ in Thessalien 

(26. August 2017 ff)

Das war also Kreta 2017, viel ist es nicht geworden, ein kurzer Abriss, mehr Zeit war dieses mal nicht. Abends, nach Abgabe des Leihwagens besteigen wir die restlos ausgebuchte Fähre nach Piräus, von dort Athen, dann Pilion, Larissa, Aghiocampus. Ob ich hierüber nie nächsten Tage schreibe, wird man sehen, denn darüber gibt es bereits so viel, hier habe ich in den letzten Jahren schon fast jeden Baum und jeden Stein umgedreht und beschrieben. Dennoch haben gerade diese Wiederholungen ihren Reiz: Der Schlachter in Aghia freut sich, wenn wir wieder auftauchen, die Bäckersfrau genauso, die streundenden Hunde nehmen langsam wieder Besitz ein vom sich langsam entvölkernden Strand von Aghiokampos, und alle wissen, wieder neigt sich ein Jahr dem Ende entgegen. Von den bewaldeten Berghängen Mavrovounis weht ein lauer Abendwind hinunter ans Meer. Καλο Χιιμονας : einen schönen Winter !

In den Bergen von Mavro

In den Bergen von Mavrovouni

 

 

 

Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal: die Patsos- oder Aghios-Antonius-Schlucht

Patsos-Schlucht: Kartenausschnitt mit Wanderweg durch die Schlucht (dunlkelblau) und nicht empfohlener Weg (hellblau). : Auf der Karte ist Norden links, Süden rechts.

Patsos-Schlucht: Kartenausschnitt mit Wanderweg durch die Schlucht (dunlkelblau) und nicht empfohlener Weg (hellblau). : Auf der Karte ist Norden links, Süden rechts.

Schluchtenwanderungen sind auf Kreta außerordentlich beliebt. Berühmt ist sicherlich die Schlucht von Samaria, aber es gibt außer ihr, deren Durchwanderung schon seit Jahrzehnten fester Bestandteil des Massentourismus ist, noch weitaus mehr Täler in Kreta von ähnlicher Schönheit, die noch nicht dieses Ausmaß von Heimsuchung erfahren haben wie das Samaria-Tal. Zu nennen wäre hier etwa die Schlucht des Todes bei Zakros, die wir schon einmal vorgestellt hatten (derzeit nicht online) die Schucht von Aghia Irini oder die Schlucht von Patsos, auch St. (Aghios) Antonios-Schlucht genannt, die wir dieses Jahr durchquert haben.

Ihr Eingang befindet sich in der Nähe der Ortschaft Patsos, die Schlucht erstreckt sich etwa 3-4 Kilometer in Richtung Norden, wo sie am Amari-Staudamm endet.

Beschreibungen der Tour gibt es in mehreren Reiseführern, sind aber – mit vielen Erfahrungsberichten – online Verfügbar. Leider sind sie alle sehr widersprüchlich und oft auch ungenau.  Da gibt es etwa die Seiten von „Radio Kreta“:“Radio Kreta„: http://radio-kreta.de/ausflugtipp-die-patsos-oder-sankt-antonius-schlucht/ wo ein gewisser Jörg die Schlucht anpreist. Leider bleibt da vieles im Unklaren  – mal ist von einem „lockeren Familienausflug“ die Rede, dann wieder von „Indiana Jones“.  Der Hinweg zum Eingang der Schlucht ist jedenfalls gut beschrieben – bei dem Rest fragt man sich, ob hier nicht die  Ausführungen aus dritter Hand kompiliert wurden. Im deutschsprachigen Kretaforum (so etwas gibt es tatsächlich!) trifft man auf die unterschiedlichsten Erfahrungen, die irgendwo von“Sonntagsspaziergang“ bis „gut, dass wir heil durchgekommen sind“ reichen.  (http://www.kretaforum.info/archive/index.php/t-20298.html)

Leider schweigen sich alle Seiten darüber aus, wie man – nach dem nicht unbeschwehrlichen Abstieg – wieder zurück kommt. Es gibt am unteren Ausgang der Schlucht nämlich keinen Bus- oder Taxitransfer, wie beispielsweise bei der beliebten Samaria-Schlucht. Gar nichts.

Doch der Reihe nach: Der Eingang der Schlucht ist tatsächlich einfach zu finden, wie obiger „Jörg“ es beschreibt. Die Ausflugstaverne „Drymos“ ist in der Tat gewaltig groß, morgens ist hier noch nicht viel los, was sich nachmittags schlagartig ändern wird.

Die Großtaverne "Drymos"

Die Großtaverne „Drymos“

Empfangen werden wir von heftigem, geradezu hysterischem Geschrei, das aus der Ferne klingt wie das einer älteren lauten  Dame. Das pausenlose Gequatsche kommt von einem Papagei – er ahmt hier vorzugsweise das aufgeregte, banale Dauergeschwätz giechischer älterer Damen nach, die hier Nachmittags in beachtlichen Scharen einfliegen. Was der Vogel hier anstellt, ist unfreiwillige Satire erster Güte. Vereinzelt hört man Wörter und beliebte Phrasen heraus, leider verstummt der Vogel sofort, wenn man sich in die Nähe seines Käfigs begibt, um Tonaufnahmen zu machen.

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Nach einem kurzen Kaffee nehmen wir den Eingang der dicht bewaldeten Schlucht, Pfade und kleine Brückchen führen die ersten 100 Meter oberhalb des zwischen dem Grün und Felsklumpen friedlich dahinplätschernden Bachs hin zur St. Antonius-Kapelle, die in einen Höhle unter einem Felsvorsprung eingebaut ist. Hier haben unzählige Pilger ihre Votivgaben abgelegt: Wunschzettelchen, Metallplaketten mit eingeprägten Symbolen der zu heilen Körperteile (Herzen, Augen, Kopf, Beine), sie hängen teils in dichten Trauben an Schnüren von der Höhlendecke und Baumzweigen herab.

Eine Felsnische ist voll von Krücken gestellt – das erscheint verständlich, denn bei dem nun folgenden Abstieg wären die ohnehin kaum mehr hilfreich. Denn langsam steigert sich der Schwierigkeitsgrad: gibt es erst noch wackelige Holzbrücken, die über den Bach führen, der sich immer tiefer unter uns in den Felsen sägt, sind es dann später nur noch wacklige Leitern, dann führt der nicht immer klar ausgezeichnete Weg über vollkommen ungesicherte Felsvorsprünge in der dutzent Meter tief steil abfallenden Wand, manchmal gibt es Halteseile, denen man nicht immer ganz vertrauen sollte – hin und wieder ist schon mal eines an einer spitzen Felskante zur Hälfte durchgescheuert.

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Aufpassen sollte man hier schon, und für Menschen mit Höhenangst ist das hier nichts.
Stabile, gebirgstaugliche Wanderstiefel sind ein absolutes Muss! Im Sommer, wenn der Bach kaum Wasser führt, braucht man wenigstens bei einem Fehltritt nicht befürchten, von der reißenden Strömung fortgespült zu werden, dann aber ist die Passage ohnehin kaum möglich, denn, wie die Wassermarken an den Felsen und monströsen, rundgeschliffenen Steinbrocken zeigen, steht das Wasser im Winter und Frühjahr in den Strudeltöpfen bis zu 5 Meter hoch. So tasten wir uns nun langsam nach unten, teils durch dunkle Schächte, über denen in bis zu hundert Metern Höhe über den Felswänden die Baumwipfel ihr Dach ausbreiten, dann wieder Lichtungen, in denen blühende Oleanderbüsche, nein geradezu Oleanderbäume stehen.

Antonios-Schlucht auf halber Strecke

Farangi Antoniou (Patsos-Schlucht, Antonios-Schlucht)

Farangi Antoniou (Patsos-Schlucht, Antonios-Schlucht)

Man rutscht und zerrt sich zwischen und über die Felsen hindurch, auf dem Hosenboden glatt polierte Rutschen durch nadelöhrbreite Spalten hindurch ins Ungewisse, um dann festzustellen, dass man vielleicht doch besser über den Felsbrocken nebenan geklettert wäre, weil es da, wo man angekommen ist, nicht weitergeht.

Ausgeblichene menschliche Gebeine verschollener Wanderer findet man hier jedoch nicht. Nach etwa weniger als anderthalb Stunden, je nach Kondition, wird die Schlucht wieder flacher und heller und mitten im Dickicht steht man vor dem Loch einer banalen Straßenunterführung, der Bach fließt da durch und am anderen Ende erreicht man das Ufer des Stausees. Hier ist der Weg dann zu Ende.

Hier ist die Schlucht zuende: am Amari Stausee

Hier ist die Schlucht zuende: am Amari Stausee

Wie kommt man zurück? Den gleichen Weg hinauf wollten wir nicht machen – und das war ein großer Fehler. Die Alternativroute zurück, zu Fuß, führt entlang einer heißen, staubigen, in praller Sonne dahin flimmernden Straße, die nach ca. 6,5 km über große Umwege und unnötige Höhenkämme wieder zum Ausgangspunkt führt. (Der Rückweg über die Strasse ist die in unserer Karte hellblau gepunktete Linie). Nicht nachmachen !

Empfehlung: entweder doch den Weg durch die Schlucht zurück klettern, was geht, wie uns Mitwanderer berichteten,  die sich beim Abstieg eigentlich nicht sonderlich wohl fühlten. Alternative: Es gibt in der Gegend durchaus Funktaxis, die muss man einfach nur rechtzeitig bestellen.

Ist man dann, egal wie, wieder zum Ausgangspunkt an der Taverne „Drymos“ angelangt, empfielt sich: Wasser auftanken und essen, wenn man hier überhaupt noch Platz findet, denn mittlerweile sind etliche Ausflügler in Bussen eingefallen. Es sind vorzugsweise griechische Großfamilien und Gesellschaften (Parea), vornehmlich älteren Datums, die diesen Ort natürlich nicht zur Schluchtenwanderung ausgewählt haben. Es sind Paradeausflüge von Durchschnittsgriechen der umliegenden Orte und so stolziert man , die Damen laut vorneweg schnatternd (der Papagei hört nun begierig zu) durch das Lokal, die Herren oft breitbeinig, nicht anders, als käme man von der Einschulungsfeier im Vereinsheim einer Gartensparte in Halle. Dennoch: Hier zu speisen lohnt sich, denn die Größe des Lokals lässt zu, hier Gerichte produzieren zu können, die für kleinere Etablissements nicht wirtschaftlich wären. Eine kretische Zubereitungsart für Fleisch, insbesondere für große Teile vom Lamm, ist das so genannte „Ofto“. Über einem großen, offenen Feuer  hängen die Fleischstücke und werden neben der direkten Flamme gegart, nicht etwa gegrillt. Mehrere Gestelle sind im Einsatz, und für den Restaurantbetrieb müssen  täglich mehrere Lämmer das Leben lassen. Die üblichen Mesedes sind ebenfalls nicht zu verachten, geschweige der Raki, den man sich nach den Strapazen der Wanderung redlich verdient hat.

Lammteile in offener Flamme: "ofto"

Lammteile an offener Flamme: „ofto“

 

 

 

 

Preveli: wehrhafte Mönche über dem Palmenstrand

Die Preveli-Gegend Brücke, Strand, Klöster

Die Preveli-Gegend: Brücke, Strand, Klöster

Aus der Kourtaliotiko-Schlucht kommend, mündet der Bach „Megalospotamos“ („großer Fluss“) in einen lang gestreckten, schmalen, kristallklaren See, der etwa bei der „venezianischen“ Brücke beginnt, die für sich genommen ein beeindruckendes Bauwerk osmanischer Baukunst ist. Solche steil aufragenden Bogenbrücken sind typische Hinterlassenschaften osmanischer Baukunst, unser Exemplar stammt aus der Zeit des beginnenden 19. Jahrhunderts.

"Venetianische Brücke" unterhalb von kato manastiri prevelis

„Venezianische Brücke“ unterhalb von kato monastiri preveli

Warum die Brücke nicht als das bezeichnet wird, was sie ist, nämlich eine typisch osmanische Brücke, mag daran liegen, dass man – insbesondere in der Nähe der beiden Klosteranlagen, deren Mönche sich gegen die Osmanen auflehnten, keine Relikte der einstigen Unterdrücker dulden möchte. Nationalistische Geschichtsklitterung. Gerade zu Beginn des 19. Jahrhunderts kommt die türkische  Brückenbauweise, einst entlehnt aus der Janitsarenarchitektur, beispielsweise des Sinan, zu einer neuen Blüte.  Die Bogenspannweiten werden größer, die Bogenscheitel geradezu gewagt dünn. Möglicht macht das eine neue Technik, indem man die dünnen, exakt zugesägten Wölbsteine zusätzlich mit schmiedeeisernen Klammern untereinander verbindet. Über den Bogen führt ein schmaler, mit Kantsteinen leicht getreppt ansteigender Pflasterweg, ein so genannter „Galdirim“, der Eseln und Maultieren eine gewisse Trittfestigkeit verschaffen sollte.  Das Wasser unter der Brücke ist kristallklar, eiskalt und in dieser Jahreszeit ziemlich niedrig, man kann bequem hindurchwaten. Auf dem davor liegenden, von blühenden Oleanderbüschen umsäumten Teich ziehen Gänse ihre Runden, und schnattern die ankommenden Besucher um Essbares an. Von hier aus führt eine Schotterpiste durch Buschwerk, Macchien und dösende Schafherden hinunter ans Meer, wo der berühmte Strand von Preveli liegt.
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Das ist die verkleinerte Ausgabe des großen Palmenstrandes von Vai, auch hier haben sich die Palmen natürlich angesiedelt. Sie umsäumen den Verlauf des Baches bis zum Meer hinunter, im Gegensatz zu Vai ist hier nichts abgesperrt, aber der Weg entlang des Baches ist ohnehin von Buschwerk zugewuchert, so dass die meisten Badegäste eben den Schotterweg hinunter nehmen. Unten angelangt, kann man das Auto parken, dann verläuft ein steiler Pfad über die Felsen etwa 600 Meter zum eigentlichen Naturschauspiel, dem Preveli-Stand mit seiner Mündung des Baches. Ähnlich wie Matala und Vai war dies in den 1970er Jahren Hippiereservat, heute ist davon nichts zu spüren, aber der Andrang der Touries aller Nationen ist beträchtlich. Das liegt sicher auch an der parkähnlichen Landschaftsformation, die die Mündung des Baches geschaffen hat: hier ist eine Mini-Nehrung entstanden. Der Bach hat eine kleine Sandbank vor sich hergeschoben, die sozusagen das Preveli- Haff gegen das offene Meer abtrennt. Man kann also abwechselnd im kühlen Süßwasser baden (das bei dieser Wetterlage auch schon ziemlich ansehnlich warm ist), oder eben im Meer, getrennt durch den 20 Meter breiten Sand- und Kiesriegel. Unzählige Menschen tun das, machen Selfies mit dem Handystick im Wasser, ansonsten lagern sie unter den Palmen und Büschen, lassen sich von selbstbewussten Gänsevögeln anschnattern, oder umdrängen den kleinen Erfrischungsstand, dessen Personal bei dem Andrang der Massen etwas überfordert ist. Hunde verscharren ordentlich ihre Häufchen im Sand, und das Personal sammelt hier regelmäßig abgestellte Dosen, Papier und Plastiktüten ein. Die gesamte Kulisse, auch der Geräuschpegel, erinnert stark an ein städtisches Freibad im Hochsommer.

Haff und Nehrung am Strand von Preveli

Haff und Nehrung am Strand von Preveli

Die wehrhaften Mönche von Preveli

Man kann sich nun wieder die Schotterpiste zurück begeben, bis zur Brücke, um dann an der Straße auf der anderen Seite hinauf zu den beiden Klosterteilen Kato Moni Prevelli (unteres Kloster) und Ano (oder piso) Moni Preveli (oberes Kloster) begeben. Unbedingt empfehlenswert !
Die Klosteranlagen gehören zu den wohl bedeutendsten Kretas. Das Kloster wurde möglicherweise schon im 10. oder 11.  Jahrhundert gegründet, wahrscheinlicher ist aber eine Gründung um 1600 n. Ch, also während der venezianischen Herrschaft. Der Name soll auf den Gutsbesitzer namens Prevelis zurückgehen, der sein Vermögen für den Bau des Kloster stiftete. Die Klosteranlage wurde erstmals bei der Einnahme Kretas durch die Osmanen 1649 zerstört, die neuen Herrscher gestatteten jedoch den Wiederaufbau, so dass das Kloster, ausgestattet mit etlichen Privilegien, durch das 17. und 18. Jahrhundert hindurch, sich wirtschaftlich entfalten konnte. Offenbar von den Osmanen unbemerkt – oder sogar geduldet – entwickelte sich hier ein Zentrum griechisch-orthodoxer Identität und Tradition, wie dies auch in vielen anderen geistlichen Zentren inmitten des muslimisch geprägten Umfeldes durchaus an der Tagesordnung war. Die dem Kloster gewährte wirtschaftliche Freiheit führte zu einem erheblichen Wohlstand. Dabei nahm das obere Kloster die Rolle als geistiges Zentrum mit umfangreicher Bibliothek ein, das untere Kloster war für die Betreuung der ausgedehnten landwirtschaftlichen Güter zuständig. In Preveli entfaltete man jedoch nicht  nur christliche Traditionspflege und wirtschaftliche Macht, das Kloster entwickelte sich insgeheim zu einem geistigen Widerstandsnest gegen die türkische Herrschaft. Das sollte ihm dann zunächst nicht gut bekommen. In den Befreiungskriegen ab 1821 kämpften Mönche mit Waffengewalt gegen die Osmanen, in der Folge wurde das untere Kloster durch die Osmanen zerstört, die allerdings das Oberkloster nicht einnehmen konnten. Nach dem raschen Wiederaufbau ereilte das Unterkloster in den Auseinandersetzungen der Jahre  1867-1869 noch einmal ein ähnliches Schicksal. Das Gebäude wurde endgültig Ruine, das obere Kloster konnte dagegen abermals gehalten werden. Von den kriegerischen Auseinandersetzungen zeugen heute in den beiden Museen der Klöster unzählige Waffen und teils Ölbilder von Mönchen, die stolz wie weltliche Feldherren ihre Waffen präsentieren. Auch an weiteren Kämpfen nahm das Kloster aktiv teil, die erst mit der völkerrechtlichen Anerkennung des Anschlusses von Kreta an Griechenland 1913 vorläufig endeten.

Widerstand gegen die Deutsche Nazi-Besatzung im zweiten Weltkrieg

Nach der deutschen Luftinvasion auf Kreta ab dem 20. Mai 1941 und der Besatzung des Flughafens bei Maleme waren die alliierten Truppen der Briten und Australier zur Flucht gezwungen. Man versuchte, auf dem Weg nach Süden das Libysche Meer zu erreichen. Mehrere Klöster, vor allem Preveli, versteckten dabei alliierte Soldaten, denen es nicht mehr gelungen war, die zur Flucht bereitliegende Schiffe zu erreichen. Bis zur Ende der Besatzungszeit organisierten die Mönche zusammen mit kretischen Widerstandskämpfern die Verstecke der alliierten Soldaten, einigen gelang sogar die Flucht mittels U-Boote vom Strand von Preveli aus. An den Widerstand der Mönche gegen die Besatzungszeiten und den Naziterror erinnern heute im Kloster mehrere Gedenktafeln, eine Gedenkstätte sowie mehrere Ausstellungen in oberen und unteren Kloster.

Auch das untere Kloster ist in Teilen wieder aufgebaut, größtenteils aber Ruine geblieben. Das Oberkloster wird heute noch von einigen Mönchen bewohnt.

Die Anlagen sind allesamt sehenswert. Im Unterkloster herrscht eine stille, intime Atmosphäre zwischen den halb aufgebauten Ruinen.

Kato Preveli Kloster

Kato Preveli Kloster

Kato Preveli Kloster Ruinen

Kato Preveli Kloster Ruinen

Die Eintrittspreise gestalten sich unterschiedlich. Ausländer zahlen 2,50 € pro Person. Griechen, und dies ist in fast allen Klöstern aber auch vielen staatlichen Museen ein weit ausgedehnter Begriff, zahlen oft nichts. Fragt man also auf halbwegs passables Griechisch, was der Eintritt kostet, wird man entweder sofort durchgewunken oder gefragt, ob man Grieche sei. Beantwortet man diese Frage ehrlich (also mit nein), wird  mit einer auffordernden Geste erst recht durchgelassen. Diese Praxis stammt aus den 1980er Jahren, ist offiziell längst abgeschafft, hält sich aber in manchen Einrichtungen bis heute hartnäckig.

Cat-Content
In der Abendsonne räkeln sich wunderschöne Katzen, es sind in ihrer Art besonders edel anmutende Geschöpfe. Vorwiegend rötlich, insbesondere die Kater, schlank und ausgesprochen langbeinig. Kein professioneller Züchter würde solche Tiere hervorbringen, wie sie im Umfeld und Schutz  kretischer Klöster gewissermaßen von alleine entstehen. Sie wären die Stars jeder internationalen Katzenausstellung.

Kretische Klosterkatze

Kretische Klosterkatze

Von dem weitaus größeren oberen Kloster aus hat man einen schönen Blick über die Bucht von Preveli und das Libysche Meer.

Ano Preveli Kloster

Ano Preveli Kloster

Altphilologen sei auf einen Brunnen mit einer Inschrift aufmerksam gemacht, die erstmals im 8. Jahrhundert an einem ähnlichen Brunnen in der Aghia Sophia in Konstantinopel aufgetaucht sein soll:
ΝΙΨΟΝ ΑΝΟΜΗΜΑΤΑ ΜΗ ΜΟΝΑΝ ΟΨΙΝ
(Nipson anomimata mi monan opsin)
Aus dem byzantinischen Griechisch übersetzt bedeutet es: „Reinige dich von Deinen Sünden, nicht nur Dein Gesicht“. Das besondere daran: es ist wohl das längste, Sinn ergebende Palindrom der Geschichte: Man kann es sowohl von Hinten als auch von Vorne lesen.

Nipson anomimata min monan opsin

Nipson anomimata min monan opsin

Ein Abend zum Essen im Bergdorf Drimiskos

Schon am Nachmittag Vortags haben wir auf unseren Schotterfahrten durch die Gegend um Preveli einen Ort in einiger Höhe ausgemacht, nur dieser eine Weg führte dorthin, und plötzlich sahen wir uns auf einer typischen, etwas alternativ angehauchten Plateia (Dorfplatz) unter einer gewaltigen, ausgehöhlten Platane wieder. Nach ihr hat der Wirt, der vor einem Jahr aus Athen hierher umgesiedelt ist, sein Lokal genannt (Geroplatanos, alte Platane) . Es roch so herrlich nach Grillzeug, vor allem leckeren Paidakia (Lammkoteletts). Der Wirt fragte, was wir eigentlich ständig mit unseren blöden Tabletts machten (Pflanzen bestimmen), das fand er interessant, und brachte sein Herbarium mit. Wir sollten die Kräuter benennen und dazu deren wundertätige  Wirkung. Ein Opa nebenan wollte unbedingt fotografiert werden, und wir beschlossen, den nächsten Abend hier hoch zu fahren zum Essen. Die Auffahrt gelang noch halbwegs bequem, die nächtliche Abfahrt entlang der unbeleuchteten, steil abfallenden Straßenböschungen ist etwas für Menschen mit Neigung zum Blindflug. Den Laden kann man auf jeden Fall empfehlen, man sollte sich aber für Abends auf jeden Fall warme Pullover mitnehmen – jetzt, Ende August, weht schon mal ein kühler , steifer Wind aus Libyen hier hinauf. Wer hätte das gedacht.

Landschaft von der Straße aus nach Drimiskos gesehen

Landschaft von der Straße aus nach Drimiskos gesehen

Drimiskos

Drimiskos, Plateia, Cafe-Taverna Geroplatanos

Das Herbar von Drimiskos

Das Herbar von Drimiskos

 

Von Rethymno durch die Berge an die Südküste nach Plakias und Preveli. Auf der Suche nach dem legendären Myrtios.

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Auch gedruckte Reiseführer können den Menschen in die Irre leiten.  Myrtios, so stand es in einem angesehenen Führer (Dumont), sei ein malerisches Dorf, von von Rethymno aus in einer knappen Stunde zu erreichen. Neben ansprechenden Unterkünften mit Blick auf das Meer gäbe es zahllose Tavernen, in denen man raffinierte kretische Küche genießen könne. Zudem liege es in der Gegend von Preveli, dahin wollten wir ja ohnehin. Auch der elektronische Beifahrer findet den Ort sofort, und stammelt uns in ihrer gewohnten Art auch dort hin. Der Weg führt tatsächlich durch spannende Landschaften, hohe Berge, tiefe Täler, Schluchten, und so weiter, wie man das von Kreta halt kennt.

Blick von der Straße nach Myrthios in Richtung Norden auf die Talsperre von Amoudia

Blick von der Straße nach Myrthios in Richtung Norden auf die Talsperre von Amari

Ferula communis, im Hintergrund der Ort

Riesenfenchel (Ferula communis) , im Hintergrund der Ort Myrthios

Die Ohren beginnen langsam zu knacken. Kurve für Kurve geht es immer steiler in hinauf. Noch wenige Kilometer bis Myrthios, das wird auch langsam Zeit, denn Durst und Hunger melden sich. Wir sehnen uns nach den versprochenen Köstlichkeiten und Erfrischungen.

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Landschaft auf dem Weg nach Myrthios: Blick in die Schlucht von Prassianos

Die Strasse wird von beeindruckenden, hochgewachsenen Stängeln von Riesenfenchel (Ferula communis) begleitet, und dann erscheint das sagenumwobene Myrthios. Ein paar Opas sitzen vor den schlichten Häusern, sehen uns etwas verwundert nach, das „was wollen die denn hier“ steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Denn hier will offenbar selten jemand etwas, die wenigen, engen Gassen sind unbelebt, es gibt keine Taverne, und auch kein Hotel. Nur etwas Aussicht, aber nicht aufs Meer. Gar nix. Herr Dumont war sicher nicht hier, Fake-Guide, vielen Dank auch.

Kourtaliotiko-Schlucht

Kourtaliotiko-Schlucht

Also weiter, die Berge hoch, nach einiger Strecke auf Schotterpisten erreichen wir einen Pass, dann geht es hinunter, über Selli, Pale und Koxare durch die ziemlich tief eingeschnittene, felsige Schlucht von Kourtaliotiko  hindurch, bis sie sich wie ein Fenster in die Ebene um Levkoja öffnet, die wie ein fruchtbares Delta sanft zum Meer hin abfällt.

Die Ebene um Levkoja

Die Ebene um Levkoja

Preiswerte und angenehme Unterkünfte gibt es hier eine ganze Reihe, freistehende Bungalowanlagen zumeist, preislich ähnlich günstig wie zuvor beschrieben (Empfohlen z. B. dieses) Bei der Suche nach Unterkunft und Erkundung der Gegend finden wir dann auch noch ein anderes Myrtios. Es ist ganz in der Nähe, liegt 2 Kilometer oberhalb der Küstenstadt Plakias, und man hat hier tatsächlich einen recht schönen Ausblick über die Bucht.  „Taverna Dionysos“ klingt erst einmal nicht vielversprechend, der Name klingt halt nach den mittelmäßigen hellenischen Abfertigungsanstalten in mittelmäßigen deutschen Provinzstädten. Doch hier lauern nicht der Zorbas-Teller oder die Zeus-Platte, und auch kein Gyros auf einem Haufen Pommes mit Krautsalat. Was der Wirt hier serviert, hat die übliche, gute kretische Qualität: Schnecken (Chochlious), Hackfleichbällchen (Keftedes), Kartoffeln mit Graviera- Käse, gefüllte Zuchiniblüten (Anthous) und Würste Loukarnika (die sind auf Kreta meistens nicht so gut wie auf dem Festland, die Pelle hart, und ansonsten sehr fettig).

Myrthi

„Myrtios Nr. 2,“ oberhalb von Plakias,  Taverna Dionysos.

 

Apo

Weniger appetitlich, aber eine kretische Nationalmacke: An Zäunen aufgespießte Köpfe von Schlachtvieh, die langsam vor sich hinwittern, bis die Sonne die Knochen komplett ausgebleicht hat. Es ist offenbar ein antiker Abwehrzauber (Apotropaion), die sich bis in die Gegenwart gehalten hat (Hier gesehen in Schinaria, findet man aber  in ländlichen Gegenden auf Kreta oft).

Manolis, der beste Koch

Den Beschreibungen des Hotelwirtes folgend,  finden wir das Lokal von Manolis ohne Schwierigkeiten, es befindet sich nach der in Dunkel gehüllten Tankstelle am Ortsausgang. „Niemand isst hier“, sagt meine allerbeste Reisebegleiterin von allen, und will mich überreden, lieber das „Kronos“ aufzusuchen. „Kommt gar nicht in Frage.“ Wir setzen uns an einen der wenigen freien Tische, beobachten die Gruppen, die an den Tischen sitzen, nichts zu Essen haben, an einem „Frappe“ nippen oder einfach nur Karten spielen. Schräg hinter uns hat eine Familie an einem blitzeblanken Tisch Platzt genommen, rechts gegenüber eine Gruppe ziemlich junger Studenten. Meine beste Begleiterin von allen will gehen. Da kommt der junge Wirt Manolis, breitet eine flatternde Plastedecke über unseren Tisch aus, befestigt sie mit den üblichen Stahlfederklammern am Tisch. „Wollt Ihr eher Wein oder Raki?“, fragt er. „Beides!“ sagen wir, woraufhin er wortlos verschwindet. Die sonst übliche Nachfrage, nach „rot oder weiß“  unterbleibt, und lässt auch nicht die übliche Gegenfrage zu, was es denn an Weißwein so geben, wie trocken, ob von hier, man mal erstmal probieren könne usw. Derweil sehen wir, wie sich Manolis am Nachbartisch niederlässt, ein längeres Gespräch mit der Familie führt, die immer noch auf dem Trockenen sitzt, dann ist er weg, nein, er sitzt bei einem anderen Tisch in der Tiefe des Lokals, dann ist er tatsächlich weg. „Gibt es hier überhaupt Essen?“, fragt meine Begleiterin, „offenbar schon, sieh mal dahinten, in der Küche wird etwas umgerührt“. Es erscheint eine blonde Dame, stellt uns etwas Weißwein, ein Fläschchen Raki und eine nicht unbeträchtliche Menge an Vorspeisen hin, alles vegetarisch, sehr lecker, beispielsweise Anthous jemistous (gefüllte Zucchiniblüten mit Reis und Kräutern). Haben wir nicht bestellt, aber das gehört in vielen Gegenden zum Programm, zum bestellte Wein/Schnaps werden Mesedes serviert, irgendwelche. Das ist alles total OK, das sollte man auch kennen, aber wenn in der gefühlten folgenden Stunde weiter nichts passiert, wir auf dem Trockenen sitzen, Winke an das Personal derart ignoriert werden, als seien wir Marsmännchen, dann stimmt etwas nicht. „Die sind Gesundheitsapostel, Fleisch gibt es hier nicht, und Alkohol wird hier rationiert“ bekomme ich zu hören, und die Studentengruppe, die schräg gegenüber geduldig sich zwei Flaschen Bier teilt, macht eben den selben Eindruck. Eine Gesundheitssekte? Wir versuchen, die blonde Kellnerin mit der markanten Figur einer jungsteinzeitlichen Kykladenskulptur (dieses Modell flacher Geigenkasten mit breiten Hüften) zu kontaktieren. Es ist unmöglich. Sie ignoriert uns, während wir Manolis immer wieder einmal fröhlich schwatzend am Tisch anderer Gäste ausmachen können. Wir machen ein Experiment, es dient vor allem dazu, uns unserer Existenz in dieser Welt zu versichern. Behutsam und unauffällig schieben wir einen Stuhl in den Kellnergang, den die Kykladenskulptur nehmen muss. Behende schwingt sie mit ihren Hüften den Stuhl zur Seite, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Ein gekonntes Zirkusstück. Nun wollen wir es wissen. Die dunkelhaarige Dame, die in den Töpfen gerührt hat, ist Ziel eines Direktangriffs. Ich bitte sie um Nachschub. Nickend nimmt sie die Bestellung entgegen. Es stehen auf einmal diverse Leckereien auf dem Tisch. Wunderbar gekochte und gewürzte Fleichstücke, Mesedes, Wein, Raki. Alles so fein und ein Träumchen, wie der Hallenser zu sagen pflegt. Dann passiert wieder  nichts. Auf dem Gang zur Toilette passiere ich einen der Tische, an denen sich  Manolis gerade niedergelassen hat. Freudig begrüßt er mich mit Handschlag. Ob alles klar sei? Ja, wunderbar, ein paar Früchte noch, dann würden wir gerne zahlen. Nachdem wir die allerhand wirklichen Köstlichkeiten, die nach und nach unseren Tisch passiert haben, genossen haben, erscheint Manolis, stellt eine große Karaffe Wasser auf unseren Tisch, deren Inhalt sich dann als hochprozentigen (und ziemlich guten) Raki  entpuppt, einen guten Liter Wein, und eine merkwürdig gestaltete Wurst.

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Die Wurst des Manolis

Wir unterhalten uns über dies und das, die Wurst ist ein Gedicht (etwas aus Innereien, wirklich wunderbar) und, auf die Frage, ob er uns die Rechnung machen könne, sieht er uns mit wunderschönen großen Augen an. „Rechnung? Wollt Ihr was zahlen?“ Nun ja, schon, wir loben seine Küche, den Raki, Tsermiado als Ort und Kreta im Allgemeinen, aber er  kann zu so später Stunde damit nichts anfangen. Wir schlagen ihm einen runden Preis vor, „nun ja, wenn ihr wollt“ sagt er.

Unser Hotelwirt hat uns wenigstens am nächsten Morgen aufgeklärt. Das stumme Personal kann kein Griechisch, es stammt aus Prag, mit Ausnahme Manolis.  Aber unter seiner  Aufsicht – wenn er sie denn hat – entsteht das beste Essen von Kreta. Das können wir bestätigen.

 

 

Die Hochebene von Lassithi – Agrotourismus im Schreberkrater

Die Hochebene von Lassithi ist eine geologische Besonderheit. Auch wenn man an ihrem Rand stehend den Eindruck haben mag, die von einem hohen Ring von Bergen umschlossene, rundovale Ebene könnte durch einen Meteoriteneinschlag entstanden, oder vulkanischen Ursprungs sein, so täuscht das. Es handelt sich um einen Kessel, der in langen geologischen Zeiträumen ohne Abfluss war. Die fruchtbare Ebene zwischen den Bergen ergab sich durch Geröll- und Sedimentablagerungen, die das in großen Mengen von den Kalksteinbergen abfließende Wasser mit sich brachte. Auch heute noch entwässert sich die Gegend vornehmlich durch Karsthöhlen im Untergrund. Mehrfach in der Geschichte waren diese Abflüsse verstopft, so dass das Land im Sumpf und Hochwasser unterging. Seit der Jungsteinzeit ist die für Landwirtschaft attraktive Gegend besiedelt, wenn auch immer wieder mit erheblichen Unterbrechungen, als in regenreichen Jahren die eintretenden Hochwässer die Ernten vernichteten, wie dies aus venetianischer und osmanischer Zeit mehrfach berichtet wurde.

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Apfelbäume, Windmühlen: am Eingang der Lassithi-Hochebene

Starke Erosion, die wohl auch durch intensive Abholzungen der umliegenden Gebirgshänge begünstigt wurde, sorgte dafür, dass der Geländeboden in historischer Zeit um mehrere Meter anwuchs – verbunden mit dem Vorteil, dass immer wieder neuer phosphathaltiger Mineralboden der Landwirtschaft zur Verfügung stand. Heutzutage ist der unregelmäßige Wasserhaushalt technisch reguliert, sowohl durch Kanalsysteme, die den Wasserüberfluss in Speicherbecken abführen, als auch durch ein Pumpensystem, das zu Trockenzeiten das in Kavernen versickerte Wasser wieder aus der Tiefe hervorholt – teils aus über 15 Meter tiefen Pumpenschächten. Im Mittelalter wurde dies vorwiegend von handbetriebenen Ziehbrunnen bewerkstelligt. In den
1920-er Jahren kamen unzählige kleine Windmühlen auf, die auf schmiedeeisernen Ständern ruhend, das Wasser mittels der fast ständig zur Verfügung stehenden Windkraft emporhoben. Mit einem Kolbenhub von ca. 100 Millilitern war die Leistung zwar spärlich, für einen Kubikmeter Wasser mussten sich die kleinen segeltuchbespannten Flügelräder 10.000 mal drehen. Aber die Menge machte es, es gibt Bilder aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, die die Ebene mit einer Unmenge an kleinen, weißen Windrädern zeigen. Heute sind diese Räder größtenteils durch Elektropumpen ausgetauscht, zu einem großen Teil verfallen, teils auch abtransportiert, und als Touristengarnitur an unmöglichen und sinnlosen Stellen wieder aufgebaut. Einige wenige sind aber noch in Betrieb, und erfüllen ihre Funktion in der Landwirtschaft, die auch noch immer die Haupteinnahmequelle der hier auf 800 bis 900 Metern Höhe lebenden Menschen darstellt. Der Tourismus führt, bis auf wenige Ausnahmen (Psychros-Höhle) ein Schattendasein.

Es empfiehlt sich daher, bei Ankunft sich rechtzeitig nach einer geeigneten Unterkunft umzusehen. Beschaulich aber extrem rustikal ist der Ort Agios Georgios, das Hotel Maria befindet sich mitten im Dorf, die Wirtsleute sind etwas unbeholfen, dafür wird man aber morgens von Treckergeräuschen, gackernden Hühner und einem schreienden Hahn geweckt. Es gibt dann noch oberhalb des Ortes eine schicki-micki-Hotelanlage, die aus merkwürdig steril anmutenden Bungalows am Hang besteht, und einem „Eco-Park“, der nach reichlich EU-Förderung aussieht, mit ein paar eingepferchten Tieren griechischen Mittelstandskindern Natur vermitteln soll, und ihren Müttern Gelegenheit bietet, die Kunst des Töpferns und anderer Handarbeiten zu erlernen, während die Väter in Gruppen auf „Safari“ in kleinen Minijeeps in die Landschaft entlassen werden. Wirklich empfehlen kann man eigentlich nur den Hauptort der Lassithi- Ebene, Tsermiado. Es ist ein vollkommen normaler Siedlung, mit Struktur.  Unaufgeregt, kein „Yes-Please“, schwarzgekleidete Omas sitzende vor den Hauseingängen, Jugendliche  basteln an ihren  Motorrädern herum, unter den Autos verhuschen sich wunderschöne Katzen.

Tsermiado, Straßenbild

Tsermiado, Straßenbild

Und hier unsere Empfehlung: Xenonas Argoulias (www.argoulias.gr), etwas oberhalb am Ortsrand gelegen.  Hier gibt es sehr geschmackvolle, traditionell eingerichtete und geräumige  „Studios“, die zudem noch ausgesprochen preisgünstig (45,- €/Nacht mit Frühstück) angeboten werden. Der Blick von der ausladenden Schlafzimmerterrasse über den von der Abendsonne beschiedenen Ort und die grüne Ebene mit ihren grauen Bergen dahinter ist traumhaft schön.

Und was macht man dann hier oben? OK, man kann sich ins Bett legen, bei geöffnetem Fenster die Höhenluft genießen, den aus dem Dorf leise heraufklingenden Alltagsklängen lauschen.

Oder eine Fahrt rund um die ca. 20 Dörfer unternehmen, die den großen Gemüsegarten der Ebene wie eine Ring umschließen. Schon die Venetianer hatten es untersagt, die fruchtbare (aber auch überschwemmungsgefährdete) Ebene zu bebauen, und daran hält man sich aus ökonomischen Gründen bis heute.

Bei Marmaketo ist gerade die Tomatenernte in vollem Gange.

Tomatenernte

Tomatenernte

Die beiden Wsserreservoirs, die aus der Ferne mit ihrem blauen, kristallklaren Wasser zum Baden einladen, erscheinen aus der Nähe als  drahtzaunumwehrte technische Anlagen.

Wasserreservoir auf der Lassithi-Hochebene

Wasserreservoir auf der Lassithi-Hochebene

Bei Arvakontes kann man Schäfchen zählen…

Arvakontes

Arvakontes

Bei Kaminaki haben sie die wohl größten Paprika zu stehen, irgendwoher müssen sie ja stammen, die man dann im „greek traditional salad“ wiederfindet..

 

Paprikafeld bei Kaminaki

Paprikafeld bei Kaminaki

Bei Magoulas, in den eher trockenen Feldern, passen Menschen auf ihre Schafe auf   und wedeln mit ihren Stöcken, weil sie unbedingt aufs Bild wollen.

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Schafherde bei Magoulas

Und malerisch heben sich die Silouetten der Windmühlenruinen aus den 1920er Jahren gegen den azurblauen Himmel ab.

Windmühlenruinen bei Magoula

Windmühlenruinen bei Magoulas

Bei Psychro konzentriert sich der Tourismus auf die dortigen Höhlen. Derweil bereiten sich die Bewohner des Ortes auf den Winter vor: es wird  Kohl gepflanzt. Beispielsweise für die Lachanodolmades, der griechischen Entsprechung unserer Kohlrouladen.

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Kohlpflanzung bei Psychro. Im Vordergrund: Fenchel (Marathos). Das Wildkraut umsäumt Felder und Straßenränder. Seine grünen Blattfedern sind ein unverzichtbares Würzkraut der kretischen Küche. Im übrigen Griechenland benutzt man es kaum.

Trockener ist es wiederum bei Kato Metochi. Die Schafe ziehen erwartungsvoll hinter dem Agrotiko ihres Herrn hinterher. Er hat Wasser und frisch geschnittenes Grünzeug als Abendmahlzeit mitgebracht.

Kato Metochi

Kato Metochi: bukolische Szene mit Toyota-Pritschenwagen

Wie sehen eigendich die Dörfer hier aus: die meisten etwa so, wie hier, Pinakiano:

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Pinakiano.

Die Abendsonne sinkt. Letzter Halt, bevor wir wieder von unserer Rundreise zurück sind. Da haben wir den Salat:

Gemüsefelder mit Salat bei Lago

Gemüsefelder mit Salat bei Lagou

Nun sind wir einmal rum, um die Gemüsefelder der Lassithi-Hochebene, dem wahrscheinlich größten Schrebergarten Europas. Dass sich dabei Hunger einstellt, ist selbstverständlich.

Die Mutter des Hotelwirtes ist möglicherweise mit der Empfehlung ihres Sohnes nicht einverstanden.

Die Mutter des Hotelwirtes ist möglicherweise mit der Empfehlung ihres Sohnes nicht einverstanden.

Der Hotelwirt betreibt auch ein Restaurant, empfiehlt aber sein Essen nicht. „Wenn Ihr wirklich vernünftig und typische Speisen der Region haben wollt, geht besser hinunter in den Ort, entweder zum „Kronos“ – oder besser, also, wenn Ihr mehr auf Mesedes und Raki steht, geht zu Manolis. Der Weg ist einfach. Durch den Ort, das seht Ihr von hier oben, hinter dem Haus mit den grünen Fensterläden, am Hotel „Kronos“ vorbei, da kommt erst die Tankstelle, dann ist der auf der rechten Seite. Müsste heute eigentlich auf haben“

(Fortsetzung folgt: Manolis, der beste Koch)

Im Zickzack durch Kreta über Ierapetra und Aghios Nikolaos auf die Lassithi-Hochebene.

Auffahr von Xerokampos in Serpentinen

Auffahrt von Xerokampos in Serpentinen

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Von Xerokampos über Ierapetra und Aghios Nikolaos nach Mesa Lasithi

In  Schangenlinien windet sich die Straße von Xerokampos hinauf ins Landesinnere. Noch einmal beim Blick hinab wird klar, dass dern Ort Xerokampos seinen Namen zu recht trägt. Wir verlassen nun diese unwirtliche Stätte, durchqueren die Insel im Zick-Zack-Kurs in die Berge hinein, dann wieder hinunter an die Südküste nach Ierapetra, wieder quer durch das land Richtung Aghios Nikolaos, um dann wieder in die Berge hinauf zu fahren, Ziel ist die Hochebene von Lassithi, die wir erst nach mehreren Stunden erreichen werden.Der Routenplaner gibt diesen Kurs als kürzeste und schnellste Verbindung an, was man zunächst nicht glauben mag. Es ist aber tatsächlich so, dass man auf Kreta wegen der engen kurvenreichen Straßen nicht mehr als 30-40 Kilometer pro Stunde zurücklegt, Muttipanzer brauchen dazu noch einiges länger, während die „Agrotika“, die verbeulten Toyota-Pritschenwagen der Hirten und Landwirte, mit Schaf und Heuballen auf der Ladefläche, durchaus zügiger unterwegs sein können. Immer wieder ändert sich nun die Landschaft, man erreicht Bergdörfer von geradezu charmanter Langeweile,  die in durchaus grünen, fruchtbaren Tälern oder Hochebenen liegen. Hier gibt es keine Verkaufsstände, die Honig oder „landestypische“ Produkte wie etwa mit Windmühlen bemalte Kieselsteine anpreisen, keine „Traditional Greek Tavern „, gar nichts. In den graulaubigen Olivenfeldern liefern sich die Zikaden wieder einen akustischen Wettstreit mit den Motorpumpen, hin und wieder rumpelt ein Lastwagen durch. An und wann ist auch Fotografierverbot – da, wo das Militär ganz geheime Radarstationen als Landmarken auf den Berggipfeln aufgebaut hat. Die Fotoverbote sind rührend und in Form rostiger Schilder an den Weidezäunen angebracht, sie stammen noch aus Zeiten, da jedermann wusste, wie die Kamera eines professionellen Spions aussehen muss: mit einem richtig langen Balgen und einem fetten Objektiv.  Dann führt die Straße wieder unten an der Küste entlang – links blaues Meer, rechts Häuser, Strandpromenaden, Touries in Badelatschen, die unvorsichtig über die stark befahrene Straße schlappen, bis hin nach der Großstadt und der Betonhotelhochburg Ierapetra ändert sich das etwas langweilige Bild nicht. Die lassen wir links liegen. Am Abend erfuhren wir dann auch, dass das keine falsche Entscheidung war. Unsere griechischen Freunde, die mit uns die letzten paar Tage in Xerokampos verbracht hatten,waren am selben Tage nach Ierapetra aufgebrochen, wo sie eine Unterkunft gebucht hatten. Sie waren aus vielen Gründen derart entsetzt, dass sie am selben Tag umbuchten und sich zurück nach Xerokampos begaben.  Doofes Hotel, doofer Strand, langweilige Stadt. Sagten sie. Wir können das nicht beurteilen, aber der erste Eindruck, den man von dem Ort hat, könnte dem entsprechen. Dazu muss man wissen, dass Ierapetra relativ neu auf der Bühne des Tourismus erschienen ist. Immerhin die viertgrößte Stadt auf Kreta, die Wirtschaft war bislang eher auf die Vermarktung des in den umliegenden Dörfern angebauten Gemüses ausgerichtet. Seit 2012 bemüht man sich um „nachhaltigen Tourismus“, was aber offenbar nur sehr zögerlich von statten geht.

Ierapetra (In der Ferne)

Ierapetra (In der Ferne)

 

In Ierapetra biegen wir also rechts ab, hinauf wieder in die Berge. Das ist ein interessantes Stück Landschaft. Die Hügel bestehen aus einem schneeweißem, immer wieder auch in Form kleiner Lawinen auf die Straße rutschendem Stoff, einer Mineralerde, die bis heute den Namen der Insel in sich trägt: Kreide, lateinisch „Terra cretae“ oder ebene einfach nur „creta“. Man gerät hier sprichwörtlich in die Kreide, und an manchen Ecken sollte man, wollte man in den gleißenden, sonnenbeschienenen Hügeln verweilen, besser eine Schneebrille tragen.

Kreide

Kreidelandschaft oberhalb von Ierapetra bei Kentri

Nach einer landschaftlich anmutigen Berg- und Talfahrt – die Hänge sind hier vielerorts grün, man merkt, dass man auf der wasserreicheren Nordseite Kretas angelangt ist, erblickt man die Bucht von Aghios Nikolaus, und von dort suchen wir uns den Eingang in den „heimlichen Grund“. Der ist in den Wirren der Umgehungsstraßen von Aghios Nikolaus nicht einfach zu finden, auch nicht mit Navi. An dieser Stelle ein Tip im Umgamg mit deutschsprachigen Navis: unbedingt den Ton abschalten. Wenn die Computerstimme versucht, griechische Ortsnamen oder Landstraßen nachzusprechen, erkennt man gar nichts. Die Bezeichnung „Eparchiaki odos“ (επαρχιακη οδος, Landstraße) ist schon ohnehin schwer, es folgen dann meistens die Name der Orte, die sie verbindet, beispielsweise  „Eparchiaki Odos Neapolis – Chersonisou (Landstraße zwischen Neapoli und Chersonisos“. Das Navi haspelt dann die langen Buchstabenfolge herunter..: “ dem Straßenverlauf auf Eparchia kiodos Nea Polistschertschonisio zwei Kilometer folgen, bei odos kappa punkt konstantinou abbiegen“.  Das versteht kein Mensch. Ohnehin führt auch die lateinische Umschreibung der Ortsnamen nicht nur bei Navidamen zu Verwirrungen. Viele Ortsnamen beginnen mit „Αγιος“, das bedeutet schlichtweg „Heiliger“, und gesprochen wird es Ajos“. Umschrieben wird es aber, je nach beliebig angewendeter Umschriftkonvention, mit „Aghiaos“, Ayos, Agios, Ajos“. St. Pauli wäre dann Αγιος Παυλος, gesprochen „Ajos Pavlos“, umschriftlich: alles ist möglich.  Da mag man das Gerät beschimpfen, wenn es in den Häuser- oder Gebirgsschluchten schon mal den totalen Bodenkontakt verliert, oder den / die BeifahrerIn, weil sie das Ding nicht richtig hält. Im Höhepunkt im Wortgefecht mit dem Kopiloten meldet die inzwischen totgeschimpft geglaubte, verstummte Computerstimme plötzlich wieder zu Wort: “ Wenn du etwas gesagt haben solltest, dann habe ich es nicht gehört“. Der folgende Lachkrampf auf diese Loriotade vereint die streitenden Menschen, wir finden den Weg zur Hochebene von Lassithi auch so, sie führt durch felsige Schluchten, und bevor wir das Ziel (Eingabeempfehlung: „Mesa Lassithi“), erreichen, wird uns klar, wir brauchen eine Erfrischung. Mittlerweile ist das Handy samt Navi ausgefallen, es meldet:  „Apps mussten wegen Überhitzung des Gerätes beendet werden“.  Das liegt daran, dass wir die Klimaanlage ausgeschaltet haben, denn immer, wenn man das Gaspedal des ächzend stotternden Leihwagens hier richtig durchdrückt, um die teils heftigen Steigungen zu nehmen, bläst die Lüftung lauwarme Benzindämpfe ins Wageninnere. Abgesehen möglicher Gesundheitsgefährdungen ist das  ist eine ziemliche Verschwendung, der  Tankanzeiger neigt sich langsam einer bedrohlichen Untergrenze, und wir sind bislang nur an stillgelegten Tankstellen vorbei gekommen. Wasser wäre nicht schlecht, endlich taucht nach einer Biegung wie eine Fata Morgana eine Oase auf.

Die vordem genannten Freunde sagten neulich, dass man griechische Faschisten daran erkenne, dass sie überall ihre Nationalflaggen hissen. „Sind wir etwa keine Griechen, wenn wir  das nicht tun?

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Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein

Griechische Fähnchen schmücken eine Kitschburg, die sich in der Straßenböschung auf rechter Seite unter einen Felsvorsprung schmiegt. Die Fähnchen scheinen hier jedenfalls keine griechische Ordensburg zu markieren, hier erfüllen sie den Zweck, Reisende darauf hinzuweisen, dass hier das Erwartungsbild bedient wird,  das sie aus der Heimat mitgebracht haben, und gefälligst unbeschadet wieder so zurückkehren soll.  Wir halten bei der unbeschreiblichen Hölle aus Souvenierbuden an, werden vom Betreiber  Manolis Moutsounas  auf die besonderen Vorzüge seines Angebotes hingewiesen: auf dem vom Opa geerbten, engen Landstreifen zwischen Straße und Felsen betreibt er eine Gemäldegalerie mit selbstgemalten Bildern (mit dem Handfeger gemalt, viel blaues Meer, weiße Häuser, Windmühlen), eine Glyptothek (mundgebissenes Olivenholz), einen Verkaufsstand für Wunderheilmitteln (Raki mit Honig (Rakomelo).  „No Doktor!“ verheißt das Pappschild darüber), es gibt einen kostenlosen Fernrohrstand, die alten Feldstecher sind starr auf die gegenüberliegenden Felsen gerichtet. Wir suchen Erfrischung, die besteht aus viel Wasser und dem üblichen Frappe metrio (kalter, aufgeschäumter Nesskaffe), Langsam geht es uns besser, der Benzingestank ist verflogen . Nach der üblichen Herkunftsabfrage seiner Gäste präsentiert er stolz mehrere Reiseführer – tatsächlich hat es der Imbissstand nicht nur in den Guide Michelin, sondern auch in den DuMont und etliche nicht gerade für Pauschaltourismus relevante Printmedien geschafft. Und natürlich haben viele begeisterte Touries samt Bildern ihre Spuren hinterlassen.

Das verdammte T-Stück

Google Maps sagt, dass sich Menschen hier in diese Straßenkurve durchschnittlich zwei Stunden aufhalten. Die Erklärung dafür liefert Manolis Moutsounas, indem er uns ein paar zackig gesägte Holzstücke auf den Tisch wirft. Wir sollen daraus ein „T“ zusammensetzen. Das dauert, verbissen schieben wir zwischen Wassergläsern, kaltem Kaffeschaumgläsern und einer sehr opulenten Früchteplatte die Teile hin und her. Es will nicht gelingen, Herr Moutsounas  sagt, es fehle vielleicht auch ein Teil, nimmt uns eines weg, holt ein gleiches von Nachbartisch herüber, wo sich ein paar Franzosen schon verzweifelt seit Stunden mit den Holzklötzchen bemühen. Nichts geht. Wir überlassen unseren Lesern den Versuch einer Lösung. Moutsounas löst uns das Rätsel mit den von vielen verschwitzten Touristenhänden abgegriffenen Holzbrettchen auch nach weiteren Bestellungen nicht auf – er meint, wir könnten es dich erst ein mal mit etwas Leichterem probieren, „nehmt doch erst mal das Alpha“.

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Verdammtes T-Stück. Nein, mehr teile gibt es nicht ! Vielleicht sind unsere Leser schlauer, und bekommen das zusammen.

Dankend lehnen wir ab, machen uns auf den Weg in Richtung Mesa Lassithi. Wir haben unser Ziel erreicht. Nach der letzten Anhöhe liegt das vorläufige Ziel der Reise unter uns. Das gelobte Land, ein gewaltiger grüner Paradiesgarten, inmitten der schroffen unwirtlichen Berge Ostkretas. Das Land , das sich unter unseren Augen in der Abendsonne ausbreitet, liegt auf frischen, kühlen 800 Höhenmetern. Umrandet wird es in der Ferne von graublauen, wolkenumspielten Bergen, die diesen heimlichen Grund in einem Radius von etwa einem Dutzend Kilometern zu einem der großen landschaftlichen Mysterien Kretas machen. Dieses gelobte Land, das uns hier, inmitten der kretischen Hochwüste, zu Füßen liegt,  ist unser vorläufiges Ziel.

Lassithi

Lassithi: Blick hinab in das Kanaan Kretas

(Fortsetzung folgt)

 

Zwischenbericht – weil das Netz hakt

Plakias bei Preseli, 23.08.2017

Es wird noch viele Berichte geben. Allerdings hakt das Internet gerade, und so muss die weitere Erzählungen aus Kreta warten. Die folgenden Kapitel:

Im Zickzack durch Kreta über Ierapetra, Aghios Nikolaus auf die Lassithi-Hochebene. Rund um das Paradies Kretas auf 800 Meter Höhe.
Geschichte der Windkraft seit dem Altertume bis heute
Tsermiado. Bei Manolis: Das merkwürdigste Lokal von Kreta und seine Besatzung.
Über Rethymno durch die Berge gen Süden.
Merkwürdiges Myrthios.
Preveli: Kloster, Strand, Katzen und Natur.
Die kriegerischen Mönche von Preveli.20170823_084810

Bis dahin müssen Katzenbilder reichen.

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